Die größte Unterschriftensammlung der Geschichte.
Zwei Menschen kostet sie das Leben
Während die Verhandlungen zwischen der litauischen Regierung und dem Kreml neue Fakten schufen, setzten die TFPs zielstrebig die Sammlung von Unterschriften zur Unterstützung der Unabhängigkeit Litauens fort. Nach 130 Tagen hatten die Vereinigungen mit ihrer Kampagne in 26 Ländern nicht weniger als 5.218.020 Unterschriften zusammengetragen. Als die größte der Geschichte ging die Unterschriftensammlung sogar ins Guinness-Buch der Rekorde ein.
Von den 5,2 Millionen Unterschriften stammten mehr als die Hälfte aus Brasilien und rund eine Million aus São Paulo, wo sich der Sitz der brasilianischen TFP befindet und wo auch die größte Ansammlung litauischer Flüchtlinge in Brasilien anzutreffen ist. Die Aktivisten der brasilianischen TFP besuchten im Laufe der Kampagne insgesamt 141 Städte in 18 Bundesstaaten.
Die nordamerikanische TFP suchte ihrerseits über 180 Städte in 33 Bundesstaaten auf. In 127 Tagen wurden auch 108 Universitätsgelände besucht und insgesamt über 800.000 Unterschriften zusammengetragen. 41 Kongress-Abgeordnete schlossen sich ebenfalls der Kampagne an und unterschrieben den Brief an Präsident Landsbergis.
Der nordamerikanischen TFP kommt der Ruhm zu, für die Sache der Befreiung Litauens das kostbare Leben zweier Aktivisten, Joseph Porfirio und Dario Chang, geopfert zu haben; beide kamen bei einem Unfall mit einem Wagen der Vereinigung ums Leben, als sie bei der Unterschriftensammlung für die Unabhängigkeit Litauens die USA durchfuhren.
In verschiedenen Ländern schlossen sich auch zahlreiche katholische Erzbischöfe und Bischöfe der Kampagne an, mehr als die Hälfte von ihnen aus den drei Teilen des amerikanischen Kontinents.
Eine Abordnung der TFP in Moskau
Anfang Oktober 1990 wurde die Unterschriften-Aktion beendet. Nach einer genauen Überprüfung der Unterlagen und der Unterschriftenzahl kam am 2. Dezember eine Delegation von elf Vertretern der verschiedenen TFP-Organisationen in Brüssel zusammen und reiste von dort aus über Moskau nach Vilnius.
Diese Reise, die zum Beispiel zu Breschnews Zeiten noch undenkbar gewesen wäre, war nun angesichts der Schwächung der Zentralregierung infolge der in den Sowjetrepubliken und in Russland selbst erstarkten Oppositionskräfte gegen Gorbatschow möglich geworden. So liefen die Abordnung der TFPs und selbst die Litauer zwar noch eine gewisse Gefahr, doch konnte andererseits jede Zwangsmaßnahme von Seiten Moskaus zu einer völligen Bloßstellung der Glasnost-Propaganda Gorbatschows vor den Augen der Welt führen.
Die Gruppe hatte für die Reise eine offizielle Einladung des litauischen Parlaments erhalten. Auf dem Flughafen der sowjetischen Hauptstadt wurde die Delegation von dem Abgeordneten Antanas Račas, Mitglied des außenpolitischen Ausschusses des litauischen Parlaments, Vertretern des International Lithuanian Center und einem Team des litauischen Fernsehens empfangen.
Der Abgeordnete Račas machte deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt die Lage in Litauen sehr angespannt war und daher das Eintreffen der Delegation als providentiell anzusehen sei.
In dem für die Nomenklatura (hohe Funktionäre des kommunistischen Regimes) reservierten VIP-Raum wurde die Abordnung von der litauischen Premierministerin Kazimiera Prunskiene begrüßt, die gerade von einer Auslandsreise zurückkam. Sie hieß die Delegation in portugiesischer Sprache willkommen (hier sei noch einmal daran erinnert, dass ja die meisten Unterschriften aus Brasilien stammten) und hielt anschließend eine Rede auf Deutsch, in der sie auf die heiklen politischen Beziehungen zwischen Litauen und dem Kreml einging. Die TFP-Abordnung befand sich demnach genau im Rachen des Wolfes...
