Samstag, 26. Mai 2018

Die Pflicht der Familieneltern


Dieser Artikel gib uns einen Einblick in die Gesellschaft der brasilianischen Großstadt São Paulo, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch sehr katholisch geprägt war. Man legte großen Wert auf die Feier der jährlichen Osterkommunion der verschiedenen Stände und Berufsgruppen gemeinschaftlich zu begehen, wie es das dritte Kirchengebot für jeden Katholiken verordnet.

Die Eltern haben die Pflicht, materiell und geistig für ihre Familie zu sorgen. Eine elementare und allgemein bekannte Behauptung… Doch wir Katholiken haben die Pflicht, ein Stück weiter zu gehen.
Weiß der Leser zum Beispiel, dass die Hausangestellten ein der Familie zugehöriger Bestandteil sind? Ja, die Diener, die Köchin oder die in Holzschuhen am Nachmittag den Garten bewässernde Portugiesin sind nicht nur Teil, sondern gehören wesentlich zu Ihrer Familie.
Diese Idee ist nicht neu. Im Gegenteil, sie stammt aus der ältesten Antike. Es sind die modernen Zeiten, die an Spontaneität verloren haben, eben auch diese spontane Intuition der einfachen und natürlichen Dinge. Deshalb ist es notwendig, ihnen alltägliche Wahrheiten, die der Natur der Dinge innewohnen, als verblüffende Neuheiten vorzulegen.
Schon Aristoteles sagte, als er von Familie sprach, dass sie eine Gesellschaft ist, die sich aus drei Gesellschaften zusammenstellt: der ehelichen, der elterlichen und der angestellten.
In der Tat ist der Begriff Angestellter modern. Das traditionelle Wort in der portugiesischen Sprache ist „aufgezogene“ (criado, criada), das heißt, jemand, der von einem anderen aufgezogen und erzogen wurde.
Die Familieneltern sind also nicht nur verantwortlich für ihre Kinder, sondern auch für die Dienerschaft; und was noch wichtiger ist, sie sind vor Gott verantwortlich für das Heil der Seelen der einen wie der anderen.
All diese Überlegungen kamen in uns hervor durch die Einladung, die Frau Ondina Pereira dos Santos mit großer Mühe an alle Hausfrauen unserer Stadt schickte. Diese Einladung lautet wie folgt:
„Die Töchter Mariens *) der Sankt Josef Schule bitten einmal wieder um Ihre großzügige Mitwirkung bei der Freistellung Ihrer Dienstmädchen und die Ihrer verwandten und bekannten Familien, damit diese teilnehmen können an ihre General-Osterkommunion, die am 27. April in der Abteikirche der Benediktiner stattfinden wird. Unserem Herrn wird es nicht an Großzügigkeit mangeln, angesichts der Opfer, die Sie leisten werden, dadurch, dass Sie Ihre Haushälterinnen für einige Stunden von der Arbeit freistellen.“
Benediktinerabtei St. Benedikt in São Paulo 1920
Diese Einladung verpflichtet aus Gewissensgründen alle Familienmütter. Denn, wenn sie sich um die sittliche und religiöse Bildung ihrer Dienerschaft kümmern, kümmern sie sich letztendlich um die ihrer eigenen Kinder. Denn es ist allzu bekannt, welchen schädlichen Einfluss unmoralische Diener auf die Erziehung von Kindern haben.

*) In Brasilien nannten sich die Mitglieder der Marianischen Frauenkongregationen offiziell „Töchter Mariens“ (Filhas de Maria).

Vom Verfasser nicht revidierte freie Übersetzung aus dem portugiesischen Original in „O Legionário“ Nr. 293, 24.4.1938.

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