Ein militantes Verständnis des geistigen Lebens
Plinio am Tag seiner Ersten hl. Kommunion |
Frl. Mathilde Heldmann |
In der Schule
kam es dann zum ersten Zusammenstoß mit der äußeren Welt. Hier erwartete den
jungen Plinio sein erstes Schlachtfeld, denn hier stieß er auf die „zwei
Städte“ Augustins, vermengt wie Weizen und Unkraut, wie Getreidekorn und Stroh,
von denen im Evangelium (100) die Rede ist. Und er verstand, daß das Leben des
Menschen auf Erden ein harter Kampf ist, in dem nur der den Kranz empfängt,
„der nach Vorschrift gekämpft hat“ (101). „Vita militia est“. (102) Das Neue
Testament, vor allem aber die paulinischen Briefe bestehen immer wieder darauf,
das das geistliche Leben des Christen ein Kampf ist. „Der Christ ist zum
Kämpfen geboren“, behauptet Leo XIII. (103) „Das Wesen und die Grundlage allen
christlichen Lebens besteht darin, nicht die verdorbenen Sitten der Welt zu
unterstützen, sondern sie zu bekämpfen und ihnen mit Ausdauer zu widerstehen“.
(104)
Vom hl.
Ignatius lernte Plinio, daß „die Seele eines jeden Menschen ein Schlachtfeld
ist, auf dem Gut und Böse gegeneinander kämpfen“ (105). Als Folge der Erbsünde
besitzen wir alle unordentliche Neigungen, die uns zum Sündigen einladen; der
Teufel sucht, diese zu fördern, während die himmlische Gnade uns hilft, sie zu
besiegen und sie in Gelegenheit der Heiligung zu verwandeln. „Zwischen den
Kräften, die ihn zum Guten oder zum Bösen führen, steht als Zünglein an der Waage
die menschliche Willensfreiheit“ (106). Plinio gehörte sicherlich zu den
Paulistaner Jungens seiner Generation, die P. Burnichon 1910 bei einem Besuch
des St. Ludwig-Gymnasiums als „ernst, umsichtig, bedächtig“ beschrieb. „Ihr
Gesichtsausdruck erhellt sich selten, das Lächeln scheint ihnen wenig vertraut
zu sein; andererseits hat man mir versichert, daß sie fünf Stunden lang an der
gleichen Stelle stillzustehen vermögen, um gelehrten Reden zu lauschen, was
ihnen hin und wieder tatsächlich widerfährt. Unzweifelhaft beschert das Klima
dieser Rasse eine frühzeitige Reife, die sicher ihre Vor- und Nachteile hat,
daneben aber auch ein habituelles Phlegma, das keineswegs lebendige Eindrücke
und heftige Gemütsausbrüche ausschließt.“ (107)
Plinio (Kreis) und Schulkameraden |
„Es war ein
konterrevolutionäres Verständnis der Religion als einer verfolgten Macht, die
uns die ewigen Wahrheiten lehrt, unsere Seele rettet, in den Himmel führt und
unserem Leben einen Stil aufdrückt, der als einziger das Leben lebenswert
macht. Daher kam mir der Gedanke, daß ich, zum Mann geworden, den Kampf gegen
eine Lebensordnung aufnehmen müsste, die ich für revolutionär und böse ansah,
um an ihrer Stelle eine Ordnung zu errichten, wie sie der katholischen
Lebensordnung entsprach.“ (108)
Im Alter von 17
Jahren schloss Plinio 1925 seinen Gymnasialkurs ab. Später würde er in den
Ängsten und der inneren Vereinsamung jener Jahre einen Ausdruck der schweren
Krise sehen, die einen der wichtigsten Aspekte der Geschichte der Menschheit im
19. Jahrhundert und einen der Gründe ihrer tiefen Zerrissenheit ausmachen.
„Die
Einstellung des 19. Jahrhunderts gegenüber der Religion und der Moral war eine
zutiefst widersprüchliche. (...) Religion und Moral wurden nicht als etwas für
alle Menschen Notwendiges und Verpflichtendes angesehen. Im Gegenteil, für
jedes Geschlecht, jedes Alter, jeden gesellschaftlichen Stand gab es eine
religiöse Lage und ein sittliches Verhalten, die dem, was das 19. Jahrhundert
für das andere Geschlecht, für ein anderes Alter und andere
Gesellschaftsschichten vorschrieb, entgegengesetzt waren. Das 19. Jahrhundert
bewunderte den „Köhlerglauben“ in seiner Einfachheit und Reinheit, machte aber
gleichzeitig den Glauben eines Wissenschaftlers als unbewusstes Vorurteil
lächerlich. Kinder durften glauben. Bei Jugendlichen und Erwachsenen war der
Glaube jedoch verpönt. Höchstens wurde er noch dem Alter zugestanden. Von der
Frau verlangte man Reinheit. Vom Mann aber forderte man geradezu die
Unreinheit. Der Arbeiter hatte Disziplin zu halten. Den Denker aber feierte man
ob seines revolutionären Geistes.“ (109)
Bei der
Gelegenheit dieser Rede hat sich Plinio den Mitschülern seiner Generation
zuwenden und sie mit begeisternden Worten zu Kampf und Heroismus aufgerufen:
„Wir verstehen
das Leben nicht als Fest, sondern als Kampf. Unser Ziel ist das eines Helden
und nicht eines Sybariten. Über diese Wahrheit, die ich euch heute wiederhole,
haben wir tausendmal nachgedacht (...). Stellt Christus in die Mitte eures
Lebens. Lasst alle eure Ideale in ihm zusammentreffen. Angesichts des großen
Kampfes, der die nobelste Berufung eurer Generation darstellt, wiederholte der
hl. Martin von Tours den berühmten Satz: Domine, non recuso laborem.“ (110)
Plinio (M) auf der Fakultät |
Plinio Corrêa
de Oliveira hat diese geistige Haltung seit dem Jugendalter zutiefst geliebt
und gelebt. Obwohl er sich seit seiner frühesten Jugend der Aktion und dem
öffentlichen Apostolat widmete, vergaß er doch nie, mit Hilfe eifriger und
ständiger Übung der geistigen Fähigkeiten, sein inneres Leben zu entwickeln.
