Maria ist nicht genug bekannt.
Wie wir am Ende der Einführung gelesen haben, sagt der hl. Ludwig: „Das Herz hat mir in die Feder diktiert, was ich soeben mit ganz besonderer Freude niederschrieb, um zu zeigen, dass Maria in ihrer hehren Würde bis jetzt fast unbekannt geblieben ist.“ In der Einführung gibt er schon die Demonstration, die er im Laufe des Buches entwickelt. Unter „unbekannt“ versteht man, dass sie viel weniger bekannt ist, als es ihre Erhabenheit und ihre wunderbaren Eigenschaften verlangen.
So werden in der Einführung schon viele Dinge gesagt, den dem Leser vielleicht überraschen.
1: „Durch die allerseligste Jungfrau Maria ist Jesus Christus in die Welt gekommen, durch Maria soll er auch in der Welt herrschen“.
Diese Wahrheit finden wir nicht bei allgemein bekannten modernen Autoren. Und vor allem nicht mit dieser Schärfe, mit dieser Klarheit, mit dieser Genauigkeit. Maria ist wohl von der Mehrheit der Gläubigen bekannt, sicher, aber auf einer allgemeinen, vagen und unbeständigen Art. Nur selten finden wir diese Wahrheit so lapidar klar und so sinnreich mit wenigen Wörtern ausgedrückt. Beim hl. Ludwig ist dies eine präzise und fundamentale Lehre, die er in seinem Werk noch weiter entwickelt.
2: „Während ihres irdischen Lebens hat sie stets in großer Verborgenheit gelebt. Deshalb wird sie vom Heiligen Geist und von der Kirche ,Alma Mater‘ genannt, verborgene, stille Mutter. Ihre Demut war so tief, dass sie auf Erden kein innigeres und beharrlicheres Verlangen hatte, als sich selbst und jedem anderen Geschöpfe verborgen zu bleiben, um Gott allein bekannt zu sein.“
Diese Wahrheit ist allgemein mehr bekannt.
3: „Um ihr Verlangen nach Verborgenheit, Armut und Erniedrigung zu stillen, hat es Gott gefallen, sie in ihrer Empfängnis, in ihrer Geburt, in ihrem Leben, in ihren Geheimnissen, in ihrer Auferstehung und Himmelfahrt fast vor jedem menschlichen Geschöpfe verborgen zu halten. Nicht einmal ihre Eltern kannten sie; selbst die Engel fragten oft einander: ,Quae est ista?‘ - Wer ist diese (Hohelied 3,6; 8,5) -, da der Allerhöchste ihnen die Bestimmung dieser Jungfrau verheimlichte, oder wenn er ihnen etwas von ihr offenbarte, ihnen doch noch unendlich mehr vorenthielt.“
Dies ist auch keine neue Wahrheit für viele. Wir wissen, dass auf ihre Bitte hin, die Evangelien sich kaum über sie äußern. Ihrerseits musste die Theologie eine bewundernswerte Arbeit vollbringen, um aus den Wahrheiten der Heiligen Schrift über Jahrhunderte hinaus die Mariologie zu begründen.
4: „Gott Vater gefiel es, dass Maria während ihres Lebens kein einziges Wunder wirkte, wenigstens kein offenkundiges, obwohl er ihr dazu die Macht verlieh. Gott Sohn billigte es, dass sie fast nichts redete, obwohl er ihr seine Weisheit mitteilte. Gott der Heilige Geist willigte ein, dass seine Apostel und Evangelisten nur sehr wenig von ihr sprachen, obwohl sie seine getreue Braut war, und dass sie nur soviel berichteten, als notwendig war, um Jesus Christus bekannt zu machen.“
Es ist bemerkenswert, dass der Heilige Geist, als er die Heiligen Bücher diktierte, über sie schwieg. So stark war das Gebet um Verborgenheit, dass sie an Gott richtete.
