(Anm: Die Einteilung in Kapitel, Artikel und Prinzipien
stammt aus der brasilianischen Ausgabe der "Abhandlung", Verlag
Editora Vozes Limitada, Petrópolis RJ, 1961, die als Unterlage für die
Kommentare von Prof. Plinio Correa de Oliveira gedient hat)
Artikel I
PRINZIPIEN
ERSTES PRINZIP: Gott wollte sich Maria bei der
Menschwerdung bedienen
Die Wichtigkeit der Menschwerdung Gottes
Die Begründung des hl. Ludwig für die Notwendigkeit der
Andacht zu Maria liegt in der Rolle die Ihr übertragen wurde bei der
Menschwerdung Gottes. Legen wir diesen Punkt ausführlicher aus.
Das erste, was wir festhalten müssen, ist die äußerste
Wichtigkeit der Menschwerdung Gottes in seinem Schöpfungsplan. Diesbezüglich
gibt es Auseinandersetzungen zwischen Theologen über einen Punkt. Einige
meinen, die Menschwerdung hätte sich nicht ereignet, wenn der Mensch nicht
gesündigt hätte, andere meinen, das sie auch dann wäre geschehen, wenn der
erste Mensch nicht gesündigt hätte. Erstere folgern aus ihrer These, dass, wenn
auch die Erbsünde ein Übel war, so ergab sich daraus doch für die Menschheit
ein Vorteil, der in der Liturgie am Karsamstag als „o felix culpa“ — „o
glückliche Schuld, gewürdigt eines Erlösers, so hehr und erhaben“. Ohne die
Erbsünde hätten wir nicht das Glück und die Freuden den Erlöser zu bekommen.
Sei es wie auch immer, wir müssen zugeben, das die
Menschwerdung Gottes nicht ein Ereignis in der Geschichte der Menschheit unter
anderen ist, sondern, wie auch die Erlösung, ein Höhepunkt dieser Geschichte
war. Da Gott „ist, der Er ist“, mit Ausnahme der Zeugung des Wortes und dem
Ausgang des Heiligen Geistes (vom Vater und vom Sohn), ereignete sich bei
weitem nichts wichtigeres und höheres, wie die Menschwerdung Gottes. Es ist ein
Geschehnis, dass mit der göttlichen Natur selbst in Verbindung steht, und alles
was Gott betrifft, ist unvergleichlich wichtiger, als alles, was dem Menschen
betrifft. Die Fleischwerdung Gottes übertrifft alles an Wichtigkeit.
Mitwirkung Mariens bei der Menschwerdung
Aus diesem Grund zeigt uns die Mitwirkung Mariens bei der Menschwerdung sehr gut und genau Ihre Rolle in allen Plänen und Vorhaben Gottes und gerade in dem, was diese am wichtigsten und fundamentalsten haben.
Wir finden es z.B. bewundernswert, dass Gott den Kaiser
Konstantin erwählt hat, um die Kirche aus den Katakomben zu holen. Doch, was
ist das im Vergleich zur Berufung Mariens, damit in Ihr der Erlöser gezeugt
werden soll? Absolut nichts! Wir bewundern sehr P. Josef von Anchieta SJ, weil
er Brasilien evangelisiert hat. Doch was ist die Evangelisierung eines Landes
im Vergleich zur Fleischwerdung des Wortes? Nichts!
Nehmen wir an, es ginge um die Rettung der Welt aus der
aktuellen Krise und der Einführung des Reiches Christi auf Erden, und nehmen
wir an der Herr würde nur einen einzigen Menschen erwählen, um diese Aufgabe zu
vollführen. Wir würden die Aufgabe phantastisch finden, und mit Recht. Doch was
ist das, im Vergleich zur Berufung und Aufgabe der Muttergottes? Nichts! Sie
befindet sich auf einer Ebene, die kein Vergleich erlaubt mit irgendeiner
historischen Aufgabe irgendeines Menschen, selbst die des hl. Petrus, auch wenn
er der erste Papst war. Die Rolle Mariens steht über jedem Vergleich mit der
Rolle des hl. Petrus.
Bezüglich der Muttergottes muss man immer wieder den
Begriff wiederholen „kein Vergleich möglich“, weil Sie sprengt die Grenzen der
menschlichen Sprache. Es besteht ein dermaßen großes Unverhältnis zwischen Ihr
und allen Geschöpfen, dass das einzige sichere, was man sagen kann, ist, das es
kein Vergleich gibt.
Nachdem wir diese Begriffe in Erinnerung gerufen haben,
folgern wir, dass das Erörtern der Mitwirkung Mariens bei der Menschwerdung
bedeutet, Ihre Rolle im wichtigsten Ereignis aller Zeiten zu erörtern. Und
welche war Ihre Rolle? Der hl. Ludwig antwortet, in dem er die Mitwirkung der
drei Personen der Dreifaltigkeit — des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes — bei der Fleischwerdung, und dann die Mitwirkung der Jungfrau Maria
mit dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste analysiert.
