„PATER NON MEA VOLUNTAS, SED TUA FIAT“
Plinio Correa de Oliveira
„Nach diesen
Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, über den Bach Kidron hinüber, wo
ein Garten war, in dem Er und seine Jünger eintraten“ (Joh 18,1).
Jesus
verlässt Jerusalem. Es war kein gewöhnliches Aufbrechen, gefolgt von einer
baldigen Wiederkehr, sondern eine wahre und endgültige Trennung.
Der Messias
liebte die Heilige Stadt, ihre mit Ruhm bedeckten Mauern, den Tempel des lebendigen
Gottes, der sich aus ihnen erhob, das auserwählte Volk, das in ihr wohnte.
Deshalb predigte Er ihm die frohe Botschaft mit besonderer Liebe und Hingabe
und bekämpfte sein Laster mit besonderem brennendem Nachdruck. Doch es
verweigerte sich ihm. Er verließ also die verbannte Stadt.
Es war Nacht.
Jerusalem glänzte in all seinen Lichtern. Es gab Wärme und Überfluss in den
Häusern und lebhafter Betrieb in seinen Straßen. Eine große Sorglosigkeit lag
über der frohen und friedlichen Stadt. Jesus, mit all seiner Schönheit, seinem
Anmut, seiner Güte kümmerte sie wenig. Als Er die Stadt verließ, vernahm es niemand,
niemand wusste es, vielleicht hier und da ein Spaziergänger, der Ihn mit
Gleichgültigkeit begegnete. Um ihre Seelen zu führen, zogen sie Annas, Kaiphas
und dergleichen vor. Um ihre nationalen Interessen zu wahren, reichten ihnen
Herodes. Sie tolerierten Pilatus mit resignierter schlechter Laune. Unter der
Wachsamkeit dieser geistlichen und weltlichen Hirten konnten sie ja nach Lust
und Laune ungezwungen essen, trinken und sich vergnügen, und im nachhinein ihr
Gewissen mit einem Gebet und einem Opfer im Tempel trösten. So erledigte sich
alles in Schläfrigkeit und Anpassung.
Jesus,
meinten sie, ist gekommen um diesen Frieden zu stören. Er sprach von Tod,
Gericht, Himmel und Hölle ohne zu verstehen, dass für die Welt solche Predigten
nicht angebracht waren; und das die erste Pflicht eines Rabbi in Anpassung an
den Forderungen der Zeit bestand. Doch Jesus, als Kenner der heiligen
Schriften, sehr gewandt in seiner Denkfähigkeit, mit hervorragenden
Eigenschaften Menschenmengen zu beeindrucken und in vertraulich überzeugenden
Gesprächen Menschen an sich zu ziehen, schien bemüht eine unumgängliche
Unvereinbarkeit zwischen Religion einerseits und ein nach Herzenslust sorgenfreies
und hemmungsloses Leben andererseits aufzuweisen. So spaltete Er die zwei Teile
eines Bogens und bewirkte früher oder später den Zusammenbruch dieses Systems.
Doch das störte Ihn nicht, denn es war vernunftwidrig. Um die gefährlichen
Folgen Seiner Worte hervorzuheben, wirkte Er Wunder. Gestützt auf das Ansehen,
die diese Ihm einbrachten, verwirrte Er die Geister noch mehr, als Er ihnen
lehrte, dass der Weg, der zum Himmel führt, schmal ist und ihnen die
Notwendigkeit der Reinheit, der Redlichkeit, der Rechtschaffenheit einschärfte,
um diesen Weg einzugehen. Hatte Er, der Erbarmen predigte, denn kein Mitleid
mit den Seelenkämpfen, der Gewissensdramen, die Er damit hervorrief? Er, der
die Demut predigte, sah Er nicht ein, dass es notwendig war, sich mit dem
Beispiel der Vorsicht, die ihm die Hohenpriester gaben, abzufinden?
Es ist wahr,
dass es eine Zeitlang so aussah, als ob Er siegen würde. Doch der Hohe Rat handelte
zeitlich. Er öffnete freigebig seine Schatztruhen, schickte Abgesandte, die im Volk Vorbehalte gegen den Eindringling erwecken sollten. Sie waren sehr
geschickt und verstanden die richtigen psychologischen Saiten der Menschen
anzuschlagen. Damit waren die Aussichten des Rabbi beseitigt. Jerusalem würde
nicht ihm gehören. Sein Tod war beschlossen und das Volk würde ihm zustimmen. Dieser
Todesbeschluss wäre die letzte und unbedeutende Folge ihrer Machenschaften. Ein kleiner Fall für
die Polizei. So wäre denn der „Fall“ Jesus erledigt. Das Volk konnte sich
wieder den Belustigungen, dem Gold und der endlosen Tempelzeremonien hingeben.
