Donnerstag, 30. Oktober 2014

Der befreiende Gehorsam


Plinio Corrêa de Oliveira
in „Folha de S. Paulo“, 20.9.80

Das Echo der zeitlich sehr entfernten Worte, die  der hl. Remigius sprach, als er Chlodwig, den ersten christlichen König taufte, möchte ich, lieber Leser, auffangen und Dir zu Ohren bringen: „Verbrenne, was Du angebet und bete an, was Du verbrannt hast“. Ja, verbrenne den Egoismus, den Zweifel, die Schlaftrunkenheit, und angeregt durch die Liebe Gottes, liebe und diene und kämpfe für den Glauben, für die Kirche und die christliche Zivilisation. Opfere Dich auf. Entsage Dir selbst.

Wie? — So wie es in allen Jahrhunderten diejenigen getan haben, die für Jesus Christus den „guten Kampf“ gekämpft haben (2 Tim 4,7).

Hl- Ludwig Maria Grignion von Montfort
Und noch ausgezeichneter wirst Du es vollbringen können, wenn Du die vom hl. Ludwig Maria Grignon von Montfort selbst verfasste und gerechtfertigte Methode anwendest. Es ist die „Sklavenschaft aus Liebe“ zur Heiligsten Jungfrau.

„Sklavenschaft“ ... Ein grobes und fremdes Wort, vor allem für moderne Ohren, die allzeit gewohnt sind über Unabhängigkeit und Freiheit zu hören und mehr und mehr geneigt sind zur großen Anarchie, die, wie ein Totenkopf mit einer Sichel in der Hand, die Menschen auf der Ausgangsschwelle des 20. Jahrhunderts mit seinem finsteren Lächeln erwartet.

Es gibt aber eine Sklavenschaft, die befreit und eine Freiheit, die versklavt.

Früher sagte man von einem Menschen, der seinen Verpflichtungen nachkam, er sei ein „Sklave seiner Pflichten“ (A.d.Ü.: so die übliche Art in Brasilien. Im Deutschen entsprechend „pflichttreu“). Doch in der Tat war es ein Mensch, der sich auf dem Höhepunkt seiner Freiheit befand. Durch einen ganz persönlichen Akt verstand er, welche ihm zustehende Wege er gehen musste, und fasste mit männlicher Entschlossenheit den Vorsatz sie aufzunehmen. Er überwältigte die bösen Leidenschaften, die versuchten ihn zu blenden, seinen Willen zu schwächen um damit seinen frei gewählten Weg zu versperren. Der Mensch, der diesen hohen Sieg erreicht hatte, schreitete mit sicherem Schritt dem entsprechenden Ziel entgegen. Er war frei.

„Sklave“ war im Gegensatz jener, der sich von seinen ungeordneten Leidenschaften mitreißen ließ in eine Richtung, mit der seine Vernunft nicht einverstanden war und auch sein Wille nicht bevorzugte. Diese echten Besiegten nannte man „Lastersklaven“. Weil sie sich dem Laster versklavten, „befreiten“ sie sich vom gesunden Reich der Vernunft.

Diese Begriffe von Freiheit und Sklaventum behandelte Papst Leo XIII. mit seinem eigenartigen meisterhaften Glanz in der Enzyklika „Libertas praestantissimum“.

Heute hat sich alles umgekehrt. Als Muster eines „freien“ Menschen haben wir den Hippie, der mit einer Bombe in der Hand nach seinem Gutdünken den Terror verbreitet. Doch umgekehrt, wird als zaghaft, unfrei derjenige gehalten, der im Gehorsam der Gebote Gottes und der Menschen lebt.

Nach heutiger Perspektive ist derjenige „frei“, dem das Gesetz erlaubt die Drogen zu kaufen, die er will, sie gebraucht wie es ihm gefällt und um letztendlich... sich ihnen zu versklaven. Tyrannisch und versklavend aber wird das Gesetz angesehen, das dem Bürger untersagt sich den Drogen zu versklaven.

