Sonntag, 20. Januar 2019

Heilige Maria, Mutter Gottes




Am ersten Tag eines jeden neuen Jahres, in der Oktav von Weihnachten, feiert die heilige Kirche das Hochfest der Gottesmutter Maria, um die Legitimität dieses erhabenen Titels zu bekräftigen
Im vierten Jahrhundert wagte der Häretiker Nestorius zu sagen, dass Maria nicht die Mutter Gottes (Theotokos) sei, sondern nur Mutter Christi (Christotokos, als menschliche Person).
Aufgrund dieser ketzerischen Behauptung empörten sich Katholiken in der ganzen Welt und verlangten eine Wiedergutmachung. Im Jahre 341 versammelten sich Bischöfe aus verschiedenen Ländern beim Konzil von Ephesus und verurteilten die Irrlehren des gottlosen Nestorius. Feierlich legte das Konzil diesen zentralen Punkt des Geheimnisses der Menschwerdung fest: Die Jungfrau Maria ist die Mutter Gottes, weil ihr Sohn, Christus, Gott ist. Begleitet von allen Stadtbewohnern, die Fackeln trugen, veranstalteten die Bischöfe eine große Prozession. Dabei sangen alle: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen ", ein Stoßgebet, das später die Kirche dem Gebet Ave Maria hinzufügte.

Nachfolgend zitieren wir einen kurzen von Plinio Corrêa de Oliveira verfassten Text, der mit dieser Wahrheit des Glaubens im Zusammenhang steht.

* * *
„In der Heiligen Jungfrau Maria findet man die unaussprechliche Quintessenz, die umfassendste Synthese von allen Müttern, von allen mütterlichen Tugenden, welche der Verstand und das Herz der Menschen erfassen können.
Mehr sogar: Sie ist die Quintessenz jener Tugendgrade, die nur Heilige mit Hilfe der Gnade erreichen können. Sie ist die Mutter aller Kinder und aller Mütter. Sie ist die Mutter aller Menschen. Sie ist die Mutter Gottes, der in ihrem jungfräulichen Schoß Mensch geworden ist, um alle Menschen zu erlösen.
Sie ist eine Mutter, die mit dem Wort mare (lat. Meer) bezeichnet werden kann. Dieses führt wiederum zu einen Namen, der ein Himmel ist: Maria.“

