MARIA IST DAS PERFEKTE BEISPIEL
FÜR EIN LEBEN MITTEN IN DER WELT
Plinio Corrêa de Oliveira
Das Jahr 1958 ist vorbei. Und die alte, fast schon abgenutzte Gewohnheit des
Zurückblickens setzt sich auf, gefolgt von einem ängstlich fragenden Blick auf
das Jahr 1959. Es wäre sinnlos, sich dieser Gewohnheit zu entziehen, so
routiniert sie auch erscheinen mag. Sie entspringt dem Wesen der natürlichen
Ordnung der Dinge. Gott schuf die Zeit und wollte, dass sie für die Menschen in
Jahre unterteilt ist. Diese jährliche Dauer, eine Einheit, die stets sich
selbst gleich ist, steht in bewundernswertem Verhältnis zur Länge des menschlichen
Lebens und zum Rhythmus der irdischen Ereignisse. Die Vorsehung wollte, dass
der unaufhaltsame Lauf der Jahre den Menschen in den Tagen zwischen dem alten
und dem neuen Jahr die Gelegenheit bietet, alles, was sich in ihnen und um sie
herum verändert hat, sorgfältig zu prüfen, diese Veränderungen gelassen und
objektiv zu analysieren, alte Methoden und Wege zu hinterfragen, neue zu
begründen und jene zu bekräftigen, die sich nicht ändern können und sollen.
So
gleicht jedes Jahresende in gewisser Weise einem Gericht, in dem alles
gemessen, gezählt und abgewogen werden muss, um das Schlechte zu verwerfen, das
Gute zu bestätigen und in eine neue Phase einzutreten.
Die
Praxis der Rückblicke und Prognosen zum Jahresende und -beginn ist daher
unvermeidlich.
Indem
wir uns dieser von der Vorsehung geschaffenen Ordnung, die in der natürlichen
Ordnung der Dinge selbst liegt, ergeben, wollen wir uns unter dem Blick Mariens
erneut dieser Aufgabe des Messens, Abwägens und Voraussagens widmen.
Voraussagen, ja. Denn obwohl Gott gewöhnlich niemandem die Zukunft offenbart
und keinem Menschen die Gabe unfehlbarer Vorhersagen gegeben ist, wünschte er
sich dennoch, dass der menschliche Verstand genügend Erkenntnis besäße, um
plausible Vermutungen anzustellen, die als wertvolle Orientierungshilfen für
menschliches Handeln dienen können.
Natürlich
erkennt ein katholisches Herz im Jahr 1958 drei zentrale Aspekte. Es war das
Jahr von Lourdes, in dem Freuden, Kämpfe und selbst Enttäuschungen vom
übernatürlichen und sanften Licht erhellt wurden, das von der heiligen Grotte
ausgeht. Und im sanften Licht dieses Lichts erloschen die Tage Pius’ XII., im
Trost seines Glanzes weinten die Massen um den Papst, der sie so sehr liebte
und den sie so sehr liebten, und es war der Glanz dieses Lichts, das im
Morgengrauen des Pontifikats Johannes’ XXIII. erstrahlte und es mit
Verheißungen und Segnungen erfüllte: 1958 wird uns als das Jahr von Lourdes,
das Jahr des Todes Pius’ XII. und des Amtsantritts Johannes’ XXIII. in
Erinnerung bleiben.
Doch
wenn wir von diesen Höhen unseren Blick auf die Ereignisse richten, die vor
allem die weltliche Gesellschaft betreffen, was erlebten wir dann im Jahr 1958?
War es ein gutes Jahr? Ein schlechtes Jahr?
Auf
diese Frage lassen sich, je nach Standpunkt, so viele Antworten geben, manche
so wertvoll, andere so wertlos, dass man in ein völliges Chaos gerät. Denn
jedes Jahr bringt notwendigerweise gute und schlechte Veränderungen mit sich.