Versklavung ist auch aus dieser schielenden Perspektive der Umkehrung der Werte, das in vollem Bewusstsein und in voller Freiheit geleistete religiöse Ordensgelübde, nach dem sich der Mönch in den Dienst der höchsten christlichen Idealen stellt, unter Ausschluss jeglicher Rückkehr. Um diese freie Entscheidung gegen die Tyrannei seiner eigenen Schwäche zu schützen, unterwirft sich der Mönch in diesem Akt der Autorität seiner wachenden Oberen. Wer sich so bindet, um sich frei zu halten von seinen schlechten Begierden, setzt sich heute aus, als ein niederträchtiger Sklave bezeichnet zu werden. So als ob der Obere ihm eine Last auflegen würde, die seinen Willen einschränken soll. Im Gegenteil, der Obere dient als Handlauf den höheren Seelen, die frei und unerschrocken anstreben bis zur letzten Stufe die Treppe der höchsten Ideale aufzusteigen, ohne der gefährlichen Höhenangst nachzugeben.

Kurz, für einige ist frei, wer mit benebelter Vernunft und gebrochenem Willen, angetrieben vom Wahnsinn der Sinne, die Fähigkeit hat, auf dem Toboggan der schlechten Sitten wollüstig herunterzugleiten. „Sklave“ ist aber der, der seiner eigenen Vernunft dient, mit der Kraft des Willens die eigenen Begierden besiegt, den göttlichen und menschlichen Gesetzen gehorcht und die Regeln der Ordnung anwendet.

Vor allem ist unter dieser Perspektive ein „Sklave“, derjenige, der sich, um seine Freiheit voll zu garantieren, entscheidet, frei sich Autoritäten zu unterwerfen, die ihn dorthin führen, wohin er ankommen will. So weit führt uns die gegenwärtige von Freudismus durchtränkte Meinung!

Mit einer ganz anderen Perspektive entwarf der hl. Ludwig Grignion von Montfort die „Sklavenschaft aus Liebe“ zur Mutter Gottes. Sie eignet sich für jedes Alter und jeden Lebensstand: Laien, Priester, Ordensleute usw.

Was macht das Wort „Liebe“, das so überraschenderweise an das Wort „Sklaventum“ geknüpft wird, da ja dieses den Gedanken einer brutalen Herrschaft eines Starken über einen Schwachen, des Egoisten über den Armen, den er ausbeutet, hervorruft? „Liebe“ ist, in der Philosophie, der Akt durch welchen der Wille in Freiheit etwas haben will. So werden im gewöhnlichen Sprachgebrauch „wollen“ und „lieben“ im gleichen Sinn benutzt. „Sklaventum aus Liebe“ ist der edelste Höhepunkt des Aktes, durch den jemand sich aus freien Stücken einem Ideal oder einer Sache widmet. Oder auch sich an einen anderen bindet.

Die heilige Zuneigung und die Pflichten des Ehebundes besitzen etwas, was bindet, verbindet und adelt. Im Spanischen nennt man Handschellen „esposas“ (A.d.Ü.: Was auf Portugiesisch „Ehegattin“ bedeutet). Der Vergleich bringt uns zum Lächeln. Den Befürwortern der Ehescheidung mag er schaudern lassen, denn er gibt einen Hinweis auf die Unauflöslichkeit der Ehe. Im Portugiesischen sprechen wir vom „Band“ oder eher wörtlicher von den „Ketten“ der Ehe.

Viel bindender als der Stand der Ehe ist jedoch der des Priesters, und in einem gewissen Sinn noch mehr ist es der Stand der Ordensperson. Je höher der frei gewählte Stand, desto stärker ist das Band und echter die Freiheit.

