Das Seufzen eines Volkes und die
Verteidigung eines Rechts
Am 15. Februar 1991 richtete Plinio Corrêa de Oliveira ein Schreiben an Fernando Collor, den damaligen Präsidenten Brasiliens, in dem er ihn ersuchte, das freie Litauen anzuerkennen.
Dieses Schreiben beschreibt nicht nur mit aller Klarheit die Abfolge der Ereignisse, sondern zeigt auch, wie sehr den Verfasser die Liebe zu Recht und Gerechtigkeit bewegt. Es soll hier deshalb der volle Wortlaut dieses Schreibens wiedergegeben werden:
Herr Präsident, was mich veranlasst diesen Brief an Sie zu richten, ist
das Empfinden unserer Seele angesichts des Seufzens eines Volkes und der
Verteidigung eines Rechts.
1. Litauen hat während eines halben Jahrhunderts, in dem es der
Besetzung und der Tyrannei des kommunistischen Regimes, dieses verbohrten
Feindes von Religion, Familie und Eigentum ausgesetzt war, unter dem
sowjetischen Stiefelabsatz Hunger, Not und Verfolgung erlitten. Doch nun sah es
für einen kurzen Augenblick die Sonne der Unabhängigkeit aufgehen, und der Weg
zurück in die Zivilisation und in den Wohlstand von einst, den ihm das
kommunistische Regime auf so harte Weise vorenthalten hatte, lag offen vor ihm.
Es nutzte denn auch umgehend die Gelegenheit der Stunde, schuf seine
eigene Regierung und machte sich an den Wiederaufbau des Vaterlandes.
Gorbatschow aber frustrierte die Hoffnungen, die seine
„Perestroika“-Politik im Westen ausgelöst hatte, und verletzte die gerade erst
neugeborene Souveränität dieser Nation. Unter dem Vorwand, dass sich ihre Söhne
weigerten, im sowjetischen Heer zu dienen, das sie ja als ein fremdländisches
betrachten, ließ er den Widerstand in Litauen niederschlagen.
2. Herr Präsident, kommunistische Panzer gingen gegen ein völlig
wehrloses Volk vor, das sich allein auf die geistigen Waffen des katholischen
Glaubens und die unbeugsame Entschlossenheit, seine Unabhängigkeit zu wahren,
stützen konnte.
So stellte sich die kirchliche und vaterländische Lieder singende
waffenlose Menge als lebende Barriere den sowjetischen Panzern in den Weg und
wich auch dann nicht zurück, als zum Erstaunen der vom Kreml entsandten
Angreifer und der ganzen Welt die ersten Opfer barbarisch getötet wurden und
dennoch keiner vom Feld der Ehre floh.
Was tat Moskau daraufhin? Als der Kreml merkte, dass der mörderische
Angriff die gerechte Entrüstung aller freien Völker gegen Gorbatschow auslösen
würde, sprach er von einem unbefugten Angriff, schob dem Kommandanten der in
Litauen stationierten kommunistischen Truppen die Verantwortung für die
Aggression zu und zog einen Teil der Fallschirmjäger zurück, die er kurz vorher
ins Land geschickt hatte.
Aber ... es ist hier ein „aber“ zu vermerken. Kurze Zeit später wurde
der Innenminister, Oberst Boris Pugo, der als einer der Anstifter der brutalen
Aktion der russischen Truppen in Litauen galt, zum General befördert. Das
heißt, kaum war dieser Oberst – offensichtlich zum werbewirksamen Vorteil des
Herrn Gorbatschow - im Westen für sein gewaltsames Vorgehen gerügt worden,
wurde der „Schuldige“ auch schon mit dem Titel eines Generals ausgezeichnet!
Zur Gewalt gesellte sich also noch die Doppelzüngigkeit.
3. Trotz des inzwischen äußerst negativen Klimas entschloss sich der
litauische Staatschef, Präsident Vytautas Landsbergis, loyal und tapfer eine
Volksabstimmung durchzuführen, um so jedem Litauer die Möglichkeit zu geben,
frei darüber zu entscheiden, ob er unter der kommunistischen Herrschaft des
Kremls weiterleben oder aber den ruhmreichen Weg zur nationalen Unabhängigkeit
– welche Risiken dies auch mit sich bringen sollte – einschlagen wolle.
Wie Sie, Herr Präsident, und die ganze Welt wissen, verlief die
Volksabstimmung ordnungsgemäß und völlig korrekt. Und nach der ebenfalls
beispielhaft abgelaufenen Auszählung der Stimmen kam es vor Gott und den
Menschen, vor der Gegenwart, in der sie sich befinden, und der Zukunft, die sie
erwartet, zu folgendem Ergebnis:
90,47% der abgegebenen Stimmen sprachen sich für die Unabhängigkeit
aus: für eine volle, totale und selbstverständlich unmittelbare Unabhängigkeit.
6,56% der Wähler stimmten gegen die Unabhängigkeit.
84,52% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.
4. Mit der Bestätigung des Ergebnisses werden nun die freien Völker
schnellstens die Unabhängigkeit Litauens anerkennen und diplomatische
Beziehungen zu diesem Land aufnehmen, indem sie Botschaften in Vilnius
einrichten beziehungsweise die Errichtung litauischer Botschaften in ihren
Ländern erlauben, oder aber sie werden zögern und Ausflüchte suchen; vielleicht
werden sich auch nur einige wenige für die Sache dieser ruhmreichen kleinen
Nation einsetzen und sie gegen eine Macht verteidigen, die von den Medien noch
immer als sowjetischer „Koloss“ hingestellt wird.