Alles konnte wieder zur normalen Tagesordnung übergehen. Ja, eine große
Sorglosigkeit erfrischte die Luft in dieser üppigen und ruhigen Nacht.
Die Predigten
Jesu waren beendet und Er verließ die Stadt, weil dort nichts mehr zu tun war. Teilzuhaben
an dieser lauen und schläfrigen Ruhe, in der die Gewissen schliefen, die Er zu
wecken versucht hatte, war mit Seiner Vollkommenheit nicht vereinbar. Das
einzige, was Er noch tun konnte, war, die Stadt zu verlassen, um eine
vollständige Entfremdung, eine absolute Trennung, eine unumwundene Unvereinbarkeit
zu verstehen zu geben.
Und Er ging!
Es blieben zurück die Lichter der Stadt und Er trat in die Finsternis der
Nacht. Es blieb zurück die Menge der Menschen. Mit ihm nahm Er nur eine
Handvoll, die ihm folgten. Zurück blieb alles, was Macht, Reichtum und
weltlicher Ruhm war. Er zog sich zurück an einen abgelegenen, einsamen, armen
Ort, nur gefolgt von einigen Unbekannten, die keine gesellschaftliche, keine
nennenswerte kulturelle Bedeutung hatten, nichts. Es blieben zurück die Freuden
des Lebens. Er ging der Trostlosigkeit der Verlassenen entgegen, der schrecklichen
Qual derjenigen, die auf den Tod warten.
„… und Er
sagte zu seinen Jüngern: ,Setzt euch hier nieder, während ich bete!‘“ (Mk
14,32)
Die
Einsamkeit Jesu war viel größer, als es auf den ersten Blick erscheint. Die
Apostel folgten ihm, das ist wahr. Doch ihre Seele hing noch an allem, was sie
bei dieser furchtbaren Trennung zurückgelassen hatten. Große Angst überkam sie,
in der Vorausahnung was die nächsten Stunden ihnen bringen würden. Sie waren
schon nicht mehr in der Lage zu beten. Das war der Anfang der Fahnenflucht,
denn wer nicht betet gleitet den Abgrund hinunter. Beten konnten sie nicht.
Zurück nach Jerusalem wollten sie nicht. Also blieben sie „sitzen“. Und sie
haben zugelassen, dass der Meister ein Stück weiter ging und alleine blieb.
Wahrscheinlich fühlten die Apostel sich als Helden, als sie dort sitzen
blieben. Sie waren dermaßen mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, dass sie an das
Leid des Herren gar nicht dachten. Sie ließen sich von ihrem eigenen Schmerz erdrücken;
und da saßen sie, kurz darauf schliefen sie ein, und etwas später ergriffen sie
die Flucht.
Schreckliche
Lehre für die, die den langen Weg in Richtung Vollkommenheit beschritten haben!
„Er nahm
Petrus und die beiden Zebedäussöhne mit sich und begann zu zittern und zu
zagen“ (Mt 26,37).
Auswahl.
Einige waren weniger abgestumpft durch den Schmerz der Verlassenheit, der Niederlage,
der völligen Trennung von der Welt. Ihnen schmerzte das Leiden Jesu mehr als
den anderen. Sie wurden beiseite gerufen und durften den Beginn der kostbaren
Schmerzen des Erlösers mit ansehen.
Wie viele
erhalten den gleichen Ruf! Die Gnade ruft sie zu einer größeren Frömmigkeit, zu
einem tieferen Glauben, zu einem genaueren Verständnis der schrecklichen Lage
der Kirche in unseren Tagen. Um dieser Gnade zu entsprechen, muss man den Mut
haben, an der Traurigkeit Christi teilzunehmen. Dazu bedarf es eines
großmütigen, starken und ernsthaften Geistes.
