Freitag, 5. Dezember 2025

Gehet und erbauet eine neue Welt - Zum Jahreswechsel 1958-1959


MARIA IST DAS PERFEKTE BEISPIEL

FÜR EIN LEBEN MITTEN IN DER WELT

Plinio Corrêa de Oliveira

Das Jahr 1958 ist vorbei. Und die alte, fast schon abgenutzte Gewohnheit des Zurückblickens setzt sich auf, gefolgt von einem ängstlich fragenden Blick auf das Jahr 1959. Es wäre sinnlos, sich dieser Gewohnheit zu entziehen, so routiniert sie auch erscheinen mag. Sie entspringt dem Wesen der natürlichen Ordnung der Dinge. Gott schuf die Zeit und wollte, dass sie für die Menschen in Jahre unterteilt ist. Diese jährliche Dauer, eine Einheit, die stets sich selbst gleich ist, steht in bewundernswertem Verhältnis zur Länge des menschlichen Lebens und zum Rhythmus der irdischen Ereignisse. Die Vorsehung wollte, dass der unaufhaltsame Lauf der Jahre den Menschen in den Tagen zwischen dem alten und dem neuen Jahr die Gelegenheit bietet, alles, was sich in ihnen und um sie herum verändert hat, sorgfältig zu prüfen, diese Veränderungen gelassen und objektiv zu analysieren, alte Methoden und Wege zu hinterfragen, neue zu begründen und jene zu bekräftigen, die sich nicht ändern können und sollen.

So gleicht jedes Jahresende in gewisser Weise einem Gericht, in dem alles gemessen, gezählt und abgewogen werden muss, um das Schlechte zu verwerfen, das Gute zu bestätigen und in eine neue Phase einzutreten.

Die Praxis der Rückblicke und Prognosen zum Jahresende und -beginn ist daher unvermeidlich.

Indem wir uns dieser von der Vorsehung geschaffenen Ordnung, die in der natürlichen Ordnung der Dinge selbst liegt, ergeben, wollen wir uns unter dem Blick Mariens erneut dieser Aufgabe des Messens, Abwägens und Voraussagens widmen. Voraussagen, ja. Denn obwohl Gott gewöhnlich niemandem die Zukunft offenbart und keinem Menschen die Gabe unfehlbarer Vorhersagen gegeben ist, wünschte er sich dennoch, dass der menschliche Verstand genügend Erkenntnis besäße, um plausible Vermutungen anzustellen, die als wertvolle Orientierungshilfen für menschliches Handeln dienen können.

Natürlich erkennt ein katholisches Herz im Jahr 1958 drei zentrale Aspekte. Es war das Jahr von Lourdes, in dem Freuden, Kämpfe und selbst Enttäuschungen vom übernatürlichen und sanften Licht erhellt wurden, das von der heiligen Grotte ausgeht. Und im sanften Licht dieses Lichts erloschen die Tage Pius’ XII., im Trost seines Glanzes weinten die Massen um den Papst, der sie so sehr liebte und den sie so sehr liebten, und es war der Glanz dieses Lichts, das im Morgengrauen des Pontifikats Johannes’ XXIII. erstrahlte und es mit Verheißungen und Segnungen erfüllte: 1958 wird uns als das Jahr von Lourdes, das Jahr des Todes Pius’ XII. und des Amtsantritts Johannes’ XXIII. in Erinnerung bleiben.

Doch wenn wir von diesen Höhen unseren Blick auf die Ereignisse richten, die vor allem die weltliche Gesellschaft betreffen, was erlebten wir dann im Jahr 1958? War es ein gutes Jahr? Ein schlechtes Jahr?

Auf diese Frage lassen sich, je nach Standpunkt, so viele Antworten geben, manche so wertvoll, andere so wertlos, dass man in ein völliges Chaos gerät. Denn jedes Jahr bringt notwendigerweise gute und schlechte Veränderungen mit sich. Und das große Problem besteht darin, ein Kriterium zu finden, um Gut und Böse zu bestimmen und abzuwägen.

Für einen Katholiken kann die Festlegung dieses Kriteriums zweifelhaft sein. Christliche Zivilisation bedeutet die Ordnung aller weltlichen Dinge gemäß der Lehre der Kirche. Mit anderen Worten: sie bedeutet die Ordnung aller Dinge gemäß ihrer jeweiligen Natur und in Übereinstimmung mit ihrem letzten Ziel, sodass das verhältnismäßige Zusammenwirken aller zur Verwirklichung des Plans der Vorsehung führt, der die Ehre Gottes in diesem und im zukünftigen Leben, also in Zeit und Ewigkeit, ist.

