Mittwoch, 16. Januar 2019

Hodie in Terra Canunt Angeli, Laetantur Archangeli, Hodie Exsultant Justi

Erzengel Gabriel - Kirche Saint Pierre de Chauvigny


Heute singen auf Erden die Engel,

freuen sich die Erzengel;
heute jauchzen die Gerechten


In der Liturgie nimmt das Weihnachtsfest sicherlich einen beachtlichen Platz ein. Nicht jedoch ein Fest erster Größe. Zum Beispiel sind Ostern und Pfingsten Feste Duplex erster Klasse mit einer privilegierten Oktav erster Ordnung; während Weihnachten ein Duplex-Fest der ersten Klasse ist, mit einer privilegierten Oktav der 3. Ordnung. Die Frömmigkeit der Gläubigen machte jedoch aus diesem Fest eines der wichtigsten des Jahres. Und das aus mehreren Gründen.
Die Geburt des Heilands ist schon an sich eine Ehre von unendlichem Wert für das Menschengeschlecht. Das Wort Gottes hätte  sich durchaus hypostatisch mit einem der heiligsten und glänzendsten Engel der himmlischen Höhen vereinigen können. Und doch hat es das Wort vorgezogen, Mensch zu werden, Fleisch anzunehmen, in seiner Menschlichkeit der Nachkommenschaft Adams anzugehören. Völlig unverdient wurde uns diese Gnade zuteil, eine Adelung von unsagbarem Wert, ein historischer Ausgangspunkt weiterer, ebenso unergründlicher Gaben.
Die Menschwerdung des Wortes vorwegnehmend, hatte die Vorsehung bereits ein Wesen geschaffen, das in sich eine größere Vollkommenheit als die des ganzen Universums vereinigt, und in diesem Fall die unausweichlichen Folgen der Erbsünde aufgehoben. Aus den durch die Erlösung zu erwerbenden Verdiensten hatte sich die Tugend aller Gerechten des alten Gesetzes genährt. Doch die Schar der Auserwählten saß „an den Pforten des Todes“ (Ps 106, 18) und wartete darauf, dass für uns alle das Gotteslamm geopfert werde.
Doch nicht nur sie befanden sich in dieser wartenden Haltung. Die ganze Geschichte befand sich sozusagen in einem Zustand stummer Erwartung. Als Jesus Christus endlich geboren wurde, ging auf der ganzen damals bekannten Welt ein Zeitalter zu Ende. Ägypten war aufgeblüht, hatte seinen Höhepunkt erreicht und war zusammengebrochen. Das gleiche kann man auch von anderen Völkern wie den Chaldäern, Persern, Phöniziern, Skythen, Griechen und viele andere sagen. Schließlich standen auch die Römer kurz davor, in den langen Untergang einzutreten, der — durch Zeiten des rapiden Verfalls, und mehr oder weniger langen Stagnation durch eine flüchtige Reaktion —, über Augustus zu seinem entfernten Nachfolger und elenden Gleichnamigen Romulus Augustus führte.
Alle diese Reiche erreichten einen angemessenen Höhenpunkt, um die Tiefe und Vielfalt der Talente und Fähigkeiten ihrer jeweiligen Völker zu bezeugen. Doch das Niveau, auf das sich alle mehr oder weniger erhoben hatten, entsprach nicht den Wünschen der wirklich edlen Seelen ihrer Völker. Es scheint, dass diese großartigen Zivilisationen nicht so sehr deutlich gemacht haben, was sie hatten, sondern was ihnen fehlte, und die unheilbare Unfähigkeit von Talent, Reichtum und Stärke der Menschen, eine Welt zu errichten, die ihrer Würde entsprach.
All dies führte in eine erstickende Atmosphäre in Asien, Afrika oder Europa, die die Sklaven in ihrem ohnehin schon jämmerlichen Leben noch mehr unterdrückte und die Freuden und Vergnügungen der Reichen heimlich untergrub. Unwägbare, aber allgegenwärtige Unterdrückung, unfassbar, aber offensichtlich, unbeschreiblich, und doch sehr eindeutig. Der Lauf der Geschichte war in einem Sumpf der Korruption versunken, angefüllt mit den Ruinen der Vergangenheit, in der nur noch die kranken Lebensformen erkennbar waren. So verzeichnete man auf politischer Ebene ein Ende des Kampfes zwischen zwei Formen der Demagogie: Anarchie und Straßenaufstände oder Militärisch und despotisch. Auf kultureller Ebene, verschlang religiöse Skepsis alte Götzenbilder. Auf der internationalen Bühne verkamen die verschiedenen Heimatländer im Schmelztiegel des Reiches, um diesen unorganischen kosmopolitischen Moloch zu bilden, in den sich Rom verwandelte. Im moralischen Bereich dominiert die Verderbnis der Sitten den Alltag. Im sozialen Bereich wurde das Gold in zum höchsten Wert angehoben. Für die gut Eingerichteten verliefen die Dinge dem Schein nach reibungslos. Aber in solchen Zeiten sind die Wohlhabenden normalerweise der moralische und intellektuelle Auswurf des Landes. Und so leiden die Besten unter den tausend Qualen unverdienter und unangemessener Situationen.
Und was für ein Bild bot das auserwählte Volk, als das Wort Gottes Fleisch geworden ist? Herodes hatte sich zwar die Königskrone aufgesetzt, war aber tatsächlich nichts als ein kläglicher, lüsterner, grausamer Verbrecher, ein nützliches Werkzeug in den Händen der Besatzungsmacht, die damit den Juden ein im Grunde wertloses Königtum vortäuschen wollte. Die Priester waren, was ihren Glauben, ihre Ehrlichkeit und Selbstlosigkeit anging, der Abschaum der Synagoge. Das Königshaus David wurde verachtet und lebte in größter Armut und Vergessenheit. Die Gerechten lebten am Rand dieser vom Bösen beherrschten Gesellschaft, die schließlich auch den Gerechten schlechthin ausstoßen und töten sollte. Was war da noch zu erwarten? Man war am Ende.


