von Plinio Corrêa de Oliveira
Elfte Betrachtung
»Und um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme:
„Eli, Eli, lama sabachtani“, das heißt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen?“« (Mt 27,46)
Unser Herr schrie von der Höhe des Kreuzes. Dieser
herzzerreißende Schrei war auf das äußerste Gefühl der Verlassenheit
zurückzuführen, in dem Gott scheinbar das Fleischgeworden Wort versetzt hatte.
Die Seele des Erlösers erlitt eine geistige Qual, die durch den Mangel an
göttlichem Trost verursacht wurde.
Allerdings wurde der schrecklichste Schmerz durch die
Betrachtung der Sünden verursacht, die er vor sich hatte. Er sah nicht nur die
Sünden der Menschen um ihn herum und von allen, die Ihn verlassen hatten,
sondern auch die Vergehen gegen Gott, die in der Zukunft begangen werden
würden.
Weil das fleischgewordene Wort alles sehen konnte, hat
diese Voraussicht auch ihn in Seiner Via Dolorosa, seinem schmerzhaften Weg,
Leiden verursacht. Die ganze Geschichte der Menschheit lief vor seinem
erschöpften, von Blut getrübten Blick ab, in einem Leib, in dem das Leben sich
langsam zurückzog. Wahrscheinlich war der göttliche Heiland von dem Anblick der
ungeheuren und allgemeinen Unordnung unserer Tage überwältigt, was zu jenem
qualvollen Schrei führte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Die göttliche Vorsehung hat es so angeordnet, dass wir
heute diese tragische Szene bezeugen. Dabei lädt uns unser Erlöser ein, unsere
Augen zu öffnen und diese Situation zu betrachten, wie er sie im Garten von
Gethsemane vorausahnte, gemessen an all der Grausamkeit seines Leidenswegs.
Die göttliche Vorsehung hat es bestimmt, dass wir Zeugen
sind der tragischen Geschehnisse der heutigen Zeit. Damit lädt der Erlöser der
Menschheit uns ein, unsere Augen zu öffnen und diese gegenwärtige Situation zu
betrachten, und so wie er im Garten von Gethsemane das Ausmaß aller
Grausamkeiten seiner Passion voraussah.
Zwölfte Betrachtung
»Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite
und sogleich kam Blut und Wasser heraus« (Joh 19,34).
Unser Herr war schon gestorben, als der Soldat, mit Namen
Longinus, seine Seite durchbohrte. Auf diese Weise vergoss das Heiligste Herz
Unseres Herrn den letzten Tropfen Blut, den letzten Tropfen Wasser, für unsere
Erlösung. Was für eine außerordentliche Gnade! Welche äußerste Güte! Welches
extreme Mitgefühl!
Das ganze Blut im Leib Unseres Herrn Jesus Christus wurde
vergossen, um zu zeigen, dass er uns alles gegeben hat. Er tat dies, ohne einen
einzigen Tropfen zurückzuhalten, wegen seines unermesslichen Wunsches, uns zu
erlösen. Ein Tropfen seines Blutes hätte genügt, um die Welt zu retten, doch er
hat sein ganzes Blut vergossen, so dass die letzten Tropfen mit Wasser gemischt
waren. Er wollte nichts zurückhalten, um uns zu erlösen.
Mein Gott, wie oft habe ich das Herz Jesu durchbohrt wie
die Lanze des Longinus? Es kann durch schwere Sünde gewesen sein. Aber sicherlich
durch meine chronische Gewohnheit der Gleichgültigkeit, das ist der Grund, dass
ich mich nicht ändere, dass ich keine Fortschritte mache und dass ich keine
Fortschritte machen will. Ich sehe andere vorwärts schreiten, aber ich möchte
nicht belästigt werden.
Nach der Tradition soll Longinus blind auf einem Auge
gewesen sein. Ein bisschen Wasser, das aus der Seite Unseres Herrn floss, fiel
auf sein Auge, und es wurde geheilt, und später wurde er ein Heiliger. Wer
weiß, vielleicht werde ich auch diese Gnade bekommen, ein Heiliger zu werden. O
Herr, im Augenblick deines Todes, ich flehe dich an, mir diese Gnade zu
gewähren.
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