Wie wird eine
solche Gnade abgelehnt? Indem man die Traurigkeit Jesu ablehnt: Man lebt nur
für Kleinigkeiten, vergöttert den Sport, macht aus Radio und Fernsehen das
Zentrum des Lebens, Witze werden zum einzigen Gesprächsthema, man will von den
schweren Aufgaben, die die Zeit auferlegt, nichts wissen, weil man sich in die
kleinen Angelegenheiten des täglichen Lebens versenkt.
Solche Seelen
haben nicht Teil an den vertraulichen, anbetungswürdigen Beziehungen zu den
Schmerzen des Herzen Jesu. Sie sind wie Kröten, die mit dem Bauch am Boden
herumkriechen und nicht wie Adler, die mit ihrem kräftigen Flug die Weiten des
Himmels durchkreuzen.
„Und Er sagte
zu ihnen: ,Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit
mir‘“! (Mt 26,38).
„Meine Seele
ist betrübt“, sagt Jesus, und nicht „ich bin betrübt“. Damit wollte Er
bedeuten, dass die Qual, in der Er sich befand rein seelischer, moralischer
Natur war. Das körperliche Leiden hatte noch nicht begonnen. In der
Leidensgeschichte Jesu wird das körperliche Leiden besonders hervorgehoben, und
das ist gut so. Doch die Andacht zum Heiligsten Herzen Jesu weist auf die seelische
Marter Jesu hin, und das ist besser. Denn die Schmerzen des Geistes greifen
tiefer, sind quälender aber doch viel edler als die Marter des Leibes, und sie
widersetzen eher den seelischen Fehlern, die Gott so sehr beleidigen.
Weil der
Wille des Ewigen Vaters verletzt, Jesus, unser Herr, abgelehnt, verneint,
gehasst wurde. Denken wir darüber nach, messen wir das Ausmaß und den Ernst
dieser Lage, so werden wir in uns die seelischen Schmerzen Unseres Herren mitleiden.
Christus und
seine Kirche bilden ein Ganzes. Jedes mal wenn wir ein unmoralisches Werbeplakat
sehen, ein falsches Urteil hören, eine Einrichtung oder ein Gesetz wahrnehmen,
das der katholischen Lehre widerspricht, müssen wir leiden. Wenn wir dafür kein
Eifer und keine Kraft haben, dann taugen wir nur zum „sitzenbleiben“ und um in
der Stunde der Gefahr zu fliehen.
„Betrübt bis
in den Tod“, das heißt bis an die Grenzen des menschlich Möglichen. Die Betrübnis
mit anzusehen wie das Gesetz verletzt, die Kirche verfolgt, die Ehre Gottes
verkannt wird, muss in uns eine äußerste Betrübnis sein und nicht eine kleine
emotionale und vorübergehende Traurigkeit, wie sie frivole und leicht erregbare
Seelen an den Tag bringen, ähnlich wie Irrlichter über Sümpfe und Friedhöfe
flackern.
Das ist eine
oberflächliche Traurigkeit, die keine ernsten Vorsätze, tiefen Eifer, echte
Entsagung von allem hervorbringt, um nur im Kampfe zu leben. Jemand, dessen „Seele
betrübt“ ist, tröstet sich nicht mit Zeitschriften, Kleidung, Restaurants,
Spazierfahrten, ehrlichen – oder unehrlichen – Bagatellen! Er kann nur in
großem Kummer leben, weil die Ehre Gottes beleidigt wurde und sie findet nur und
ausschließlich Trost im geistlichen Leben und im Apostolat.
„Bleibt
hier“, das heißt, kehrt nicht zurück und vermischt euch nicht unter die Verdorbenen
Kinder Jerusalems, auch nicht zu den Lauen, die ein paar Schritte abseits
schliefen.
„Wachet mit
mir“. Ja, nimmt Anteil an meiner Einsamkeit, an meiner Niederlage, an meinem
Schmerz. Macht daraus euren Ruhm, eure Freude, euren Reichtum.
„Er ging ein
wenig weiter, fiel auf sein Angesicht“ (Mt 26,39).
Warum „ging
Er ein wenig weiter“, wenn Er doch wollte, dass die drei Apostel bei Ihm bleiben
sollten? Bei Jesus bleiben, bedeutet, im Geiste in Seiner Nähe bleiben, Ihm
beistehen. Es bleibt bei Ihm derjenige, der aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele,
mit vollem Verstand in der Kirche ist. Es bleibt bei Unserem Herren der, der in
den Stunden seines Leidens nur an Ihn denkt und nicht an sich selbst. Es bleibt
bei Jesus der, der nur an Ihn denkt und nicht an die Welt, ihren Geist und
ihren Gelüsten.