Die Mitwirkung Mariens mit Gott Vater
Wie es in der Heiligen Schrift heißt, wurde Unser Herr von Gott Vater in die Welt gesandt, um die Menschen zu Erlösen. Eine der Prophezeiungen im Alten Testament sagt über Unseren Herrn: „Siehe, ich komme, wie es geschrieben steht in der Schriftrolle, um deinen Willen zu tun“ (Ps 40, 8-9). Jesus spricht immer von Seinem Vater als den, der Ihn gesandt hat, als den, der sich über Ihn offenbart hat und Ihn seinen vielgeliebten Sohn nannte, als den, den Er anrief, als er Seinen Geist aufgab, in dem er sagte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Da es Gott Vater war, der Jesus gesandt hatte, welche war die Rolle Mariens bei dieser Handlung?
Das Gebet Mariens zur Ankunft des Messias — Zunächst
müssen wir feststellen, dass die Welt schon nicht mehr würdig war, Gott Sohn
„aus den Händen des Vaters direkt zu empfangen“. Deshalb sandte Er Seinen Sohn
nicht um der Welt Willen, sondern wegen Maria. Nicht nur weil Sie um Ihn
gebeten hat — wenn Sie nicht darum gebeten hätte, wäre Er nicht gekommen —,
sondern Gott Vater schickte Ihn zu Ihr, weil nur Sie würdig war, Ihn zu
empfangen.
In diesem Sinne versteht sich auch die Klage im
Johannes-Evangelium: „Er kam in das Seine, doch die Seinen nahmen ihn nicht
auf“ (Joh 1,11). Die Seinen würden Ihn nicht aufnehmen, doch Maria würde Ihn
aufs erhabenste aufnehmen, und nur deshalb konnte Er kommen. Er kam in die
Welt, weil Er Maria vorfand. Hätte Er Sie nicht vorgefunden, so wäre Er nicht
gekommen. Sein Kommen in die Welt ist das Ergebnis des Daseins und der Gebete
der heiligsten Jungfrau.
Auf diese Weise wirkte Sie mit am Akt Gott Vaters, durch
welchen Er den Sohn in die Welt sandte.
Die Teilhabe Mariens an der Fruchtbarkeit des Ewigen
Vaters — Außerdem teilte Gott Vater Seine Fruchtbarkeit der Jungfrau Maria mit,
damit Sie den Sohn empfangen könnte. Die Fruchtbarkeit des Ewigen Vaters ist
unendlich. Sie ist dermaßen, dass die Vorstellung, die Er von sich selbst hat,
schon eine weitere göttliche Person erzeugt. Er teilte also diese Seine
Fruchtbarkeit Maria mit, damit Sie Jesus Christus gebäre und alle Glieder des
mystischen Leibes Christi. Maria ist deshalb nicht nur im allegorischen und
metaphorischen Sinn die Mutter aller Gläubigen (Sie liebt uns, als wäre Sie
unsere Mutter), sondern Sie ist in Wahrheit unsere Mutter in der Gnadenordnung.
Sie ist im Besitz der göttlichen Mutterschaft, weil Gott Vater Sie an Seiner
Fruchtbarkeit teilhaben ließ.
Die Macht des Gebetes Mariens und unser geistliches Leben
Wir können hieraus Anwendungen für unser geistliches Leben entnehmen, sowohl aus der Tatsache, dass das Gebet Mariens die Ankunft des Erlösers beschleunigt hat, als auch, dass Sie an der Fruchtbarkeit des Vaters teilhatte.
Da Maria durch Ihre Gebete die Ankunft des Messias
beschleunigte, was können wir daraus für unser geistliches Leben entnehmen?
Zunächst müssen wir den Eifer Mariens für die Sache
Gottes betrachten. In Ihren Gebeten betrachtete Sie ganz sicher die moralische
Tiefe, in der das auserwählte Volk gesunken war. Es brannte in Ihr der Wunsch,
dass Israel in seinen früheren Zustand wieder erhoben werde. Sie betrachtete
den Zerfall der Menschheit, indem Sie besser als niemand wusste, wie viele
Seelen in dieser heidnischen Welt verloren gingen, und Sie sah, wie die Macht
Satans über die damalige Welt herrschte.
Maria übernahm auf Erden die Rolle des Erzengels Michael
im Himmel. Ihr Gebet um das Kommen Gottes auf Erden glich dem „Quis ut Deus“
des Erzengels. Sie ist es, die sich erhebt gegen den damaligen Stand der Dinge,
nur Ihr Gebet hatte die notwendige Macht, um mit einem Schlag alles zu
verändern.
Die Fülle der Zeit ist damit beendet: Unser Herr Jesus
Christus wird geboren und die ganze Menschheit wird erneuert, erhöht und
geheiligt durch Maria. Unmengen von Seelen werden gerettet, die Tore des
Himmels öffnen sich, die Hölle wird zermalmt, der Tod vernichtet, die
Katholische Kirche erblüht über die ganze Erde. All dies als Ergebnis der
Gebete Mariens.
