Dienstag, 29. November 2016

Drei Jahrzehnte unermüdlichen Kampfes für das katholische Litauen – 3. Teil


Das große Täuschungsmanöver der Perestroika

Gorbatschow, von den Medien des Großkapitalismus weltweit als ein Mann von außerordentlichen Eigenschaften und Reizen hingestellt, verstand es, einen der öffentlichkeitswirksamsten Schachzüge des Kommunismus in ein russisches Zauberwort — Perestroika — zu verpacken und damit die westliche Welt für sich einzunehmen.
Was bedeutet Perestroika? Mit diesem Begriff sollte eine interne Umstrukturierung jener Staaten bezeichnet werden, die damals die Sowjetunion bildeten — zu diesen zählte auch Litauen — beziehungsweise als Satelliten zum Warschauer Pakt gehörten; ihr Ziel bestand darin, diese Länder aus dem chronischen Elend herauszuführen, in das sie geraten waren. Die Perestroika sollte durch die Glasnost, einen neuen, von Transparenz in den Beziehungen zwischen den kommunistischen Ländern und der freien Welt geprägten Stil ermöglicht werden.
Gorbatschow erklärte, der Zweck seiner Reformen liege darin, „den Übergang von einem extrem zentralisierten und von Weisungen von oben abhängigen Dirigismus zu einem demokratischen, auf einer Verbindung von demokratischem Zentralismus und Selbstverwaltung beruhenden System“ zu garantieren. Nach Gorbatschows Worten bedeutet Perestroika „Masseninitiative, volle Entwicklung der Demokratie, sozialistische Selbstverwaltung, Anspornung zu Initiative und schöpferischem Einsatz, bessere Disziplin und Ordnung, mehr Glasnost (Transparenz), Kritik und Selbstkritik in allen gesellschaftlichen Bereichen“. (5)
Wie aus seinem Buch deutlich hervorgeht, nahm Gorbatschow mit seinem Eintreten für die sozialistische Selbstverwaltung lediglich die Ideen Lenins wieder auf. „Perestroika bedeutet demnach nicht, wie viele meinen, ein Zurückweichen des Kommunismus, sondern ein Schritt nach vorn bei dem Versuch, das letzte Ziel der marxistisch-leninistischen Utopie zu verwirklichen“, warnt Plinio Corrêa de Oliveira. (6)
Es ging auch keineswegs darum, die marxistische Wirtschaft in eine Marktwirtschaft zu verwandeln. „Die Arbeiterklasse wird keinen unterstützen, der die Absicht hegt, die Sowjetgesellschaft kapitalistisch zu machen“, behauptete Gorbatschow. (7)

Worum ging es dann eigentlich?

In Wirklichkeit waren sowohl Perestroika als auch Glasnost nichts als eine weitere Aktion der revolutionären psychologischen Kriegsführung mit dem Ziel, die Widerstände gegen das kommunistische Denken im westlichen Lager abzubauen. Danach wäre es um so leichter, mit geschickten Maßnahmen der revolutionären psychologischen Kriegsführung eine Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen in die Wege zu leiten. Auf diese Weise könnten dann die Ideen der Revolution wirksam in der freien Welt verbreitet werden.
Andererseits waren sich die Rädelsführer des seit 1917 in Russland und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Satellitenstaaten an der Macht befindlichen kommunistischen Molochs wohl bewusst, dass sie zwar die Massen beherrschten, diese jedoch nie wirklich überzeugen konnten. Früher oder später musste dies notgedrungen zu einer tiefen Krise im Regime selbst führen. Um diese Krise zu verbergen und zu überwinden bot Gorbatschow der Welt seine Perestroika an.

Die Berliner Mauer stürzt ein 
und es fällt der Eiserne Vorhang

Nichts davon verhinderte jedoch, dass in der kommunistischen Welt selbst sogenannte „konservative“ oder stalinistische Kreise die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen voller Argwohn betrachteten. Und dass in den Satellitenstaaten das Streben nach Befreiung vom sowjetischen Joch immer stärker wurde.
Bei diesem Stand der Dinge kam es zu einem Aufsehen erregenden Ereignis: am 9. November 1989 sah die Welt vor ihren Augen die Berliner Mauer einstürzen, die die deutsche Hauptstadt zweigeteilt hatte: in einen westlichen, freien Teil und in einen östlichen, kommunistischen Teil.
So kam der Sturz der Berliner Mauer noch zu den durch die Perestroika Gorbatschows ausgelösten Unruhen hinzu und gab der Sehnsucht nach Unabhängigkeit neue Nahrung, nicht nur in Litauen, sondern auch in Estland, Lettland, Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Armenien und Aserbaidschan.
Die Folgen waren unvermeidlich: Der Fall der Berliner Mauer führte auch zum Abbau des Eisernen Vorhangs, der die kommunistischen Länder von der freien Welt trennte. Damit waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass entschlossene Länder wie Litauen das Joch Moskaus abschüttelten.