Das Licht strahlte in der Finsternis

Aber gerade in der Dunkelheit dieses Endes, zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, an dem man es am wenigsten erwartet hätte, leuchtete schließlich ein überaus reines Licht auf. Mit diesem Licht kündigte sich die Stunde der Menschwerdung an und damit verbunden war die Verheißung der seit langem ersehnten Erlösung und eines neuen Zeitalters, das mit einem die ganze Welt erfassenden pfingstlichen Feuersturm seinen Anfang nehmen sollte.
Es ist die Pracht dieses Lichtes, das im Dunkeln eine Morgenröte erweckt, die triumphierend zum Tag wurde; es ist das Lied der Überraschung und der Hoffnung dieser übernatürlichen Erneuerung, die Sehnsucht und der Vorgeschmack einer neuen, auf Glauben und Tugend basierenden Ordnung, die die Gläubigen aller Jahrhunderte sich erfreuen zu betrachten, wenn sie über das göttliche Kind nachdenken, das in der Krippe liegt und zärtlich zur jungfräulichen Mutter und zu ihrem keuschsten Gemahl lächelt.
Eine bezeichnende Ähnlichkeit
Auch heute lastet eine ungeheure Beklemmung auf uns. Da hilft auch kein Versuch, den Ernst der Stunde zu verschleiern. Von dem Unterschied einmal abgesehen, dass wir heute mit dem Beistand der heiligen Kirche rechnen können, befindet sich die Welt erneut in einer Lage, die auf erschreckende Weise an die Zeit des ersten Weihnachtsfestes erinnert.
Auch unter uns zeichnet sich der Kommunismus als ein Ende an. Es ist der Epilog der religiösen und moralischen Dekadenz, der im 16. Jahrhundert mit dem Protestantismus begann. In diesem Epilog schmilzt die bürgerliche Welt, die zunehmend von Synkretismus, Sozialismus und Sinnlichkeit berauscht ist, dahin. Und als ob dies nicht genug wäre, beschleunigt Russland diesen Zerfallsprozess und verbreitet seine Irrtümer in allen Ländern.
Wir haben die Kirche unter uns, das stimmt durchaus. Doch diese erhabene und übernatürliche Präsenz ist nur in dem Maße Rettung, in dem die Menschen ihren Einfluss akzeptieren. Wenn sie sie ablehnen, sind sie in gewisser Weise einer Bestrafung eher ausgesetzt als die Heiden selbst. Die Juden hatten den Gottmenschen unter sich. Sie lehnten ihn ab und wurden zu einer schrecklicheren Zerstörung bestraft, viel mehr als die Römer.
Nun aber, wie ist die Situation der Kirche in unserer Zeit? Wir möchten lächeln und doch eher weinen, wenn uns jemand einfach sagt, dass sie gut ist.
Natürlich kann diese Situation in gewisser Hinsicht als gut bezeichnet werden. Mehr oder weniger, wie man zum Palmsonntag sagen könnte, dass die Begeisterung der Juden für unseren Herrn riesig groß war.
Zu sagen aber, dass die Situation der Kirche heute im allgemeinen gut ist, unter Berücksichtigung der positiven und negativen Faktoren, ist dies ein Affront gegen die Wahrheit.
Für die Kirche ist die Situation gut, in der die Kultur, die Gesetze, die Institutionen, das häusliche und tägliche Leben des Einzelnen mit dem Gesetz Gottes übereinstimmen. Nichts ist auffälliger, dass das heute nicht der Fall ist. Warum also die Sonne mit einem Sieb abschirmen?
