Das große Täuschungsmanöver der Perestroika
Gorbatschow, von den Medien des Großkapitalismus weltweit
als ein Mann von außerordentlichen Eigenschaften und Reizen hingestellt, verstand
es, einen der öffentlichkeitswirksamsten Schachzüge des Kommunismus in ein
russisches Zauberwort — Perestroika — zu verpacken und damit die westliche Welt
für sich einzunehmen.
Was bedeutet Perestroika? Mit diesem Begriff sollte
eine interne Umstrukturierung jener Staaten bezeichnet werden, die damals die
Sowjetunion bildeten — zu diesen zählte auch Litauen — beziehungsweise als
Satelliten zum Warschauer Pakt gehörten; ihr Ziel bestand darin, diese Länder
aus dem chronischen Elend herauszuführen, in das sie geraten waren. Die
Perestroika sollte durch die Glasnost, einen neuen, von Transparenz in den
Beziehungen zwischen den kommunistischen Ländern und der freien Welt geprägten
Stil ermöglicht werden.
Gorbatschow erklärte, der Zweck seiner Reformen liege
darin, „den Übergang von einem extrem zentralisierten und von Weisungen von
oben abhängigen Dirigismus zu einem demokratischen, auf einer Verbindung von
demokratischem Zentralismus und Selbstverwaltung beruhenden System“ zu
garantieren. Nach Gorbatschows Worten bedeutet Perestroika „Masseninitiative,
volle Entwicklung der Demokratie, sozialistische Selbstverwaltung, Anspornung
zu Initiative und schöpferischem Einsatz, bessere Disziplin und Ordnung, mehr
Glasnost (Transparenz), Kritik und Selbstkritik in allen gesellschaftlichen
Bereichen“. (5)
Wie aus seinem Buch deutlich hervorgeht, nahm Gorbatschow
mit seinem Eintreten für die sozialistische Selbstverwaltung lediglich die Ideen
Lenins wieder auf. „Perestroika bedeutet demnach nicht, wie viele meinen, ein
Zurückweichen des Kommunismus, sondern ein Schritt nach vorn bei dem Versuch,
das letzte Ziel der marxistisch-leninistischen Utopie zu verwirklichen“, warnt
Plinio Corrêa de Oliveira. (6)
Es ging auch keineswegs darum, die marxistische
Wirtschaft in eine Marktwirtschaft zu verwandeln. „Die Arbeiterklasse wird
keinen unterstützen, der die Absicht hegt, die Sowjetgesellschaft
kapitalistisch zu machen“, behauptete Gorbatschow. (7)
Worum ging es dann eigentlich?
In Wirklichkeit waren sowohl Perestroika als auch Glasnost nichts als eine weitere Aktion der revolutionären psychologischen Kriegsführung mit dem Ziel, die Widerstände gegen das kommunistische Denken im westlichen Lager abzubauen. Danach wäre es um so leichter, mit geschickten Maßnahmen der revolutionären psychologischen Kriegsführung eine Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen in die Wege zu leiten. Auf diese Weise könnten dann die Ideen der Revolution wirksam in der freien Welt verbreitet werden.
Andererseits waren sich die Rädelsführer des seit 1917 in
Russland und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Satellitenstaaten an
der Macht befindlichen kommunistischen Molochs wohl bewusst, dass sie zwar die
Massen beherrschten, diese jedoch nie wirklich überzeugen konnten. Früher oder
später musste dies notgedrungen zu einer tiefen Krise im Regime selbst führen.
Um diese Krise zu verbergen und zu überwinden bot Gorbatschow der Welt seine
Perestroika an.
Die Berliner Mauer stürzt ein
und es fällt der Eiserne
Vorhang
Nichts davon verhinderte jedoch, dass in der
kommunistischen Welt selbst sogenannte „konservative“ oder stalinistische
Kreise die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen voller Argwohn betrachteten.
Und dass in den Satellitenstaaten das Streben nach Befreiung vom sowjetischen
Joch immer stärker wurde.
Bei diesem Stand der Dinge kam es zu einem Aufsehen
erregenden Ereignis: am 9. November 1989 sah die Welt vor ihren Augen die
Berliner Mauer einstürzen, die die deutsche Hauptstadt zweigeteilt hatte: in
einen westlichen, freien Teil und in einen östlichen, kommunistischen Teil.
So kam der Sturz der Berliner Mauer noch zu den durch die
Perestroika Gorbatschows ausgelösten Unruhen hinzu und gab der Sehnsucht nach
Unabhängigkeit neue Nahrung, nicht nur in Litauen, sondern auch in Estland,
Lettland, Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien,
Jugoslawien, Armenien und Aserbaidschan.
Die Folgen waren unvermeidlich: Der Fall der Berliner
Mauer führte auch zum Abbau des Eisernen Vorhangs, der die kommunistischen
Länder von der freien Welt trennte. Damit waren die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass entschlossene Länder wie Litauen das Joch Moskaus
abschüttelten.
Litauen erklärt sich unabhängig. Moskau übt Druck aus
Die Umstände, unter denen es am 11. März 1990 zur
Unabhängigkeit Litauens kam, sollen hier von Antanas Račas, einem ihrer
treuesten Vorkämpfer und Streiter, näher beschrieben werden. Er war damals
Mitglied des litauischen Parlaments und arbeitete eng mit Vyatautas
Landsbergis, dem neuen Staatschef Litauens, zusammen. Doch zuerst wollen wir
kurz auf jene Ereignisse eingehen, die für ein Verständnis der Maßnahmen
notwendig sind, die damals im Westen mit dem Ziel unternommen wurden, die
Unabhängigkeit Litauens abzusichern. Diese Absicherung war deshalb geboten,
weil Litauen mit seinen gut drei Millionen Einwohnern, die ihre Hauptstadt und
ihr Land von der Roten Armee besetzt sahen, auf keinen Fall in der Lage gewesen
wäre, dem sowjetischen Moloch ohne ein großes politisches Geschick und wichtige
internationale Unterstützung entgegenzutreten.