(Plinio Corrêa de Oliveira, Zeitschrift Catolicismo, Januar 2005

Mittwoch, 16. Januar 2019

Hodie in Terra Canunt Angeli, Laetantur Archangeli, Hodie Exsultant Justi

Erzengel Gabriel - Kirche Saint Pierre de Chauvigny


Heute singen auf Erden die Engel,

freuen sich die Erzengel;
heute jauchzen die Gerechten


In der Liturgie nimmt das Weihnachtsfest sicherlich einen beachtlichen Platz ein. Nicht jedoch ein Fest erster Größe. Zum Beispiel sind Ostern und Pfingsten Feste Duplex erster Klasse mit einer privilegierten Oktav erster Ordnung; während Weihnachten ein Duplex-Fest der ersten Klasse ist, mit einer privilegierten Oktav der 3. Ordnung. Die Frömmigkeit der Gläubigen machte jedoch aus diesem Fest eines der wichtigsten des Jahres. Und das aus mehreren Gründen.
Die Geburt des Heilands ist schon an sich eine Ehre von unendlichem Wert für das Menschengeschlecht. Das Wort Gottes hätte  sich durchaus hypostatisch mit einem der heiligsten und glänzendsten Engel der himmlischen Höhen vereinigen können. Und doch hat es das Wort vorgezogen, Mensch zu werden, Fleisch anzunehmen, in seiner Menschlichkeit der Nachkommenschaft Adams anzugehören. Völlig unverdient wurde uns diese Gnade zuteil, eine Adelung von unsagbarem Wert, ein historischer Ausgangspunkt weiterer, ebenso unergründlicher Gaben.
Die Menschwerdung des Wortes vorwegnehmend, hatte die Vorsehung bereits ein Wesen geschaffen, das in sich eine größere Vollkommenheit als die des ganzen Universums vereinigt, und in diesem Fall die unausweichlichen Folgen der Erbsünde aufgehoben. Aus den durch die Erlösung zu erwerbenden Verdiensten hatte sich die Tugend aller Gerechten des alten Gesetzes genährt. Doch die Schar der Auserwählten saß „an den Pforten des Todes“ (Ps 106, 18) und wartete darauf, dass für uns alle das Gotteslamm geopfert werde.
Doch nicht nur sie befanden sich in dieser wartenden Haltung. Die ganze Geschichte befand sich sozusagen in einem Zustand stummer Erwartung. Als Jesus Christus endlich geboren wurde, ging auf der ganzen damals bekannten Welt ein Zeitalter zu Ende. Ägypten war aufgeblüht, hatte seinen Höhepunkt erreicht und war zusammengebrochen. Das gleiche kann man auch von anderen Völkern wie den Chaldäern, Persern, Phöniziern, Skythen, Griechen und viele andere sagen. Schließlich standen auch die Römer kurz davor, in den langen Untergang einzutreten, der — durch Zeiten des rapiden Verfalls, und mehr oder weniger langen Stagnation durch eine flüchtige Reaktion —, über Augustus zu seinem entfernten Nachfolger und elenden Gleichnamigen Romulus Augustus führte.
Alle diese Reiche erreichten einen angemessenen Höhenpunkt, um die Tiefe und Vielfalt der Talente und Fähigkeiten ihrer jeweiligen Völker zu bezeugen. Doch das Niveau, auf das sich alle mehr oder weniger erhoben hatten, entsprach nicht den Wünschen der wirklich edlen Seelen ihrer Völker. Es scheint, dass diese großartigen Zivilisationen nicht so sehr deutlich gemacht haben, was sie hatten, sondern was ihnen fehlte, und die unheilbare Unfähigkeit von Talent, Reichtum und Stärke der Menschen, eine Welt zu errichten, die ihrer Würde entsprach.
All dies führte in eine erstickende Atmosphäre in Asien, Afrika oder Europa, die die Sklaven in ihrem ohnehin schon jämmerlichen Leben noch mehr unterdrückte und die Freuden und Vergnügungen der Reichen heimlich untergrub. Unwägbare, aber allgegenwärtige Unterdrückung, unfassbar, aber offensichtlich, unbeschreiblich, und doch sehr eindeutig. Der Lauf der Geschichte war in einem Sumpf der Korruption versunken, angefüllt mit den Ruinen der Vergangenheit, in der nur noch die kranken Lebensformen erkennbar waren. So verzeichnete man auf politischer Ebene ein Ende des Kampfes zwischen zwei Formen der Demagogie: Anarchie und Straßenaufstände oder Militärisch und despotisch. Auf kultureller Ebene, verschlang religiöse Skepsis alte Götzenbilder. Auf der internationalen Bühne verkamen die verschiedenen Heimatländer im Schmelztiegel des Reiches, um diesen unorganischen kosmopolitischen Moloch zu bilden, in den sich Rom verwandelte. Im moralischen Bereich dominiert die Verderbnis der Sitten den Alltag. Im sozialen Bereich wurde das Gold in zum höchsten Wert angehoben. Für die gut Eingerichteten verliefen die Dinge dem Schein nach reibungslos. Aber in solchen Zeiten sind die Wohlhabenden normalerweise der moralische und intellektuelle Auswurf des Landes. Und so leiden die Besten unter den tausend Qualen unverdienter und unangemessener Situationen.
Und was für ein Bild bot das auserwählte Volk, als das Wort Gottes Fleisch geworden ist? Herodes hatte sich zwar die Königskrone aufgesetzt, war aber tatsächlich nichts als ein kläglicher, lüsterner, grausamer Verbrecher, ein nützliches Werkzeug in den Händen der Besatzungsmacht, die damit den Juden ein im Grunde wertloses Königtum vortäuschen wollte. Die Priester waren, was ihren Glauben, ihre Ehrlichkeit und Selbstlosigkeit anging, der Abschaum der Synagoge. Das Königshaus David wurde verachtet und lebte in größter Armut und Vergessenheit. Die Gerechten lebten am Rand dieser vom Bösen beherrschten Gesellschaft, die schließlich auch den Gerechten schlechthin ausstoßen und töten sollte. Was war da noch zu erwarten? Man war am Ende.


