Sonntag, 21. Mai 2017

Fatima und die Notwendigkeit des Leidens



Zwei der drei Seherkinder von Fatima — Jacinta und Francisco — sind jung gestorben, weil es der Opferseelen bedurfte, um den Plan Unserer Lieben Frau fruchtbar werden zu lassen. Ihr Leben wurde zum Beweis dafür, dass nichts Großes ohne Leiden entsteht. Tatsächlich ist das Leid eine Hilfe für die Seelen, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt und nicht bereit sind, sich zu öffnen. Wir sollten das Leid als etwas Normales im Leben des Menschen ansehen und es mutig und tapfer auf uns nehmen. Wir müssen in das Opfer einwilligen, um auf diese Weise dem Mythos Hollywoods vom Happy End entgegenzutreten.

Jacinta und Francisco starben nach dem Plan Unserer Lieben Frau noch im Kindesalter, wie Sie es vorausgesagt hatte. Lucia, die dritte Seherin, lebte dagegen noch viele Jahre. Aus welchem Grund mussten Jacinta und Francisco so früh sterben? Der Grund dafür ist durchaus bekannt, denn sie haben offen darüber gesprochen.


Der Grund ist darin zu sehen, dass die Muttergottes in Fatima die Menschen aufgefordert hat, ihre Leiden aufzuopfern. Es war ein Aufruf, sich als Opferseele mit dem ganzen Geheimnis von Fatima zu verbinden und durch eigenes Leid und Schmerz die übernatürliche Fruchtbarkeit zu bewirken, die Unsere Liebe Frau den Ereignissen von Fatima geben wollte. Genau dies geschah auch mit den beiden Kindern, die unter außerordentlich schwierigen und mühseligen Umständen starben und deshalb viel leiden mussten.
Diese Leiden waren deshalb notwendig, weil alle großen Werke Gottes zur Rettung der Seelen die Teilnahme des Menschen verlangen. Im Allgemeinen geschieht dies mit Hilfe von Menschen, die bereit sind zu kämpfen, zu leiden und zu beten, damit Gottes Werk in Erfüllung gehe.
Das bedeutet, dass Opfer notwendig sind, da sonst nichts Großes verwirklicht werden kann.
Die ganze Bedeutung dieses Grundsatzes wurde in Fatima besonders deutlich hervorgehoben. Unsere Liebe Frau hat direkt in das Geschehen eingegriffen und große Wunder gewirkt, besonders das „Sonnenwunder“. Sie hat dies getan, um die Tatsache zu unterstreichen, dass die Botschaft von Fatima eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Botschaft ist, die es in der Geschichte je gegeben hat.
Bei dieser Gelegenheit und unter den gegebenen Umständen hat Unsere Liebe Frau das Opfer zweier Seelen verlangt, die bereit seien, sich selbst für die Erfüllung des Planes der göttlichen Vorsehung zu opfern. Damit wird deutlich, dass das Apostolat des Leidens wahrhaft unersetzlich ist und es der Kirche ermöglicht, auf die Seelen einzuwirken.
Ein deutscher Maler hat Unseren Herrn einmal als guten Hirten dargestellt, der an die Tür eines einfachen Hauses klopft. Eines Tages meinte jemand: „Sie haben aber da einen Fehler gemacht, denn die Tür hat außen keine Klinke und kann daher nur von innen geöffnet werden.“ Darauf gab der Maler zur Antwort: „Es stimmt, aber das ist kein Fehler. Diese Tür stellt nämlich das menschliche Herz dar. Jesus klopft an, aber der Riegel kann nur von innen geöffnet werden. Es gibt nun aber gewisse Seelen, die nur für sich selbst aufmachen und für sonst niemanden. In diesem Fall kann keiner etwas machen, denn sie sind wirklich verschlossen.“
Auf diese Art von Menschen können nur Gebet und Opfer einwirken. Sie öffnen sich der Gnade und finden zum Leben, wenn sie leiden und das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus mit Liebe tragen. So beginnen sie zu verstehen, dass es normal ist zu leiden. Der Mensch wird in dem Maße groß, in dem er leidet. Die großen Menschen der Geschichte sind die, die aus Liebe zu Gott großes Leid ertragen haben.
Dies meint selbstverständlich nicht nur passives Leiden, wie etwa wenn man einem andern erlaubt, uns zu schlagen. Es schließt auch aktives Leiden ein, indem man zum Beispiel die Initiative zu leiden selbst ergreift. Dies kann geschehen, indem man einer schlechten öffentlichen Meinung entgegentritt oder die Menschenfurcht bekämpft. Kurz gesagt geht es darum, das Leid uneingeschränkt anzunehmen, es furchtlos und tapfer zu ertragen und die Initiative zu ergreifen, sich für ein Ideal einzusetzen. Das bedeutet leiden schlechthin und wir sollten danach streben, dies zu tun.
Hollywoods Mythos vom Happy-End erweist sich als ein großes Hindernis, wenn es darum geht, Leid und Opfer hinzunehmen. Nicht alles geht gut aus wie im Kino.
Nicht alles ist Vergnügen und Erfolg. Wir sollten daher das Leid nicht als ein siebenköpfiges Ungeheuer betrachten, das ungerufen in das menschliche Leben eindringt. Wir sollten im Gegenteil erkennen, dass ein jeder leidet und dass ein Leben ohne Kreuz wertlos ist. Der hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort geht sogar so weit zu behaupten, dass ein Mensch, der nicht leidet, um ein Kreuz bitten sollte. Wenn Gott einem Menschen nämlich keine Leiden schickt, sollte dieser um sein ewiges Heil besorgt sein.
Dies alles kommt im Opfer der seligen Jacinta und Francisco klar und deutlich zum Ausdruck.
In diesem Sinne sollten wir uns oft an sie wenden, damit sie uns bei Unserer Lieben Frau das wahre Verständnis für das Leid erwirken mögen, das für all die Gläubigen unerlässlich ist, die gern großzügige, engagierte Katholiken werden möchten.


(Dieser Text ist übernommen aus einem informellen Vortrag von Professor Plinio Corrêa de Oliveira, gehalten am 19. Juni 1965. Er wurde frei übersetzt und angepasst für die Veröffentlichung ohne eine Überarbeitung des Autors.)

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