Montag, 2. August 2021

Treue zur Kirche und geistige Unabhängigkeit

Am 19. März 1937, drei Tage nach der Enzyklika Mit brennender Sorge, verurteilte Pius XI. mit der Enzyklika Divini Redemptoris auch feierlich den Kommunismus. Neben dem Nationalsozialismus stellte der Kommunismus den anderen großen Feind dar, der im Legionário ständig angeprangert wurde, vor allem nachdem er im spanischen Bürgerkrieg71 mit der „Flamme des Hasses“ und einer „grausamen Verfolgung“72 sein wahres Gesicht gezeigt hatte.

„In Spanien geht es darum, ob die Welt von Jesus Christus oder Karl Marx regiert werden soll. Die ganze katholische Zivilisation, alle Moralgrundsätze, alle Traditionen, alle Einrichtungen, die den Stolz des Westens ausmachen, werden unausweichlich verschwinden, wenn der Kommunismus siegen sollte.“73 „Es wird der Tag kommen, an dem wir auf den Trümmern des Hitlerismus, des Kommunismus, des mexikanischen Obregonismus triumphierend fragen werden: Calles, Hitler, Lenin, Stalin, Lunatscharskij, wo seid ihr? Und als Antwort werden wir nichts als das Schweigen der Gräber vernehmen.“74

Die Totalitarismuskritik Plinio Corrêa de Oliveiras unterschied sich völlig von der individualistischen, liberalen Haltung , die denselben Irrtümern anhing, die sie anprangern wollte. Der gewiss ebenfalls im Niedergang befindliche Liberalismus hätte nie eine wirkliche Alternative zum Nationalsozialismus und zum Kommunismus darstellen können.

„Sowohl der liberale Irrtum, der darin besteht, dem Guten wie dem Bösen gleichermaßen Freiheit zu gewähren, wie auch der totalitäre Irrtum, das Gute und das Böse gleichermaßen zu unterdrücken, sind schwere Fehler, die aus derselben Wurzel hervorgehen. Angesichts der Wahrheit, das heißt der Kirche, nehmen sowohl der liberale wie auch der totalitäre Staat die gleiche Haltung wie Pilatus ein, indem sie die Frage stellen: Quid est veritas? – Was ist das, die Wahrheit? Der Agnostizismus, der Indifferentismus gegenüber der Wahrheit und dem Irrtum, dem Guten und dem Bösen, ist stets eine Quelle der Ungerechtigkeit. Und ein Katholik darf weder mit dem einen noch mit dem anderen paktieren.“75

„Wer die Rolle des Staates überbewertet, ist wohl oder übel ein Sozialist, gleich hinter welchen Masken er sein Gesicht zu verbergen sucht. Und der Grund der sozialistischen Strömung ist der Kommunismus. Wer die Rechte des Einzelnen oder von Gruppen überbewertet, ist wohl oder übel ein Individualist, und der Grund dieser Strömung ist die Anarchie. Von der völligen Anarchie, das heißt vom Nihilismus, oder von der beständigen, organisierten Anarchie, das heißt vom Totalitarismus, müssen wir uns befreien, indem wir in unserem Innern ein starkes, kraftvolles katholisches Bewusstsein entwickeln, in dem es keinen Raum für Nachsichtigkeit gegenüber irgendeiner Art von Irrtum gibt.“76

„Die Katholiken haben antikommunistisch, antinationalsozialistisch, antiliberal, antisozialistisch, antifreimaurerisch usw. zu sein,... weil sie katholisch sind.“77

 In Brasilien hatte sich seit 1933 die von Plinio Salgado78 gegründete Integralisten-Bewegung mit ihren den Milizen des europäischen Faschismus nachempfundenen „Grünhemden“ entwickelt. Ihr Anführer, der von dem Grundsatz ausging, der Fortschritt des menschlichen Geistes vollziehe sich im Takt der Revolutionen, definierte seine Auffassung als eine „integrale Revolution“79 und schlug eine auf dem Modell eines sozialistisch-korporativen Staates Mussolinischer Machart beruhende Umstrukturierung Brasiliens vor.

Mit dem Liberalismus verband den brasilianischen Integralismus, der immerhin den Anspruch erhob, antikommunistisch und antiliberal zu sein, ein grundsätzlicher Agnostizismus.80 „Der Integralismus ist also weder katholisch noch antikatholisch. Von seiner theistischen Warte aus steht er allen Religionen angeblich neutral gegenüber.“81 Angesichts dieser ‚falschen Rechten“, wie er sie schon damals bezeichnete, bestand Plinio Corrêa de Oliveira darauf, dass als einzige Lösung der echte Katholizismus blieb.82