Das Licht strahlte in der Finsternis

Aber gerade in der Dunkelheit dieses Endes, zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, an dem man es am wenigsten erwartet hätte, leuchtete schließlich ein überaus reines Licht auf. Mit diesem Licht kündigte sich die Stunde der Menschwerdung an und damit verbunden war die Verheißung der seit langem ersehnten Erlösung und eines neuen Zeitalters, das mit einem die ganze Welt erfassenden pfingstlichen Feuersturm seinen Anfang nehmen sollte.
Es ist die Pracht dieses Lichtes, das im Dunkeln eine Morgenröte erweckt, die triumphierend zum Tag wurde; es ist das Lied der Überraschung und der Hoffnung dieser übernatürlichen Erneuerung, die Sehnsucht und der Vorgeschmack einer neuen, auf Glauben und Tugend basierenden Ordnung, die die Gläubigen aller Jahrhunderte sich erfreuen zu betrachten, wenn sie über das göttliche Kind nachdenken, das in der Krippe liegt und zärtlich zur jungfräulichen Mutter und zu ihrem keuschsten Gemahl lächelt.
Eine bezeichnende Ähnlichkeit
Auch heute lastet eine ungeheure Beklemmung auf uns. Da hilft auch kein Versuch, den Ernst der Stunde zu verschleiern. Von dem Unterschied einmal abgesehen, dass wir heute mit dem Beistand der heiligen Kirche rechnen können, befindet sich die Welt erneut in einer Lage, die auf erschreckende Weise an die Zeit des ersten Weihnachtsfestes erinnert.
Auch unter uns zeichnet sich der Kommunismus als ein Ende an. Es ist der Epilog der religiösen und moralischen Dekadenz, der im 16. Jahrhundert mit dem Protestantismus begann. In diesem Epilog schmilzt die bürgerliche Welt, die zunehmend von Synkretismus, Sozialismus und Sinnlichkeit berauscht ist, dahin. Und als ob dies nicht genug wäre, beschleunigt Russland diesen Zerfallsprozess und verbreitet seine Irrtümer in allen Ländern.
Wir haben die Kirche unter uns, das stimmt durchaus. Doch diese erhabene und übernatürliche Präsenz ist nur in dem Maße Rettung, in dem die Menschen ihren Einfluss akzeptieren. Wenn sie sie ablehnen, sind sie in gewisser Weise einer Bestrafung eher ausgesetzt als die Heiden selbst. Die Juden hatten den Gottmenschen unter sich. Sie lehnten ihn ab und wurden zu einer schrecklicheren Zerstörung bestraft, viel mehr als die Römer.
Nun aber, wie ist die Situation der Kirche in unserer Zeit? Wir möchten lächeln und doch eher weinen, wenn uns jemand einfach sagt, dass sie gut ist.
Natürlich kann diese Situation in gewisser Hinsicht als gut bezeichnet werden. Mehr oder weniger, wie man zum Palmsonntag sagen könnte, dass die Begeisterung der Juden für unseren Herrn riesig groß war.
Zu sagen aber, dass die Situation der Kirche heute im allgemeinen gut ist, unter Berücksichtigung der positiven und negativen Faktoren, ist dies ein Affront gegen die Wahrheit.
Für die Kirche ist die Situation gut, in der die Kultur, die Gesetze, die Institutionen, das häusliche und tägliche Leben des Einzelnen mit dem Gesetz Gottes übereinstimmen. Nichts ist auffälliger, dass das heute nicht der Fall ist. Warum also die Sonne mit einem Sieb abschirmen?