Und das große Problem besteht darin, ein Kriterium zu finden, um Gut und Böse
zu bestimmen und abzuwägen.
Für
einen Katholiken kann die Festlegung dieses Kriteriums zweifelhaft sein.
Christliche Zivilisation bedeutet die Ordnung aller weltlichen Dinge gemäß der
Lehre der Kirche. Mit anderen Worten: sie bedeutet die Ordnung aller Dinge
gemäß ihrer jeweiligen Natur und in Übereinstimmung mit ihrem letzten Ziel,
sodass das verhältnismäßige Zusammenwirken aller zur Verwirklichung des Plans
der Vorsehung führt, der die Ehre Gottes in diesem und im zukünftigen Leben,
also in Zeit und Ewigkeit, ist.
In
Bezug auf die weltliche Ordnung besteht das zentrale Problem daher darin, zu
erkennen, inwieweit die Ereignisse von 1958 zur Förderung und Entwicklung der
christlichen Zivilisation beigetragen oder sie im Gegenteil untergraben und
zerstört haben.
Ohne
die Legitimität anderer, aus anderen Blickwinkeln angestellter Überlegungen zu
leugnen, so ist doch anzuerkennen, dass diese angesichts der eben dargelegten
Frage von untergeordneter Bedeutung sind. Letztlich gewinnen sie nur dann Sinn,
wenn sie im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen zentralen Problem
betrachtet werden. Tatsächlich lässt sich die christliche Zivilisation mit der
kostbaren Perle vergleichen, von der im Evangelium die Rede ist (Mt 13,46). Um
sie zu erlangen, müssen wir alles verkaufen. Denn all unser Reichtum nützt uns
nichts, wenn wir nicht den unschätzbaren Wert der christlichen Zivilisation
besitzen. Dies zeigt sich deutlich in unserem traurigen Atomzeitalter, in dem
der Mensch über einen Überfluss an materiellen Ressourcen verfügt, die ihm aber
geistig und materiell schaden, weil ihr Gebrauch nicht den Grundsätzen der
Kirche entspricht.
Dieses
Urteil über das Jahr 1958 kann nur angesichts der konkreten Situation, in der
wir uns befinden, gefällt werden. Die christliche Zivilisation existierte im
Westen in großer Pracht und Fülle. Papst Leo XIII. beschreibt sie mit
denkwürdigen Worten:
„Es gab eine Zeit, wo die Weisheitslehre des Evangeliums
die Staaten leitete. Gesetze, Einrichtungen, Volkssitten, alle Ordnungen und
Beziehungen des Staatslebens waren in dieser Zeit von christlicher Klugheit und
göttlicher Kraft durchdrungen. Da war der Religion Jesu Christi in der
Öffentlichkeit jene Auszeichnung gesichert, wie sie ihr gebührt; da blühte sie
überall unter dem wohlwollenden Schutz der rechtmäßigen Obrigkeiten und
Regenten, da waren Kirche und Reich in glücklicher Eintracht und durch gegenseitige
Freundesdienste miteinander verbunden. Diese Staatsordnung trug über alles
Erwarten reiche Früchte, die noch nicht vergessen sind. Hierfür gibt es
unzählige Zeugnisse aus der Geschichte, welche durch keine Arglist der Feinde
verfälscht oder verdunkelt werden können.“ (Enzyklika
„Immortale Dei“, 1. November 1885)
Diese
einst so großartige Zivilisation geriet durch einen langen und schmerzhaften
historischen Prozess in eine Krise. Dessen Hauptphasen waren im ideologischen
Bereich der Naturalismus, Skeptizismus und die Hyperkritik der Humanisten, die
Verneinungen des Protestantismus, dann die Aufklärung und der Deismus, die
schließlich zum heutigen Atheismus und Pantheismus führten; im weltlichen
Bereich die absolutistischen und kaiserlich-papistischen Vorstellungen der
Legisten, der Säkularismus und der politische und soziale Egalitarismus der
Französischen Revolution sowie der Atheismus und der soziale und
wirtschaftliche Egalitarismus des Kommunismus.
