Donnerstag, 30. Mai 2019

Spannung und Entspannung im Antlitz eines Heiligen


Plinio Corrêa de Oliveira



In den Vatikanischen Gärten empfängt der heilige Papst Pius X. hochrangige Besucher, die ihm ihre Ehrerbietung erweisen. Die aufrichtige und kräftige Figur des Papstes vermittelt, trotz  des Alters, den Eindruck von Askese und Festigkeit. Etwas in seiner Person und vor allem sein gelassenes Antlitz zeigen Ruhe und Entspannung. Es kommt wohl daher, dass der Heilige in einem Moment der Freizeit einen kurzen Spaziergang macht. Das sanfte, fast liebevolle Lächeln, der ausgestreckte Arm, die Hand, die sich öffnet, drücken eine offene und väterliche Aufnahme aus. In allen Umstehenden merkt man, wie die Anwesenheit des Papstes eine Atmosphäre von Respekt schafft, die eine sanfte und natürliche Freude nicht ausschließt. Dennoch die Muße eines Heiligen bedeutet niemals die Entledigung seiner Pflichten. Man beachte, wie aufmerksam und durchdringend der Blick ist, mit dem der Papst den Besucher betrachtet, der ihn begrüßt. Der heilige Pius X. war ein ausgezeichneter Psychologe, und es gab Menschen, die ihm begegneten und den Eindruck hatten, dass er in ihren Herzen lesen konnte.



lasst uns das zweite Bild betrachten. Der Blick des Papstes sagt schon alles. Fest, gelassen, ungetrübt, scheint er mit auffallender Klarheit, schmerzvoll, aber mutig, einen sehr tiefen, von schweren, dunklen Wolken verhangenen Horizont zu durchschauen. Man hat den Eindruck, dass sich in seiner Seele das gleiche vollzieht wie in der eines Kapitäns, der bereit ist, obwohl über die Größe eines herbeiziehenden Sturms überrascht, den vorgezeichneten Weg unerschrocken fortzusetzen. Diese Entschlossenheit des Heiligen Papstes zeigt sich allerdings in seinem ganzen Wesen: Auch hier, trotz des Alters, vermittelt seine aufrechte und starke Figur einen starken Eindruck von Robustheit.
Wie schwer die Bürde der Sorge ist, zeigen das ein wenig zur Seite geneigte Haupt uns der Körper fast unmerklich gebeugt. Der Papst scheint die Spitze seines Kalvarienberges erreicht zu haben. Seine Seele ist verbittert über die Sünden der Welt, und er sieht in der Ferne die Strafen, die sich am Horizont ansammeln. Es sind der nahende Weltkrieg mit seinem Gefolge materieller und moralischer Katastrophen und die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und vor allem religiösen Trümmer der Nachkriegszeit. Doch sein ganzer Geisteszustand ist von jemandem, der einen großen inneren Frieden bewahrt: „ecce in pace amaritudo mea amarissima*“...


*) „Siehe, zum Frieden diente mir bitteres Leid“ (Jes 38,17)

Quelle: AMBIENTES, COSTUMES, CIVILIZAÇÕES
CATOLICISMO Nr. 47 – Novembro de 1954

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