Dass die gut Situierten die Dauer dieser langsamen Agonie wünschen, ist verständlich. Wenn Mikroben denken könnten, würden sie es ja auch vorziehen, ihr Opfer langsam zu töten, denn die die Agonie des Opfers Garantiert ihr Wohlergehen; und sein Tod wird auch ihr Tod bedeuten. Menschen, die meist ohne eigenes Verdienst eine Stelle einnehmen, die sie nur der Gunst chaotischer Winde verdanken, haben natürlich allen Grund dazu, eine Rückkehr zur Ordnung zu fürchten, denn damit würden sie wieder in den Staub zurückfallen.
Doch auch ihnen kann das tiefe Unbehagen dieses Augenblicks nicht verborgen bleiben und auch sie erzittern wohl unter den immer häufiger aus einer aufgeladenen Atmosphäre niederfahrenden Blitzen.
Die Stimme Fatimas
Auf dem Gipfel dieses heiligen Berges, der die Kirche darstellt, erhebt sich das mütterliche, melancholische Bild Unserer Lieben Frau von Fatima, die Stirn mit dem königlichen Diadem gekrönt, durch den - von den Brasilianern geliebten - päpstlichen Legat, den die Frömmigkeit des unsterblichen Pius XII. eigens mit dieser Aufgabe betraut hat.
Und von dieser Warte aus gehen über die unterdrückte die Welt die Strahlen der Hoffnung aus, die die Königin des Universums ihr gebracht hat. Es sind Strahlen, die in unserer Mitte Hoffnungen aufkeimen lassen, die durchaus denen ähnlich sind, die die einst die Frohe Botschaft bei den Menschen des Altertums ausgelöst hat. Ähnlich ist zu wenig gesagt. Es sind nämlich Strahlen, die von der Kirche und somit von Jesus Christus ausgehen. Sie sind nichts als die Verlängerung und Verstärkung jener Strahlen, die einst die erste Weihnachtsnacht erhellt haben.
„Am Ende wir mein unbeflecktes Herz triumphieren“, hat die Jungfrau bei ihrer dritten Erscheinung in der Mulde von Iria angekündigt.
Oh Neuheidentum, tausendmal schlimmer als das alte Heidentum, deine Tage sind gezählt. Die Sowjetmacht wird stürzen, und auch im Westen wird der Einfluss der Revolution ebenfalls zusammenbrechen. Die Muttergottes hat es angekündigt. Und gegen sie sind alle Großen dieser Erde und alle Fürsten der Finsternis machtlos.
Was kann aber der Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens bedeuten, wenn nicht die vom hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort vorausgesehenen Herrschaft der allerseligsten Jungfrau Maria? Und was kann diese Herrschaft anderes andeuten, das Zeitalter der Tugend, wenn die mit Gott versöhnte Menschheit auf Erden im Schoße der Kirche nach dem Gesetz lebt und sich auf die Herrlichkeiten des Himmels vorbereitet?
Denken wir in diesem unruhigen Jahr 1957 an Heiligabend nicht an „Sputniks“ oder Wasserstoffbomben, sondern um unsere Überzeugung zu bestätigen, dass Jesus Christus den Teufel, die Welt und das Fleisch für immer besiegt hat, und dass er, wenn erst einmal die schrecklichen Prüfungen vorbei sein werden, für seine unbefleckte Mutter Tage der höchsten Verherrlichung bereit hält.

Freie Übersetzung von „Hodie in Terra Canunt Angeli, Laetantur Archangeli, Hodie Exsultant Justi“ aus Catolicismo Nr. 84, Dezember 1957.