Was ist
heute vom alten Gebäude der christlichen Zivilisation übriggeblieben? Sehr
wenig. In einem Brief an Seine Eminenz Kardinal Carlos Carmelo de Vasconcellos
Mota, Erzbischof von São Paulo, erklärte der Hochwürdigste Monsignore Angelo
Dell’Aqua, Substitut des Staatssekretariats des Vatikans, in der ihm
obliegenden Verantwortung, dass „infolge des religiösen Agnostizismus der
Staaten das Empfinden mit der Kirche (das Sentire
cum Ecclesia) in der modernen Gesellschaft gedämpft oder beinahe verloren
gegangen“ sei. Wenn die Wurzel vollständig abgeschnitten ist, haben die Früchte
und Blüten, die am Baum verbleiben, ein Dasein, das man eher als ein Nachleben
bezeichnen könnte. Das Wenige, was von der christlichen Zivilisation in der
nachchristlichen Zivilisation (nennen wir es so) unserer Zeit noch übrig ist –
einige Gewohnheiten, Bräuche und Traditionen, diese oder jene Denkweise, die
eine oder andere gesetzliche Bestimmung –, weist zumeist einen mehr oder
weniger anachronistischen Aspekt des Überlebens auf.
Wir
leugnen natürlich nicht, dass viele Seelen – vielleicht sogar mehr als vor
hundert Jahren – weiterhin in inniger Verbundenheit mit der Heiligen Kirche
leben und eine heldenhafte Treue beweisen, die der der Märtyrer des Kolosseums
in nichts nachsteht. Trotzdem ist es wahr, dass der Rückschritt in Bezug auf
soziale Sitten, Kultur, politische Institutionen und Wirtschaftsleben immer
größer wird.
Für das
Jahr 1958 ist es daher entscheidend zu wissen, ob der Rückschritt anhält, ob
der Siegeszug des Neuheidentums gestoppt wurde, ob die Rückeroberung der Welt
für unseren Herrn Jesus Christus bereits begonnen hat.
Im
vorliegenden Kontext kann die Antwort nur eine sein: Nein.
Zunächst
einmal wäre es verwegen zu behaupten, der Kommunismus habe im Westen
nennenswerten Prestigeverlust erlitten. Dass beispielsweise in Italien und
Frankreich die Wahlen der Kommunistischen Partei etwas geschadet haben, ist
nicht bedeutsamer als die Truppenbewegungen in einer langen Schlacht. Im
Gegenteil, in Brasilien beispielsweise ist ein spürbarer Anstieg des
kommunistischen Einflusses zu verzeichnen. Wohlgemerkt, vom kommunistischen
Einfluss, nicht vom Kommunismus selbst. Tatsächlich sehe ich keinerlei
Anzeichen für eine größere Durchlässigkeit der öffentlichen Meinung für die
Marx’sche Lehre. Doch es gibt eine wachsende Tendenz unter einflussreichen
Männern im Land, unsere Außenpolitik an die Moskauer anzugleichen. Es ist nicht
schwer zu erkennen, welche Vorteile der sowjetische Fuchs daraus in einem
bestimmten Moment ziehen könnte.
Was den
Osten betrifft, so hofften einige, dass eine Haltung wohlwollender Trägheit und
mitunter sogar positiver Kollaboration der Katholiken mit nationalistischen und
emanzipatorischen Bewegungen günstigere Lebensbedingungen für die Kirche
schaffen oder zumindest die erträglichen Bedingungen, in denen sie sich befand,
bewahren würde. Es gab natürlich einige Befürchtungen. Könnte beispielsweise
der Druck und vor allem die Faszination Russlands für nationalistische
Bewegungen gefährliche Folgen haben? Man muss anerkennen, dass die Ereignisse
von 1958 fast immer Hoffnungen zunichtemachten und Befürchtungen bestätigten.
