Es gibt eine historische Gestalt, die ich gerade deshalb bewundere und
verehre: König Sebastian von Portugal (Bild). Er verkörpert genau dies. Es ist der
junge, unschuldige König, in den Augen seines ganzen Königreichs als unschuldig
bekannt, dass von dieser Unschuld verzaubert ist und ihn bewundert. Doch in ihm
ist die Strahlkraft der Unschuld eng mit der Strahlkraft seiner Waffen
verbunden; er ist ein Kriegerkönig, und als junger, gutaussehender, geschickter
und ruhmreicher Krieger verkörpert er alle Hoffnungen Portugals auf den Sieg. Er
ist ein Sonnenstrahl, ein goldener Strahl der Morgensonne, die noch nicht
richtig aufgegangen ist; er besitzt bereits die Helligkeit des Mittags, aber
noch die Frische der Morgendämmerung.
Er bereitet sich auf den Kampf vor. Ich kenne zwei Gemälde von König
Sebastian: eines zeigt ihn als Jungen mit einer kleinen Samtmütze, wenn ich
mich nicht irre, schwarz, mit einer kleinen weißen Feder, bereits gekleidet wie
ein kleiner Mann, denn er ist der König. Ich sehe in ihm die ganze Leichtigkeit
einer unvergleichlichen Unschuld, die ein ganzes Volk erhellt und das Reich
erstrahlen lässt, dass aus ihm geboren wird.
Wenn ich das Leben König Sebastians betrachte, sehe ich, dass er seiner
Jungfräulichkeit bis zu dem Augenblick treu blieb, als er aufbrach, um Afrika
zu erobern. Ich sehe und weiß auch, dass er sehr fromm blieb. Es gibt Gemälde,
die ihn in Zivilkleidung am Vorabend seiner Abreise nach Afrika zeigen.
Vielleicht gibt es auch ein mir unbekanntes Gemälde, das ihn in Militäruniform
darstellt. In der Zivilkleidung liegt jedoch etwas, eine gewisse Traurigkeit in
ihm.
Der erwachsene König Sebastian hat seine Jungfräulichkeit, er hat seine Frömmigkeit, [aber] etwas von dem Zauber seiner Unschuld ist verflogen. Hat etwa seine Gottesliebe nachgelassen? Es ist gewagt, sich über Jahrhunderte hinweg, angesichts einer so ruhmreichen Persönlichkeit, die auf so einzigartige Weise quasi heiliggesprochen wurde – und darauf komme ich gleich zurück –, vorzustellen, was geschehen sein mag. Doch obwohl ich das als gewagt betrachte und keine Behauptung aufstelle, sondern lediglich einen Eindruck schildere, habe ich dieses Gefühl.
In der Zeit König Sebastians gab es viele Menschen, die noch vom Glanz
des Rittertums fasziniert waren, doch das Rittertum hatte ihren Charakter
gewandelt. Es war nicht mehr das religiöse Rittertum, das sich als Kriegerisch
behauptete aus Liebe zu Gott und Anspruchslos -, ein Rittertum der Anspruchslosigkeit
und des heiligen Heldenmutes, wie eines unserer Häuser, das des hl. Benedikt, genannt
wird – das war nicht dieses Rittertum, sondern ein anderes Rittertum:
prahlerisch, stolz, weltlich, das sich heroisch inszenieren wollte, um in den
Salons von den Damen bewundert zu werden. Es war das Rittertum Bayards, und nicht
mehr das Rittertum Gottfrieds von Bouillon. Es war etwas anderes.
Man gewinnt den Eindruck, dass sich etwas von diesem gottesfürchtigen
Rittertum mit dem wahrhaft katholischen Rittertum in der Seele des jungen
Königs vermischt hatte und dass etwas Eitelkeit, etwas Koketterie begonnen
hatte, diese Seele zu trüben. Doch so edel und erhaben war er immer noch, doch
etwas war verloren gegangen. Sie, kennen den Rest der Geschichte; ich will sie
nur in zwei Worten zusammenfassen.
Er organisiert eine Expedition nach Afrika, fest entschlossen, die
muslimische Macht in Afrika zu brechen, um so auch die muslimische Macht in
Asien und im Nahen Osten leichter brechen zu können und ein stabiles Königreich
in Jerusalem zu errichten, damit die heilige Stadt wahrhaftig den Kindern der
heiligen Kirche gehören könne.
Er sticht in See. Man kann sich die Schönheit des Tejo vorstellen, als
er an Bord ging: den glitzernden Tejo, die Schiffe – kleine Schiffe, die den
Männern so groß und außergewöhnlich erschienen –, die Schiffe, die ablegten,
die Freude des Abschieds. Stellen Sie sich vor, was Sie wollen. Tatsache ist,
dass er in Afrika ankommt und von Bord geht.
Doch im Moment der Schlacht scheint es, als führe er eine verwegene
Schlacht, von der man ihm abgeraten hatte und als habe er sie aus reiner
Prahlerei geführt. Aber er war, trotz allem, der reine König, der keusche
König.