Bis hier ist die Lehre nicht neu, da sie die Demut Mariens beschreibt. Wenn er aber jetzt die Größe Mariens beschreibt, stellen wir fest, dass dies weniger bekannt ist. Das kommt von einer Art Komplex her, durch den man nur die Seite der Demut und der Armut hervorhebt und nur auf den Schatten und das Halbdunkel hinweist, in denen sie sich verbergen wollte, ohne auf die leuchtende Seite ihres Wesens hinzuweisen.
5: „Maria ist das herrliche Meisterwerk des Allerhöchsten.“
Wenn wir einen sternenklaren Nachthimmel betrachten, sind wir in der Lage nicht nur die Herrlichkeiten Gottes zu sehen, sondern auch die der allerseligsten Jungfrau, die ja unvergleichlich höher und schöner ist, als jeder einzelner Stern am Himmel und alle in ihrer Gesamtheit! Da sie ja das Meisterwerk der Schöpfung ist, ist jede Schönheit, jede Herrlichkeit, jede Erhabenheit, die Gott am Himmel schuf von sehr geringerem Wert im Verhältnis zu dem, was er ihr geschenkt hat. Der Himmel, den wir sehen, ist nur ein Abbild der Herrlichkeit Mariens. Wenn sie auch nur eine reine Kreatur ist, übersteigt in Vollkommenheit alles was in ihr ist, all die geschaffenen Schönheiten in einem unausdrücklichen Maß.
Wenn wir einen sehr intelligenten Menschen vor uns haben, können wir sicher sein, dass er, im Vergleich zu Maria, ignoranter ist, als der letzte Analphabet zum größten Weisen. Der hl. Thomas von Aquin ist, im Vergleich zu Maria, ein Ignorant. So vollkommen und vollständig ist ihre Erkenntnis.
Ihre Intelligenz ist nicht nur so vollkommen wie die menschliche Intelligenz, sondern sie besitzt die Erkenntnis aller Dinge, wie es nur der höchsten Kreatur eigen ist. Was auf der Welt als höchst intelligent gilt, ist im Vergleich zu Maria null, Späne, nichts. Sie besitzt die höchstmögliche Intelligenz, die ein so erhabenes Geschöpf nur besitzen kann, und dazu noch erweitert durch die Gnaden des Heiligen Geistes. Wenn wir zu ihr beten, sollten wir an ihre unvergleichliche Intelligenz denken.
So wie es Geheimnisse in der Natur gibt, die unserer Erkenntnis völlig unerreichbar sind – wir wissen z.B. nicht wie viele Sandkörner es an den Stränden der Welt gibt -, so haben wir auch kein Anhaltspunkt zu Vergleich, um den Reichtum der Intelligenz Mariens zu verstehen. Es steht ganz außer unserer Erfassungs- und Verständnismöglichkeit. Diese Wahrheit muss uns immer gegenwärtig sein.
Heldenhafter Wille – Betrachten wir die Vollkommenheit ihres Willens. Nehmen wir einige Fakten ihrer heroischen und übernatürlichen Willenskraft: 1) Der hl. Laurentius wurde auf ein glühendes Rost gelegt, hielt die Schmerzen heldenhaft aus und sagte nach einiger Zeit: „Ihr könnt mich nun umdrehen, denn auf dieser Seite bin ich schon durchgebraten“. 2) Ein Märtyrer von Tebas, der an einem Tisch gefesselt wurde und von einer Prostituierten auf alle denkbaren Arten versucht wurde, hatte nichts mehr zu tun um der Versuchung zu widerstehen, als sich die Zunge abzubeißen und sie vor der Megäre auszuspucken, um der Versuchung zu widerstehen. Dies sind Taten, die einen wahrhaft und bewundernswerten Heroismus zeigen. Doch sie sind nichts im Vergleich zum Heldentum Mariens. Sie übertrifft alle. Es ist nicht mehr als ein Sandkorn im Vergleich zur Erde.