Tatsächlich begann Moskau gleich nach der
Unabhängigkeitserklärung, einen starken politischen Druck auf Vilnius
auszuüben. Am 15. März erklärte das Parlament der UdSSR den Unabhängigkeitsakt
als ungültig. Eine Woche später wurden die öffentlichen Gebäude und die
wichtigsten Zeitungsredaktionen der Hauptstadt von sowjetischem Militär
besetzt. Gleichzeitig verhängte der Kreml eine Wirtschaftsblockade über Litauen
und stellte die Lieferung von Erdöl und Erdgas an das Land ein. Schließlich
schlug er zynisch eine zwei- bis dreijährige „Einfrierung“ bzw. Aussetzung der
Unabhängigkeit vor.
Später weiterte Gorbatschow bei einem Besuch in den USA
diese Frist noch auf „fünf bis sieben Jahre“ aus und löste damit starke
Proteste von Seiten amerikanischer Kongressabgeordneten aus. Wie trügerisch ein
solches Versprechen klingen musste, wird deutlich, wenn man überlegt, dass
während dieser Frist das Sowjetregime Litauen mit Truppen, Opportunisten und
einer „fünften Kolonne“ vollstopfen und damit eine effektive Unabhängigkeit
unmöglich machen konnte. Das Einfrierungsangebot war also nicht mehr als ein
Täuschungsversuch, mit dem Gorbatschow die Fortdauer der russischen Herrschaft
über das Land zu kaschieren gedachte.
Um nicht Gorbatschows Missfallen zu erregen...
Auch auf diplomatischem Wege suchten die Machthaber im
Kreml die einflussreichsten Länder des Westens, wie etwa die Vereinigten
Staaten, Deutschland und Frankreich, dazu zu bewegen, ihrerseits Druck auf
Litauen auszuüben, das sowjetische Angebot anzunehmen. Dabei wurde das
fadenscheinige Argument ins Spiel gebracht, dass Gorbatschow im Falle eines
Misserfolgs seiner Bemühungen um die Rückgabe der Macht in Litauen an die
Moskauer Hardliner mit einer Erstarkung des internen Widerstandes dieser Kreise
gegen seine Perestroika-Politik zu rechnen hätte, was wiederum politische und
militärische Konsequenzen nach sich ziehen würde, die den Weltfrieden in Gefahr
bringen könnten.
Nach der Unabhängigkeitserklärung reiste die litauische
Premierministerin Kazimiera Prunskiene auf der Suche nach Unterstützung für die
Sache ihres Volkes nach Washington. Die renommierte Zeitschrift Human Events
berichtete in ihrer Ausgabe vom 19. Mai 1990, dass die Regierungschefin damals
bei ihrer Ankunft zur Besprechung mit dem Kabinett des Amerikanischen Präsidenten George Bush eine „gemeine Behandlung“ zuteil wurde. Das Treffen
war vom Weißen Haus erst widerstrebend anberaumt worden, nachdem deutlich
geworden war, dass mangelndes Interesse politischen Schaden anrichten würde.
„Es erwarteten sie
keine litauischen Fahnen, keine Ehrengarde war angetreten, ja nicht einmal
polizeiliches Geleit wurde ihr gewährt“, fährt die Zeitschrift fort. Frau
Prunskiene wurde mit ihrem Wagen nicht in die Anlagen des Weißen Hauses
eingelassen. Man wies sie an auszusteigen, verlangte die Vorlage eines
sowjetischen — nicht etwa ihres litauischen — Passes und ließ sie dann noch
zehn Minuten stehen, bevor sie ohne Begleitung zu ihrer Zusammenkunft mit Bush
ins Weiße Haus gehen durfte. Und das alles nur, weil das Weiße Haus Gorbatschow
nicht brüskieren wollte.“
Ein andermal sickerte die Information durch, dass
Präsident Bush irritiert auf das Zögern der litauischen Führung reagiert
habe, auf das Verhandlungsangebot Moskaus einzugehen. Zu dieser Zeit soll ein
hoher Beamter des Außenministeriums den Journalisten gegenüber geäußert haben:
„Indem sie sich unfähig zeigen, einen gemeinsamen Entschluss zu fassen,
erweisen sich die Litauer gewissermaßen pedantisch.“
Zu diesen Vorkommnissen schrieb die Zeitschrift
Catolicismo im Juli 1990 folgenden Kommentar: „Soweit ist es nun gekommen: Ein Land,
das einst frei gewesen war und dann fünfzig Jahre lang unrechtmäßig unterjocht
wurde, wird als ,gewissermaßen pedantisch‘ bezeichnet, weil es sich nicht bereit
erklärt, ohne ,internationale Garantien‘ das Angebot seines Henkers anzunehmen,
das es unweigerlich wieder in die Gefangenschaft zurückführen wird.“
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(5) M.
Gorbachev: Perestroika, Ed. Best Seller, São Paulo 1987, S. 35f.
(6)
Plinio Corrêa de Oliveira: „Morto o comunismo? E o anticomunismo também?“, in
Catolicismo, Oktober 1989.
(7) Vgl.
O Globo, Rio de Janeiro, 18.11.1990.
Fortsetzung: Drei Jahrzehnte... 4. Teil
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Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira
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