Plinio Correa de Oliveira
Die Verkündigung an die Hirten. Gemälde von Thomas Cole, 1834. |
„Ehre sei Gott in der Höhe
und auf Erden Friede
unter den
Menschen guten Willens“
(Lk 2, 14).
Jedem Katholiken, der sich in die Betrachtung des
heiligen Weihnachtsfestes vertieft, kommen über kurz oder lang die
harmonievollen, erleuchteten Worte in den Sinn — fast würden wir sagen ins Ohr — mit denen die Engel den Menschen die große Neuigkeit der Ankunft des Erlösers
singend verkündet haben. Und so wollen wir sie auch an der Krippe zu Füßen des Jesuskindes
und in innigster Vereinigung mit Maria zum Leitfaden unserer
Weihnachtsbetrachtung machen.
„Ehre“. Wie gut verstanden die Alten die Bedeutung dieses
Begriffs, wie viele glanzvolle, mitreißende sittliche Werte sahen sie in ihm!
Um sie zu erobern, hat so mancher König seine Herrschaft ausgebaut, hat so
manches Heer dem Tode ins Auge geschaut, hat so mancher Weise sich mühevollen
Studien hingegeben, hat so mancher Forscher sich in die furchtbarsten Einöden
gewagt, hat so mancher Dichter seine schönsten Werke geschrieben, hat so
mancher Musiker die klangvollsten Töne aus seinem tiefsten Innern hervorgeholt
und hat sich schließlich so mancher Geschäftsmann an die gewaltigste Arbeit
gemacht. Denn selbst im Reichtum sah man nicht nur den Aspekt des Überflusses,
des Komforts und der Sicherheit, sondern auch den der Macht, des Prestiges - in
einem Wort: der Ehre.
Welche Bestandteile gehörten aber zu dem Begriff der
Ehre? Einige waren Teil der Person selbst: hohes Streben, hervorragende Tugend,
Ausübung besonderer Taten. Andere hatten mit dem zu tun, was wir heute die
öffentliche Meinung nennen. Die Ehre wäre unter diesem Gesichtspunkt die
allseitige, laut zum Ausdruck gebrachte Anerkennung der außerordentlichen
Begabungen eines Menschen.
Was ist die Ehre wert? Inwieweit trägt der Wunsch nach
Ehre dazu bei, eine Seele zu bereichern?
Ohne Zweifel wurden die materiellen Güter zu unserem
Nutzen geschaffen, und der Mensch darf sie mit rechtem Maß und Ziel durchaus
anstreben. Was wird man aber sagen, wenn er sie zu den höchsten Werten seines
Daseins macht? Man wird ihn einen Krämer, einen Egoisten, einen Engherzigen
heißen. Kurz gesagt, er wird denen zugerechnet, die in der heiligen Schrift mit
dem Hinweis gebrandmarkt werden, ihr Gott sei der eigene Bauch (Phil 3, 19).
Ihr Geist kümmert sich nur um das Körperliche, die wahren Güter der Seele
verkennen sie und, wenn sie könnten, würden sie - wie Claudel einmal schrieb -
die Sterne vom Himmel holen, um sie in Kartoffeln zu verwandeln.
Das einzig echte, feste, greifbare Ziel der menschlichen
Gesellschaft würde in diesem Falle darin bestehen, ein sattes, angenehmes Leben zu
ermöglichen. Alle Fragen, die sich um Religion, Philosophie, Kunst usw. drehen,
wären lediglich von zweitrangiger, wenn nicht von überhaupt keiner Bedeutung.
Gerade hierin liegt für Millionen von Menschen die größte
Versuchung, leben sie doch in einer Welt, für die der Begriff „Ehre“ fast
völlig seinen Sinn verloren hat. Zwar gibt es das Wort noch in den
Wörterbüchern und kommt manchmal sogar noch in der Umgangssprache vor, man
könnte jedoch durchaus behaupten, dass es ein totes Wort ist. Und so wie dieses
Wort außer Gebrauch gekommen ist, verschwinden nach uns nach auch die
entsprechenden Bezugswörter wie Ruhm, Ansehen, Würde ...
In einer Welt, in der alles, was zu einem materiell
abgesicherten, reichen und satten Leben beiträgt, bis zum Aberwitz aufgewertet
ist, erteilt uns der Herr bei Gelegenheit des Weihnachtsfestes eine höchst
angebrachte, doppelte Lektion.