Ein ebenso negatives Urteil sprach Plinio Corrêa de Oliveira über den Faschismus aus, der damals in Brasilien auch unter den Katholiken und sogar im Klerus eine große Zahl von Anhängern und Sympathisanten verbuchen konnte. Wenn Pius XI. auch 1929 mit Mussolini die Lateranverträge unterzeichnet hatte, so kritisierte er doch in der Enzyklika Non abbiamo bisogno vom 29. Juni 193183 offen die totalitären Tendenzen des Regimes und erklärte den Treueschwur gegenüber dem Duce und der „faschistischen Revolution“ für null und nichtig. Die von Plinio Corrêa de Oliveira gegen die Staatsdoktrin des faschistischen Regimes vorbegrachten Kritiken deckten sich mit denen des Papstes.84 Allerdings wies er auch darauf hin, dass „Mussolini sich in der Praxis mehr als einmal von dieser Doktrin entfernt hat“85 und dass gerade in diesen Abweichungen, zu denen etwa die Unterzeichnung der Lateranverträge gehört, „einer seiner Verdienste“86 zu sehen sei.87

Seit 1937 beobachtete Plinio Corrêa de Oliveira mit wachsender Sorge die zunehmende Radikalisierung des Faschismus und sein Abgleiten in Richtung Nationalsozialismus88, was bis zu diesem Zeitpunkt die Gegenwart der Monarchie und vor allem des Papsttums verhindert hatte. Die kritischen Äußerungen Prof. Plinios riefen unter den in Brasilien ansässigen Katholiken italienischer Herkunft eine gewisse Befremdung hervor, da sie in diesen Beiträgen einen Angriff gegen ihr Land sahen.89 Ihnen gab er folgendes zu bedenken:

 „Der Legionário wird immer auf Seiten des Papstes stehen. Schon deshalb wird er nie gegen Italien sein. Denn die Sache des authentischen Italiens, des Italiens Dantes, des heiligen Franz von Assisi und des heiligen Thomas, ist untrennbar mit der Sache des Papsttums verbunden.“90

Es ist heute nicht leicht, die ganze Tragweite der geistigen Unabhängigkeit Plinio Corrêa de Oliveiras gegenüber dem Konformismus jener zu verstehen, die Jean-Louis Loubet del Bayle als „die Nonkonformisten der dreißiger Jahre“91 bezeichnet hat, in einem Augenblick, in dem die europäische Intelligenz sich vom roten Stern des Kremls oder dem „ungeheuren, roten Faschismus“92 hypnotisieren ließ, den Robert Brasillach besang. Auf der Linken feierten die Franzosen Romain Rolland, Louis Aragon, André Malraux, André Gide, die Deutschen Heinrich Mann und Bertold Brecht, die Engländer Aldous Huxley und E. M. Forster die Gedenktage des Sowjethumanismus.93 Andere bekannte Intellektuelle schlugen sich auf die Seite des Faschismus und des Nationalsozialismus, wie etwa Giovanni Gentile, Ezra Pound, Pierre Drieu-La Rochelle, Carl Schmitt, Martin Heidegger.



71 Zum spanischen Bürgerkrieg vgl. León DE PONCINS, Histoire secrète de la Révolution espagnole, G. Beauchesne, Paris 1938; José M. SANCHEZ, The Spanish ciivil war as a Religious tragedy, University of Notre Dame Press, Notre Dame (Indiana) 1987; Mario TEDESCHI (Hrsg.), Chiesa cattolica e guerra civile in Spagna, Guida, Neapel 1989; Javier TUSELL, Genoveva GARCIA QUEIPO DE LLANO, El Catolicismo mundial y la guerra de España, BAC, Madrid 1992.

72 Pius XII., Ansprache an die spanischen Flüchtlinge am 14. September 1936, in IP, Bd. V (1958), La pace internazionale, loc. cit., S. 223.

73 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Reflexões em torno da Revolução Hespanhola, in O Legionário Nr. 224 (27. Dezember 1936).

74 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, À margem dos factos,, in O Legionário Nr. 187 (22. Dezember 1935).

75 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, A liberdade da Igreja no dia de amanhã, in O Legionário Nr. 549 (14. Februar 1943).

76 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Comunismo, in O Legionário Nr. 552 (7. März 1943).

77 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Pela grandeza e liberdade da Ação Católica, in O Legionário Nr. 331 (13. Januar 1939).