So empfiehlt der hl. Ludwig Grignion, der Gläubige solle sich freiwillig als „Sklave der Liebe“ der Heiligen Jungfrau weihen, indem er ihr in der Eigenschaft eines Sklaven seinen Leib und seine Seele, seine inneren und äußeren Güter und selbst den Wert aller seiner vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen guten Handlungen weiht, und Ihr alles Recht und volle Gewalt überlässt über sich und all sein Eigentum ohne Ausnahme nach Ihrem Wohlgefallen, zur größeren Ehre Gottes in der Zeit und in der Ewigkeit (vgl. „Weihegebet zur vollkommenen Hingabe an Jesus durch Maria“). Maria, als erhabene Mutter, erwirkt im Tausch für ihre „Liebessklaven“ die Gnaden Gottes, die ihren Verstand erhöht zum klaren Verständnis der höchsten Glaubenssätze, die ihren Willen engelhafte Kraft verleiht um sich frei von jeglichem Ballast in die Höhen dieser Ideale aufzuschwingen und alle inneren und äußeren Hindernisse besiegen, die sich ihnen entgegenstellen.

Doch könnte jemand fragen, wie kann ein Mönch diese durchscheinende und engelhafte Freiheit üben, da er ja durch sein Gelübde der Autorität eines Oberen unterworfen ist?

Nichts einfacher als dies. Mönch ist man durch einen Ruf Gottes („Berufung“). Es ist also Gottes Wille, dass ein Ordensmann seinen Oberen gehorcht. Der Wille Gottes ist der Wille Mariens. Wann immer also der Ordensmann sich Maria geweiht hat als ihren „Sklaven aus Liebe“, gehorcht er als Mariensklave seinem Oberen. Die Stimme des Oberen ist für ihn auf Erden, sozusagen die Stimme der Muttergottes selbst.

Der hl. Ludwig Grignion ruft alle Menschen dermaßen vorsichtig auf zu diesen Gipfeln des „Liebssklaventums“, sodass dieses viel Raum lässt für wichtige Nuancen. Sein „Sklaventum aus Liebe“, das von so großer Bedeutung ist für Menschen, die sich durch Gelübde an einen Religionsorden gebunden haben, kann gleichsam von Weltpriestern und Laien praktiziert werden. Denn im Gegensatz zu den Ordensgelübden, die für eine gewisse Zeit oder für das ganze Leben verpflichtend sind, kann der „Sklave aus Liebe“ zu jeder Zeit diesen erhabenen Zustand verlassen, ohne damit eine Sünde zu begehen. Während der Ungehorsam einer Ordensperson gegenüber der Ordensregel sündhaft ist, begeht der Laie „Sklave“ keine Sünde, wenn er der edelmütigen Hingabe widerspricht.

So verbleibt also der Laie in der Eigenschaft eines „Sklaven“ durch einen freien Akt, den er implizit oder explizit täglich, oder besser, jeden Moment wiederholt.

Für alle Gläubigen ist also das „Sklaventum aus Liebe“ diese engelhafte und höchste Freiheit, mit der Maria sie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert erwartet: lächelnd, anziehend, sie einladend in ihr Reich, gemäß ihrem Versprechen in Fatima: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren!“

Komm also, lieber Leser, bekehre Dich und gehe mit mir, mit allen „Sklaven aus Liebe“ zu Maria, in Richtung dieses Reiches der höchstgeordneten Freiheit und der höchstfreien Ordnung, zu dem Dich die Sklavin (ancilla) des Herrn, die Königin des Himmels einladet.

Umgehe die Schwelle in der der Teufel wartet, wie ein schaurig lachender Totenkopf, in der Hand die Sichel der extrem versklavenden Freiheit und der extrem freiheitlichen Versklavung, das heißt, der Anarchie.

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Die Gegen-Revolution und die Liebe zum Kreuz


Durch die Einwirkung der Kirche hatte der Mensch im Mittelalter im allgemeinen eine Neigung zu einer besonderen Verehrung des Kreuzes. Daher liebte er auch mehr die Werte der Seele und alles, was zu ihrem Heil notwendig war.