Jesus ging
nur „ein wenig“ weiter, „etwa einen Steinwurf weit“, schreibt der hl. Lukas
(22,41). Warum „weitergehen“? Und warum nur „ein wenig“? Unser Herr wollte in
Sichtweite bleiben, Er wollte gesehen werden, um die Treue der drei erwählten
Apostel zu bewahren, Er wollte sie trösten und sich trösten, in dem Er sie in
der Nähe wusste. Doch es war angebracht, dass Er sich ein wenig entfernte, denn
es war eine äußerst schwere Stunde gekommen. Er würde mit Gott Vater sprechen
und Gott Vater mit Ihm. So wie in der jüdischen Liturgie der Priester nur Er
alleine in das Allerheiligste (Sancta sanctorum) eintrat, so wollte Jesus auch
alleine diesen ersten Schritt seines Leidensweges gehen.
Haben wir
solche heiligen Einsamkeiten der Seele, Gipfel, auf denen nur Gott und wir sind,
wo kein Freund, keine irdische Liebe zugegen ist, auf dem wir nur den Blick
unseres Seelenführers zulassen? Oder sind wir von der Sorte, dessen Seele keine
Zurückhaltung und kein Adel kennen, offen für alle Winde, alle Blicke, alle
Schritte, wie ein gewöhnlicher öffentlicher Platz?
Er „fiel auf sein
Angesicht“. Äußerste Demütigung, vollständige Entsagung.
Welch eine
Vorbereitung für das Gebet! Wenn wir mit Gott sprechen, werfen wir uns zuvor
nieder? Das heißt, gehen wir demütig, bereit zu gehorchen, bereitwillig allem
zu entsagen, unser Nichts einsehend? Oder gehen wir mit Vorbehalt, mit Andeutungen,
mit schmerzenden Punkten, an denen Gott von uns kein Opfer verlangen kann? Wenn
wir die Kirche hören, werfen wir uns nieder, indem wir auf all unsere Meinungen
und Willen verzichten, um nur zu gehorchen? Bei denen, die uns erbauen durch
die Hinführung zur Kirche und zum Papst, werfen wir uns da nieder und nehmen
ihren Einfluss an, oder erheben wir Barrieren und Einwände?
„… betete und
sprach: Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber;
doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“ (Mt 26,39)
Niedergeworfen
auf die Erde und zugleich beten! Mit dem Körper auf dem Boden, das Niedrigste,
was es gibt, und mit der Seele sich erhebend zum Höchsten des Himmels, zum
Throne Gottes! In dieser Haltung besteht die Unbesiegbarkeit des echten Katholiken. Auf dem Höhepunkt der Not, der Demütigung, der Verlassenheit, trägt
er noch in der Hand die Waffe, die alle Gegner besiegt. Wie wahr ist das, in
den Kämpfen des innerlichen Lebens! Wir sehen keine Mittel, um einen Ausweg zu
finden oder zu widerstehen, wir beten… und siegen letztendlich. Wie wahr ist
das im Apostolat! Erschreckt uns die Wucht der heidnischen, gottlosen Welle?
Denken wir sofort an Konzessionen, bei denen wir das Nebensächliche opfern,
weil es nebensächlich ist; an das zweitrangige Wesentliche, weil es zweitrangig
ist, und zuletzt an das Hauptsächlichste… „um ein größeres Übel zu verhindern“?
Wenn wir um die Macht des Gebets wüssten, wenn wir „mit dem Angesicht zu Boden
fallen“ würden, würden wir auch die Wirksamkeit unserer übernatürlichen Waffen,
den Sinn, den Wert und den Nutzen der christlichen Kompromisslosigkeit besser
verstehen. Der göttliche Erlöser litt hier für die Pessimisten, die
Entmutigten, die keine Ahnung haben von der siegessicheren Kraft der Kirche.