Das Leiden, das sie erlebte, indem sie dem Leiden und Tod ihres Sohnes zustimmte, bis zum letzten Augenblick die Vollendung wünschte und alles mit ihm litt, kann mit nichts menschlichem verglichen und in keiner irdischen Sprache ausgedrückt werden. Neben ihres Mit-leidens, werden alle Leidensbeispiele unbedeutend.
Sie ist nicht eine große Heilige nur weil sie die Mutter Gottes war, obwohl dies ihr Heiligkeitstitel schlechthin ist und der Grund, dass sie voll der Gnade ist. Es muss aber festgehalten werden, dass sie der Gnade entsprochen hat und eine große Heilige wurde, weil sie auf vollkommener Weise diese Gnaden angenommen hat. Der hl. Anselm sagt: „Das, was alle Heiligen mit dir erreichen, vermagst du alleine und ohne alle jene. Wenn du schweigst, wird niemand für mich bitten, niemand mir helfen; doch spreche und alle werden für mich bitten, alle werden sich beeilen mir zu helfen.“ Das ist so, weil sie die Mutter Gottes ist, Mittlerin aller Gnaden und ihre Tugenden übertreffen unbegrenzt die aller Heiligen.
Von diesen Behauptungen kann man kein Buchstabe entfernen. Wir müssen zugeben, dass wir von dem keine würdige Vorstellung haben. Generell haften wir an rhetorische Floskeln: „Du, die schönste, die erhabenste...“ Sie sind wohl wahrhaftig, man sollte sich aber in sie vertiefen.
Harmonische Sensibilität – Wir sprachen von der Intelligenz und von dem Willen Mariens. Sprechen wir über ihre Gefühle.
Nichts ist im Menschen so in Unordnung geraten nach der Erbsünde, als das Empfindungsvermögen. Wir fühlen uns z.B. zu vielem hingezogen, was wir gar nicht wollen sollten. Dem zufolge müssen wir einen ständigen Kampf führen zwischen unsere Tendenz zum Guten und dem Hang zum Bösen.
In Maria, die ohne Erbsünde empfangen wurde, gab es diese Mißverhältnisse nicht. Ihr Empfindungsvermögen, das in allen Schwingungen und Bewegungen fein und kräftig war, und genau auf alle Wünsche eingestellt, die die Vernunft und der Wille äußerten. Sie war in ihrem ganzen Wesen reine Harmonie, ungestört von den Folgen der Erbsünde, die bei uns vorhanden sind. Sie war rein, unbefleckt, vom ersten Augenblick ihres Seins. Die Vollkommenheiten Mariens übersteigen die menschliche Erkenntnismöglichkeit.
Weiter 5: „Maria ist das herrliche Meisterwerk des Allerhöchsten, dessen Kenntnis und Besitz er sich allein vorbehielt.“
Welch wunderbarer Begriff! Maria ist so groß, dass der hl. Ludwig selbst, der ja nur ein kleiner Spielmann ist, unerschöpflich scheint, wenn er von ihr spricht. Er behauptet, Maria sei so groß, dass nur Gott ihre Vollkommenheiten in ihrem ganzen Maße erkennen kann. Wir können darüber nicht einmal eine blasse Ahnung haben. In ihr gibt es Schönheiten, Höhen, Wonne, Vollkommenheiten, Vortrefflichkeiten, die unser Verstand nie begreifen und unser Blick nie erreichen kann und wird, die nur von Gott betrachtet werden.
Stellen wir uns die riesigen wunderbaren Konstellationen am Himmel vor, die der Mensch vielleicht nie ganz erkennen wird, dessen Schönheit einzig und allein der Betrachtung Gottes zugänglich ist. So ist Maria. In ihr gibt es Dinge, die der Mensch nie zur Kenntnis nehmen wird, die ausschließlich Gott vorbehalten sind. Sie besitzt eine Art der Unerkennbarkeit: verzückt halten wir zu ihren Füßen inne und verstehen, nachdem wir meinen viel von ihr verstanden zu haben, wir doch nur verstanden haben, dass wir nur sehr wenig oder fast gar nichts von ihr verstehen. Wir werden uns immer an der Schwelle ihres Tores befinden, ein Tor, das für uns zu groß, zu erhaben ist.