Das von Pius X.
aufgezeigte Ideal der Restauration der katholischen Zivilisation schien
angesichts des verworrenen Panoramas der zwanziger Jahre, die die Entstehung
und Verbreitung des Kommunismus und des Faschismus und die Durchsetzung eines
der traditionellen Lebensweise radikal entgegengesetzten amerikanischen way of
life erlebten, noch in weiter Ferne zu liegen. Im Herzen des jungen
brasilianischen Studenten bildete sich jedoch im Laufe dieser Jahre das
Bewusstsein einer Berufung heraus. (115) Diese war auf geheimnisvolle,
vorsehungshafte Weise mit der unerfüllten Aufgabe des großen Papstes verbunden,
der seit seiner ersten Enzyklika, E supremi Apostolatus vom 4. Oktober 1903,
die Devise „Instaurare omnia in Christo“ (Eph 1,10) als Programm seines
Pontifikats und Ziel für das beginnende 20. Jahrhundert gewählt hatte.
Alles
wiederherstellen in Christus meint „nicht nur das, was eigentlich zur
göttlichen Sendung der Kirche gehört, nämlich die Seelen zu Gott zu führen,
sondern auch das, was (...) auf natürliche Weise von dieser göttlichen Sendung
abzuleiten ist: die christliche Zivilisation mit jedem einzelnen und allen sie
bildenden Elementen“. (116)
Plinio Corrêa
de Oliveira würde eines Tages seine eigene Berufung mit folgenden Worten
beschreiben:
„Als ich noch
sehr jung war, betrachtete ich hingerissen die Ruinen der Christenheit. An sie
hängte ich mein Herz. Dem Künftigen kehrte ich den Rücken zu und machte aus
jener segensreichen Vergangenheit meine Zukunft ...“. (117)
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Fussnoten
(97) Das Gymnasium St. Ludwig war 1867 in Itú gegründet
worden und zog später in das imposante Gebäude Nr. 2324 an der Avenida Paulista
in São Paulo um. Der Rektor der Schule war zu dieser Zeit P. João Baptista du
Dréneuf (1872-1948) (vgl. A. GREVE SJ, Fundação do Colégio São Luiz. Seu Centenário,
1867-1967, in A.S.I.A. Nr. 26 (1967), S. 41-59). Zu den Lehrern des jungen
Plinio zählte P. Castro e Costa, der ihm dann auch im Kampf um die Katholische
Aktion zur Seite stehen sollte, und den er in den fünfziger Jahren in Rom
wiedersehen würde (vgl. J. CLÁ DIAS, Dona Lucília, a. a. O. Bd. I, S. 203).
(98) Mathilde Heldmann stammte aus Regensburg und hatte
bereits das Amt einer Gouvernante in mehreren aristokratischen Häusern Europas
ausgeübt. „Eine der größten Wohltaten, die wir unserer Mutter verdanken,
bestand darin, daß sie das ,Fräulein‘ eingestellt hat“, konnte man öfters aus
dem Munde Plinio Corrêa de Oliveiras vernehmen (J. CLÁ DIAS, Dona Lucília, Bd.
I, S. 203).
(99) Zum „militanten“ Verständnis der christlichen
Spiritualität vgl. Pierre BOURGUIGNON, Francis WENNER, Combat spirituel, in
DSp. Bd. II,1 (1937), Sp. 1135-1142; Umile BONZI DA GENOVA, Combattimento
spirituale, in DSp. Bd. X (1980), Sp. 1210-1233.
(100) Mt 13, 24-27.
(101) 2 Tim 2,5.
(102) Ijob 7,1.
(103) Leo XIII. in der Enzyklika Sapientiae Christianae
vom 10. Januar 1890, in La pace interna delle nazioni, Bd. III (1959), S. 192.
(104) Leo XIII. in der Enzyklika Exeunte iam anno vom 25.
Dezember 1888, in Le fonti della vita spirituale, Bd. II, S. 345, 358
(S.337-359).