Samstag, 12. Januar 2019

Ordnung - Harmonie - Friede - Vollkommenheit



Ordnung, Friede und Harmonie sind wesentliche Charakterzüge einer gut gebildeten Seele und einer jeden vernünftig organisierten menschlichen Gesellschaft. Diese Werte hängen aufs engste zusammen mit dem wahren Begriff der Vollkommenheit.
Jedes Wesen, sei es belebt oder unbelebt, hat ein eigenes Endziel und eine anpassungsfähige Natur zur Erreichung dieses Zieles. So nimmt jedes Glied einer Uhr zum Beispiel seine eigene Stellung ein und trägt durch seine Form und Anordnung zur Verwirklichung eines bestimmten Zweckes bei.
Ordnung ist die Disposition der Dinge gemäß ihrer Natur. So ist eine Uhr in Ordnung, wenn alle Teile ihrer Natur und ihrem Zweck entsprechend angebracht sind. In der Sternenwelt herrscht deshalb Ordnung, weil alle Himmelskörper sich mit der Natur und dem Zweck ihres Daseins in Übereinstimmung befinden.
Wenn die Beziehungen zwischen zwei Wesen der Natur und dem Endziel eines jeden von ihnen Rechnung tragen, sprechen wir von Harmonie. Die Harmonie ist das Zusammenwirken der Dinge in ihren wechselseitigen Beziehungen nach dem Bauplan der Ordnung.
Die Ordnung erzeugt Ruhe. Die Ruhe der Ordnung ist der Friede. Nicht jeder Zustand der Ruhe verdient Friede genannt zu werden, sondern nur derjenige, der aus der Ordnung hervorgeht. Der Friede eines ruhigen Gewissens entspringt einem guten Gewissen und hat nichts zu tun mit der Gleichgültigkeit eines abgestumpften Gewissens. Körperliches Wohlbefinden bringt ein Gefühl des Friedens mit sich, das weit entfernt ist von Scheineuphorie oder Mattigkeit nach dem Genuss von Rauschmitteln.
Wenn ein Wesen sich völlig nach Maßgabe seiner Natur disponiert und aufgelegt fühlt, befindet es sich im Zustande der Vollkommenheit. So wird ein junger Mensch, der ein großes Auffassungsvermögen und ein starkes Verlangen zum Studium besitzt, darauf drängen, eine Universität zu beziehen, wo ihm alle Mittel für eine wissenschaftliche Ausbildung zur Verfügung stehen; er befindet sich dann hinsichtlich seines Studiums in einer vollkommenen Lage.
Ist die Tätigkeit eines Wesens ganz seiner Natur angepasst und vollständig auf sein Endziel hin ausgerichtet, dann können wir sie mit Fug und Recht als vollkommen - perfekt - bezeichnen. So ist die Bahn der Gestirne vollkommen, weil sie ganz und gar der Natur und dem Zweck eines jeden Sternes entspricht.


Sind die Existenzbedingungen eines Wesens vollkommen, dann werden es mit großer Wahrscheinlichkeit auch seine Lebensäußerungen sein. Es wird all seine Ausdauer, Kraft und Geschicklichkeit einsetzen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Ein Mensch, der vollkommene Anlagen zum Gehen besitzt, wird in untadeliger Weise gehen, sofern er es nur will.
Für die Erkenntnis der wahren Vollkommenheit des Menschen und der menschlichen Gesellschaft müssen wir uns zuerst eine genaue Vorstellung von der Natur und dem Endziel des Menschen machen. Das Gelingen, die Fruchtbarkeit, der Glanz menschlicher Werke, seien es die einzelner Personen oder solche von Gruppen, Völkern und Nationen, hängen von der Kenntnis unserer Natur und ihres Endzweckes ab. Mit anderen Worten, der Besitz der religiösen Wahrheit ist wesentliche Voraussetzung der Ordnung, der Harmonie, des Friedens und der Vollkommenheit.