Im 14. Jahrhundert:
„(…)zeichnete sich im christlichen Europa eine Mentalitätsänderung ab, die dann im Verlauf des 15. Jahrhunderts immer deutlichere Züge annahm. Das Streben nach irdischen Freuden wuchs zu einer wahren Gier. Die Vergnügungsveranstaltungen wurden immer häufiger und prunkvoller.“
Ergebnis:

„(…)Der wachsende Hang zu einem lust- und phantasievollen Leben des Genusses führte in Kleidung, Sitten, Sprache, Literatur und Kunst zu immer deutlicheren Anzeichen von Sinnlichkeit und Verweichlichung.“
„(…)Alles gewann einen ausgelassenen, verspielten und festlichen Charakter. Die Herzen wendeten sich nach und nach von der Opferfreudigkeit, von der wahren Kreuzesverehrung und dem Streben nach Heiligkeit und nach dem ewigen Leben ab.“[1]

Seit dem Ende des Mittelalters bis in unsere Tage nahm dieser Hang immer mehr an Stärke zu. Leider ist die Gesellschaft, in der wir leben, von ihm durchtränkt und die allgemeine Regel scheint zu sein die Befriedigung der leiblichen Gelüste.

Der hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort (1673 – 1716), ein feuriger französischer Missionar, erkannte, mit Hilfe der Gnade, den Mangel an Kreuzesliebe bei den Menschen seiner Zeit. Um diese Liebe zu erneuern, schrieb er einen „Rundbrief an die Freunde des Kreuzes“. So lehrt er in diesem:
„Ein Freund des Kreuzes ist ein von Gott auserwählter Mensch unter Zehntausenden, die nach den Sinnen und der bloßen Vernunft leben, um als ein ganz vergöttlichter Mensch [2] zu sein, und erhaben über die Vernunft [3] und ganz in Gegnerschaft zu den Sinnen [4], für ein Leben im Lichte des reinen Glaubens und in brennender Liebe zum Kreuze.“

Da der Hochmut und die Sinnlichkeit — die wichtigsten Triebkräfte der Revolution — die Seele des Menschen beherrschen, wenn er sich von der Liebe zum Kreuz abwendet und eine hemmungslose Eigenliebe entwickelt, empfiehlt der hl. Ludwig als Gegenmittel die Hinnahme der Verdemütigung und eine Liebe zum Opfergeist: „Ein Freund des Kreuzes ist ein allmächtiger König und ein über den Satan, die Welt und das Fleisch und ihre drei Begierlichkeiten triumphierender Held. Durch seine Liebe zu den Verdemütigungen wirft er den Stolz Satans nieder, durch seine Liebe zur Armut besiegt er den Geiz der Welt und durch seine Liebe zum Leiden ertötet er die Sinnlichkeit des Fleisches.“[5]

Diese Beschreibung erinnert uns an den hl. Franz von Assisi, ein Heiliger, der von Gott in eine Zeit berufen wurde, in der die ersten Keime dieser Dekadenz aufgetreten sind. Um davon eine Vorstellung zu haben, braucht man sich nur an die Opposition und Unverständnis zu erinnern, denen er ausgesetzt war. Es ist zu glauben, dass sein Wirken den Beginn des revolutionären Prozesses verzögert hat.

Ein Gegenrevolutionär wird nicht echt sein, solange er nicht ein „Freund des Kreuzes“ ist.

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Anmerkungen

[1] vgl. Revolution und Gegenrevolution I. Teil, III. Kapitel, 5 A.

[2] Im Sinn von „Ich lebe, nein, nicht mehr ich, es lebt in mir Christus“ (Gal 2.20).

[3] Erhaben über, doch nicht gegen die rechte Vernunft.

[4] Das Thema Widrigkeit der Sinne wird in einem anderen Post anhand eines erläuternden Textes des hl. Thomas von Aquin behandelt.


[5] „Rundschreiben an die Freunde des Kreuzes“, 2. Teil – Bedeutung dieses Namens. Das goldene Buch vom hl. Ludwig Maria Grignion von Monfort, Lins-Verlag, A-6804 Feldkirch, 1987.