(105) Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Lutar varonilmente e
lutar até o fim, in Catolicismo Nr. 67 (Juli 1956), S. 2.
(106) Ibid.
(107) Joseph BURNICHON, Le Brésil d’aujourd’hui, Perrin,
Paris 1910, S. 242.
(108) Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Memórias.
Unveröffentlicht.
(109) Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Discurso no encerramento
do ano de 1936 no Colégio Arquidiocesano de São Paulo, in Echos Nr. 29 (1937),
S. 88-92.
(110) Ibid.
(111) Über den Jesuiten Luigi TAPARELLI D’AZEGLIO
(1793-1862), Verfasser des berühmten theoretischen Traktats über das
Naturrecht, wieder aufgelegt in 2 Bänden bei La Civiltà Cattolica, Rom 1949
(1940-1943), in dem die Beziehungen von Recht, Moral und Politik im Lichte der
katholischen Lehre scharfsinnig analysiert werden, s. Robert JACQUIN,
Taparelli, Lethielleux, Paris 1943, und die Stimme von Pietro PIRRI S.J. in EC,
Bd. XI (1953), Sp. 1741-1745.
(112) Abt Jean-Baptiste CHAUTARD, L’âme de tout
apostolat, Office Français du Livre, Paris 1947. „Beim Lesen der wunderbaren
Seiten dieses Buches, dessen Inbrunst streckenweise an die ‚Nachfolge Christi‘
erinnert, nimmt man ohne weiteres die Schätze der Empfindsamkeit wahr, die
seine große Seele hütete“ (Plinio CORRÊA DE OLIVEIRA, Almas delicadas sem
fraqueza e fortes sem brutalidade, in Catolicismo Nr. 52 (April 1955). Der Abt
Jean Baptiste Chautard ist am 12. März 1858 in Briançon geboren. Er trat in den
Zisterzienser-Orden der strengen Observanz ein, wurde 1897 zum Abt des
Trappistenklosters Chambaraud (Grenoble) gewählt und 1899 zum Abt von Sept-Fons
(Moulins). Während seiner langen Regierungszeit musste er sich mit weltlichen
Problemen auseinandersetzen, die seinen Orden betrafen, den es gegen die
antireligiöse Politik seiner Zeit zu verteidigen galt. Als vollkommenes
Beispiel der in Die Seele eines jeden Apostolats beschriebenen Verbindung von
kontemplativem und aktivem Leben verstand er es, sich mit seiner Persönlichkeit
gegen den Minister Clémenceau durchzusetzen und ihn dazu zu bringen, seine
Haltung gegen die kontemplativen Orden zu mäßigen. Er starb am 29. September
1935 in Sept-Fons.
(113) Die „Häresie der Aktion“, verstanden als eine
aktivistische, naturalistische Weltsicht, die die entscheidende Rolle der Gnade
im menschlichen Leben verkennt, war ein Kennzeichen des „katholischen
Amerikanismus“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts; sie wurde von Leo XIII. in dem
apostolischen Schreiben Testem Benevolentiae vom 22. Januar 1899 (in Acta
Leonis XIII., Bd. XI, Rom 1900, S. 5-20) verurteilt. Vgl. Emanuele CHIETTINI,
Americanismo, in EC, Bd. I (1950), Sp. 1054-1056); G. PIERREFEU, Americanisme,
in DSp, Bd. I (1937), Sp. 475-488); H. DELASSUS, L’américanisme et la
conjuration anti-chrétienne, Desclée de Brouwer, Lille 1899; Thomas McAVOY, The
Americanist Hersey in Roman Catholicism 1895-1900, University of Notre Dame
Press, Notre Dame (Ind.) 1963; Robert CROSS, The emergence of Liberal
Catholicism in America, Harvard University Press, Harvard 1967; Ornella
CONFESSORE, L’americanismo cattolico in Italia, Studium, Rom 1984.
(114) J.-B. CHAUTARD, L’âme de tout apostolat, S. 14.
(115) „Illos quos Deus eligit, ita praeparat et disponit
ut id ad quod eliguntur, inveniantur ideonei“ (Hl. THOMAS VON AQUIN, Summa
Theologica, III, 27, 4c). Die Berufung ist die besondere Weise, nach der Gott
will, daß sich seine Erwählten entwickeln. Als Erwählte werden sie ausgesucht
und dementsprechend vorbereitet und gerüstet, um für das Ziel, das Gott ihnen
seit aller Ewigkeit bestimmt hat, geeignet zu sein.
(116) Hl. PIUS X., Enzyklika Il fermo proposito vom 11.
Juni 1905, in Bd. IV, Il laicato (1958), S. 216.
(117) Diese Worte Plinio Corrêa de Oliveiras sind in
seiner Handschrift als Epigraph in dem Buch Ein halbes Jahrhundert
antikommunistischen Heldenkampfes zu finden.
Roberto de Mattei: „Der Kreuzritter des 20. Jahrhunderts:
Plinio Corrêa de Oliveira. TFP-Büro Deutschland, Frankfurt, 2004, Kapitel I,
Abschnitt 9, SS 47-52.
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