Viele dieser Bewegungen wandten sich gegen die Kirche, die nun fast überall von
einer ungerechten und engstirnigen Fremdenfeindlichkeit verfolgt wird, die von
Russland geschürt wird – trotz der überschwänglichen Solidaritätsbekundungen
der Katholiken mit dem Antikolonialismus.
Doch
das Schlimmste liegt woanders. Im Laufe des letzten Jahres hat sich der
kulturelle Verfall der westlichen Völker nur noch verschlimmert. Die Unmoral
hat stetig zugenommen. Dies beweist die weltweite „Rock’n’Roll“-Epidemie, ein
Phänomen, das vielerorts sichtbar ist und unbestreitbar von Bedeutung, wenn man
es als akuten Ausdruck eines weit verbreiteten und allgemeinen Geistes im
Westen betrachtet: nichts anderes als ein Neopaganismus, der seinen Höhepunkt
erreicht und sich selbst übertrifft. Der Fortschritt eines impliziten
Materialismus scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben, der in der
Vergöttlichung rein materieller Werte besteht, oder zumindest von Werten, die
nur in ihrer materiellen Hinsicht betrachtet werden, wie Geld, Technologie,
Zahlen, Masse, Sport, Gesundheit und Komfort. Der Egalitarismus, die
Bekräftigung des Vorrangs der Quantität vor der Qualität, des Vulgären vor dem
in sich Edlen und Erhabenen, der Materie vor dem Geist, dringt immer tiefer ein
und führt zu radikalster Verwirrung und Unordnung in den menschlichen
Beziehungen. Die zunehmende Gleichstellung von Ehefrau und Ehemann, von Kindern
und Eltern, von Schülern und Lehrern, von Jüngeren und Älteren, von
Angestellten und Vorgesetzten, von Regierten und Regierenden – darauf zielt die
immense Transformation der Sitten, die wir gerade durchlaufen, unaufhaltsam ab.
Und so
würde der nichtkommunistische Westen, selbst ohne Eisernen Vorhang und ohne
Bambusvorhang, mit der ganzen Welt, die hinter diesen lebt, durch seine eigene
innere Dynamik zum Kommunismus gelangen.
Wie
kann jemand sich gegen eine Gefahr verteidigen, die ihn, fasziniert, träge in
ihre Fänge treibt? Wie kann jemand Gottes Segen und Schutz gegen einen
furchterregenden Gegner erlangen, der dessen eigenen Spielregeln befolgt? Wie
kann man Gottes Schutz erlangen, wenn man Gott selbst beleidigt und Weihrauch
auf den Altären des Antichristen des 20. Jahrhunderts verbrennt?
Das
Jahr 1958 war schlimm …
Und
nichts deutet darauf hin, dass das Jahr 1959 besser wird. Doch 1959 könnte
besser werden, wenn sich die Katholiken ihrer Verantwortung bewusst werden.
Weltweit zählen sie fast 500 Millionen. Dieses zahlenmäßige Argument hat
Gewicht. Aber viel wichtiger ist, dass sie den Mystischen Leib unseres Herrn
Jesus Christus bilden, den auserwählten Teil der Menschheit, für den die
Vorsehung Wunder wirken will, wenn sie sich zur gnadenvollen Zusammenarbeit
entschließt. Alles steht schlecht. Doch nichts, absolut nichts ist verloren,
wenn wir uns dennoch entscheiden, tapfer zu kämpfen und im Glauben die Hilfe
des Herrn anzurufen.
Die
Prognosen für 1959? Sie werden düster sein, wenn wir in Trägheit, Lauheit und
Unkenntnis des Wertes des Gebets verharren. Doch sie könnten günstig sein, wenn
wir uns endlich entschließen, mit mehr Vertrauen zu beten, uns mit größerem
Bußgeist aufzuopfern und mit mehr Eifer, mehr Geschick und größerem Mut zu
handeln. Der erste Punkt eines jeden Programms in diesem Sinne ist die Inbrunst
des inneren Lebens. Ohne die Vereinigung mit Gott wird nichts erreicht. Und die
Vereinigung mit Gott setzt eine Vertiefung unserer Marienverehrung voraus. Denn
nur wer mit Maria vereint ist, ist mit Gott vereint.
