Ein Fehler, der sehr oft die Wirksamkeit der
Betrachtungen, die wir uns vornehmen zu machen, mindert, besteht darin,
Ereignisse aus dem Leben Jesu zu betrachten, ohne jegliche Anwendung und
Beziehung zu dem, was in uns oder um uns geschieht. So verwundern wir uns über
den Wankelmut und die Undankbarkeit des jüdischen Volkes, als sie kurz nach dem
feierlichen Empfang, den sie Jesum bereiteten und als den Erlöser preisten, ihn
mit einem für viele nicht erklärbarem Hass gekreuzigt haben.
Doch diese Undankbarkeit und diesen Wankelmut gab es
nicht nur zur Zeit Jesu. Heute noch muss Unser Herr diesen Wechsel zwischen
Anbetung und Schmach häufig ertragen. Und nicht nur im nicht einsehbaren
Inneren des Gewissens der Menschen. In wie vielen Ländern wird Unser Herr
ununterbrochen in kurzen Zeitabschnitten verherrlicht und beleidigt?
Verschwenden wir nicht unsere Zeit, um ums nur über die
Falschheit derjenigen zu empören, die den Gottmenschen getötet haben. Für unser
eigenes Heil wäre es sehr nützlich, wenn wir über unsere eigene Falschheit
nachdenken würden. Mit dem Blick auf die Güte Gottes können wir so eine
Besserung unseres Lebens erreichen.
Jedermann weiß, dass die Sünde eine Beleidigung Gottes
ist. Wer eine Todsünde begeht, vertreibt Gott aus seinem Herzen, bricht mit
ihm, als sein Geschöpf, das ihm geschuldete kindliche Verhältnis und verstößt
die Gnade.
So gibt es eine deutliche Analogie zwischen dem Verhalten
des jüdischen Volkes und unserem Zustand, wenn wir in eine Todsünde fallen: Wir
kreuzigen Jesus.
Wie oft, nachdem wir Unserem Herrn brennende Erweise der
Anbetung und Verherrlichung durch Taten oder wenigstens durch
Lippenbekenntnisse einen Schein der Verehrung von uns geben, fallen wir in
Sünden und Ihn somit in unserem Herzen ans Kreuz schlagen.
Das gleiche geschieht in vielen Nationen der Gegenwart.
Es werden imposante katholische Veranstaltungen organisiert, in denen Unserem
Herr öffentlich gehuldigt wird. Zugleich betreiben die an der Macht sich
befindenden Staatsmänner mal stillschweigend, mal verdeckt oder sogar offen das
auslöschen christlicher Institutionen und den Zerfall der gegenwärtigen
Zivilisation in dem, was diese noch an christlichen Zügen vorweist. Während
also diese Katholiken ihre Liebe zur Kirche Christi bekennen, lassen sie zu,
dass durch ihre Lauheit, Gleichgültigkeit und Trägheit dieselbe Kirche
allmählich gefesselt, dass ihr Einfluss klüglich ausgehöhlt wird, das ihre
Tätigkeiten hinterhältig verhindert werden, sodass, wenn die Stunde des
gewalttätigen Angriffs geschlagen hat, jegliche Reaktion unmöglich gemacht
wurde. Völker wie diese, nachdem sie Unseren Herrn als König huldigten, oder
während sie es taten, bereiteten schon die Verfolgungen und Traurigkeiten vor,
die sich sehr wenig von der großen und göttlichen Tragödie der Karwoche
unterscheiden.
Doch, Gott sei Dank, ist es nicht nur die Falschheit und
der Wankelmut von einst die in unseren Tagen noch überleben. Man findet auch
rührende Handlungen, die unmittelbar an die so zärtliche Frömmigkeit gegenüber
Unseren Herrn und der so überlegenen Haltung vor den Peinigern der Veronika
erinnern.
Wenn es stimmt, dass unsere Epoche sich auszeichnet durch
große und unerwartete Austritte aus der katholischen Kirche, so stimmt es
genauso, dass ein künftiger Historiker in ihr eine Epoche großer Heiliger
ausmachen wird, die sich ausgezeichnet haben durch die Tugenden der Tapferkeit,
der Klugheit und der Gerechtigkeit, die in der heutigen Welt fast ganz in
Vergessenheit geraten sind.
Unser Herr wird zweifelsfrei in der Gegenwart aufs
Höchste beleidigt (siehe die Welle der Blasphemie die die ganze Welt umspült).
Seien wir doch einige der Seelen, die, wenn auch nicht
durch den Glanz unserer Tugenden, doch wenigstens durch die Aufrichtigkeit
unserer Demut — eine bewusste, vernünftige, feste Demut und nicht nur von einer
Demut mit klangvollem Wortgeschwafel und schief hängendem Haupt — in diesen
heiligen Tagen Sühne leisten am Throne Gottes, ob der Menge der Beleidigungen,
denen Unser Herr ausgesetzt ist.
(Freie Übersetzung aus „O Legionário“, Nr. 447, vom 6.4.1941)
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