Während des Abendessens in der litauischen Botschaft in Moskau erschien aus Vilnius kommend auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des litauischen Parlaments, der Abgeordnete Emanuellis Zingeris, der eine Willkommensbotschaft des Präsidenten Vytautas Landsbergis überbrachte. Der Abgeordnete dankte für die Anwesenheit der Delegation in diesem für sein Land so entscheidenden Moment.
Spät am Abend bat Präsident Landsbergis den Leiter der TFP-Abordnung, Herrn Caio Vidigal Xavier da Silveira, ans Telefon, um ihm noch einmal persönlich für den Besuch zu danken. Am folgenden Morgen rief dann der litauische Staatschef Herrn Xavier da Silveira nochmals an, um ihm mitzuteilen, dass er das Präsidentenflugzeug nach Moskau beordern werde, um die Delegation abzuholen.
Am folgenden Tag stattete die Delegation dem Moskauer Stadtrat einen offiziellen Besuch ab und kam anschließend mit einer Gruppe von Abgeordneten zusammen, die gegen die Kommunistische Partei opponierten. Noch während der Besprechung trafen ein Team des litauischen und ein anderes des sowjetischen Fernsehens ein; beiden gaben die TFP-Vertreter eine Reihe von Interviews. Am Abend reiste die Abordnung schließlich nach Vilnius weiter.
Aushändigung der Listen in Vilnius.
Dankbarkeitserweisungen
Zum Fest der Unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember stattete die Delegation unter der Führung des Abgeordneten Antanas Račas, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des litauischen Parlaments, den beiden wichtigsten Marienheiligtümern des Landes einen Besuch ab: dem Heiligtum Unserer Lieben Frau von der Pforte der Morgenröte, der Patronin der Gegend um Vilnius, und dem Nationalheiligtum von Šiluva. Die Mitglieder der Abordnung wurden an beiden Orten von der Bevölkerung festlich empfangen. Am 9. Dezember fand dann ein Besuch bei dem Kardinal-Primas von Litauen, Vincentas Sladkevicius, in Kaunas statt und am 10. wurde die Abordnung wiederum in Vilnius mit einer Parlamentssitzung geehrt.
Am Bahnhof wurde die Delegation zu ihrer Überraschung von einer begeisterten Menge begrüßt, die ihr als Zeichen der Wertschätzung Blumen, Souvenirs, Süßigkeiten, Fotoalben usw. überreichte. Der Sekretär der im Kampf um die Unabhängigkeit besonders aktiven Sajudis-Partei händigte bei dieser Gelegenheit einen durch ein kunstvolles Lederetui geschützten Dankesbrief an die TFP-Vereinigungen aus.
Am letzten Tag des Litauenbesuchs traten sowohl Präsident Landsbergis als auch Mitglieder des Parlaments mit der Bitte an die Delegation heran, in einem Schreiben an Gorbatschow diesem das Ergebnis der Kampagne für die Unabhängigkeit des Landes mitzuteilen.
TFP im Kreml: KGB bescheinigt Erhalt
Als sie erfuhr, dass es sich um eine Abordnung der Gesellschaften zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum handelte, holte die Beamtin im Empfang zuerst einmal Instruktionen auf Russisch ein. Inzwischen erschien eine massige, finster dreinblickende Gestalt und fragte:
„Was wollen Sie, Genossen?“
Der litauische Begleiter und Dolmetscher korrigiert:
„Das sind keine Genossen, sondern Herren.“
„Und was sollen all diese Kameras? Soll hier etwas festgehalten werden?“
„Ja“, gab der Dolmetscher zur Antwort.