Was
also ist nun konkret zu tun?
Anlässlich
des II. Nationalkongresses des Dritten Ordens des Carmel in São Paulo wurde ein
Dokument von höchster Bedeutung erörtert, nicht nur für Karmeliten, sondern für
alle Katholiken. Es handelt sich um einen Brief, den Seine Paternität, der
Hochw. Kilian Lynch, Generalprior des Karmeliterordens der Alten Observanz, zu
diesem Anlass an die Brüder des Dritten Ordens in Brasilien verfasste. Es ist
ein tiefgründiges und umfassendes Aktionsprogramm. Es spricht nicht explizit
von Presse, bürgerschaftlichem Engagement, pädagogischen Fragen,
Gewerkschaften, Sozialarbeit, dem Problem der Familie oder der Kunst im 20.
Jahrhundert. Doch implizit spricht es von allem. Ohne auf konkrete Probleme
einzugehen, befindet sich dieses Programm an einem Punkt, an dem alle Fragen
beleuchtet und gelöst werden könnten. Aufgrund der glanzvollen Traditionen des
ruhmreichen Ordens, dessen höchste hierarchische Figur er ist, aufgrund des
außergewöhnlichen Wertes seiner persönlichen Qualitäten und aufgrund der
Aktualität seiner Worte verdient der berühmte Karmelitergeneral es, von allen
Lesern von „Catolicismo“ gehört zu werden.
Zuallererst
setzt ein Aktionsprogramm einen klaren Blick auf die Realität voraus. Es geht
nicht um Sofortmaßnahmen, nicht darum, die Schwierigkeiten des Apostolats nur
anhand der kleinen Probleme zu lösen, die in einer Sakristei oder einem
Vereinshauptquartier entstehen und verstummen. Es bedarf eines umfassenden und
ganzheitlichen Blicks auf unsere Zeit und ihre Tendenzen, auf die Natur und das
wahre Ausmaß der zu lösenden Probleme.
Doch
dieser Blick auf unsere Zeit muss mutig sein. Wir dürfen uns nicht von einem
kleinmütigen Optimismus blenden lassen, der zu Vogel-Strauß-Politik führt. Die
Probleme, vor denen wir stehen, sind schwerwiegend tragisch. Wir müssen sie mit
offenen Augen betrachten. Und es ist notwendig, sie klar zu benennen. Die
schlechte Taktik, die Schwierigkeiten der Zeit aus Angst, den Gegner zu
verärgern, zu verschweigen, führt zu keinem Ergebnis. So beschreibt der General
der Unbeschuhten Karmeliten die Situation der modernen Welt:
„Seitdem
Sie außerhalb des Klosters leben, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, wie
entchristlicht die Welt heute ist, wie heidnisch das Leben geworden ist, nicht
nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Familie und im Einzelnen. Der von
der modernen Kultur hervorgebrachte Säkularismus hat das menschliche Leben in
all seinen Aspekten von Gott entfremdet. Das Dasein hat heute den Sinn einer
tiefen und innigen Beziehung zu Gott verloren und wird nur noch als Selbstzweck
betrachtet. Die Folge ist, dass es seinen wahren Sinn verloren hat und ziellos
umherirrt. Das Leben wird nicht mehr im Lichte von etwas Höherem betrachtet,
und das wahre Glück ist verschwunden. Nie ist der Mensch im Laufe seiner langen
Geschichte dermaßen auf den Weg der materiellen Reichtümer vorangeschritten und
dermaßen auf den Weg des Friedens und des Glücks zurückgeschritten. Die
modernen Soziologen sagen uns, dass der moderne Mensch immer mehr zum Opfer der
Angst wird, entmutigt ist und nicht mehr in der Lage ist, ein Leben zu führen,
das der Menschenwürde würdig ist. Alles, was ihn umgab und ihm Kraft und Licht
gab, ist verschwunden, und er ist sich selbst überlassen. Diese Ära, die so
vieles versprochen hat, endet in einer traurigen Ernüchterung. Trotz der
Errungenschaften der Wissenschaft lebt der Mensch in Dunkelheit, und der
Schatten des Todes bedroht ihn.