In Bezug auf die weltliche Ordnung besteht das zentrale Problem daher darin, zu erkennen, inwieweit die Ereignisse von 1958 zur Förderung und Entwicklung der christlichen Zivilisation beigetragen oder sie im Gegenteil untergraben und zerstört haben.

Ohne die Legitimität anderer, aus anderen Blickwinkeln angestellter Überlegungen zu leugnen, so ist doch anzuerkennen, dass diese angesichts der eben dargelegten Frage von untergeordneter Bedeutung sind. Letztlich gewinnen sie nur dann Sinn, wenn sie im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen zentralen Problem betrachtet werden. Tatsächlich lässt sich die christliche Zivilisation mit der kostbaren Perle vergleichen, von der im Evangelium die Rede ist (Mt 13,46). Um sie zu erlangen, müssen wir alles verkaufen. Denn all unser Reichtum nützt uns nichts, wenn wir nicht den unschätzbaren Wert der christlichen Zivilisation besitzen. Dies zeigt sich deutlich in unserem traurigen Atomzeitalter, in dem der Mensch über einen Überfluss an materiellen Ressourcen verfügt, die ihm aber geistig und materiell schaden, weil ihr Gebrauch nicht den Grundsätzen der Kirche entspricht.

Dieses Urteil über das Jahr 1958 kann nur angesichts der konkreten Situation, in der wir uns befinden, gefällt werden. Die christliche Zivilisation existierte im Westen in großer Pracht und Fülle. Papst Leo XIII. beschreibt sie mit denkwürdigen Worten:

„Es gab eine Zeit, wo die Weisheitslehre des Evangeliums die Staaten leitete. Gesetze, Einrichtungen, Volkssitten, alle Ordnungen und Beziehungen des Staatslebens waren in dieser Zeit von christlicher Klugheit und göttlicher Kraft durchdrungen. Da war der Religion Jesu Christi in der Öffentlichkeit jene Auszeichnung gesichert, wie sie ihr gebührt; da blühte sie überall unter dem wohlwollenden Schutz der rechtmäßigen Obrigkeiten und Regenten, da waren Kirche und Reich in glücklicher Eintracht und durch gegenseitige Freundesdienste miteinander verbunden. Diese Staatsordnung trug über alles Erwarten reiche Früchte, die noch nicht vergessen sind. Hierfür gibt es unzählige Zeugnisse aus der Geschichte, welche durch keine Arglist der Feinde verfälscht oder verdunkelt werden können.“ (Enzyklika „Immortale Dei“, 1. November 1885)

Diese einst so großartige Zivilisation geriet durch einen langen und schmerzhaften historischen Prozess in eine Krise. Dessen Hauptphasen waren im ideologischen Bereich der Naturalismus, Skeptizismus und die Hyperkritik der Humanisten, die Verneinungen des Protestantismus, dann die Aufklärung und der Deismus, die schließlich zum heutigen Atheismus und Pantheismus führten; im weltlichen Bereich die absolutistischen und kaiserlich-papistischen Vorstellungen der Legisten, der Säkularismus und der politische und soziale Egalitarismus der Französischen Revolution sowie der Atheismus und der soziale und wirtschaftliche Egalitarismus des Kommunismus.

Was ist heute vom alten Gebäude der christlichen Zivilisation übriggeblieben? Sehr wenig. In einem Brief an Seine Eminenz Kardinal Carlos Carmelo de Vasconcellos Mota, Erzbischof von São Paulo, erklärte der Hochwürdigste Monsignore Angelo Dell’Aqua, Substitut des Staatssekretariats des Vatikans, in der ihm obliegenden Verantwortung, dass „infolge des religiösen Agnostizismus der Staaten das Empfinden mit der Kirche (das Sentire cum Ecclesia) in der modernen Gesellschaft gedämpft oder beinahe verloren gegangen“ sei. Wenn die Wurzel vollständig abgeschnitten ist, haben die Früchte und Blüten, die am Baum verbleiben, ein Dasein, das man eher als ein Nachleben bezeichnen könnte. Das Wenige, was von der christlichen Zivilisation in der nachchristlichen Zivilisation (nennen wir es so) unserer Zeit noch übrig ist – einige Gewohnheiten, Bräuche und Traditionen, diese oder jene Denkweise, die eine oder andere gesetzliche Bestimmung –, weist zumeist einen mehr oder weniger anachronistischen Aspekt des Überlebens auf.