„So gehe
dieser Kelch an mir vorüber…“ Welcher Kelch? Es war das erbarmungslose, erdrückende,
ungerechte Leiden, das herannahte. Hier litt der göttliche Meister für die, die
durch Optimismus sündigen, für jene, die, angesichts der Perspektiven des
Kampfes, der Qual, des Schmerzes, die Vogelstrausspolitik anwenden und meinen,
alles werde schon gut ablaufen. Das Leid vorhersehen und sich mutig darauf
vorbereiten, ist allerhöchste Tugend. Und das gilt sowohl für unser
Privatleben, als auch für die Anliegen der Heiligen Kirche. In dieser Zeit, in
der sie dermaßen angegriffen wird, können wir nicht die Dummheit begehen zu sagen,
es wird schon alles gut gehen. Erkennen wir den Ernst der Stunde, blicken wir
mutig und christlich den Drohungen der Zukunft entgegen, mit entschlossenem und
vertrauensvollem Gemüt, bereit, durch Gebet, Kampf und vollständiger Annahme
des Opfers, zu reagieren.
Dies ist das
Beispiel, das der göttliche Meister uns gegeben hat: Sich von allem
zurückziehen, um von Angesicht zu Angesicht mit Gott das Meer der Schmerzen,
das auf Ihn zukam, in ihrem ganzen Umfang zu messen und vor diese Perspektive
Stellung zu nehmen.
Welche Haltung: „wenn es möglich ist, so gehe
dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“
Zwei
inständige Bitten sind hier enthalten. In der einen bittet der Gott-Mensch,
dass der Schmerz „wenn möglich“ an ihn vorüber gehe. In der anderen nimmt Er
ihn an, wenn es nicht möglich sein sollte ihn zu verhindern.
Welch heilige
Haltung. Nichts theatralisches; ohne Eitelkeit. Schmerzen verursachen im Menschen
von Natur aus Angst. Unser Herr, der nicht nur wahrer Gott sondern auch wahrer
Mensch war, hatte Angst vor den Schmerzen, die Er voraussah. Deshalb bat Er,
dass sie „wenn möglich“ entfernt werden sollten. Schmerzen verhindern zu wollen
ist legitim, weise und heilig. Aber sie um jeden Preis verhindern zu wollen,
nein: nur „wenn möglich“.
„Wenn
möglich“: Was bedeutet das? Wenn angesichts dieser Bitte eines Gerechten, der
zermalmt in der Voraussicht der Schmerzen daliegt, der göttliche Wille sich
gütig erweisen könnte, indem Er diesen Schmerz vorüber gehen ließe, dann sollte
es so sein. Wenn aber die Beseitigung dieses Schmerzes eine Änderung in den Plänen
der Vorsehung bedeuten würde, eine Verminderung der Ehre Gottes und des Wohles
der Kirche — die gegründet werden sollte —, und der Seelen zur Folge haben
würde, dann wäre es besser alles zu leiden.
„Wenn
möglich“ … Ein erhabener Bedingungssatz, den die Welt nicht kennt. Und deshalb
ist die ganze Welt in Krise, in Gefahr, in Agonie. Güter der Erde, Reichtum,
Ruhm, Gesundheit, Schönheit, dies alle ist gut in dem Maße, in dem wir den
Willen Gottes alledem überordnen. Wenn es aber notwendig ist, allem zu
entsagen, weil es auf Grund diesem oder jenem äußeren oder inneren Umstand
„nicht möglich ist“, diese Dinge zu besitzen, ohne Gott zu missfallen, dann
entsagen wir doch vollständig allem. Wenn alle Menschen so denken und fühlen würden,
wäre die Welt eine andere! Weil aber dieser Bedingungssatz fehlt, der jede
Ordnung und jedes Gut in sich trägt, liegt unsere Zivilisation im Sterben.
„Doch nicht
wie ich will, sondern wie du willst.“ Worte auf denen das ganze Leben der Kirche,
der Seelen und der Völker beruht. Es sind heilige, süße, harte und schreckliche
Worte, die der moderne Mensch nicht verstehen will. Sie sind eine perfekte
Definition des Gehorsams, dieses Gehorsams, den seit Luther die Welt mehr und
mehr hasst.
Ja, es
geschehe der Wille Gottes und nicht meiner: ich werde den Gebote folgen und
nicht meinen Launen! Ich werden denken wie der Papst, auch wenn mir eine andere
Lehre vorzüglicher erscheinen würde. Ich werde allen gehorsam sein, die über
mich eine legitime Obrigkeit ausüben, weil sie Gott vertreten: deshalb werde
ich ihren Willen walten lassen und nicht meinen!
Mein Jesus,
wie kann man, angesichts dessen noch sagen, dass Du ein Umstürzler warst und
dass Du gekommen bist, die Revolution in die Welt zu bringen?