78 Plinio Salgado (1895-1975) nahm, nachdem er sich in seiner Jugend für den historischen Materialismus und das Bismarck’sche Modell begeistert hatte, in den zwanziger Jahren an der „ästhetischen Revolution“ des Modernismus teil und machte sich als Romanschriftsteller und Literat mit nationalistischen Tendenzen einen Namen. 1928 wurde er Abgeordneter für São Paulo und unterstützte 1930 die Kandidatur Júlio Prestes‘ gegen Getúlio Vargas. Nach der Veröffentlichung eines Manifests der Revolutionären Legion (1931) gründete er Anfang 1932 die Gesellschaft für Politische Studien (SEP) und im Oktober desselben Jahres die integralistische Bewegung Brasiliens (AIB), deren „nationaler Chef“ er bis zu deren Auflösung durch Vargas im Dezember 1937 blieb. Von 1939 bis 1945 lebte er in Portugal em Exil. Nach seiner Rückkehr nahm er zwar wieder die politische Arbeit auf, konnte jedoch nicht die herausragende Rolle spielen, die er eigentlich anstrebte. Vgl. Paulo BRANDI und Leda SOARES, Salgado, in DHBB, Bd. IV, S. 3051-3061. Zum Integralismus vgl. auch Helgio TRINDADE, Integralismo. O fascismo brasileiro na década de 30, Difel, São Paulo 1979, 2. Aufl.; Id. La tentative Facist au Brésil dans les années trente, Editions de la Maison des Sciences de l’Homme, Paris 1988; Id. Integralismo, in DHBB, Bd. II, S. 1621-1628.

79 H. TRINDADE, Integralismo, loc. cit., S. 1624.

80 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, E porque não catolicismo?, in O Legionário Nr. 189 (19. Januar 1936); id. À margem de uma crítica, in O Legionário Nr. 153 (2. September 1934). „Im Gegensatz zum liberalen Staat bekennt sich der integralistische Staat ‚zum Geiste‘. Dennoch bringt er es nicht über sich, dem schlimmsten Vorurteil der Liberalen, dem offiziellen Agnostizismus, abzuschwören“ (ibid.). Vgl. auch Três rumos ..., in O Legionário Nr. 157 (28. Oktober 1934); Extremismus, in O Legionário Nr. 160 (9. Dezember 1934).

81 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Na expectativa, in O Legionário Nr. 206 (23. August 1936).

82 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, E porque não o Catolicismo?, loc. cit.

83 Pius XI, Enzyklika Non abbiamo bisogno vom 29. Juni 1931, in I. GIORDANI, Le encicliche sociali dei Papi, loc. cit., S. 353-374. Vgl. auch Pietro SCOPPOLA, La Chiesa e il fascismo. Documenti e interpretazioni, Laterza, Rom-Bari 1979.

84 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Mussolini, in O Legionário Nr. 241 (25. April 1937); Mussolini e o nazismo, in O Legionário Nr. 296 (15 Mai 1938).

85 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Mussolini, loc. cit. Der Unterschied, den Plinio Corrêa de Oliveira zwischen faschistischer Doktrin und Praxis sieht, scheint mir eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Unterschied zu haben, den der Historiker Renzo de Felice zwischen dem „Faschismus als Regime“ und dem „Faschismus als Bewegung“ ausmacht. „Der Faschismus als Regime suchte die Verständigung, während sich der Faschismus als Bewegung stets antiklerikal zeigte und in offenem Gegensatz zu den tieferen Werten des Christentums stand.“ (R. DE FELICE, Intervista sul fascismo, von Michael A. LEEDEN, Laterza, Rom-Bari 1975, S. 104). Von demselben Felice vgl. auch die monumentale Mussolini-Biographie, vor allem die „Il Mussolini, Duce“ gewidmeten Bände (Einaudi, Turin 1974-76).

86 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Mussolini, loc. cit.

87 Zu den Lateranverträgen vgl. Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Fides Intrepida, in O Legionário Nr. 50 (12. Januar 1930); Date a Cesare, Nr. 52 (9. Februar 1930); No décimo aniversário do Tratado do Latrão, in O Legionário Nr. 335 (12. Februar 1939). „Der Faschismus war ein sehr schlechtes Regime. Die Lateranverträge haben der Kirche und Italien unschätzbare Vorteile gebracht.“ (Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, A questão romana, in O Legionário Nr. 603 (27. Februar 1944).

88 Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, A Itália em via de ser nazificada?, in O Legionário Nr. 306 (24. Juli 1938); Ainda o fascismo, in O Legionário Nr. 330 (8. Januar 1939).

89 Am 27. Januar 1939 starb in São Paulo Graf Rodolfo Crespi, der im Schwarzhemd begraben sein wollte und Mussolini 500.000 Kreuzer vermachte.

90 Plinio CORRÊA DE OLIVEIA, O exemplo dos russos brancos, in O Legionário Nr. 322 (22. Januar 1939).

91 Jean-Louis LOUBET DEL BAYLE, Les non-conformistes des années 30, Editions du Seuil, Paris 1969. Vgl. auch R. RÉMOND, Les catholiques dans la France des années 30, Editions Cana, Paris 1979.

92 Bernard GEORGE, Brasillach, Editions Universitaires, Paris 1968, S. 99f.

93 Vgl. F. FURET, Le passée d’une illusion, loc. cit. S. 189-364.

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Aus „Der Kreuzritter des 20. Jahrhunderts: Plinio Correa de Oliveira“ von Roberto de Mattei, TFP und DVCK e.V., Frankfurt, 2004. Kapitel II, 7. SS. 75-79.

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