Dass die gut Situierten die Dauer dieser langsamen Agonie wünschen, ist verständlich. Wenn Mikroben denken könnten, würden sie es ja auch vorziehen, ihr Opfer langsam zu töten, denn die die Agonie des Opfers Garantiert ihr Wohlergehen; und sein Tod wird auch ihr Tod bedeuten. Menschen, die meist ohne eigenes Verdienst eine Stelle einnehmen, die sie nur der Gunst chaotischer Winde verdanken, haben natürlich allen Grund dazu, eine Rückkehr zur Ordnung zu fürchten, denn damit würden sie wieder in den Staub zurückfallen.
Doch auch ihnen kann das tiefe Unbehagen dieses Augenblicks nicht verborgen bleiben und auch sie erzittern wohl unter den immer häufiger aus einer aufgeladenen Atmosphäre niederfahrenden Blitzen.
Die Stimme Fatimas
Auf dem Gipfel dieses heiligen Berges, der die Kirche darstellt, erhebt sich das mütterliche, melancholische Bild Unserer Lieben Frau von Fatima, die Stirn mit dem königlichen Diadem gekrönt, durch den - von den Brasilianern geliebten - päpstlichen Legat, den die Frömmigkeit des unsterblichen Pius XII. eigens mit dieser Aufgabe betraut hat.
Und von dieser Warte aus gehen über die unterdrückte die Welt die Strahlen der Hoffnung aus, die die Königin des Universums ihr gebracht hat. Es sind Strahlen, die in unserer Mitte Hoffnungen aufkeimen lassen, die durchaus denen ähnlich sind, die die einst die Frohe Botschaft bei den Menschen des Altertums ausgelöst hat. Ähnlich ist zu wenig gesagt. Es sind nämlich Strahlen, die von der Kirche und somit von Jesus Christus ausgehen. Sie sind nichts als die Verlängerung und Verstärkung jener Strahlen, die einst die erste Weihnachtsnacht erhellt haben.
„Am Ende wir mein unbeflecktes Herz triumphieren“, hat die Jungfrau bei ihrer dritten Erscheinung in der Mulde von Iria angekündigt.
Oh Neuheidentum, tausendmal schlimmer als das alte Heidentum, deine Tage sind gezählt. Die Sowjetmacht wird stürzen, und auch im Westen wird der Einfluss der Revolution ebenfalls zusammenbrechen. Die Muttergottes hat es angekündigt. Und gegen sie sind alle Großen dieser Erde und alle Fürsten der Finsternis machtlos.
Was kann aber der Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens bedeuten, wenn nicht die vom hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort vorausgesehenen Herrschaft der allerseligsten Jungfrau Maria? Und was kann diese Herrschaft anderes andeuten, das Zeitalter der Tugend, wenn die mit Gott versöhnte Menschheit auf Erden im Schoße der Kirche nach dem Gesetz lebt und sich auf die Herrlichkeiten des Himmels vorbereitet?
Denken wir in diesem unruhigen Jahr 1957 an Heiligabend nicht an „Sputniks“ oder Wasserstoffbomben, sondern um unsere Überzeugung zu bestätigen, dass Jesus Christus den Teufel, die Welt und das Fleisch für immer besiegt hat, und dass er, wenn erst einmal die schrecklichen Prüfungen vorbei sein werden, für seine unbefleckte Mutter Tage der höchsten Verherrlichung bereit hält.

Freie Übersetzung von „Hodie in Terra Canunt Angeli, Laetantur Archangeli, Hodie Exsultant Justi“ aus Catolicismo Nr. 84, Dezember 1957.

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