Sonntag, 31. Dezember 2017

Licht, das große Geschenk

von Plinio Corrêa de Oliveira

„Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“ (Lk 2,8-11).


Zu mitternächtlicher Stunde hatte die Dunkelheit ihren Höhepunkt erreicht. Über den Herden ringsum lag Ungewissheit, Gefahr. Von der Müdigkeit übermannt, war der eine oder andere Hirte sogar eingenickt. Andere aber ließen Eifer und Pflichtbewusstsein nicht schlafen. Sie wachten. Wahrscheinlich beteten sie auch, dass Gott die lauernden Gefahren von ihnen fernhalten möge.

* * *

Plötzlich erschien ihnen ein Licht und „die Klarheit des Herrn leuchtete um sie“. Die Angst vor Gefahren löste sich auf. Und es wurde ihnen die Lösung aller Probleme und Gefahren verkündet. Doch vielmehr als die Probleme und Gefahren einiger armen Herden oder ein Häuflein Hirten. Vielmehr als die Probleme und Gefahren, die die weltlichen Interessen ständig bedrohen. Ja, es wurde ihnen die Lösung der Probleme und Gefahren verkündet, die das bedrohen, was der Mensch am wertvollsten und edelsten besitzt: seine  Seele. Probleme und Gefahren, die nicht die Güter dieses Lebens bedrohen, die früher oder später vergehen werden, sondern das ewige Leben, in das der Erfolg wie die Niederlage kein Ende haben werden.

Ohne den Anspruch eine Exegese dieses heiligen Textes machen zu wollen, komme ich nicht umhin anzumerken, dass diese Hirten, ihre Herden und die Dunkelheit uns die Lage der Welt am ersten Weihnachtsfest in Erinnerung rufen.

Zahllose Geschichtsquellen aus jener fernliegenden Zeit berichten von einem weitverbreiteten Gefühl unabwendbaren Missgeschicks, herbeigeführt durch das wirre Zusam-menspiel misslicher Probleme, aus denen es keinen Ausweg mehr zu geben schien, eine Endstation mit Aussicht allein auf Chaos und Vernichtung.

Wenn die damaligen Menschen den Weg betrachteten, den sie seit den ersten Tagen auf dieser Erde bis dann zurückgelegt hatten, konnten sie verständlicherweise einen gewissen Stolz verspüren. Sie hatten einen Höhepunkt der Kultur, des Reichtums und der Macht erreicht. Wie weit waren die großen Völker des Jahres 1 unserer Zeitrechnung – vor allem die römische Supermacht – entfernt von den primitiven Völkern, die durch die Weiten umherirrten, der Barbarei anheimgefallen waren und von allen möglichen feindlichen Faktoren gegeißelt wurden. Allmählich bildeten sich die Nationen, sie nahmen ein eigenes Gesicht an, brachten eigene Kulturen und Institutionen hervor, bauten Straßen, begannen mit der Seefahrt und verbreiteten überall die Früchte ihrer Arbeit. Es gab wohl auch Missbrauch und Unordnung. Die Menschen bemerkten dies aber nicht so recht, denn jede Generation leidet unter einer außerordentlichen Gefühllosigkeit für die Übel ihrer Zeit.

Das schlimmste an dieser Lage der alten Welt war nicht das Fehlen irgendwelcher Dinge. Im großen und ganzen hatten die Menschen, was sie brauchten. Aber nachdem sie hart um die Mittel zum Glück gekämpft hatten, wussten sie nichts damit anzufangen. Alles, was sie sich so lange und unter größten Entbehrungen erwünscht hatten, hinterließ nun in ihrer Seele nichts als eine ungeheure Leere. Ja, oft bedrückte es sie sogar. Denn Macht und Reichtum, aus denen man keinen Nutzen zu ziehen versteht, machen nur Arbeit und bringen Sorgen.

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Dunkelheit lag also über die Menschheit. – Und was taten die Menschen in dieser Dunkelheit? – Sie taten das, was sie immer tun, wenn es Nacht wird: Die einen laufen den Ausschweifungen nach, andere geben sich dem Schlaf hin. Wieder andere aber – und es sind ihrer nur wenige! – machen es wie die Hirten: Sie wachen und halten Ausschau nach den Feinden, die aus dem Dunkel heraus angreifen. Sie halten sich bereit zum harten Widerstand. Ihre Augen hängen am dunklen Himmel, und sie beten. In ihrer Seele trösten sie sich mit der Gewissheit, dass endlich die Sonne wiederkehren wird, um die Dunkelheit zu vertreiben und mit ihr all die Feinde, denen die Nacht Unterschlupf gewährte und Anreiz zum Verbrechen war.