Wir leugnen natürlich nicht, dass viele Seelen – vielleicht sogar mehr als vor hundert Jahren – weiterhin in inniger Verbundenheit mit der Heiligen Kirche leben und eine heldenhafte Treue beweisen, die der der Märtyrer des Kolosseums in nichts nachsteht. Trotzdem ist es wahr, dass der Rückschritt in Bezug auf soziale Sitten, Kultur, politische Institutionen und Wirtschaftsleben immer größer wird.

Für das Jahr 1958 ist es daher entscheidend zu wissen, ob der Rückschritt anhält, ob der Siegeszug des Neuheidentums gestoppt wurde, ob die Rückeroberung der Welt für unseren Herrn Jesus Christus bereits begonnen hat.

Im vorliegenden Kontext kann die Antwort nur eine sein: Nein.

Zunächst einmal wäre es verwegen zu behaupten, der Kommunismus habe im Westen nennenswerten Prestigeverlust erlitten. Dass beispielsweise in Italien und Frankreich die Wahlen der Kommunistischen Partei etwas geschadet haben, ist nicht bedeutsamer als die Truppenbewegungen in einer langen Schlacht. Im Gegenteil, in Brasilien beispielsweise ist ein spürbarer Anstieg des kommunistischen Einflusses zu verzeichnen. Wohlgemerkt, vom kommunistischen Einfluss, nicht vom Kommunismus selbst. Tatsächlich sehe ich keinerlei Anzeichen für eine größere Durchlässigkeit der öffentlichen Meinung für die Marx’sche Lehre. Doch es gibt eine wachsende Tendenz unter einflussreichen Männern im Land, unsere Außenpolitik an die Moskauer anzugleichen. Es ist nicht schwer zu erkennen, welche Vorteile der sowjetische Fuchs daraus in einem bestimmten Moment ziehen könnte.

Was den Osten betrifft, so hofften einige, dass eine Haltung wohlwollender Trägheit und mitunter sogar positiver Kollaboration der Katholiken mit nationalistischen und emanzipatorischen Bewegungen günstigere Lebensbedingungen für die Kirche schaffen oder zumindest die erträglichen Bedingungen, in denen sie sich befand, bewahren würde. Es gab natürlich einige Befürchtungen. Könnte beispielsweise der Druck und vor allem die Faszination Russlands für nationalistische Bewegungen gefährliche Folgen haben? Man muss anerkennen, dass die Ereignisse von 1958 fast immer Hoffnungen zunichtemachten und Befürchtungen bestätigten. Viele dieser Bewegungen wandten sich gegen die Kirche, die nun fast überall von einer ungerechten und engstirnigen Fremdenfeindlichkeit verfolgt wird, die von Russland geschürt wird – trotz der überschwänglichen Solidaritätsbekundungen der Katholiken mit dem Antikolonialismus.

Doch das Schlimmste liegt woanders. Im Laufe des letzten Jahres hat sich der kulturelle Verfall der westlichen Völker nur noch verschlimmert. Die Unmoral hat stetig zugenommen. Dies beweist die weltweite „Rock’n’Roll“-Epidemie, ein Phänomen, das vielerorts sichtbar ist und unbestreitbar von Bedeutung, wenn man es als akuten Ausdruck eines weit verbreiteten und allgemeinen Geistes im Westen betrachtet: nichts anderes als ein Neopaganismus, der seinen Höhepunkt erreicht und sich selbst übertrifft. Der Fortschritt eines impliziten Materialismus scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben, der in der Vergöttlichung rein materieller Werte besteht, oder zumindest von Werten, die nur in ihrer materiellen Hinsicht betrachtet werden, wie Geld, Technologie, Zahlen, Masse, Sport, Gesundheit und Komfort. Der Egalitarismus, die Bekräftigung des Vorrangs der Quantität vor der Qualität, des Vulgären vor dem in sich Edlen und Erhabenen, der Materie vor dem Geist, dringt immer tiefer ein und führt zu radikalster Verwirrung und Unordnung in den menschlichen Beziehungen. Die zunehmende Gleichstellung von Ehefrau und Ehemann, von Kindern und Eltern, von Schülern und Lehrern, von Jüngeren und Älteren, von Angestellten und Vorgesetzten, von Regierten und Regierenden – darauf zielt die immense Transformation der Sitten, die wir gerade durchlaufen, unaufhaltsam ab.