Ist es nicht wahr, dass Maria auch unter diesem Aspekt
für uns ein vollkommenes Beispiel ist? Sollen wir nicht für unsere Tage den
Sieg Unseres Herrn wünschen, so wie ihn Maria für ihre Zeit gewünscht hat? Gibt
es nicht eine absolute Analogie zwischen den glühenden Wunsch den Sie äußerte,
dass das Reich Christi auf Erden errichtet werde und dem Eifer, mit dem wir es
für unsere Tage wünschen sollen? Ist es nicht wahr, dass wenn Ihr Gebet
notwendig war für Menschwerdung Gottes, das Gebet für uns unerlässlich ist, um
den Sieg Unseres Herrn in der Welt in unseren Tagen herbeizurufen? Wenn wir uns
abmühen im Kampf für den Sieg Jesu Christi in unseren Tagen, erinnern wir uns,
zur Muttergottes zu beten? Wenn wir zu Ihr beten, erinnern wir uns daran, um
diese Gnade zu bitten?
Wäre es nicht ein gutes Gebet, zum Beispiel, wenn wir das
Geheimnis der Verkündigung im ersten Gesätz des Freudenreichen Rosenkranzes
betrachten, wir an Maria denken, in dem Sie um die Ankunft des Erlösers betet?
Es wäre sehr angebracht Sie zu bitten, dass Jesus wieder Sieger auf der Welt
werde und wir die Ankunft des Erlösers betrachten und den künftigen Sieg der
Katholischen Kirche. Haben wir hiermit nicht eine gute Anwendung dieser
Geheimnisse für unser geistliches Leben? Soll es nicht so gesehen, gelebt und
geführt werden? Ist das nicht viel gründlicher und fester als ein langgezogenes
andächtiges Gemurmel? Mit diesen Glaubenswahrheiten nährt man seine
Frömmigkeit. Mit solchen Wahrheiten gibt es jede Menge Nahrung für das
geistliche Leben.
Betrachten wir Maria, wie Sie durch Ihr Gebet die Ankunft
des Messias beschleunigte. Kommt Jesus auch nicht zu uns in der heiligen
Kommunion? Wenn wir uns vorbereiten Ihn zu empfangen, können und sollen wir
Maria um Ihre Empfindungen bitten, mit denen Sie Ihn empfing, als Er in Ihr
Mensch geworden ist.
Wenn wir für jemanden die Gnade der täglichen Kommunion erreichen
wollen, wäre es nicht Sinnvoll der Muttergottes zu bitten, das Sie für diese
Seele die tägliche Herabkunft Ihres Sohnes erwirke, so wie Sie mit Ihrem Gebet
die Ankunft Jesu Christi für die Welt erreichte?
Die Teilhabe Mariens an der
Fruchtbarkeit des Ewigen Vaters und unser geistliches Leben
Betrachten
wir die Teilhabe Mariens an der Fruchtbarkeit des Ewigen Vaters, um Glieder des
Mystischen Leibes Christi zu zeugen. Jeder Gläubige ist ein Glied dieses
Mystischen Leibes. Wenn wir an einem Taufstein vorbeikommen, sollten wir uns
daran erinnern ein Gebet zu sprechen, in das wir der Heiligen Jungfrau bitten,
sie möge uns bis zu unserem Tode in der Beharrlichkeit der Gnade führen, die
wir in der Taufe erhalten haben und dass sie uns diese Gnade für das ganze
Leben bestätige. An dem Taufbecken, das uns in den Schoß der Katholischen
Kirche hat eintreten sehen, der Ort an dem wir für das übernatürliche Leben
geboren wurden und, dass wir auf Bitten Mariens und der Fruchtbarkeit Gottes
des Vaters, zu Gliedern des Mystischen Leibes Christi gezeugt wurden, dessen
wahre Mutter sie auch ist.
Denken
wir daran, dass wir zum Leben der Gnade von Maria gezeugt worden sind, unter
Teilhabe an der eigenen Fruchtbarkeit des Ewigen Vaters, und dass wir dieses
Leben der Gnade durch Maria ganz ohne unser Zutun bekommen haben, denn wenn sie
es nicht für uns erbittet hätte, hätten wir es nicht bekommen. Dies alles ist
ein Grund, sie zu bitten, dass sie uns in dieser Gnade erhalte und sie mit der
Tugend der katholischen Gesinnung bereichere, welches die Krönung dieser
äußerst intimen Bindung mit Christus ist, die wir durch ihre Fürbitte bekommen
haben.
Die
echte Frömmigkeit muss bestehen in der Bildung von einer Geistes-Stimmung, die
ihren Grund auf diese von der Kirche und der Theologie gelehrten Wahrheiten hat
und nicht auf Gefühle. Wahrheiten wie diese erzeugen eine sehr gute, ernsthafte
und gediegene Andacht zur Muttergottes. So erbaut man eine wahre Andacht zu
Maria, und untermauert ein echtes geistliches Lebens.