Während der Eucharistischen Woche des Bistums Campos im
Jahr 1955 hielt Prof. Plinio Corrêa de Oliveira hierzu einen viel beachteten Vortrag, dessen Hauptgedanken
wir hier vorstellen möchten.
* * *
Die Eucharistie und das Apostolat in der modernen Welt
Es ist dies ein Thema, über das man eine ganze Reihe von
Überlegungen anstellen kann. Die vier Begriffe, aus denen es sich
zusammensetzt, sind zwar alle wichtig, doch unter dem Gesichtspunkt der
Genauigkeit und Klarheit sind sie gleichzeitig äußerst ungleich.
Was verstehen wir denn unter „Welt“ und was sollen wir
erst unter„moderner Welt“ verstehen?
Was ist die Welt?
Im Evangelium ist von der Welt die Rede. Unser Herr hat
sich geweigert, für die Welt zu beten. Und doch haben die Apostel den Auftrag
erhalten, alle Völker zu evangelisieren, und das heißt doch wohl, die ganze
Welt evangelisieren. Was bedeutet eigentlich das Wort„Welt“?
Umgangssprachlich bezeichnet das Wort Welt den Erdball,
auf dem wir leben. Sie bezeichnet einerseits die ganze Menschheit, aber auch
eine bestimmte Gesellschaft zeitlichen Lebens, die sich in diesem Sinne von der
Kirche unterscheidet. In einem anderen Sinne ist „Welt“ eine Art Reich der
Finsternis und des Teufels. Es entspricht dies nicht eigentlich der zeitlichen
Gesellschaft, sondern dem Bösen, dessen Fürst der Teufel ist, und deshalb sagen
wir auch, dass der Teufel der Fürst dieser Welt ist.
Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes „modern“
Modern. Was aber ist modern? In einem gewissen Wortsinn
bedeutet„moderne Welt“ die Welt von heute im Gegensatz zur Welt von gestern. Es
muss aber eingeräumt werden, dass die moderne Welt nicht allein aus modernen
Dingen besteht, denn die ganze menschliche Vergangenheit ist ja auch Teil der
modernen Welt. Gleichzeitig stoßen wir in der modernen Welt auf den Widerschein
einer superneuen, superatomaren Ära, die sich am fernen Horizont in Richtung
Zukunft abzeichnet. Und doch nehmen wir in der modernen Welt noch das
Wetterleuchten der Vergangenheit mit den Anfängen unserer Zivilisation wahr,
die in ihr immer noch glänzen, fortbestehen und weiterleben. Der gegenwärtige
Augenblick, der moderne Augenblick, dieser Augenblick, in dem ich zu Ihnen
spreche, setzt sich also aus sehr heterogenen Elementen zusammen, die von den
Erfahrungen und den bleibenden Errungenschaften fernster Vergangenheit bis hin
zu den Aussichten auf eine unsichere, ferne Zukunft reichen. So ist das
Lebensbild eines Menschen in einem bestimmten Moment nicht nur das Bild, das er
gerade vor Augen hat, sondern auch das Bild der Aussichten, Pläne und
Prognosen, die er in seiner Seele trägt.
Die moderne Welt erscheint uns also als eine Welt voller
widersprüchlicher, gegensätzlicher Aspekte. Da ist die Vergangenheit, aus der
wir kommen und der gegenüber versucht wird, wie wir gleich sehen werden, einen
Gegensatz zu dem Wort „modern“ zu bilden. Und doch ist uns so viel Glorreiches
aus dieser Vergangenheit geblieben! Vor allem aber besitzen wir etwas, das mehr
ist als Vergangenheit, mehr als Gegenwart, mehr als Zukunft, denn es ist
göttlich. Es ist dies die heilige römisch-katholische apostolische Kirche.
Modernität der Kirche
Fast zweitausend Jahre alt, ist die Kirche die jüngste,
blühendste, verheißungsvollste Institution der modernen Welt. Und in einer
Zivilisation, die unter so vielen Aspekten zu zerfallen und sich auf ihren
Untergang zuzubewegen scheint, gibt es nur ein Ding, das nicht vergeht, sondern
vielmehr unbegrenzte Jugend verspricht – das ist die katholische Kirche. In
diesem Sinn des Wortes „modern“, ist sie in allen Zeiten modern. Modern ist sie
aus der göttlichen Seite Unseres Herrn Jesus Christus hervorgegangen. Und
modern wird sie auch noch in den letzten Augenblicken der Menschheit sein, wenn
hoch am Himmel der Menschensohn in all seiner Majestät erscheinen wird.