(aus "Der Kreuzzug des 20. Jahrhunderts" Catolicismo, Januar 1951)

Mittwoch, 9. Januar 2019

Das Reich Christi



Die heilige Kirche wurde durch unseren Herrn Jesus Christus gegründet, im die Wohltaten der Erlösung für ewige Zeiten den Menschen zuzuwenden. Wie die Erlösung selbst findet die Kirche ihre letzte Bestimmung darin, die Sünden der Menschen zu sühnen durch die unendlich kostbaren Verdienste des Gott-Menschen, um so Gott die äußere Ehre zurückzugeben, die die Sünde ihm geraubt hatte, und den Menschen die Pforten des Himmels zu eröffnen. Dieser Endzweck liegt ganz auf übernatürlichem Gebiet; er bezieht sich letztlich auf das ewige Leben. Die Kirche ist daher absolut erhaben über alles, was nur natürlich, irdisch und vergänglich ist. Das hat unser Herr Jesus Christus ausdrücklich bestätigt, als er zu Pilatus sagte: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» (Joh. 18, 36).
Das irdische Leben unterscheidet sich deshalb in tiefgehender Weise vom ewigen Leben. Aber diese beiden Bereiche sind nicht vollständig voneinander getrennt. Nach dem Plan der göttlichen Vorsehung besteht eine innige Beziehung zwischen dem irdischen und dem ewigen Leben. Das Erdenleben ist der Weg, das ewige Leben das Ziel. Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt verläuft der Weg, der uns zu jenem Ziel führt. So wie die Militärschule der Weg ist zum Waffendienst oder das Noviziat den endgültigen Eintritt in einen religiösen Orden vorbereitet, ebenso ist die Erde für uns die Vorstufe zum Himmel.
Jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes. Ausgestattet mit einer Reihe natürlicher Fähigkeiten zum Guten, bereichert durch die Taufe mit der Gabe des übernatürlichen Lebens der Gnade, liegt es ihm ob, diese Anlagen zum Guten in ihren vielfältigen Möglichkeiten zu entwickeln. Auf diese Weise wird die Gottähnlichkeit des Menschen, welche zunächst nur unvollständig und potentiell gegeben ist, vollendet und aktuell.
Die Ähnlichkeit ist die Quelle der Liebe. Je mehr wir Gott ähnlich werden, um so mehr sind wir imstande, ihn vollkommen zu lieben und die Fülle der Liebe auf uns herabzuziehen. So werden wir in zunehmendem Masse vorbereitet für die Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht in jenem ewigen Akt der Liebe, der die ewige Glückseligkeit ist, zu der wir berufen sind im Himmel.
Das irdische Leben ist demnach ein Noviziat, in dem wir unsere Seele bereiten für ihr wahrhaftes Ziel, das ist: Gott schauen von Angesicht zu Angesicht und ihn lieben in alle Ewigkeit.
Um dieselbe Wahrheit anders darzulegen, gehen wir davon aus, daß Gott unendlich rein, unendlich stark, unendlich gerecht, mit einem Wort: unendlich gut ist. Um ihn zu lieben, müssen wir die Reinheit, die Stärke, die Gerechtigkeit, alles in allem: das Gute lieben. Wenn wir die Tugend nicht lieben, wie können wir Gott lieben, der das «summum bonum», das höchste Gute ist? Andererseits, wenn Gott das höchste Gute ist, wie könnte er das Böse lieben? Wie könnte er, angesichts der Tatsache, daß die Ähnlichkeit die Quelle der Liebe ist, einen Menschen lieben, der ihm wesentlich unähnlich, nämlich bewusst und willentlich unrein, feige, ungerecht und böse ist?
Da Gott im Geist und in der Wahrheit angebetet werden will (Joh. 4, 24), müssen wir aus innerstem Herzen heraus rein, stark, gerecht und gut sein. Ist aber unsere Seele gut, so sind es notwendiger weise auch unsere Werke; denn der gute Baum kann nur gute Früchte hervorbringen (Mt. 7, 17-18). Wollen wir demnach den Himmel erobern, so müssen wir nicht nur im Innern das Gute lieben und das Böse verabscheuen, sondern auch in unseren Werken das Gute tun und das Böse meiden.
