Plinio Corrêa de Oliveira
Das Fest Mariä Heimsuchung ist
verbunden mit dem Magnifikat, das die Muttergottes bei dieser Gelegenheit
gesungen hat.
Das
Magnifikat scheint mir ein Meisterwerk von folgernden Überlegungen, die den Geist
Mariens sehr klar anschaulich machen, das heißt, es zeigt uns die logische
Struktur ihres Geistes. Es zeigt uns auf erstaunlicher Weise, wie sie im
äußersten Zustand der Freude und Verzückung die rationale Struktur eines
Gedankenganges beibehielt.
Es ist schön festzustellen, wie sie alle
Eigenschaften Gottes vor allem im Hinblick auf seine Macht und Größe besungen
hat. Dies ist einer falschen süßlichen Frömmigkeit ganz fremd, die sich fast
ausschließlich auf die Barmherzigkeit Gottes fixiert. Sicherlich müssen wir
auch die Barmherzigkeit Gottes rühmen auf Ewig, denn ohne seine Barmherzigkeit
wären wir nichts. Doch darf man nicht einer Einseitigkeit verfallen und damit
die göttliche Macht und Größe beiseite lassen oder gar vergessen. Beides, Barmherzigkeit
und Macht, muss man in gleicher Weise immer berücksichtigen.
Und das sieht
man im Magnifikat: Es spricht von Größe und Macht aber auch von der
Barmherzigkeit, als eine der Äußerungen der Größe Gottes.
Ich werde also das Magnifikat unter diesen zwei Aspekten kommentieren: 1. Es ist in seinem Gedankengang ein äußerst rationaler und strukturierter Text, der eine These beinhaltet, ganz im Gegensatz zu einer nur emotionalen Frömmigkeit. 2. Die Hervorhebung der Größe Gottes, jedoch mit einem glühenden Hinweis auf seine Barmherzigkeit.
Das
Magnifikat hat die Eigenschaften einer These.
Die ersten
zwei Verse sind die These:
„Meine Seele
preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“
Dann kommen
die Gründe.
Erster Grund:
„Denn auf die
Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig
alle Geschlechter!“
Sie preist
Gott, weil er ein großes Werk vollbracht hat: Aus einer einfachen, demütigen Magd
hat er eine Königin gemacht, die alle Geschlechter seligpreisen werden. Dies
ist eine Äußerung der Macht Gottes.
Ein anderer
Grund:
„Denn der
Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilige.“
Er hat an ihr
Großes getan, dies veranschaulicht seine
Größe. Deshalb preist sie den Herrn.
Ein weiterer
Grund:
„Er erbarmt
sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten.“
Sie preist ihn, weil seine Barmherzigkeit sich über die Geschlechter, die ihn fürchten, hinweg ausbreitet. Auch dies ist eine Äußerung der Größe und der Barmherzigkeit Gottes.
Man beachte,
dass Gott sich nur derer erbarmt, die ihn fürchten, die also um seine Größe
wissen und vor dieser Größe sich fürchten. Diese Furcht bedeutet nicht
Ängstlichkeit sondern es ist eine ehrerbietige Furcht, Ehrfurcht genannt. Es
ist die Furcht, die aus der Einsicht und Annerkennung der Größe, der Heiligkeit
und der Güte Gottes kommt.
Der nächste
Vers gibt einen weiteren Grund, die Größe des Herrn zu loben:
„Er
vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten; er zerstreut, die im Herzen voll
Hochmut sind“.
Gott ist groß
und mächtig, nicht im Verhältnis zu denen, die ihn fürchten, sondern zu denen,
die ihn nicht fürchten. Diesen gegenüber hat er die Macht seines Armes kund
getan und zerstreut die Bösen, in deren Herzen sich hochmütige Gedanken bilden.
Gott ist groß
in seiner Fähigkeit diejenigen zu treffen, die ihn nicht fürchten.
Hier
offenbart sich die Größe Gottes in seinem Zorn, nachdem die Größe seiner
Barmherzigkeit gelobt wurde.