Dieser König, in dessen Seele die schreckliche Versuchung der
Unschuldigen wohnte, die ich hier beschrieb – genau diese Versuchung –, dieser
König, in dessen Seele dies geschah, dieser König wird vom Widersacher gefangen
genommen und von einem unerbittlichen Lauf der Ereignisse verschlungen: Er
verschwindet. Er verschwindet inmitten des erbärmlichen maurischen Pöbels, und
man hört nie wieder von ihm. Weder in westlichen noch in den uns heute
zugänglichen arabischen Quellen; es gibt portugiesische, spanische und andere
Historiker, die Arabisch gelernt haben und arabische historische Quellen nach
Belieben konsultieren. Sie haben keine Spur davon gefunden, was nach der
tragischen Schlacht von Alcácer Quibir mit König Sebastian von Portugal
geschah.
Es gibt nur zwei wunderschöne Wiederscheine, die beweisen, wie Gott in
diesem Geschehen wirkte.
Weit, weit, weit entfernt von diesem Schlachtfeld, an einem sehr
großen, sehr geraden Strand mit feinem weißem Sand und einem sanft
plätschernden, streichelnden Meer, spaziert ein Spanier, der Portugal oder der
portugiesischen Provinz der Gesellschaft Jesu gedient hatte, am Strand entlang.
Es ist der selige José de Anchieta, den wir soeben angerufen haben, der Beschützer
der Stadt São Paulo, die damals noch nicht existierte.
Er geht hin und her und hat plötzlich eine Vision, und mit dieser
Vision ein Stich der Trauer: König Sebastian ist besiegt. Gott vertraute
sozusagen diesem so fernen Freund seine Trauer an, sozusagen weinte Gott aus
Anchietas Herzen.
Und in Spanien – ich erinnere mich nicht genau, welcher Heilige – sieht
in seiner mystischen Ekstase plötzlich König Sebastian besiegt bei Alcácer
Quibir. Und sie sagen: Große Traurigkeit ist geschehen: Der König ist besiegt.
Seht das Geheimnis dieser Situation. Sie sagen, der König sei besiegt
worden, Gott sagt ihnen, er sei besiegt worden, doch er scheint ihnen nicht zu
sagen, was mit dem König geschehen ist.
Und das Geheimnis bleibt bestehen. Wir können uns den jungen König in
seinem Fall vorstellen. Unter welchen Umständen? Alle Fantasie könnte so viele
Hypothesen aufstellen, dass selbst mit viel Zeit kaum die Möglichkeit bestünde,
alle möglichen Hypothesen zu erwägen.
Wie ein Sklave, in Ketten gelegt, auf abscheuliche Weise gezwungen,
Arbeiten wie das Hüten von Schweinen zu verrichten. Wenn es einen Papst gab,
der Schweinehirte war, warum sollte es dann nicht auch der König von Portugal
sein? Schlimmer noch, ein Wächter von Odalisken in einem schmutzigen Harem, wo
alle Unreinheit zur Schau gestellt wurde, verführt von bösen Frauen und
bewundernswert widerstanden? Wer kann wissen, was mit diesem Mann geschah?
Dieser Mann, der bis zu seinem Tod anscheinend keinen Kontakt zu einem
Priester hatte und daher kein Sakrament empfangen konnte, und der sich in der
gleichen qualvollen Lage befand wie jene, die in maurische Gefangenschaft
gerieten. Überall lauerten Versuchungen; wenn er sündigte, würde ihm Vergebung
nur aus reiner Liebe zu Gott gewährt werden, denn aus Furcht vor der Hölle wird
ohne das Sakrament niemandem vergeben.
Und deshalb kann man sich das Risiko für sein Seelenheil vorstellen,
man kann sich das Scheitern dieses Mannes vorstellen, seine Trauer. Und die
unerklärlichen Gründe, warum Gott bis jetzt nicht wollte, das man bist jetzt
nicht weiß, was geschah.
Wollte Gott es wirklich? Die größten Hoffnungen des portugiesischen
Volkes, die tiefsten Regungen der Gnade, die in den Herzen der besten
Portugiesen pulsierten, ließen hoffen, dass König Sebastian zurückkehren würde.
Und so verbreitete sich die Legende, dass der König eines Morgens über das Meer
reiten, den Nebel durchqueren und auf dem sich auflösenden Wasser thronen
würde. Kühn und edel, stolz, als hätte er keine Niederlage erlitten, würde er
nach Portugal zurückkehren, um dem Land seinen verlorenen Ruhm zurückzugeben.
Und selbst heute noch, für uns, die wir die Last der Erinnerung an
diese tragische historische Tatsache tragen, birgt die Vorstellung, dass der
König an einem strahlenden Morgen inmitten des Nebels erscheint, um Portugal zu
Größe zu verhelfen, eine Freude, die, sozusagen, prophetisch anmutet.