Und so würde der nichtkommunistische Westen, selbst ohne Eisernen Vorhang und ohne Bambusvorhang, mit der ganzen Welt, die hinter diesen lebt, durch seine eigene innere Dynamik zum Kommunismus gelangen.

Wie kann jemand sich gegen eine Gefahr verteidigen, die ihn, fasziniert, träge in ihre Fänge treibt? Wie kann jemand Gottes Segen und Schutz gegen einen furchterregenden Gegner erlangen, der dessen eigenen Spielregeln befolgt? Wie kann man Gottes Schutz erlangen, wenn man Gott selbst beleidigt und Weihrauch auf den Altären des Antichristen des 20. Jahrhunderts verbrennt?

Das Jahr 1958 war schlimm …

Und nichts deutet darauf hin, dass das Jahr 1959 besser wird. Doch 1959 könnte besser werden, wenn sich die Katholiken ihrer Verantwortung bewusst werden. Weltweit zählen sie fast 500 Millionen. Dieses zahlenmäßige Argument hat Gewicht. Aber viel wichtiger ist, dass sie den Mystischen Leib unseres Herrn Jesus Christus bilden, den auserwählten Teil der Menschheit, für den die Vorsehung Wunder wirken will, wenn sie sich zur gnadenvollen Zusammenarbeit entschließt. Alles steht schlecht. Doch nichts, absolut nichts ist verloren, wenn wir uns dennoch entscheiden, tapfer zu kämpfen und im Glauben die Hilfe des Herrn anzurufen.

Die Prognosen für 1959? Sie werden düster sein, wenn wir in Trägheit, Lauheit und Unkenntnis des Wertes des Gebets verharren. Doch sie könnten günstig sein, wenn wir uns endlich entschließen, mit mehr Vertrauen zu beten, uns mit größerem Bußgeist aufzuopfern und mit mehr Eifer, mehr Geschick und größerem Mut zu handeln. Der erste Punkt eines jeden Programms in diesem Sinne ist die Inbrunst des inneren Lebens. Ohne die Vereinigung mit Gott wird nichts erreicht. Und die Vereinigung mit Gott setzt eine Vertiefung unserer Marienverehrung voraus. Denn nur wer mit Maria vereint ist, ist mit Gott vereint.

Was also ist nun konkret zu tun?

Anlässlich des II. Nationalkongresses des Dritten Ordens des Carmel in São Paulo wurde ein Dokument von höchster Bedeutung erörtert, nicht nur für Karmeliten, sondern für alle Katholiken. Es handelt sich um einen Brief, den Seine Paternität, der Hochw. Kilian Lynch, Generalprior des Karmeliterordens der Alten Observanz, zu diesem Anlass an die Brüder des Dritten Ordens in Brasilien verfasste. Es ist ein tiefgründiges und umfassendes Aktionsprogramm. Es spricht nicht explizit von Presse, bürgerschaftlichem Engagement, pädagogischen Fragen, Gewerkschaften, Sozialarbeit, dem Problem der Familie oder der Kunst im 20. Jahrhundert. Doch implizit spricht es von allem. Ohne auf konkrete Probleme einzugehen, befindet sich dieses Programm an einem Punkt, an dem alle Fragen beleuchtet und gelöst werden könnten. Aufgrund der glanzvollen Traditionen des ruhmreichen Ordens, dessen höchste hierarchische Figur er ist, aufgrund des außergewöhnlichen Wertes seiner persönlichen Qualitäten und aufgrund der Aktualität seiner Worte verdient der berühmte Karmelitergeneral es, von allen Lesern von „Catolicismo“ gehört zu werden.

Zuallererst setzt ein Aktionsprogramm einen klaren Blick auf die Realität voraus. Es geht nicht um Sofortmaßnahmen, nicht darum, die Schwierigkeiten des Apostolats nur anhand der kleinen Probleme zu lösen, die in einer Sakristei oder einem Vereinshauptquartier entstehen und verstummen. Es bedarf eines umfassenden und ganzheitlichen Blicks auf unsere Zeit und ihre Tendenzen, auf die Natur und das wahre Ausmaß der zu lösenden Probleme.