Wir sehen
hier, wie dieser Lobgesang ausgeglichen ist, wie er die Größe Gottes in all
seinen Eigenschaften verkündet. Wie ist das doch verschieden von der
Einseitigkeit der süßlichen Frömmigkeit, die Gott nur unter der Sicht der
Barmherzigkeit und der Nachgiebigkeit betrachtet, ohne den Ausdruck seiner
Größe einzubeziehen.
Ein weiterer
Grund:
„Er stürzt
die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“.
Die Mächtigen
von ihrem Thron stoßen, bedeutet nicht, jemanden, der auf eine Thron sitzt und
Macht hat, herunterzustürzen und durch einen Niedrigen zu ersetzen. Dies wäre
ein Unsinn, denn dieser Niedrige würde ja sofort mächtig sein und müsste
ebenfalls dann gestürzt werden. Wenn der Vers sagen würde, er stürzt die
Mächtigen vom Thron und macht alle gleich, dann hätte es einen schlechten Sinn,
wäre aber doch sinnvoll.
Aber diese
Art von Riesenrad von der Erhöhung der Niedrigen und dem Sturz der Mächtigen,
um dann die mächtig gewordenen Niedrigen wiederum zu stürzen, macht keinen
Sinn. So darf das nicht verstanden werden.
Wer ist dann
der Mächtige und wer der Niedrige? Der Niedrige oder Demütige ist der, der sich
so verhält wie Maria in diesem Lobgesang: Er erkennt Gott alles zu, sieht Gott
als den Ursprung alles Guten, die Quelle aller Macht, ohne dem wir in der
übernatürlichen aber auch in der natürlichen Ordnung nichts vermögen. Er ist
die Mitte aller Dinge und der Herr, der über alles gebietet.
Niedrig waren zum Beispiel die Mächtigen,
von denen Maria abstammte und dadurch auch Jesus abstammte. David war ein
mächtiger König, der in seiner Machtausübung starb. Er war aber demütig
(niedrig), weil er ein Diener Gottes war und alles das einsah.
Die
Mächtigen, von denen im Lobgesang der Muttergottes die Rede ist, sind
diejenigen, die das nicht einsehen, die meinen ihre Macht ohne den Beistand
Gottes ausüben zu können.
Deshalb
stürzt Gott die Mächtigen und erhebt die Niedrigen. Dies ist ein Ausdruck der
Größe Gottes, der über jede menschliche Macht lacht und spottet. (vgl. Ps 2,4)
Er überträgt
Macht dem Demütigen und dieser wird mächtig; er nimmt die Macht des
Hochmütigen, der nur sich selbst vertraut, und er wird zu Nichts.
Es ist die Größe Gottes, neben der
menschliche Größen nichts sind.
Nächster
Vers:
„Die
Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“
Die
Hungernden, die Armen im Geiste, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten,
diese beschenkt er reichlich mit Gaben. Die, die nicht nach Gerechtigkeit
hungern und dürsten, die den irdischen Gütern behaftet sind, lässt er leer
ausgehen. Das heißt, die Reichen sind nichts für ihn. Gott macht aus Reiche
Arme und aus Arme Reiche wie es ihm beliebt.
Im nächsten
Vers vernehmen wir einen weiteren Ausdruck von Gottes Größe: Den Schutz, den er
dem auserwählten Volk verleiht.
„Er nimmt
sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern
verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“
Das heißt,
auch in dem, was Gott verspricht, ist er großzügig: Er erhält seinen Bund bis
ans Ende.
Wir stellten
also fest, wie dieser Lobgesang eine These beinhaltet, die bis zum Schluss
begründet wird und wie ausgeglichen die Größe und Barmherzigkeit Gottes
besungen werden. Die Größe Gottes in seiner Barmherzigkeit; die Größe Gottes in
seiner Gerechtigkeit; die Leere aller Menschen im Angesicht Gottes; die
Herrschaft Gottes über das ganze Universum. Es ist eine Triumphhymne an die
Größe Gottes.