Nach diesem Bittgebet, Schweigen. Die
Evangelien berichten uns nicht, welche Antwort Jesus erhalten hat, auch nicht
was Er darauf erwiderte. Warum auch? Und mit welchen Worten? Wahrscheinlich gab
es nur eine einzige Person auf Erden, die alles gesehen, alles gewusst und
alles angebetet hatte: Seine Mutter Maria war ohne Zweifel im Geiste
gegenwärtig und an allem beteiligt.
Das Thema ist
zu erhaben, als das wir dieses Schweigen deuten können, das selbst die Evangelisten
nicht brechen wollten. Bitten wir der Mittlerin aller Gnaden, sie möge uns
einführen in die stille geistige Sammlung und in die unaussprechlichen
Geheimnisse dieses Schweigens.
Jesus hat es
angenommen. „Da erschien Ihm ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn. Voll innerer
Erregung betete Er noch eindringlicher, und Sein Schweiß rann wie Blutstropfen
zur Erde nieder“ (Lk 23,43-44).
So fing nun
die Passion an. Jesus hatte den Schmerz und den Tod vorausgesehen und sie angenommen.
Die bloße Voraussicht des Unvermeidlichen versetzte Ihn vor einen bedrückenden Berg
der Qualen.
Doch „ein
Engel stärkte Ihn“. Ja, Sein demütiges Gebet wurde erhört. Gott gab Ihm Kraft
den unerträglichen Schmerz zu ertragen, die unannehmbare Ungerechtigkeit
ergeben anzunehmen.
Wenn wir das
verstehen würden! Die Gebote scheinen uns allzu schwer, es braust in uns der
Sturm der liederlichen Begierlichkeiten und der teuflischen Versuchungen. Wenn
wir verstehen würden, dass dies die Stunde Gottes ist, wenn wir „noch eindringlicher
beten“ würden, wenn wir den Besuch des Engels aufnehmen würden, der uns
Stärkung bringt! Ja, denn auch zu uns kommt der Engel immer, sodann wir beten.
Mal ist es eine innere Bewegung der Gnade, mal ein gutes Buch, das wir lesen,
mal ein Freund, der uns einen guten Rat gibt oder mit gutem Beispiel vorangeht.
Doch wir beten nicht. Die Folge ist: wir fallen.
In Christi Leiden
kam der Engel auf Grund Seines Gebets. Nachdem Er Ihn gestärkt hatte, betete
Jesus weiter: Ja, noch eindringlicher beten, ist das große Geheimnis des
Sieges. Wer betet, wird gerettet werden, wer nicht betet, geht verloren, sagte
der hl. Alphons von Liguori. Und wie hatte Er recht! Jesus hat Blut geschwitzt.
Das erlösende Blut quoll hervor, durch die Last der seelischen Schmerzen. Man
kann sagen, dass es Blut des Herzens war. Welch wunderbares Thema für die
Verehrer des Heiligen Herzens.
Blut
schwitzen ist der äußerste Schmerz. Es ist der Gipfel der Last des
Seelenleidens auf den Leib. Man könnte sagen, dass Jesus hier schon alles an
Leiden ertrug, was Er nur konnte. Indessen war noch nicht einmal der erste
Schritt des Leidenweges getan.
Wie kann man
diese fast unmögliche Widerstandfähigkeit erklären? Sein Martyrium begann, wo
es bei anderen schon den Höhepunkt erreicht hatte.
Weil „ein
Engel vom Himmel Ihn stärkte“, und „Er noch eindringlicher betete“ …
O, der Wert
des Übernatürlichen! Und wir wagen zu behaupten, dass wir im geistlichen Leben
oder in den Kämpfen des Apostolats versagen aus Mangel an Kräften!
Dreimal sagte
der Herr sein „Fiat“ (vgl. Mt 26,39-44). Und nach jedem Mal kam Er zu seinen
Jüngern zurück.
Beim ersten
Mal „fand Er sie schlafend“ (Mt 26,40). Und Er riet ihnen: „Wachet und betet,
damit ihr nicht in Versuchung fallt! Der Geist ist zwar willig, das Fleisch
aber ist schwach“ (Mt 26,41).