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Unter den Millionen Menschen jener vergangenen Zeiten, die sich unter der Last müßiger Kultur und unnützen Überflusses abquälten, gab es auch Auserwählte, die ein Auge hatten für all den Sittenverfall, das Unglaubwürdige dieser Ordnung, die den Menschen umzingelnden Gefahren und vor allem auch für die Sinnlosigkeit all dieser auf Götzendienst fußenden Kulturen.

Diese außerordentlichen Geister kannten nicht unbedingt eine besondere Bildung oder eine hervorragende Intelligenz als ihr eigen. Der Scharfsinn, der es einem Menschen erlaubt, die großen Zusammenhänge, die großen Krisen und ihre großen Lösungen zu erkennen, ist ja nicht unbedingt das Ergebnis eines durchdringenden Verstandes, vielmehr kommt es dabei auf die Redlichkeit der Seele an.

So erkannten die redlichen Menschen sehr wohl die Lage, denn für sie ist Wahrheit Wahrheit und Irrtum ist Irrtum; das Gute ist für sie gut, und das Schlechte ist schlecht. Ihre Seele lässt sich nicht von der Ordnungslosigkeit ihrer Zeit anstecken, sie lassen sich nicht vom Spott und Ausgestoßensein einschüchtern, mit denen die Welt den Nichtkonformisten begegnet. Von dieser Art waren diese seltenen und ein wenig überall verstreuten Seelen, die da in der Nacht wachten, beteten, kämpften und auf Rettung hofften, es waren Herren und Diener darunter, Greise und Kinder, Weise und des Schreibens und Lesens Unkundige.

Und die Rettung erschien zuerst den treuen Hirten. Aber dann, nach all dem Geschehen, von dem uns die Evangelien berichten, strömte sie auch hinaus über die engen Grenzen Israels und erschien als das große Licht für all diejenigen auf der ganzen Welt, die sich nicht mit der Flucht in Ausschweifungen oder mit einem stupiden Schlafzustand begnügen wollten.

Als Jungfrauen, Kinder und Greise, Hauptmänner, Senatoren und Philosophen, Sklaven, Witwen und Machtinhaber sich zu bekehren begannen , fiel über sie die Zeit der Verfolgungen. Doch keine Gewalt konnte sie brechen. Und als sie in der Arena dem Kaiser, den johlenden Massen und den Tieren mit Stolz gegenübertraten, sangen die Engel des Himmels: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.

Diesen himmlischen Gesang hörte kein Ohr, doch er rührte die Seelen. Das Blut dieser sanften und unbeugsamen Helden verwandelt sich so in Samen neuer Christen.

Die alte Welt der Anbeter des Fleisches, des Goldes und der Götzen starb dahin. Eine neue Welt zog herauf, gestützt auf Glauben, Reinheit, Enthaltsamkeit und Hoffnung auf das Himmelreich.

Unser Herr Jesus Christus wird alles lösen.

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Gibt es heute echte Menschen guten Willens, die in der Finsternis wachen, anonyme Kämpfer, die ihren Blick zum Himmel richten und mit unzerstörbarer Sicherheit auf das Licht warten, das wiederkommen wird?

Ja, es gibt sie, genau so wiwe zur Zeit der Hirten. Diesen echten Menschen guten Willens, diesen wahren Nachfolgern der Hirten von Bethlehem sage ich, sie mögen die Worte des Engels wie an sie gerichtet verstehen: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“.

Es sind prophetische Worte, die in den Verheißungen Marias in Fatima widerklingen. Es kann der Kommunismus seine Irrtümer überall verbreiten, den Gerechten Leiden zufügen, am Ende aber – prophezeite die Mutter Gottes in der Mulde von Iria – wird Ihr „unbeflecktes Herz triumphieren“.

Dieses große Licht wünsche ich als kostbares Weihnachtsgeschenk allen Lesern, vor allem aber allen Menschen echten guten Willens.