Als Elisabeth
Maria begrüßte und sie als gesegnet unter allen Frauen und Mutter des Herrn
preiste, zeigte sie, dass sie sich als ein Nichts vor der unendlichen Größe
Gottes betrachtete. Sie gab dies auf hervorragende Weise in dem Lobgesang zum
Ausdruck, mit einer Ausgeglichenheit der Gefühle, in einem rationellen Aufbau
der Begründungen ihres Lobpreises, dass man ihn mit dem Argumentenaufbau der
Summa Theologica des Thomas von Aquin vergleichen kann.
Diesen
Lobgesang dichtete sie unter Eingebung des Heiligen Geistes, als sie von
Elisabeth gegrüßt wurde. Doch in ihren wenigen Äußerungen, die im Evangelium
registriert sind, ist die rationale, logische Eigenschaft ebenfalls sichtbar.
Als ihr, zum Beispiel, durch den Engel mitgeteilt wurde, dass sie die Mutter
des Erlösers sein würde, antwortete sie mit einem reinen rationalen Einwand:
„Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie hatte ja das
Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt. Als der Engel ihr erklärte, wie es geschehen
sollte, antwortet sie fast wie in einem Syllogismus: „Siehe, ich bin die Magd
des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“.
Ihre Antwort
ist ein Folgesatz: Sie erwähnt ein Prinzip und die entsprechende Folgerung.
Ebenso als
sie den Knaben Jesus im Tempel wiederfindet: Ihre voll Kummer und Angst
gestellte Frage, erfordert wiederum eine Erklärung: „Kind, wie konntest du uns
das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.“
Hier verstehen
wir, dass der katholische Geist rational sein muss, voller Vernunft,
Denkvermögen und Dichte in allem, was er tut und sagt.
Hier haben
wir ein Bild vom Geist Mariens, der viel erhabener ist, als die läppische
Gefühlsduselei und leere Begeisterung einer sentimentalen Frömmigkeit. Es ist
etwas, was aus der Vernunft entspringt und nicht aus dem Eifer der Gefühle oder
einer unüberlegten Spontaneität.
So verstehen
wir auf beschreibender Art, dass, was wir auf anderer Weise über die
Muttergottes wissen: Sie ist der Sitz der Weisheit. Wir verstehen nun auch, was
es heißt, den Geist Mariens zu besitzen und ihr Diener oder Sklave (wie es der
hl. Ludwig von Montfort bezeichnet) zu sein. Es bedeutet, sich bemühen diese
Weisheit, diese Ausgewogenheit, zu
besitzen, bei der die Vernunft vom Glauben beherrscht und geleitet wird und die
Gefühle im Dienste der Vernunft stehen. So dass die Gefühle schwingen, wenn es
die Vernunft zulässt und ihr Schwingen einstellen, wenn die Vernunft es so
befiehlt. Und wenn die Gefühle nicht mit der Vernunft zum Schwingen kommen, so
ist es die Vernunft die obsiegt und nicht die Gefühle. Dies sind geistige
Regeln für die Nachfolge Mariens aus ihrem geistigen Hauptwerk, dem Magnifikat.
An einem
anderen Punkt möchte ich noch erinnern: Als Maria Elisabeth begrüßte und das
Kind (Johannes) ihre Stimme hörte, hüpfte es in ihrem Leib vor Freude.
Welche Freude
empfinden wir, wenn wir die Stimme Mariens in unserem Herzen hören?
Bitten wir
der Muttergottes, dass sie neben den Prüfungen, die sie uns schickt, uns an
diesem Feste außer den Gnaden, die sie uns schenken möge, uns auch Worte
vernehmen lasse, die unser Herz mit Freude erfüllen und uns ermutigen alle
Kreuze zu tragen, die uns auferlegt werden, um aufrichtig für sie bis ans
Lebensende zu leiden.
Dieser Text ist übernommen aus einem informellen Vortrag
von Professor Plinio Corrêa de Oliveira, den er am 2. Juli 1963 hielt. Er
wurde übersetzt und angepasst für die Veröffentlichung ohne seine
Überarbeitung.
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