Wie
auch immer sich die Finsternis der Zeit, in der wir leben, darstellen mag,
dürfen wir niemals vergessen, dass die Mächte der Finsternis ihre „Stunde“
hatten, doch Christus sie besiegt hat. Unser Glaube, der die beständige Feier
der Auferstehung ist, ist noch immer unser Sieg.“
Es wäre
jedoch ein Irrtum zu glauben, die Schwere der Stunde würde uns in Untätigkeit
versetzen. Im Gegenteil, die extreme Gefahr spornt den tapferen Kämpfer an. Der
berühmte Frater Kilian Lynch schreibt:
„Diese
Ära“, sagte Pius XI., „ist eine
der schwierigsten, die die Geschichte je erlebt hat, aber auch eine der
schönsten; denn dies ist ein Augenblick, in dem Mittelmäßigkeit keinen Platz
hat, in dem christliches Leben in seiner ganzen Kraft erblüht und Erfolge für
die Kirche errungen werden.“ Und wie passend ist die Weihnachtsbotschaft
seines erhabenen Nachfolgers Pius XII.: „Strebt also, liebe Söhne. Schließt
die Reihen. Lasst euch nicht entmutigen und verschränkt nicht die Arme. Geht
und baut eine neue Welt für Christus.“ (1944)
„Geht
und baut eine neue Welt auf.“
Dies, liebe Mitglieder des Dritten Ordens, ist unsere Botschaft an euch.
Geht und gebt dem Leben christliche Form und Struktur. Prägt es mit dem Siegel
Christi und seiner Heiligen Mutter, indem ihr in jeder Hinsicht ein wahrhaft
christliches Leben führt. Geht und werdet „eine brennende und leuchtende Lampe“
inmitten der Finsternis und seid wie der hl. Johannes der Täufer Wegbereiter
einer besseren und heiligeren Zukunft“.
Das
spezifische und primäre Heilmittel besteht, wie bereits erwähnt, in der
Inbrunst des geistlichen Lebens. Diese Inbrunst hat jedoch eine logische
Konsequenz: die Annahme eines wahren Verständnisses des irdischen Lebens und
der weltlichen Gesellschaft durch den Menschen. Alles ist für uns ein Mittel,
zum Schöpfer zu gelangen. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Gott
die exemplarische Ursache aller Geschöpfe ist. Gott in allen Wesen zu sehen und
zu lieben, sei es in ihrem natürlichen Zustand oder nach der richtigen
Verwandlung durch den Menschen, ist das Wesen katholischer Kultur und ein
unschätzbares und unverzichtbares Mittel der Heiligung.
„Der
erste Schritt“, fährt
der Brief fort, „den Sie zur Verwirklichung dieses Ziels (dem Leben
christliche Form und Struktur zu geben) unternehmen müssen, ist die
Wiederherstellung des inneren Sinns des Lebens durch die Kultivierung eines
tief verwurzelten christlichen Berufungsgefühls. Der grundlegende Irrtum der
heutigen Zeit besteht darin, dass der Mensch den Grund seiner Existenz in der
Welt, den Grund seiner Erschaffung durch Gott, vergessen hat.“ Wir gehören
Gott im absoluten Sinne des Wortes und sind in dieser Welt, um ihm zu dienen,
selbst in den unbedeutendsten Geheimnissen des Alltags.