(Freie Übersetzung aus „Folha de S. Paulo“ 26.12.71)

Freitag, 29. Dezember 2017

Et vocabitur Princeps Pacis, cujus Regni non erit finis

Plinio Corrêa de Oliveira 
In einer geschichtlichen Perspektive gesehen, stellt das Weihnachtsfest den ersten Lebenstag der christlichen Zivilisation dar. Noch war es zwar ein aufkeimendes, erst an seinem Anfang stehendes Leben, vergleichbar der aufgehenden Sonne, doch dieses Leben barg bereits all die unvergleichlich reichen Bestandteile der herrlichen Reife seiner Bestimmung in sich.

Denn, wenn wir bedenken, dass sich alle Reichtümer der christlichen Zivilisation in unserem Herrn Jesus Christus als ihrer einzigen, unendlich vollkommenen Quelle enthalten sind, und dass sich das Licht, das für die Menschen in Bethlehem zu strahlen begann, immer weiter erstrecken sollte, bis es die ganze Welt erleuchtete und die Gesinnungen verwandelte, Sitten aufhob und neue begründete, allen Kulturen einen neuen Geist einflößte, alle Zivilisationen auf eine höhere Stufe erhob, dann kann man auch sagen, dass der erste Tag Christi auf Erden von Anfang an der erste Tag eines neuen Zeitalters war.

Wer hätte das geahnt? Es gibt kein schwächeres Menschenwesen als ein Kind, keine ärmlichere Wohnstatt als eine Grotte, keine rohere Wiege als eine Krippe. Und doch wird dieses Kind in dieser Grotte, in dieser Krippe den Lauf der Geschichte verändern.

Und was für eine Veränderung!
Die schwierigste von allen, denn es ging nicht einfach darum, den Lauf der Dinge in der Richtung zu beschleunigen, die sie genommen hatten, sondern die Menschen auf den Weg zu leiten, der ihren Neigungen am deutlichsten entgegenstand, auf den Weg der Strenge, des Opfers, des Kreuzes. Es handelte sich darum, eine durch Aberglauben, religiösen Synkretismus und totale Skepsis verrottete Welt auf den Weg des Glaubens zu führen, eine Menschheit zur Gerechtigkeit zu bewegen, die allen möglichen Formen der Bosheit verfallen war: der despotischen Herrschaft des Starken über den Schwachen, der Massen über die Eliten und der Plutokratie, die die Fehler der bereits genannten in sich vereint, über die Masse. Es sollte eine Welt zur Entsagung angehalten werden, die sich allein dem Vergnügen in allen seinen Formen hingab. Es ging darum, der Reinheit in einer Welt Raum zu schaffen, in der alle Laster

bekannt, geübt und gut geheißen wurden. Natürlich musste diese Aufgabe unlösbar erscheinen, und dennoch hat sie das göttliche Kind vom ersten Augenblick seines Erscheinens auf Erden an in Angriff genommen, und weder der Hass eines Herodes, noch die Gewalt der römischen Herrschaft und die Macht der menschlichen Leidenschaften vermochten es aufzuhalten.


Zweitausend Jahre nach der Geburt Christi scheint es, dass wir wieder zum Ausgangspunkt zurückgekommen sind. Die Anbetung des Geldes, die Vergöttlichung der Massen, die grundlose Sucht nach den eitelsten Vergnügungen, die despotische Herrschaft der brutalen Gewalt, der religiöse Synkretismus, der Skeptizismus, alles in allem, das Neuheidentum in all seinen Erscheinungen hat sich wieder über die ganze Welt verbreitet.


Er käme einer Gotteslästerung gleich, wer hier behaupten wollte, dass dieses höllengleiche Durcheinander von Korruption, Revolte, Gewalt, das wir vor uns haben, die christliche Kultur, das Reich Christi auf Erden sei. Nur hier und da überlebt der eine oder andere große Umriss der ehemaligen Christenheit verletzt in der heutigen Welt. Doch in ihrer vollständigen und globalen Wirklichkeit existiert die Christenheit nicht mehr, und von dem großen Licht, das in Bethlehem zu leuchten anfing, erleuchten nur einige wenige Strahlen die Gesetze, die Sitten, die Institutionen und die Kultur des 20. Jahrhunderts. Wie ist es dazu gekommen? Hat das Wirken Jesu Christi – genauso gegenwärtig in unseren Tabernakeln, wie damals in der Krippe in Bethlehem – an Wirksamkeit verloren? Keinesfalls!