„Wissen Sie nicht, dass es verboten ist, in Behörden wie dieser hier, zu filmen?“
„Es steht nirgends geschrieben, dass es verboten ist, und was nicht verboten ist, ist erlaubt.“
In diesem Augenblick, als der Wachmann fast schon die Beherrschung verlor, unterschrieb die Empfangsdame, die in der Zwischenzeit auf eine telefonische Genehmigung gewartet hatte, die Empfangsbestätigung des Briefes an Gorbatschow und trug Datum und Uhrzeit ein: 11. Dezember 1990, 13:01 Uhr. Damit war der Schlusspunkt unter ein glorreiches Kapitel der Geschichte Plinio Corrêa de Oliveiras, der TFP-Vereinigungen und Litauens gesetzt.
Am Tag zuvor hatte Wladimir Kriutschow, der Chef des KGB, der gefürchteten politischen Polizei der Sowjetunion, im Moskauer Fernsehen erklärt, dass er „keinerlei Einmischung in unsere internen [der UdSSR] Angelegenheiten“ dulden werde, die „von Organisationen und Grüppchen ausgeht, die seit Jahrzehnten im Ausland einen geheimen Krieg gegen den sowjetischen Staat führen“. Diese Erklärung war am 13.12.1990 im Pariser „Le Figaro“ zu lesen.
„Grüppchen“? Das kann man wohl sagen, wenn man die Mittel der TFPs mit der immensen Maschinerie des sowjetischen Staates vergleicht. Was den „geheimen Krieg“ angeht, so wurde er vor den Augen aller auf den Straßen der wichtigsten Städte des Westens ausgetragen.
Kriutschow kündigte an, dass der KGB dies nicht „dulden“ werde. Und doch musste er es dulden ... Die Geschichte hat sich gewendet!
Glasnost der Panzer begräbt Perestroika
Die sowjetischen Panzer zeigten in Vilnius, was sie unter Glasnost (Transparenz) verstehen, als sie am 12. Januar 1991 gegen das Gebäude des litauischen Fernsehens vorrückten und eine unbewaffnete Menge herbeieilte, dieses zu verteidigen. Am Morgen des 13. Januar gingen die russischen Panzer zum Angriff über und töteten dabei 14 Zivilpersonen, zwei davon wurden von Panzern überrollt; es gab 240 Verletzte. Kurz darauf erlitt Lettland ein ähnliches Schicksal.
Noch am gleichen 13. Januar erhielt die nordamerikanische TFP eine Mitteilung der litauischen Regierung, in der über die Aggression berichtet wurde und die mit dem Hilferuf schloss:„Litauen läuft Gefahr; es braucht die Hilfe der Welt. Machen Sie dies allen TFP-Organisationen und –Büros bekannt“.
Die Botschaft war von einem Brief des Präsidenten Landsbergis begleitet, in dem dieser warnte: „Die Verantwortung für jedes Opfer wird Michail Gorbatschow zu tragen haben“.
Noch am gleichen Tag antwortete Plinio Corrêa de Oliveira im Namen aller Vereinigungen und Büros der TFP; er erklärte sich solidarisch „mit dem edlen Widerstand, den Ihre Regierung und das ganze litauische Volk der Offensive mit deutlich stalinistischen Zügen entgegensetzt, die Michail Gorbatschow und seine Akteure schonungslos gegen die Unabhängigkeit Litauens durchführen“. Und er unterrichtete Landsbergis über alle Maßnahmen, die die TFP-Vereinigungen treffen würden, um die die sowjetische Aggression vor aller Welt anzuprangern. Eine der wichtigsten davon bestand darin, den amerikanischen Kongress von den Vorfällen in Kenntnis zu setzen.
Tatsächlich hatte Gorbatschow die Zeit Stalins wiederaufleben lassen. Doch nun wusste alle Welt, dass eine Perestroika nichts als eine Farce war. Sein politischer Tod war damit besiegelt.
Drei Jahrzente... 6. Teil
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Zuerst erschienen in Plinio Corrêa de Oliveira
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