Weiter 5: „Maria ist die wunderbare Mutter des Sohnes Gottes, dem es gefiel, sie während ihres Lebens zu verdemütigen und verborgen zu halten. Um sie in der Demut zu fördern, nannte er sie, wie eine fremde Person, ,Frau‘ und ,Weib‘, obwohl er sie in seinem Herzen höher schätzte und mehr liebte als alle Engel und Menschen.“
Der hl. Ludwig entwickelt auch hier den Gedanken, dass auch Jesus während seines Lebens, sie unbekannt halten wollte. Nur er kannte sie.
„Maria ist die versiegelte Quelle und die getreue Braut des Heiligen Geistes, zu der er allein zutritt hat.“ Auch hier wieder der Gedanke, dass Gott allein die Erkenntnis Mariens vorbehalten ist.
„Maria ist das Heiligtum und die Ruhestätte der allerheiligsten Dreifaltigkeit, wo Gott erhabener und göttlicher gegenwärtig ist, als an irgend einem anderen Ort des Universums, und herrlicher thront als über den Cherubim und Seraphim.“ Wir wissen, dass die Schutzengel die unteren Grade der himmlischen Hierarchie einnehmen. Als einer Heiligen einmal ihr Schutzengel erschien, kniete sie nieder, weil sie dachte, in der Gegenwart Gottes zu sein. Die Herrlichkeit der Engel ist dermaßen groß, dass bei vielen Erscheinungen im Alten Testament die Menschen glaubten es sei Gott selbst, der ihnen erschien. Und im Himmel gibt es Milliarden von Engeln. Wie würden wir vor Staunen erstarren, wenn wir sie alle zugleich sehen würden? Maria ist jedoch über alle erhaben. Vor ihrer unergründlichen Seele habe wir nur unvollkommene Vergleichsbeispiele, die im besten Sinn nur unzureichend sind.
„... Ohne ein ganz besonderes Vorecht ist es daher keinem Geschöpf erlaubt, so rein es auch sein mag, in dieses Heiligtum einzutreten.“ Es gibt also eine privilegierte Kategorie Menschen, denen es gegeben ist, Maria zu erkennen. Es sind diejenigen, denen Gott in seiner Freigebigkeit die Gabe schenkt, die im normalen Fall kein Mensch besitzt, die Andacht zu Maria zu erkennen und zu praktizieren, wie der hl. Ludwig sie lehrt. Und die „Apostel der letzten Zeiten“, von denen er spricht, werden diese Gabe haben. Deshalb werden sie furchterregend im Kampf gegen das Böse und erfolgreich in der Verteidigung des Guten sein. Es sind bevorzugte Seelen, die die Gnade haben werden, die Schwelle der wahren Andacht zu Maria zu überschreiten.
Andere Eigenschaften Mariens
6: „Mit den Heiligen sage ich: die Gottesmutter ist das Paradies des neuen Adam, ...“ Das irdische Paradies war erfüllt von Freuden, Schönheiten, Vollkommenheiten. Der hl. Ludwig sagt, dass Jesus im reinen Schoß Mariens so war, wie Adam im Paradies. Während der Schwangerschaft war Maria das Paradies des neuen Adams, Jesus Christus.
Wenn wir Jesus in der Kommunion empfangen, könnten wir uns fragen, was er von unsere Gastfreundlichkeit hält, da er es ja gewohnt ist im Paradies Mariens zu wohnen. Bieten wir ihm wenigsten den bescheidenen Luxus einer sauberen Hütte an, in der er einwilligt einzutreten?