Doch dieser Blick auf unsere Zeit muss mutig sein. Wir dürfen uns nicht von einem kleinmütigen Optimismus blenden lassen, der zu Vogel-Strauß-Politik führt. Die Probleme, vor denen wir stehen, sind schwerwiegend tragisch. Wir müssen sie mit offenen Augen betrachten. Und es ist notwendig, sie klar zu benennen. Die schlechte Taktik, die Schwierigkeiten der Zeit aus Angst, den Gegner zu verärgern, zu verschweigen, führt zu keinem Ergebnis. So beschreibt der General der Unbeschuhten Karmeliten die Situation der modernen Welt:

„Seitdem Sie außerhalb des Klosters leben, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, wie entchristlicht die Welt heute ist, wie heidnisch das Leben geworden ist, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Familie und im Einzelnen. Der von der modernen Kultur hervorgebrachte Säkularismus hat das menschliche Leben in all seinen Aspekten von Gott entfremdet. Das Dasein hat heute den Sinn einer tiefen und innigen Beziehung zu Gott verloren und wird nur noch als Selbstzweck betrachtet. Die Folge ist, dass es seinen wahren Sinn verloren hat und ziellos umherirrt. Das Leben wird nicht mehr im Lichte von etwas Höherem betrachtet, und das wahre Glück ist verschwunden. Nie ist der Mensch im Laufe seiner langen Geschichte dermaßen auf den Weg der materiellen Reichtümer vorangeschritten und dermaßen auf den Weg des Friedens und des Glücks zurückgeschritten. Die modernen Soziologen sagen uns, dass der moderne Mensch immer mehr zum Opfer der Angst wird, entmutigt ist und nicht mehr in der Lage ist, ein Leben zu führen, das der Menschenwürde würdig ist. Alles, was ihn umgab und ihm Kraft und Licht gab, ist verschwunden, und er ist sich selbst überlassen. Diese Ära, die so vieles versprochen hat, endet in einer traurigen Ernüchterung. Trotz der Errungenschaften der Wissenschaft lebt der Mensch in Dunkelheit, und der Schatten des Todes bedroht ihn.

Wie auch immer sich die Finsternis der Zeit, in der wir leben, darstellen mag, dürfen wir niemals vergessen, dass die Mächte der Finsternis ihre „Stunde“ hatten, doch Christus sie besiegt hat. Unser Glaube, der die beständige Feier der Auferstehung ist, ist noch immer unser Sieg.“

Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, die Schwere der Stunde würde uns in Untätigkeit versetzen. Im Gegenteil, die extreme Gefahr spornt den tapferen Kämpfer an. Der berühmte Frater Kilian Lynch schreibt:

„Diese Ära“, sagte Pius XI., „ist eine der schwierigsten, die die Geschichte je erlebt hat, aber auch eine der schönsten; denn dies ist ein Augenblick, in dem Mittelmäßigkeit keinen Platz hat, in dem christliches Leben in seiner ganzen Kraft erblüht und Erfolge für die Kirche errungen werden.“ Und wie passend ist die Weihnachtsbotschaft seines erhabenen Nachfolgers Pius XII.: „Strebt also, liebe Söhne. Schließt die Reihen. Lasst euch nicht entmutigen und verschränkt nicht die Arme. Geht und baut eine neue Welt für Christus.“ (1944)

„Geht und baut eine neue Welt auf.“ Dies, liebe Mitglieder des Dritten Ordens, ist unsere Botschaft an euch. Geht und gebt dem Leben christliche Form und Struktur. Prägt es mit dem Siegel Christi und seiner Heiligen Mutter, indem ihr in jeder Hinsicht ein wahrhaft christliches Leben führt. Geht und werdet „eine brennende und leuchtende Lampe“ inmitten der Finsternis und seid wie der hl. Johannes der Täufer Wegbereiter einer besseren und heiligeren Zukunft“.

Das spezifische und primäre Heilmittel besteht, wie bereits erwähnt, in der Inbrunst des geistlichen Lebens. Diese Inbrunst hat jedoch eine logische Konsequenz: die Annahme eines wahren Verständnisses des irdischen Lebens und der weltlichen Gesellschaft durch den Menschen. Alles ist für uns ein Mittel, zum Schöpfer zu gelangen. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Gott die exemplarische Ursache aller Geschöpfe ist. Gott in allen Wesen zu sehen und zu lieben, sei es in ihrem natürlichen Zustand oder nach der richtigen Verwandlung durch den Menschen, ist das Wesen katholischer Kultur und ein unschätzbares und unverzichtbares Mittel der Heiligung.