Eine andere Bedeutung von „modern“
Wenn wir uns aber die Bedeutung von „modern“ etwas
genauer ansehen, werden wir feststellen, dass das Wort oft in einem anderen
Sinne gebraucht wird, nämlich als das, was im Gegensatz zum Hergebrachten
steht. Modern ist dann das, was gerade erst entstanden ist. In diesem Sinne
hören Dinge jeden Augenblick auf, modern zu sein, und andere, moderne Dinge
treten an ihre Stelle. Noch gestern, vorgestern, vor vierzehn Tagen hat man die
Kinderlähmung auf eine bestimmte, moderne Weise behandelt, doch heute schon ist
diese Behandlung überholt, weil man ein besseres, noch wirksameres Vorgehen
entdeckt hat. Damit gehören nun alle vorherigen Behandlungsmethoden der
Geschichte der Medizin an und bilden von dem Zeitpunkt an, als die neue Methode
eingeführt wurde, eine abgestorbene Vergangenheit.
In diesem Sinn ist unsere Epoche so verrückt auf
Neuheiten. Sie brüstet sich, modern zu sein und in der Umgebung einer Unmenge
von Neuheiten zu leben, die es früher nicht gab und die ihr das Kennzeichen der
Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit verleihen.
Eine dritte Bedeutung des Wortes „modern“
Das Wort „modern“ besitzt aber noch einen
differenzierteren, schwer zu durchschauenden Sinn, auf den es in unserer
Analyse schließlich ankommt.
Man würde nicht behaupten, dass ein Land, in dem die
Trennung von Kirche und Staat herrschte, mit der etwaigen Rückkehr zum System
der Einheit von Kirche und Staat moderner geworden sei. Viele würden jedoch
behaupten, dass ein Land, das von der Einheit zur Trennung von Kirche und Staat
übergeht, moderner geworden sei. Niemand würde behaupten, dass der Übergang vom
Scheidungsrecht zur Untrennbarkeit der Ehe einer Modernisierung gleichkomme.
Doch viele meinen, dass die endliche Einführung des Scheidungsrechts anstelle
der Untrennbarkeit eine Modernisierung sei. Man würde nicht sagen wollen, dass
die Erhaltung von Eliten, die Wahrung eines hierarchischen Aufbaus der
Gesellschaft, die Sorge um die Beibehaltung von Sitten und Gebräuchen, der
Bestand von Institutionen, die die in jeder strukturierten Gesellschaft
unentbehrliche hierarchische Ordnung festlegen, ein typisch modernes Anliegen
sei. Man würde vielmehr einwenden, dass derlei Dinge zur Vergangenheit gehören
und dass sich ein moderner Geist eher darum bemühe, gesellschaftliche und
politische Barrieren abzubauen und die vollkommene Gleichheit anzustreben, die
im Kommunismus ihre Verwirklichung finde, wo sogar wirtschaftliche Gleichheit
herrsche.
„Modernität“ – die Seele der heutigen Welt
Nachdem wir so die verschiedenen Bedeutungen des Wortes
„modern“beschrieben haben, können wir uns nun fragen, welche Rolle dieser
Modernität innerhalb der heutigen Welt zukommt.
Und wir könnten sagen, dass die Geisteshaltung, die sich
als modern bezeichnet, wenn sie auch nicht alles für sich eingenommen hat, so
doch die große Antriebskraft ist, die hinter fast allen Ereignissen steckt,
denn sie ist das Hauptmerkmal dieses Moments und die große Gefahr. Es wäre zwar
sicher übertrieben, behaupten zu wollen, dass es in der heutigen Welt nichts
als diese erbärmliche Modernität gebe, doch wäre es ebenso ein Zeichen von
Blindheit und Wahnsinn, bestreiten zu wollen, dass diese erbärmliche Modernität
das Kennzeichen und der Hauptzug dieser Epoche ist, in der wir leben.