Wird König Sebastian zurückkehren? Mehr noch. Wer weiß, was die
Muttergottes mit den Hirtenkindern in der Cova da Iria besprach.
Lasst uns das Unvorstellbare erträumen, etwas, das ich noch nie
jemanden erträumen sah. Stellen wir uns das einmal vor, denn das gemeinsame
Nachdenken über Dinge Gottes, aus Liebe zu Gott, beruhigt den Geist, und ich
bin sicher, dass Sie dies ebenfalls wünschen.
Stellen wir uns Folgendes vor: König Sebastian wurde von muslimischen
Prinzessinnen verführt, widerstand ihnen und bekehrte dabei eine von ihnen –
das ist möglich. Und nachdem er diese Prinzessin, die eine fromme Katholikin
geworden wäre, bekehrt hatte, hätte er sie rechtmäßig geheiratet. Ich glaube,
dies dient der Überprüfung des Kirchenrechts, aber ich halte es für möglich.
Denn zwei Katholiken können an einem Ort, an dem es kein Sakrament gibt,
heiraten; sie sind selbst die Spender des Sakraments, ein Katholik, eine
Katholikin – könnten sie nicht heiraten? Vielleicht. Wenn es möglich ist,
stellen wir es uns vor.
Stellen wir uns vor, daraus entstünde eine verborgene Linie
katholischer Fürsten. Stellen wir uns vor, dass sich eines Tages ein Mann aus
dem maurischen Geschlecht offenbart und sagt: „Ich beweise, dass ich von König
Sebastian abstamme.“ Und es ist der wiedererweckte König Sebastian, der
zurückkehrt, um Portugal erneut zu beleben. Welch ein Wunder, welch ein Zauber,
welch ein Ruhm! Wie sehr hätte sich dies bestätigt!
Sie werden sagen: „Aber Dr. Plinio, das ist doch eine Geschichte aus
Tausendundeiner Nacht.“ Ich sage: Ja, genau! Es ist und wird etwas Ähnliches
wie etwas sein, das sich tatsächlich ereignet hat. In der Übergangszeit
zwischen Mittelalter und Neuzeit, inmitten der Wirren, Kriege und des Trubels
in Europa und der Seefahrten, gelangte ein französischer Ritter von sehr edler
Abstammung – wenn auch nicht sehr reich – nach Indien. Dort heiratete er die
Tochter eines Rajas, bekehrte sie zum Christentum, heiratete sie und zeugte
Kinder. Er bestieg den Thron des Maharadschas und gründete eine Dynastie
katholischer Rajas, die über ein nichtkatholisches Volk herrschten. Und so
blieb es.
Der einzige Unterschied ist, dass während er friedlich oder unruhig
sein kleines Königreich im sagenumwobenen Indien regierte, sein Haus in
Frankreich rasant aufstieg. Sein Haus hieß Bourbon. Und er wurde, ohne es zu
wissen, ein Prinz des französischen Königshauses. Erst viel später, im Kontakt
mit französischen Kaufleuten, erfuhr er all dies. Alles wurde aufgeklärt, und
zwar so sehr, dass sogar einige französische Traditionalisten die Kandidatur
dieser Rajas für den französischen Thron ins Gespräch brachten. Er war klug
genug, sich nicht dafür zu interessieren, und so blieb es beiseite.
Wenn dies einem Bourbonen widerfahren konnte, warum sollte es nicht
einem der letzten Könige aus dem Hause Avis passieren?
Ich habe mir viel weniger ausgemalt, als es scheint. Und die Geschichte
malt sich manchmal viel mehr aus, als der Mensch sich ausmalen kann.
Hier ist eine Hypothese aufgestellt, nicht als etwas, das wir für
möglich halten, sondern als Beitrag zur Welt der Fantasie, damit wir die Würde
des Scheiterns verstehen. D. Sebastião hätte in der Tiefe seines Scheiterns den
Keim des portugiesischen Ruhms in sich bewahrt.
Und zur Freude aller portugiesischsprachigen Länder der Welt würde er
eines Tages wieder erscheinen, um mit jenem Glanz zu erstrahlen, den nur er
besaß.
So erkennt man die wahre Pracht des Scheiterns, sei es das Scheitern
eines Unschuldigen oder das eines Reumütigen. Wenn es nicht aus Faulheit,
Nachlässigkeit oder Schwäche entspringt, sondern aus der Schwere der Umstände,
die den Menschen erdrücken, dann strahlt selbst die zerbrochene Größe Licht
aus, das ihr selbst im Triumph verborgen bleibt.
Aus dem portugiesischen von „Sobre
a Inocência e o Malôgro“, „Tagesheiliger“ ohne Datum
Die deutsche Fassung dieses Artikels „Über die Unschuld
un das Scheitern“ ist erstmals erschienen in www.p-c-o.blogspot.com
© Veröffentlichung dieser deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses
Blogs gestattet.
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