„Der erste Schritt“, fährt der Brief fort, „den Sie zur Verwirklichung dieses Ziels (dem Leben christliche Form und Struktur zu geben) unternehmen müssen, ist die Wiederherstellung des inneren Sinns des Lebens durch die Kultivierung eines tief verwurzelten christlichen Berufungsgefühls. Der grundlegende Irrtum der heutigen Zeit besteht darin, dass der Mensch den Grund seiner Existenz in der Welt, den Grund seiner Erschaffung durch Gott, vergessen hat.“ Wir gehören Gott im absoluten Sinne des Wortes und sind in dieser Welt, um ihm zu dienen, selbst in den unbedeutendsten Geheimnissen des Alltags.

Der Grund für das Unglück des modernen Menschen liegt darin, dass er gegen die ihm innewohnenden und kraftvollen Kräfte ankämpft, die ihn zu Gott drängen, während er versucht, Frieden zu finden und dabei den göttlichen Plan, der in seiner eigenen Natur liegt, verachtet. Doch wer kann gegen Gott bestehen?

Wir müssen das Leben wieder im Lichte seines letzten Sinns betrachten, um das Göttliche im Materiellen, das Ewige im Zeitlichen und die Heiligkeit in allem außer der Sünde zu erkennen. Die große Aufgabe unserer Zeit ist es, alle Lebensbereiche vom Licht und der Kraft unseres Glaubens durchdringen zu lassen. Die Kluft, die unsere Zeit zwischen Glauben und Leben geschaffen hat, muss überbrückt werden, und die göttliche Gnade muss wie Sauerteig wirken, um unser Dasein auf eine höhere Ebene zu heben.

Es steht außer Frage, dass in diesem Sinne alle Geschöpfe dazu beitragen müssen, eine Atmosphäre des Denkens und ein Handlungsgefüge zu schaffen, die auf die Ehre Gottes ausgerichtet sind. Es geht darum, die Geschöpfe zu ordnen, nicht sie zu ignorieren oder zu verachten.

Was die Sünde betrifft, so muss man ihr gegenüber absolut unnachgiebig sein. Aus diesem Grund ist die Liebe zum Sünder eine dynamische Liebe, die ihn nicht so annimmt, wie er ist, sondern ihn durch den Kampf gegen die Sünde in ihm verwandeln will. Es ist die „erlösende Liebe“:

„Im Kampf gegen die üblen Folgen des Laizismus dürfen wir nicht ins andere Extrem verfallen (wie es viele tun) und dem Leben und den Dingen dieser Welt ihre natürliche Güte und Würde rauben. Wir dürfen nur eines hassen, nämlich die Sünde, denn allein die Sünde wurde nicht von Gott geschaffen und geheiligt.“

Kardinal Suhard drückt es so aus: „Der Christ ist nicht berufen, die Welt zu zerstören oder zu verunglimpfen, sondern sie anzunehmen, zu heiligen, sie Gott darzubringen …“ „Die zeitliche Wirklichkeit“, schreibt Mouroux, „ist eine verwundete Wirklichkeit, die mit erlösender Liebe geliebt werden muss … Der Christ liebt die zeitliche Wirklichkeit, weil sie ihm hilft, sich Gott zuzuwenden.“  „Wir erlösen die Dinge, solange wir das Göttliche in ihnen erkennen, solange wir sie im Einklang mit dem göttlichen Willen nutzen.“

Ein Patient mit Urteilsvermögen kann sich nicht mit der sentimentalen Erinnerung an seine gesunden Tage zufriedengeben. Wenn er die Gesundheit wirklich liebt, muss er sie wiederherstellen. Die Sehnsucht nach christlicher Zivilisation, die nicht den Wunsch weckt, die Gültigkeit ihrer Prinzipien wiederherzustellen, wäre vergeblich.