Der
Grund für das Unglück des modernen Menschen liegt darin, dass er gegen die ihm
innewohnenden und kraftvollen Kräfte ankämpft, die ihn zu Gott drängen, während
er versucht, Frieden zu finden und dabei den göttlichen Plan, der in seiner
eigenen Natur liegt, verachtet. Doch wer kann gegen Gott bestehen?
Wir
müssen das Leben wieder im Lichte seines letzten Sinns betrachten, um das
Göttliche im Materiellen, das Ewige im Zeitlichen und die Heiligkeit in allem
außer der Sünde zu erkennen. Die große Aufgabe unserer Zeit ist es, alle
Lebensbereiche vom Licht und der Kraft unseres Glaubens durchdringen zu lassen.
Die Kluft, die unsere Zeit zwischen Glauben und Leben geschaffen hat, muss
überbrückt werden, und die göttliche Gnade muss wie Sauerteig wirken, um unser
Dasein auf eine höhere Ebene zu heben.
Es
steht außer Frage, dass in diesem Sinne alle Geschöpfe dazu beitragen müssen,
eine Atmosphäre des Denkens und ein Handlungsgefüge zu schaffen, die auf die
Ehre Gottes ausgerichtet sind. Es geht darum, die Geschöpfe zu ordnen, nicht
sie zu ignorieren oder zu verachten.
Was die
Sünde betrifft, so muss man ihr gegenüber absolut unnachgiebig sein. Aus diesem
Grund ist die Liebe zum Sünder eine dynamische Liebe, die ihn nicht so annimmt,
wie er ist, sondern ihn durch den Kampf gegen die Sünde in ihm verwandeln will.
Es ist die „erlösende Liebe“:
„Im
Kampf gegen die üblen Folgen des Laizismus dürfen wir nicht ins andere Extrem
verfallen (wie es viele tun) und dem Leben und den Dingen dieser Welt ihre
natürliche Güte und Würde rauben. Wir dürfen nur eines hassen, nämlich die
Sünde, denn allein die Sünde wurde nicht von Gott geschaffen und geheiligt.“
Kardinal
Suhard drückt es so aus: „Der Christ ist nicht berufen, die Welt zu
zerstören oder zu verunglimpfen, sondern sie anzunehmen, zu heiligen, sie Gott
darzubringen …“ „Die zeitliche Wirklichkeit“, schreibt Mouroux, „ist
eine verwundete Wirklichkeit, die mit erlösender Liebe geliebt werden muss …
Der Christ liebt die zeitliche Wirklichkeit, weil sie ihm hilft, sich Gott zuzuwenden.“
„Wir erlösen die Dinge, solange wir
das Göttliche in ihnen erkennen, solange wir sie im Einklang mit dem göttlichen
Willen nutzen.“
Ein
Patient mit Urteilsvermögen kann sich nicht mit der sentimentalen Erinnerung an
seine gesunden Tage zufriedengeben. Wenn er die Gesundheit wirklich liebt, muss
er sie wiederherstellen. Die Sehnsucht nach christlicher Zivilisation, die
nicht den Wunsch weckt, die Gültigkeit ihrer Prinzipien wiederherzustellen,
wäre vergeblich.
In der
weltlichen Gesellschaft gegenwärtig, muss der Bruder des Dritten Ordens dort
seine ihm von Gott gegebene Mission erfüllen: das Licht der unsterblichen
Prinzipien der Kirche neu zu entfachen:
„Die
Mitglieder des Dritten Ordens wurden daher nicht berufen, vor der Welt zu
fliehen oder sie zu verachten, sondern sie mit der erlösenden Liebe Christi und
seiner Mutter zu lieben. Wie bei uns hat auch alles sein Ende in Gott. Alles
besingt die Herrlichkeit des Allerhöchsten: Wir müssen gleichsam Herz und
Stimme der Dinge sein, in der großen Harmonie, die der moderne Mensch vergessen
hat. Wie wunderbar wäre es, wenn die Mitglieder des Dritten Ordens diese
positive, schöpferische, heiligende Ausrichtung in ihrem Leben verankern und zu
ihren Verfechtern würden. In Nachahmung des Göttlichen Meisters müsst ihr der
Gesellschaft Leben einhauchen und es in Fülle bringen. Verschwendet keine Zeit
damit, in der Vergangenheit zu verweilen, sondern nehmt die Welt an, wie sie
sich euch zeigt, und sucht sie durch seine Heilige Mutter zu Gott zu führen.