Das Heil der modernen Welt
Gewiss stimmt es aber auch, dass es in der mehr und mehr
von dieser Geisteshaltung beherrschten Welt einen gewissen Jemand gibt, die
ewig und immer zugegen ist – es ist dies unser Herr Jesus Christus. Er ist in
allen Tabernakeln dieser Welt gegenwärtig, in den goldenen Tabernakeln der
Heiligtümer der Christenheit; in den ärmlichen Tabernakeln, den verborgenen
Tabernakeln der Länder hinter dem Eisernen- und dem Bambusvorhang. Doch dieser
Jemand, Unser Herr Jesus Christus, dessen Gegenwart nicht mit den Sinnen des
Körpers wahrzunehmen ist, ist der große Apostel der heutigen Zeit. Und Er
richtet sich stets an die Menschen, zwar in einer stummen, doch unendlich
wirksamen Sprache, nämlich in der Sprache des Herrn, unseres Gottes. Er spricht
zu ihnen fortwährend von der Notwendigkeit, ihr Leben auf Gott aufzubauen,
seine Autorität anzuerkennen und sich aus ganzem Herzen zu Gott dem Herrn zu
bekehren.
Früchte der heiligen Eucharistie
Und in dieser schrecklichen modernen Welt geschieht, was
immer geschieht, wenn Gott herausgefordert wird: Gott vermehrt seine
Wundertaten, und während die Frevelhaftigkeit ihrem Höhepunkt zusteuert, nehmen
wir wunderbare Früchte der heiligen Eucharistie wahr, Früchte der Gnade, die
dem Apostolat unvergleichliche Erfolge bescheren. Während sich die Menschen
massenweise dem Vergnügen und dem Laster zuwenden, während sich die Menge dem
Bösen gegenüber schweigend verhält und sich feige abwendet, nimmt überall die
Zahl jener Seelen zu, die in ihrem Streben nach Vollkommenheit, nach
uneingeschränkter Rechtgläubigkeit, nach völligem Gehorsam gegenüber der
heiligen Kirche alles verlassen, auf alles verzichten und sich bereit zeigen,
die Lehre der Kirche zu behaupten, aus Liebe zu dem in der heiligen Eucharistie
gegenwärtigen Herrn Jesus Christus alles zu erleiden und zu besiegen.
Beispiele: Heilige Maria Goretti
In diesem Moment steigt in meiner Erinnerung die
engelhafte Gestalt der heiligen Maria Goretti auf. In einer Zeit, in der sich
ein neues Heidentum, das den ganzen Verfall der modernen Zivilisation zur Schau
stellt, gibt dieses jungfräuliche Mädchen mit aller Entschiedenheit sein Leben
hin, weil es nicht das verlieren will, das es mehr liebt als alles, mehr sogar
als sein Leben: jene Jungfräulichkeit, die man als das wertvollste Geschenk des
Lebens zu schätzen lernt, wenn man ein wirklich eucharistisches Herz besitzt.
Die heilige Maria Goretti ist ein Höhepunkt. Ob dies wohl ein Einzelfall ist?
Das Marienkind aus Wien
Wie viele Heldentaten geschehen zur Zeit in den westlichen
wie östlichen Ländern. Da gibt wes den Fall eines Mitglieds der Marianischen
Kongregation in Wien, von dem ich erzählen hörte, dass er sich einer
schmerzhaften Operation unterziehen musste: Seine Zunge musste amputiert
werden. Kurz vor dem Eingriff macht er dem Arzt ein Zeichen, das andeutet, er
wolle noch ein letztes Wort sagen, bevor ihm das Organ entnommen werde. Der
Arzt stimmt zu und ein Moment der Stille und Ergriffenheit setzt ein im
OP-Saal. Alle denken, der junge Mann wolle noch eine letzte Bitte äußern oder
einige liebenswürdigen Worte an die Anwesenden richten, oder vielleicht eine
letzte Klage von sich geben. In diesem Augenblick des Schweigens und der
Besinnung, öffnet er seinen Mund und spricht mit großer Mühe ein wunderbares
Wort aus: „Es lebe die Jungfrau Maria!“ Danach ging er ein in das Schweigen,
das ihn alle Tage seines Leben nun begleiten würde. Seine Worte waren das Echo
seiner Frömmigkeit, die ihn dazu führte den letzten Moment seiner
Sprachfähigkeit zu nutzen, um die Muttergottes zu Preisen.
Der Jungfrau Maria, von so vielen vergessen, verleugnet
und unterschätzt, wird durch eine einzige Geste dieser Art eine unvorstellbare
Ehre erwiesen. Sie bringt auch in der modernen Welt Legionen solcher Seelen
hervor.