Litauen erklärt sich unabhängig. Moskau übt Druck aus

Die Umstände, unter denen es am 11. März 1990 zur Unabhängigkeit Litauens kam, sollen hier von Antanas Račas, einem ihrer treuesten Vorkämpfer und Streiter, näher beschrieben werden. Er war damals Mitglied des litauischen Parlaments und arbeitete eng mit Vyatautas Landsbergis, dem neuen Staatschef Litauens, zusammen. Doch zuerst wollen wir kurz auf jene Ereignisse eingehen, die für ein Verständnis der Maßnahmen notwendig sind, die damals im Westen mit dem Ziel unternommen wurden, die Unabhängigkeit Litauens abzusichern. Diese Absicherung war deshalb geboten, weil Litauen mit seinen gut drei Millionen Einwohnern, die ihre Hauptstadt und ihr Land von der Roten Armee besetzt sahen, auf keinen Fall in der Lage gewesen wäre, dem sowjetischen Moloch ohne ein großes politisches Geschick und wichtige internationale Unterstützung entgegenzutreten.
Tatsächlich begann Moskau gleich nach der Unabhängigkeitserklärung, einen starken politischen Druck auf Vilnius auszuüben. Am 15. März erklärte das Parlament der UdSSR den Unabhängigkeitsakt als ungültig. Eine Woche später wurden die öffentlichen Gebäude und die wichtigsten Zeitungsredaktionen der Hauptstadt von sowjetischem Militär besetzt. Gleichzeitig verhängte der Kreml eine Wirtschaftsblockade über Litauen und stellte die Lieferung von Erdöl und Erdgas an das Land ein. Schließlich schlug er zynisch eine zwei- bis dreijährige „Einfrierung“ bzw. Aussetzung der Unabhängigkeit vor.
Später weiterte Gorbatschow bei einem Besuch in den USA diese Frist noch auf „fünf bis sieben Jahre“ aus und löste damit starke Proteste von Seiten amerikanischer Kongressabgeordneten aus. Wie trügerisch ein solches Versprechen klingen musste, wird deutlich, wenn man überlegt, dass während dieser Frist das Sowjetregime Litauen mit Truppen, Opportunisten und einer „fünften Kolonne“ vollstopfen und damit eine effektive Unabhängigkeit unmöglich machen konnte. Das Einfrierungsangebot war also nicht mehr als ein Täuschungsversuch, mit dem Gorbatschow die Fortdauer der russischen Herrschaft über das Land zu kaschieren gedachte.

Um nicht Gorbatschows Missfallen zu erregen...

Auch auf diplomatischem Wege suchten die Machthaber im Kreml die einflussreichsten Länder des Westens, wie etwa die Vereinigten Staaten, Deutschland und Frankreich, dazu zu bewegen, ihrerseits Druck auf Litauen auszuüben, das sowjetische Angebot anzunehmen. Dabei wurde das fadenscheinige Argument ins Spiel gebracht, dass Gorbatschow im Falle eines Misserfolgs seiner Bemühungen um die Rückgabe der Macht in Litauen an die Moskauer Hardliner mit einer Erstarkung des internen Widerstandes dieser Kreise gegen seine Perestroika-Politik zu rechnen hätte, was wiederum politische und militärische Konsequenzen nach sich ziehen würde, die den Weltfrieden in Gefahr bringen könnten.
Nach der Unabhängigkeitserklärung reiste die litauische Premierministerin Kazimiera Prunskiene auf der Suche nach Unterstützung für die Sache ihres Volkes nach Washington. Die renommierte Zeitschrift Human Events berichtete in ihrer Ausgabe vom 19. Mai 1990, dass die Regierungschefin damals bei ihrer Ankunft zur Besprechung mit dem Kabinett des Amerikanischen Präsidenten George Bush eine „gemeine Behandlung“ zuteil wurde. Das Treffen war vom Weißen Haus erst widerstrebend anberaumt worden, nachdem deutlich geworden war, dass mangelndes Interesse politischen Schaden anrichten würde.
 „Es erwarteten sie keine litauischen Fahnen, keine Ehrengarde war angetreten, ja nicht einmal polizeiliches Geleit wurde ihr gewährt“, fährt die Zeitschrift fort. Frau Prunskiene wurde mit ihrem Wagen nicht in die Anlagen des Weißen Hauses eingelassen. Man wies sie an auszusteigen, verlangte die Vorlage eines sowjetischen — nicht etwa ihres litauischen — Passes und ließ sie dann noch zehn Minuten stehen, bevor sie ohne Begleitung zu ihrer Zusammenkunft mit Bush ins Weiße Haus gehen durfte. Und das alles nur, weil das Weiße Haus Gorbatschow nicht brüskieren wollte.“
Ein andermal sickerte die Information durch, dass Präsident Bush irritiert auf das Zögern der litauischen Führung reagiert habe, auf das Verhandlungsangebot Moskaus einzugehen. Zu dieser Zeit soll ein hoher Beamter des Außenministeriums den Journalisten gegenüber geäußert haben: „Indem sie sich unfähig zeigen, einen gemeinsamen Entschluss zu fassen, erweisen sich die Litauer gewissermaßen pedantisch.“

Zu diesen Vorkommnissen schrieb die Zeitschrift Catolicismo im Juli 1990 folgenden Kommentar: „Soweit ist es nun gekommen: Ein Land, das einst frei gewesen war und dann fünfzig Jahre lang unrechtmäßig unterjocht wurde, wird als ,gewissermaßen pedantisch‘ bezeichnet, weil es sich nicht bereit erklärt, ohne ,internationale Garantien‘ das Angebot seines Henkers anzunehmen, das es unweigerlich wieder in die Gefangenschaft zurückführen wird.“
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(5) M. Gorbachev: Perestroika, Ed. Best Seller, São Paulo 1987, S. 35f.
(6) Plinio Corrêa de Oliveira: „Morto o comunismo? E o anticomunismo também?“, in Catolicismo, Oktober 1989.
(7) Vgl. O Globo, Rio de Janeiro, 18.11.1990.

Fortsetzung: Drei Jahrzehnte... 4. Teil

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Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira 

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