Der Weihnachtstag
Plinio Corrêa de Oliveira
„Heilige des Tages“, 23. Dezember 1968
In der Weihnachtsnacht die höchste Vereinigung
der Jungfrau Maria mit ihrem Sohn
Alles deutet darauf hin – gemäß dem Gesetz der Gegenseitigkeit und der Analogie –, dass, als die Gottesmutter ihren Leib dem Herrn schenkte, der Herr ihr sozusagen ihr seinen Geist schenkte. Und dass sie in der Vereinigung mit ihm auf wunderbare, unergründliche Weise wuchs, auf eine Weise, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Es steht jedoch fest, dass die Gottesmutter fähig war, in der Tugend zu wachsen, und dass sie bis zum letzten Augenblick ihres Lebens nicht aufhörte, sich weiterzuentwickeln. Daher durchlief sie während dieser ganzen Zeit der Schwangerschaft einen tiefen, unergründlichen, wunderbaren Fortschritt, der dem Fortschritt der Schwangerschaft entsprach, die in ihr stattfand.
In dem Maße wie
sie Fleisch und Blut gab, um die heiligste Menschheit des Sohnes Gottes zu
formen, gab Gott sich auch ihrer Seele hin. Und sozusagen – natürlich in
Anführungszeichen – vergöttlichte sich ihre Seele. So als das reinste Werk
ihres Leibes in der Weihnachtsnacht geboren werden sollte, hatte ihre
Vereinigung mit Ihm einen unermesslichen Höhepunkt erreicht. Und sie war dann bereit,
in jeder Hinsicht die Mutter des Erlösers zu sein.
Man kann also
gewissermaßen sagen, dass sie als Mutter den Sohn hervorbrachte, aber auch,
dass Er als Sohn in ihr die vollkommene Mutter vorbereitete und dass, sozusagen
paradoxerweise, der Sohn die Mutter zeugte, aber dass die Seele, die sie
brauchte, um die Allerheiligste Mutter unseres Herrn Jesus Christus zu sein,
ihre ganze Vollkommenheit für die Rolle der Mutter Gottes genau in dem
Augenblick erreichte, als sie den Sohn Gottes gebar.
Wir verstehen
daher, dass der Augenblick der jungfräulichen Geburt unseres Herrn Jesus
Christus in der Weihnachtsnacht wohl der Augenblick einer unermesslichen
Ekstase war, in der die Gottesmutter zu einer überragenden Vertrautheit mit der
Heiligen Dreifaltigkeit erhoben wurde. Und natürlich gebar sie in diesem
Augenblick jungfräulich das Wort.
Wir dürfen uns
die Gottesmutter nicht so vorstellen, wie sie manchmal in Gemälden dargestellt
wird – nicht unberechtigt, denn die Malerei kann nicht alles abbilden –, als
läge sie halb schlafend mit ihrem neugeborenen Sohn neben sich. Es ist nicht
falsch, dies so darzustellen, doch die dahinterliegende spirituelle
Wirklichkeit wird in der Darstellung nicht erhalten. Die Darstellung ist
vielmehr eine Ekstase, eine Verzückung, wie sie im Leben keiner Heiligen zu
finden war und wie wir sie uns nicht einmal vorstellen können. In dieser
Verzückung erreichte ihre Seele eine Art Fülle, auf die weitere Füllen folgen
sollten, denn sie stieg von Fülle zu Fülle, und hier, ja, im heiligsten Sinne
des Wortes, von Veredelung zu Veredelung, zur Vollkommenheit der Heiligkeit,
die sie im letzten Augenblick ihres Lebens empfing.
Was wir nur durch
den Glauben wissen, ist, dass die Gottesmutter vor, während und nach der Geburt
Jungfrau war.
Mit diesen
Überlegungen verstehen wir die Vereinigung zwischen unserem Herrn und der
Gottesmutter noch besser: es ist für den menschlichen Verstand völlig
unbegreiflich, man kann sich nicht vorstellen, wie sie gewesen sein muss. Und
wir sind so besser darauf vorbereitet, uns der Gottesmutter und damit dem
Jesuskind zuzuwenden. Wir verstehen ihre Rolle als Mittlerin und Fürsprecherin
noch besser; wir erkennen, wie wir uns ihr zuwenden und so jemandem nähern, dem
Gott außerordentlich nahe ist, so nahe, wie Gott einem Geschöpf nur sein kann.
Und so bereiten wir uns darauf vor, im Geiste des heiligen Ludwig Maria
Grignion de Montfort neben der Krippe zu meditieren.
Das heißt, wir
betrachten die Anwesenheit des Bildes der Gottesmutter neben der Krippe nicht
nur als historische Tatsache, sondern erkennen dahinter die übernatürliche und
mystische Bedeutung: Sie ist die Pforte des Himmels, sie ist die Bundeslade.