Die Märtyrer des Tabernakels
In diesem Augenblick erinnere ich mich noch an einen
anderen Fall, welcher sich hinter dem Eisernen Vorhang zugetragen hat und von
dem die Zeitung Osservatore Romano berichtete. Die Kommunisten hatten in ein
Dorf besetzt, in dem es eine katholische Kirche gab. Nun hatten die Buben des
Dorfes gehört, dass die Kommunisten zu einer bestimmten Stunde in die Kirche
eindringen wollten, um den Tabernakel aufzubrechen und die geweihten Hostien zu
schänden. Es wurde Nacht und draußen hatte es geschneit. Das Mondlicht lag hell
auf dem Schnee. Die Stunde des Überfalls auf die Kirche rückte immer näher.
Würde der Herr wieder einmal allein auf dem Ölberg ausharren müssen? Nein. Drei
Buben, die durch ein offenes Fenster in die Kirche gedrungen sind, wachen
bereits stundenlang. Als die Kommunisten dann die Tür aufbrechen und
vordringen, versucht einer der Buben umsonst, ihnen mit seinen kindlichen
Händen den Weg zum Tabernakel zu versperren. Sie schlagen ihn nieder. Ein
zweiter Junge versucht, die Kommunionbank zu verteidigen und wird ebenfalls
ermordet. Der dritte Junge steigt auf den Altar, um den Tabernakel mit seiner
eigenen Brust zu schützen. Doch die Barbaren töten diesen lebendigen
Tabernakel, bevor sie den vergoldeten Tabernakel aufbrechen. Sie nehmen die
geweihten Hostien heraus und schänden sie. Die Hölle jubelt, doch mehr noch
jauchzt der Himmel ob des in der Kirche vergossenen Blutes der drei kleinen
Märtyrer, das bestimmt nicht weniger Ruhm verdient als das der Märtyrer, die
einst in der Arena des Kolosseums ihr Blut vergossen haben.
Der Kampf in der modernen Welt
Damit habe ich Ihnen ein Bild vom Wirken der Eucharistie
in der modernen Welt vor Augen geführt. In dem Augenblick, in dem die
Frevelhaftigkeit auf ihren Höhepunkt gelangt, erreichen auch Gnade und
Barmherzigkeit ihren Höhepunkt. Der Stärke des Lasters und des Bösen setzt Gott
die unbezwingliche Stärke des Guten entgegen. Die katholische Kirche wird über
die moderne Welt triumphieren. Dieser Triumph wird gewiss aus dem gigantischen
Aufeinanderprallen der geringen Kräfte des Guten und der ungeheuren Kräfte des
Bösen hervorgehen. Doch vielleicht werden wir noch dieses Ereignis sehen, dass
die Kirche einen der größten Siege aller Zeiten davontragen wird, und es wird
dies der Sieg der heiligen Eucharistie sein, dieser Quelle der Gnaden, die
durch die Vermittlung und Fürsprache unserer Lieben Frau für die Welt
offensteht. Mit ihren an den eucharistischen Jesus gerichteten Bitten erwirkt
uns die Gottesmutter die Gnaden, derer wir bedürfen.
Muttergottes, die Mittlerin
Diese Rolle der heiligen Eucharistie in der Modernen Welt
veranlasst uns, unsere Gedanken zur Muttergottes zu erheben. Da von Triumph und
Gnaden nicht sprechen kann ohne Sie zu erwähnen, denn Sie ist ja die notwendige
Mittlerin zwischen Gott uns den Menschen, kann ich behaupten, dass eine der
kostbarsten Gnaden, die die heilige Eucharistie der Welt schenkt, ist die
Verehrung Mariens. Und diese in unserem Land des Heiligen Kreuzes so eigene und
in ihm verwurzelte Marienfrömmigkeit wird unser Land, Brasilien, erretten.
Die Eucharistie hat im Apostolat zweifelsohne eine
substantielle Bedeutung, denn in der Eucharistie begegnen wir dem Heiland
selbst. Und durch die Kommunion empfangen wir Ihn, Er selbst kommt in unsere
Herzen um uns zu heiligen und mit ihm eins zu werden.
Quelle: „Anais da Semana Eucarística de Campos“,
Rio de Janeiro, 17/24-04-1955, pp. 101 a 113
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