„... in dem er durch Mitwirkung des Heiligen Geistes Fleisch annahm, um daselbst unbegreifliche Wunder zu wirken.“ Während seines Lebens in Maria vollbrachte Jesus schon wunderbare Dinge. Sie war der Tabernakel in dem er lebte. Ein wunderbarer Gedanke des hl. Ludwig, der ihn veranlaßte das Gebet „O Jesus vivens in Maria“ zu verfassen. (O Jesus, der du in Maria lebst)
„... Sie ist die große und herrliche Welt Gottes, die unaussprechliche Schönheiten und Schätze in sich birgt. Sie ist die Wonne des allerhöchsten, in der er seinen eingeborenen Sohn wie in seinem eigenen Schoße geborgen hat und mit ihm alles Herrliche und Kostbare. O, welch große und geheime Dinge hat der allmächtige Gott in diesem wunderbaren Geschöpf gewirkt, was sie selbst trotz ihrer tiefen Demut mit den Worten bestätigt: ,Großes hat an mir getan der Allmächtige!‘“ Den vollständigen Sinn des Magnificat werden wir nur begreifen, wenn wir betrachten wer sie wirklich ist. Nur wenn wir die Macht Gottes betrachten, können wir verstehen, was er alles in ihr vollbracht hat.
„... Die Welt kenn diese Geheimnisse nicht, weil sie dazu nicht fähig und dessen nicht würdig ist.“ Der hl. Ludwig bezog sich auf ein geheimnisvolles Geschlecht, dem Gott die einmalige Gunst schenkt, durch das Tor dieser Andacht einzutreten. Hier spricht er von dem bösen Geschlecht, das durch seine Bosheit, Unreinheit, Unwürdigkeit, dies alles verabscheut.
Die Verehrung Mariens: Eigenschaft der Heiligen
7: „Die Heiligen haben wunderbare Dinge von dieser heiligen Stadt Gottes ausgesagt und waren nach ihrem eigenen Geständnis nie beredter, nie glücklicher, als wenn sie sie zum Thema ihrer Ansprachen und Schriften machten.“
Dieser Satz eröffnet uns eine wichtige Wahrheit. Man darf nicht denken, dass die Andacht zur Muttergottes ein vom hl. Ludwig eingeführter Stil der Heiligkeit sei, oder von ihm zum höchsten Ausdruck geführt wurde. Die Andacht zu Maria ist eine Eigenschaft aller Heiligen. Wenn auch nicht alle sie so weit und so tief geführt haben wir der hl. Ludwig, so hatten sie doch eine große Andacht zu ihr, die unmittelbar unter der Andacht Jesu Christi ihren Platz fand.
In jedem Heiligen jedoch finden wir verschiedene Aspekte der Andacht zu Maria. Und es ist nur selten der Fall, in dem ein Heiliger nicht einen neuen Aspekt in der Verehrung Mariens eingeführt hat. Keiner jedoch wird behaupten, seinen Fortschritt im geistigen Leben und letztendlich seine Standhaftigkeit nicht ihr zu verdanken zu haben. Alle mussten harte seelische Prüfungen durchstehen, die sie nur durch ihre Fürsprache bestanden haben.
Der hl. Franz von Sales, z.B., hatte in seiner Jugendzeit eine tiefe Krise bezüglich seiner Vorherbestimmung. Er studierte das Thema und wurde sozusagen vom Abgrund des Problems verschlungen. Sehr stark setzte ihm der Teufel zu, indem er ihm einflößte, die Heilsvorherbestimmung gelte nicht für ihn. Er fiel in eine tiefe Depression, magerte ab, wurde krank, nichts konnte ihm den Seelenfrieden wiederbringen. Eines Tages, als er vor einer Muttergottesstatue betete, bat er ihr, wenn er auch in die Hölle käme, so möge sie ihm doch gewähren, dass er Gott während seines Lebens nicht beleidige, denn, was ihm an der Hölle unerträglich sei, sei nicht die ewige Pein, sondern der Gedanke Gott ewig zu beleidigen und zu hassen. In dieser Bedrängnis betete er das „Memorare, o piisima Virgo Maria“ (Gedenke, o gütigste Jungfrau) dessen Text unter der Statue angebracht war. Und er selbst erzählt, als er das Gebet zu Ende gebetet hatte, trat in seine Seele ein wundersamer Friede ein. Sofort durchschaute er das Spiel des Teufels, dem er zum Opfer gefallen war, und erlangte diese seelische Ausgeglichenheit, die sein geistiges Leben für immer prägen würde.