Betrachten wir einmal unter dem Gesichtspunkt eines
bequemen Lebens die Heilige Familie. Der heilige Josef, Nachkomme eines
königlichen Geschlechts, das längst Thron und Besitz eingebüßt hat, lebt in
Armut. Die allerseligste Jungfrau findet sich in vollkommener Ergebenheit mit
dieser Lage ab. Beide sind bemüht, in dieser Armut ein ordentliches,
bescheidenes Leben zu führen, denn all ihr Sinnen und Trachten ist nicht auf
wirtschaftlichen Aufstieg, Komfort und Vergnügen gerichtet, sondern allein Gott
dem Herrn zu gefallen. Ihrem Kind hat die Heilige Familie als erste Wohnstätte
nicht mehr zu bieten als eine Grotte, und ein Trog hat als Wiege zu dienen.
Dennoch ist dieses Kind das menschgewordene Wort, bei dessen Geburt die Nacht
zu leuchten beginnt, der Himmel sich öffnet und die Engel singen. Und aus weiter
Ferne eilen weise Könige herbei, um ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe zu Füßen zu
legen ...
Welche Armut, und doch welche Ehre! Wirkliche Ehre, denn
es geht nicht um das Angesehensein bei Menschen, die nur auf ihr Vorteil aus
sind und andere lediglich nach ihrem Reichtum beurteilen, sondern um eine Ehre,
die eine Art Abglanz der einzig wahren Ehre, nämlich der Ehre Gottes im
höchsten Himmel, ist.
Man pflegt zu sagen, dass uns die Armut der Heiligen
Familie in Bethlehem die Loslösung von den Gütern dieser Erde lehrt, und dies
ist tausendmal richtig. Das heilige Weihnachtsfest ist aber außerdem ein klarer
und deutlicher Hinweis auf die erhabene Lehre vom Wert sowohl der himmlischen
als auch der sittlichen Güter, die ja auf Erden eine Art Abbild der himmlischen
Güter sind.
Und die Güte? Verlangt sie nicht von einem, dass man „demokratisch“
denkt, sich mit den Unteren auf eine Stufe stellt, um ihre Liebe zu gewinnen?
Einer der verhängnisvollsten Irrtümer unserer Zeit liegt
in der Vorstellung, dass sich Liebe und Respekt gegenseitig ausschließen, und
dass ein König, ein Vater oder ein Lehrer umso mehr geliebt werden, je weniger
Respekt ihnen gezollt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Ein hohes Maß an
Respektabilität kann, wenn sie von wahrer Gottesliebe durchdrungen ist, nur die
Achtung und das Vertrauen der redlichen Menschen auf sich ziehen. Und wenn dies
nicht geschieht, so liegt es nicht daran, dass die Respektabilität zu groß ist,
sondern dass sie nicht auf Gottesliebe gegründet ist.
Die Lösung ist nicht in der Herabsetzung, sondern in der
Erhebung ins Übernatürliche zu suchen.
Die wahrhaft übernatürliche Würde beugt sich hernieder,
ohne sich herabzusetzen.
Die eigensüchtige, eingebildete Würde versteht es nicht,
entgegenkommend zu sein und dennoch die Würde zu wahren. Wenn sie sich stark
fühlt, erniedrigt sie die andern. Wenn sie sich schwach fühlt, erniedrigt sie
sich aus Furcht selbst.
Stellen wir uns nun eine weltliche Gesellschaft vor, die
von diesem hehren, majestätischen, starken Adel, dem Abglanz der Erhabenheit
Gottes, ganz und gar durchdrungen ist. Eine Gesellschaft, in der so viel Hoheit
unauflöslich mit einer unermesslichen Güte verbunden ist, dass mit wachsender
Kraft und Hoheit auch die Barmherzigkeit und Güte zunehmen. Welch eine
Sanftheit, welch eine Wonne - mit einem Wort, welch eine Ordnung! Jawohl, welch
eine Ordnung ... und welch ein Friede! Denn, was ist der Friede anderes als die
Ruhe in der Ordnung? (vgl. Hl. Augustinus, XIX De Civ. Dei, Kap. 13)
Das Bestehen auf Irrtum und Bosheit, das Einigsein mit
den Soldaten Satans, die scheinbare Verständigung zwischen Licht und Finsternis
bringen, eben weil sie dem Bösen die Staatsbürgerschaft zugestehen, nichts als
Unordnung und schaffen einen Zustand der Ruhe, der nur noch ein Zerrbild des
wahren Friedens ist.
Den wahren Frieden finden wir allein bei den Menschen
guten Willens, die aus ganzem Herzen die Ehre Gottes suchen.
Und deshalb verbindet die Weihnachtsbotschaft das Eine
mit dem Anderen:
„Ehre sei Gott in der Höhe
und auf Erden Friede
unter den Menschen guten Willens.“
und auf Erden Friede
unter den Menschen guten Willens.“
(Lk 2, 14)
Originaltitel: „Festa de glória e de paz“ in Catolicismo Nr. 108, Dezember 1959.
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