Wenn die Ursache nicht bei Ihm ist und bei Ihm nicht sein kann, dann ist sicherlich bei den Menschen zu suchen. Jesus kam in eine äußerst dekadenten Welt, doch dann fand Er und nach Ihm die Heilige Kirche Seelen, die sich der Verkündigung des Evangeliums öffneten. Heute wird das Evangelium in der ganzen Welt gepredigt. Doch die Zahl derjenigen, die hartnäckig sich weigern, das Wort Gottes zu hören, wird erschreckend immer größer. Ebenso derer, die durch ihre Gedanken oder Sitten sich am entgegengesetzten Pol der Kirche befinden. „Lux in tenebris lucet, et tenebrae eam non comprehenderunt“.

Das und nur das ist der Grund des Verfalls der christlichen Kultur auf der Welt. Denn, wenn der Mensch nicht Katholisch ist und es nicht sein will, wie kann die Zivilisation, die seine Hände hervorbringen soll, christlich sein?

Es ist erstaunlich, dass so viele Menschen sich fragen, welches der Grund der titanischen Krise ist, in der sich die Welt herumschlägt. Man braucht sich doch nur vorzustellen, die Menschheit würde die Gebote Gottes befolgen, um zu verstehen, dass die Krise sich auflösen würde. Das Problem liegt also an uns, an unserem freien Willen. Es liegt an unserem Verstand, der sich der Wahrheit verschließt; an unserem Willen, der von den Trieben beansprucht, sich dem Guten verweigert. Die Umkehr des Menschen ist heute die wichtigste und unerlässlichste zu vollziehende Reform. Mit ihr wäre alles gelöst. Ohne sie, werden alle Mühen nutzlos sein.
Dies ist die große Wahrheit, die man zu Weihnachten betrachten sollte. Es reicht nicht, dass wir uns vor dem Jesuskind verneigen unter den Klängen liturgischer Musik, eingestimmt in die Freude der Gläubigen. Jeder von uns muss sich um seine eigene Umkehr kümmern, und auch um die Umkehr des Nächsten, damit die gegenwärtige Krise eine Lösung finde, damit das Licht, das in der Krippe leuchtet, freien Lauf bekommt, um über die ganze Welt erstrahlt.

 Doch wie soll man das erreichen? Wo sind die Kinos, Rundfunksender, Zeitungen, Organisationen? Wo sind unsere Atombomben, Trompetenstöße, Heere? Wo sind unsere Banken, unsere Schätze, unsere Vermögen? Wie, gegen die ganze Welt kämpfen?

Diese Frage ist naiv. Unser Sieg kommt im Wesentlichen und vor allem von Unserem Herrn Jesus Christus. Banken, Radios, Kinos, Organisationen sind wichtig und gut und wir haben die Pflicht sie für die Ausbreitung des Reiches Gottes einzusetzen. Aber nichts von dem ist absolut notwendig. Mit anderen Worten, wenn die katholische Sache mit diesen Mitteln nicht rechnen kann, nicht aus Nachlässigkeit oder durch Mangel an unsere Großherzigkeit, aber ohne eigenes Verschulden, wird der göttliche Heiland das Notwendige tun, damit wir auch ohne alldem siegen. Das Beispiel geben uns die ersten Jahrhunderte der Kirche: Ist sie nicht siegreich aus allen Schwierigkeiten und Verfolgungen hervorgegangen, trotz aller Mächte der Welt, die sich gegen sie verbündet hatten?

Vertrauen in Unserem Herrn Jesus Christus, vertrauen in das Übernatürliche, das ist die kostbare Lehre, die uns Weihnachten erteilt.

 Beenden wir diese Betrachtungen nicht ohne noch eine Lehre wie milden Honig hieraus zu schöpfen. Ja, wir haben gesündigt. Ja, enorm sind die Schwierigkeiten auf diesem Rückweg, beim Aufsteigen. Ja, unsere Vergehen, unsere Treulosigkeit rufen den Zorn Gottes auf uns herab. Doch an der Krippe haben wir die gütigste Mittlerin. Sie ist nicht Richterin sondern Fürsprecherin, die für uns jedes Mitleid, jede Zärtlichkeit, jede Nachsicht einer vollendeten Mutter hat.


Mit dem Blick auf Maria, mit ihr vereint, bitten wir durch sie an diesem Weihnachten um die einzig wirklich wesentliche Gnade: Das Reich Christi komme in uns und um uns.
Alles andere wird uns dazugegeben.

(Freie Übersetzung aus „Catolicismo“, Dezember 1952)