Und so wie das Kind durch sie zu uns kam, können auch wir es nur durch sie
erreichen. Und unsere Blicke in der Krippenszene sollten auf sie gerichtet
sein, auf Ihn durch sie, mit den Augen des Geistes, wie jemand, der Jesus in
Maria betrachtet.
Um zu verstehen,
dass Jesus da ist, der die Quelle ist, und dass die Gottesmutter da ist, die
den Kanal bildet.
Und in der Nähe ist auch der hl. Josef. Welche Rolle spielt der hl. Josef? So mächtig die Fürsprache der Gottesmutter auch sein mag, die Vorsehung wollte, dass wir weitere Fürsprecher haben, und einer dieser Fürsprecher ist der heilige Josef. Der heilige Josef durchlitt, wie wir wissen, eine gewaltige Prüfung aufgrund seiner Verwirrung als er die Schwangerschaft Mariens sah. Es sollte nicht die einzige Prüfung seines Lebens bleiben. Wir kennen zwei. Er muss viele weitere durchgemacht haben. Auch die Prüfung, die er durch den Verlust des Jesuskindes im Tempel erlitt, war eine schreckliche Prüfung.
So wie die
Gottesmutter auf ihre Rolle als Mutter Gottes vorbereitet wurde, musste auch
der heilige Josef auf seine Rolle als Adoptivvater des Jesuskindes vorbereitet
werden. Er war weit mehr als ein Adoptivvater im herkömmlichen Sinne, denn im
herkömmlichen Sinne ist eine Adoption vertraglich geregelt. Ein Vater adoptiert
ein Kind, und das Kind, sofern es volljährig ist, stimmt der Adoption zu. Wenn
nicht das Kind selbst, dann sind es zumindest die Eltern, die es einem anderen
Vater übergeben. Doch es ist eine vertragliche Vereinbarung. Es gibt nichts
weiter als das. Es besteht keine Bindung natürlichen Charakters.
Obwohl der heilige Josef nicht der leibliche Vater des Jesuskindes war, hatte er als Ehemann der Gottesmutter ein Anrecht auf das Kind ihres Leibes. Es war keine konventionelle, keine festgelegte Vaterschaft, sondern eine Vaterschaft, die sich in gewisser Weise aus der natürlichen Ordnung der Dinge ergab. Nicht weil er der leibliche Vater des Kindes war, sondern weil er ein wirksames Recht auf die Frucht des heiligsten Leibes seiner Frau hatte. Das war sein Recht als Ehemann. So ist klar, dass auch seine Seele darauf vorbereitet wurde. Und wir müssen anerkennen, dass der heilige Josef in der Weihnachtsnacht ebenfalls außergewöhnliche Gnaden empfing. ...
In diesem Geiste
sollten wir uns der Weihnachtsnacht nähern und uns auf die Gnaden dieser Nacht
vorbereiten. Es hieße, die Tradition zu verfälschen und vom rechten Weg
abzuweichen, wenn wir uns Gedanken über die Weihnachtsnacht machten, die nicht
im Einklang mit den Gnaden stünden, die Weihnachten schenkt.
Weihnachten
schenkt Gnaden der Versöhnung, Weihnachten schenkt Gnaden der Entspannung. Wenn
die Weihnachtsnacht anbricht, haben alle Menschen bis jetzt – und ich habe den
Eindruck, dass dieses Gefühl zunehmend schwächer wird – gespürt, als ob ein
Friede auf die Erde herabgestiegen wäre und als ob ein Bund zwischen Himmel und
Erde erneuert würde. So dass alle ruhig, freudig und unbeschwert neben der
Krippe wandelten. Und es gab eine Art Entspannung der Seelen, ein gegenseitiges
und christliches Wachsen der Zuneigung unter allen Menschen.
Natürlich können
wir dies nicht mit den Mächten der Finsternis haben. Aber es ist gewiss, dass
wir dies untereinander haben sollten. Die Weihnachtsnacht sollte uns mehr denn
je spüren lassen, dass wir Kinder Jesu, Kinder Mariens, Kinder des heiligen
Josef, angenommene Kinder der Heiligen Familie sind, also Brüder und Schwestern
füreinander. Und deshalb sollten wir uns wünschen, in dieser Nacht die
gegenseitige Zuneigung zu stärken, jene Bande zu festigen, die die Vorsehung so
deutlich unter uns knüpfen möchte und die uns zur gegenseitigen Vergebung
führen, zur Großzügigkeit, zum Vergessen von Fehlern, zur Erneuerung unseres
Wohlwollens gegenüber anderen, das vielleicht etwas müde ist von den Strapazen
des Alltags.
Möge die
Muttergottes uns dies alle gewähren und möge sie auch mir die Erneuerung eures
Wohlwollens schenken. Möge diese Weihnachtsnacht uns tief verbinden, damit wir
auch ihr näherkommen und mit ihr verbundener sind. Dies ist der Wunsch, den ich
nach dieser Betrachtung des Herzens Mariens ablege, während Sie das unendlich
kostbare Fleisch und Blut unseres Erlösers trug.
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