In der weltlichen Gesellschaft gegenwärtig, muss der Bruder des Dritten Ordens dort seine ihm von Gott gegebene Mission erfüllen: das Licht der unsterblichen Prinzipien der Kirche neu zu entfachen:

„Die Mitglieder des Dritten Ordens wurden daher nicht berufen, vor der Welt zu fliehen oder sie zu verachten, sondern sie mit der erlösenden Liebe Christi und seiner Mutter zu lieben. Wie bei uns hat auch alles sein Ende in Gott. Alles besingt die Herrlichkeit des Allerhöchsten: Wir müssen gleichsam Herz und Stimme der Dinge sein, in der großen Harmonie, die der moderne Mensch vergessen hat. Wie wunderbar wäre es, wenn die Mitglieder des Dritten Ordens diese positive, schöpferische, heiligende Ausrichtung in ihrem Leben verankern und zu ihren Verfechtern würden. In Nachahmung des Göttlichen Meisters müsst ihr der Gesellschaft Leben einhauchen und es in Fülle bringen. Verschwendet keine Zeit damit, in der Vergangenheit zu verweilen, sondern nehmt die Welt an, wie sie sich euch zeigt, und sucht sie durch seine Heilige Mutter zu Gott zu führen. Der Kern, das Herz, das Wesen der Gesellschaft bleibt das, was Gott geformt hat, und es ist diese innige Wirklichkeit, die zu Gott gewandt werden muss. Die Wiederherstellung, Die Heiligkeit jedes Lebensweges, ungeachtet seiner Umstände, trägt sozusagen auch zur Heiligung der Mitglieder des Dritten Ordens bei. Oftmals beklagen Menschen den Mangel an Zeit für spirituelle Dinge. Die einzige Zeit, die sie für Frömmigkeitsübungen wie Gebete, geistliche Lektüre, Meditationen oder Kirchgänge nutzen, betrachten sie als sinnvoll. Die Stunden der häuslichen Arbeit mit ihren vielfältigen Aufgaben, die Zeit, die für Familie und Beruf aufgewendet wird, sehen sie als verloren an.

Diese Vorstellung ist jedoch falsch. Tatsächlich sind all diese Lebensbereiche von Gott geordnet und, wenn sie im Einklang mit der christlichen Berufung betrachtet und ihr geweiht werden, Quellen des Lobes Gottes und des Segens für uns.

In Unserer Lieben Frau, Mutter und Glanz des Karmel, finden wir ein vollkommenes Beispiel für ein erfülltes und ganzheitliches Leben inmitten der Welt. Das Bild, das uns die Evangelien zeichnen, ist das einer einfachen und demütigen Zimmermannsfrau, die auf Gottes Willen achtete, um ihn zu erfüllen. Mit ganzem Herzen. Ihr Leben war ein Lobgesang auf den Herrn, und ihr Beispiel heiligte selbst die unbedeutendsten Dinge des Alltags. Sicherlich schrieb Benedikt XV. angesichts Marias Beispiel, dass selbst heroische Heiligkeit „in der genauen und beständigen Erfüllung der Pflichten des jeweiligen Standes“ besteht. Und die heilige Teresa sagt: „Wir wissen, dass Marias wahres Leben, sowohl in Nazareth als auch in den folgenden Jahren, ein ganz gewöhnliches Leben war“, aber es war zugleich ein „Magnificat“ für den Herrn, so dass es unserem Verständnis entgeht und der Menschheit reiche Gnaden und Segnungen einbrachte.

Ihr, ihre Auserwählten, müsst ihrem Beispiel folgen, Gottes Willen und Wirken in dem Leben erkennen, zu dem ihr berufen seid, und euer Leben zu einer Antwort auf diese Berufung machen. Ihr müsst Gottes Willen auf dieser Erde tun, wie Maria es tat, und danach streben, in jedem Augenblick genau das zu sein, was Gott von euch will.“

Die tiefgründigen Worte von Pater Kilian Lynch, O. Carm., verdienen es, in dieser turbulenten Silvesternacht besonnen betrachtet zu werden. Denn sie zeigen uns, wie die Welt aussehen wird, wenn wir in der weltlichen Gesellschaft nicht mutig handeln. Und vor allem verdeutlichen sie uns, zu welchen Höhen die Welt durch die erlösende, verwandelnde Liebe aller Katholiken zum Sünder und ihren unnachgiebigen Hass auf die Sünde emporgehoben werden kann.

 

 

Aus dem Portugiesischen: „Gehet und bauet eine neue Welt“ ins Catolicismo von Januar 1959

Die deutsche Fassung dieses Artikels ist erstmals erschienen in
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