Doch sie
machten sich nichts draus. Warum? Weil sie müde waren. Von einer Müdigkeit befallen,
die aus zwei Übermäßigkeiten bestand: Verzweiflung einerseits und andererseits
Eingebildetheit. — Die Verzweiflung: Angesichts der menschlichen Niederlage
Jesu waren ihre Träume weltlicher Größe zerstört. Was blieb ihnen? Diese
Dunkelheit, diese Einsamkeit, dieser harte schlichte Boden, auf dem sie saßen.
Die Karriere war vernichtet, o Schmerz aller Schmerzen! Unter der Last dieses Schmerzes,
das einzige, was zu tun war, war schlafen. — Die Eingebildetheit: Indessen
hielten sie sich für starke Typen. Sie hatten ja so viel gekämpft und es wäre
sicherlich beleidigend, an ihren Mut zu zweifeln. Überzeugt von ihrer Widerstandskraft,
sorglos über ihre Beharrlichkeit, verbrachten sie die Zeit, schlafend…
Eine
Müdigkeit vor allem auch aus Ungehörigkeit. Der Herr litt und sie schliefen!
Was brachte ihnen denn der Herr? War es nicht schon ein großer Gefallen, bei
Ihm zu sein inmitten dieser Verlassenheit? Was wollte Er mehr? Das sie noch
außer der Zeit beteten? Nein. Er sollte wachen, wenn Er wollte. Die Jünger
gingen schlafen.
Je mehr man
schläft, desto schwerer wird der Schlaf. Das ist genau der Entwicklungsprozess
der Lauheit. Beim zweiten Mal „fand Er sie wiederum schlafend; denn ihre Augen
waren schwer“ (Mt 26,42). Es war der Schlaf der Mittelmäßigkeit, der
Nachlässigkeit, der Trägheit. Folgten sie noch dem Meister? Ja und nein. Ja,
denn letztlich waren sie noch da. Nein, weil sie Ihm nicht mehr gehorchten. Er
litt und sie schliefen. Es war der Anfang der Trennung.
Wie kommt es
zu einem so verhängnisvollen Absturz? Schlafen, während Jesus spricht, ist für
mich zerstreut, übellaunig, lau sein, genauso wenn zu mir die Vertreter der
Heiligen Kirche sprechen, diejenigen, die mich auf dem Weg der Heiligkeit
führen sollen, die für mich durch ihr Beispiel die Orthodoxie, den Edelmut, den
Hunger und den Durst nach Tugend darstellen. Wenn ich diesem Schlaf verfalle,
was gibt es anderes zu tun als aufzustehen und „wachen und beten, um nicht in
Versuchung zu fallen“? Wenn ich es aber nicht tue, was sind die Folgen? Das
Scheitern im geistlichen Leben und in der Berufung.
Beim dritten
Mal sind die Worte Jesu, Worte des Tadels: „Ihr schlaft noch und ruht! Seht,
die Stunde ist gekommen, da der Menschensohn überliefert wird in die Hände der
Sünder. Steht auf, lasst uns gehen! Seht,
mein Verräter naht!“ (Mt 26,45-46).
Nun ist die
Stunde vorüber. Nicht einmal die zärtliche und schmerzvolle Bitte hatte sie gerührt:
„Konntest du nicht eine einzige Stunde wachen?“ (Mk 14,37).
„Und
sogleich, während Er noch redete, erschien Judas, einer von den Zwölfen, und
mit ihm eine Schar mit Schwertern und Knütteln“ (Mk 14,43). Kurz darauf „verließen
Ihn alle und flohen“ (Mk 14,50).
Ja, sie
flohen alle, weil sie lau waren, haben geschlafen, haben nicht gebetet. Wenn
ich, Herr, nicht fliehen will, muss ich fest sein, darf nicht schlafen, ich
muss beten.
Gib mir,
Herr, diese Gnade der Beharrlichkeit in allen Situationen, in allen Nöten, in
allen Erbitterungen. Die Gnade der Treue in allen Verlassenheiten, in allen
Hilflosigkeiten, in allen Niederlagen. Die Gnade der Standhaftigkeit, auch wenn
alle Dich verlassen, unterdrückt vom Schlaf oder irregeworden durch die
Lüsternheit der weltlichen Dinge. Oder sonst, mein Gott, nimm mich von diesem
Leben. Denn eines möchte ich nicht: Fliehen!
Durch die
allmächtige Fürsprache Deiner heiligsten
Mutter bitte ich Dich um diese Gnade der Beharrlichkeit, o mein Herr Jesus.
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