Der Kern, das Herz, das Wesen der Gesellschaft bleibt das, was Gott geformt
hat, und es ist diese innige Wirklichkeit, die zu Gott gewandt werden muss. Die
Wiederherstellung, Die Heiligkeit jedes Lebensweges, ungeachtet seiner
Umstände, trägt sozusagen auch zur Heiligung der Mitglieder des Dritten Ordens
bei. Oftmals beklagen Menschen den Mangel an Zeit für spirituelle Dinge. Die
einzige Zeit, die sie für Frömmigkeitsübungen wie Gebete, geistliche Lektüre,
Meditationen oder Kirchgänge nutzen, betrachten sie als sinnvoll. Die Stunden
der häuslichen Arbeit mit ihren vielfältigen Aufgaben, die Zeit, die für
Familie und Beruf aufgewendet wird, sehen sie als verloren an.
Diese
Vorstellung ist jedoch falsch. Tatsächlich sind all diese Lebensbereiche von
Gott geordnet und, wenn sie im Einklang mit der christlichen Berufung
betrachtet und ihr geweiht werden, Quellen des Lobes Gottes und des Segens für
uns.
In
Unserer Lieben Frau, Mutter und Glanz des Karmel, finden wir ein vollkommenes
Beispiel für ein erfülltes und ganzheitliches Leben inmitten der Welt. Das
Bild, das uns die Evangelien zeichnen, ist das einer einfachen und demütigen
Zimmermannsfrau, die auf Gottes Willen achtete, um ihn zu erfüllen. Mit ganzem
Herzen. Ihr Leben war ein Lobgesang auf den Herrn, und ihr Beispiel heiligte
selbst die unbedeutendsten Dinge des Alltags. Sicherlich schrieb Benedikt XV.
angesichts Marias Beispiel, dass selbst heroische Heiligkeit „in der genauen
und beständigen Erfüllung der Pflichten des jeweiligen Standes“ besteht. Und die heilige Teresa sagt: „Wir wissen, dass Marias
wahres Leben, sowohl in Nazareth als auch in den folgenden Jahren, ein ganz
gewöhnliches Leben war“, aber es war zugleich ein „Magnificat“ für
den Herrn, so dass es unserem Verständnis entgeht und der Menschheit reiche
Gnaden und Segnungen einbrachte.
Ihr,
ihre Auserwählten, müsst ihrem Beispiel folgen, Gottes Willen und Wirken in dem
Leben erkennen, zu dem ihr berufen seid, und euer Leben zu einer Antwort auf
diese Berufung machen. Ihr müsst Gottes Willen auf dieser Erde tun, wie Maria
es tat, und danach streben, in jedem Augenblick genau das zu sein, was Gott von
euch will.“
Die
tiefgründigen Worte von Pater Kilian Lynch, O. Carm., verdienen es, in dieser
turbulenten Silvesternacht besonnen betrachtet zu werden. Denn sie zeigen uns,
wie die Welt aussehen wird, wenn wir in der weltlichen Gesellschaft nicht mutig
handeln. Und vor allem verdeutlichen sie uns, zu welchen Höhen die Welt durch
die erlösende, verwandelnde Liebe aller Katholiken zum Sünder und ihren
unnachgiebigen Hass auf die Sünde emporgehoben werden kann.
Aus dem
Portugiesischen: „Gehet und bauet eine neue Welt“ ins Catolicismo von Januar
1959
Die
deutsche Fassung dieses Artikels ist erstmals erschienen in
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