Im Leben aller Heiligen finden wir diese Konstante einer besonderen Verehrung und Andacht zur Muttergottes. Sie ist also eine sicheres Signal eines echten Andachtslebens. Jedem, der sie nicht übt, müssen wir die Heiligkeit in Frage stellen.
Es wäre falsch zu sagen, dass etwas, was für alle besonders wichtig ist, es für niemanden ist. Eine Mutter vieler Kinder ist für jedes besonders liebevoll und jedes Kind liebt die Mutter auf besonderer Weise. So muss auch jeder von uns die Muttergottes auf ganz eigener, besonderer und unverwechselbarer Art lieben. Sie wird ihrerseits uns eine Liebe entgegenbringen, die nicht allgemein ist, als wenn sie sagen würde: „die alle da, die liebe ich“. Nein. Sie liebt jeden einzelnen Menschen mit einer eigenen, besonderen Liebe, als wenn er der einzige Mensch auf der Erde wäre.
Maria ist die allmächtige Bittstellerin
„... Feierlich bekennen sie (die Heiligen), dass es unmöglich sei, die Größe ihrer Verdienste zu begreifen, die sich bis zum Throne Gottes erheben, die weite ihrer Liebe zu ermessen, die sich über alle Länder der Erde erstreckte, die Größe ihrer Macht zu erfassen, die sie Gott gegenüber besitze, und endlich die Tiefe ihrer Demut, aller ihrer Tugenden und Gnaden zu durchdringen, die einem unerforschlichen Abgrunde gleichen.“Da ihre Macht so groß ist, dass sie sie selbst gegenüber Gott ausübt, nennen sie die Theologen die „allmächtig Bittende“. Das scheint auf den ersten Blick widersprüchlich, denn wer bittet, hat und kann ja nichts. Sie ist aber in der Tat die allmächtig Bittende, weil ihre Bitte alles vermag gegenüber dem der Allmächtig ist. Auf diese Weise kann sie wirklich alles erreichen, um was sie bittet.
Alles was wir in dieser Einleitung gehört haben, darf nicht als hohler Frömmigkeitsgedanke angesehen werden. Es sind Aussagen die helfen, die Andacht zur Muttergottes verständlich zu machen, dass sie der Vernunft entspricht, wie alles, was auf dem Glauben begründet. Wir sollten sie als eine kräftige geistige Nahrung ansehen, die uns als Treibstoff dient und nicht nur als Weihrauch.
Diese Behauptungen dürfen nicht ist leere fallen. Wir müssen versuchen sie in unserem geistigen Leben anzuwenden, in unseren Schwierigkeiten, Problemen, Kämpfen. Wir müssen uns ständig vergegenwärtigen, dass Maria die allmächtig Bittende ist, und in ihr ein unbegrenztes Vertrauen haben. Doch nicht immer haben wir dies alles in unserem Geist fest verankert, wie es sein sollte.
Stellen wir uns vor, Gott würde unserer leiblichen Mutter erscheinen und ihr die Möglichkeit einräumen, uns alles erdenklich Gute zu tun. Wir würden uns freuen, weil wir nun alles erwünschenswerte sehr leicht erreichen würden. Doch Maria liebt uns unendlich mehr, als alle Mütter auf Erden zusammen ihren einzigen Sohn lieben würden. Wir können also uns viel glücklicher wähnen, im Wissen, dass sie vom Himmel auf uns herabschaut, als über die Tatsache eines aüßerst wirksamen Schutzes unseren leiblichen Mutter.