Der oben gebrauchte Vergleich des irdischen Lebens mit einem Weg zur ewigen Seligkeit trifft die Wirklichkeit nicht ganz. Denn das Erdenleben ist mehr als nur Weg. Was werden wir im Himmel tun? Wir werden Gott schauen von Angesicht zu Angesicht, im Licht der Glorie, das ist in der Vollkommenheit der Gnade; und wir werden ihn ganz und ohne Ende lieben. Dieses übernatürliche Leben genießt der Christ aber schon hier auf Erden auf Grund der Taufe. Der Glaube ist bereits das Samenkorn der seligen Anschauung. Und die Liebe zu Gott, die der Christ verwirklicht durch Wachsen im Guten und Vermeiden des Bösen ist schon die eigentliche übernatürliche Liebe, mit der er Gott anbeten wird im Himmel.
Das Reich Gottes tritt erst in der andern Welt völlig in Erscheinung; aber keimhaft existiert es bereits in dieser Welt. Auch der Novize nimmt schon am religiösen Leben teil, wenn auch in vorbereitender Weise, und der Zögling einer Kadettenschule übt hier sein späteres militärisches Leben ein.
Ein Bild, ja noch mehr eine wahre Vorausnahme des Himmels schon in dieser Welt ist die heilige Kirche. So kann alles, was die heiligen Evangelien uns über das Himmelreich mitteilen, auch auf sie bezogen werden, auf den Glauben, den sie uns lehrt und auf jede Tugend, zu der sie uns anleitet.
Hier wird der Sinn des Christkönigsfestes deutlich. Jesus ist vor allem der König des Himmels. In bestimmter Weise übt er seine Herrschaft aber auch schon auf Erden aus. Denn König ist, wer in einer Monarchie die höchste und vollkommenste Autorität rechtmäßig besitzt. Er gibt Gesetze, leitet und richtet. Seine Königswürde kommt am wirksamsten zur Geltung, wenn die Untertanen die Königlichen Rechte anerkennen und seine Gesetze befolgen. Nach christlicher Auffassung stehen Jesus Christus alle Rechte über uns zu. Er hat seine Gesetze verkündet, leitet die Welt und wird die Menschen einst am Jüngsten Tage richten. An uns liegt es, sein Reich wirksam werden zu lassen, indem wir seine Gesetze erfüllen sowie seine Herrschaft und Gerichtsbarkeit über uns anerkennen.
Christi Herrschaft ist zunächst individueller Natur; denn sie verwirklicht sich, wo immer eine treue Seele unserem Herrn Jesus Christus Gehorsam leistet. Sie wird aber eine soziale Wirklichkeit sein, wenn alle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft ihm diesen Gehorsam entgegenbringen und ihre Unterwerfung unter seine Gerichtsbarkeit gläubig anerkennen.
Infolgedessen kann das Reich Christi schon hier auf Erden erstehen im individuellen wie im sozialen Sinne. Voraussetzung dafür ist nur, daß die einzelnen Menschen aus dem Innersten ihrer Seele heraus wie auch in allen ihren Handlungen sich gleichförmig machen mit dem Gesetz Christi und daß die Gesellschaft mit ihren Institutionen, Gesetzen und Bräuchen wie auch in ihren kulturellen Veranstaltungen und Darbietungen sich nach dem Gesetz Christi richtet.
Wie konkret, glänzend und deutlich fassbar diese irdische Realität des Reiches Christi auch in Erscheinung treten kann, zum Beispiel im Frankreich König Ludwigs des Heiligen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, so darf man doch nicht vergessen, daß ein solches Reich immer nur Vorbereitung ist. In seiner ganzen Fülle wird das Reich Gottes sich erst im Himmel verwirklichen: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» (Joh. 18, 36).
(aus "Der Kreuzzug des 20. Jahrhunderts" Catolicismo, Januar 1951)