Die Nationen aber, die den Ereignissen unschlüssig gegenüberstehen,
geben damit stillschweigend zu, dass sie selbst kein unanfechtbares Recht auf
ihre Freiheit haben. Denn wer heute zaudert, die unbestreitbaren Rechte des
Schwächeren anzuerkennen, macht damit automatisch seine entsprechenden Rechte
anfechtbar, die es vielleicht schon morgen gegen denselben stärkeren Angreifer
zu verteidigen gilt.
Wer die Rechte eines Dritten, obwohl diese unanfechtbar sind, leugnet,
nur weil der ungerechte Anfechter dieser Rechte mächtig ist, läuft Gefahr, dass
er morgen, wenn dieser Anfechter etwa seinen Grimm auf ihn, der mit
verschränkten Armen und wortlos der Aggression zugesehen hat, richten sollte,
nichts zu seiner eigenen Verteidigung vorzubringen zu haben.
Sie, Herr Präsident, werden es sicher nicht zulassen, dass sich unser
edles, tapferes Vaterland unter Umständen in diese Lage versetzt sieht.
Darum bitte ich Sie im Namen der Brasilianischen Gesellschaft zur
Verteidigung von Tradition, Familie und Eigentum (TFP), in deren Nationalrat
ich den Vorsitz führe, sowie kraft der entsprechenden Beglaubigung auch im
Namen der übrigen 14 autonomen Schwestergesellschaften (TFPs) der
brasilianischen Körperschaft, die jeweils in Argentinien, Bolivien, Chile,
Ecuador, Frankreich, Kanada, Kolumbien, Peru, Portugal, Spanien, Südafrika,
Uruguay, USA und Venezuela ansässig sind, umgehend mit der litauischen
Regierung in Vilnius Kontakt aufzunehmen und so schnell wie möglich
diplomatische Beziehungen mit dieser heldenhaften Nation herzustellen sowie
Gespräche für die Einrichtung von Botschaften in den Hauptstädten beider Länder
einzuleiten.
Gleichzeitig richte ich eine Bitte desselben Wortlauts an alle
Staatschefs der freien Welt.
5. Sicherlich ist
Ihnen, Herr Präsident, alles was ich hier behauptet habe, von kristallner
Klarheit. Ich bin mir deshalb gewiss, dass ich den grundlegenden Imperativen
Ihres Gewissens entgegenkomme, wenn ich Sie bitte, die in dieser Adresse
vorgetragene Sache zu Ihrer eigenen zu machen und sie als das aufzunehmen, was
sie wirklich ist: ein Appell für die Sache Litauens, die mit der Sache der
Unabhängigkeit Brasiliens und mit der Sache der christlichen Zivilisation
selbst identisch ist. Unser Land würde eine schreckliche Identitätskrise
erleben, wenn es mit ansehen müsste, dass die Obrigkeit unserer immensen
Nation, für die die Vorsehung eine Schlüsselposition in der mit dem Heraufziehen
des dritten Jahrtausends entstehenden neuen Welt vorgesehen hat, nicht mit
friedlichen diplomatischen Maßnahmen schnellstens dem kleinen, heldenhaften
Litauen zu Hilfe eilt. Empfangen sie im Voraus meinen Dank, Herr Präsident, für
alles, was unser Land in dieser leuchtenden Perspektive Ihrem Patriotismus und
Unternehmungsgeist zu verdanken haben wird. Gleichzeitig nehme ich die
Gelegenheit war, Ihnen meine aufrichtigste Hochachtung auszudrücken.
Plinio Corrêa de Oliveira
Die Dankbarkeit einer Nation
Ein Jahr nach der Kampagne des Jahres 1990 statteten der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments von Litauen, Herr Emanuelis Zingeris, in Begleitung von P. Pranas Gavenas SDB, und von Herrn Henrique Valavicius Prof. Plinio Corrêa de Oliveira in seinem Sitz in São Paulo einen Besuch ab. Bei dieser Gelegenheiten händigten sie ihm den folgenden Brief aus:
„Eine das litauische Parlament vertretende Delegation wird nach
Brasilien geschickt, um mit dieser bedeutenden südamerikanischen Nation Kontakte
und Beziehungen aufzunehmen.
Mit dieser Aufgabe wurden der stellvertretende Vorsitzende unseres
Parlaments, Herr Bronius Kuznickas, und der Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses, Herr Emanuelis Zingeris, betraut.
Ich habe die Gelegenheit wahrgenommen und diese Herren gebeten, Ihnen
persönlich diesen Brief zu übergeben.
Schon seit einiger Zeit trug ich mich mit dem Gedanken, Herr
Vorsitzender, Ihnen meinen persönlichen Dank und den meines Volkes für den
unschätzbaren Beitrag auszusprechen, den die zwanzig TFPs auf den fünf
Kontinenten zur Sache der Unabhängigkeit Litauens geleistet haben.
Alle Litauer wissen sehr wohl um die höchst verdienstvolle
Unterschriftensammlung, die die TFPs für unsere Unabhängigkeit durchgeführt
haben, sodass uns 5.200.000 Menschen aus vielen Nationen ihre Unterstützung
ausgedrückt haben; es war dies eine der größten Unterschriftenaktionen der
Geschichte überhaupt.
Ich drücke Ihnen hiermit noch einmal den Dank unseres Parlaments aus
und bitte Sie, diesen auch an die Vorsitzenden aller TFPs und über diese an
jeden einzelnen jener jungen Männer weiterzuleiten, die auf diese Weise an
unserem großen Sieg Anteil haben.“
Das Schreiben trägt die Unterschrift des Generalsekretärs des Höchsten Rates der Republik Litauen, Liudvikas Sabutis.
Litauen, Marienland
Am 10. März 1991 beging die litauische Volksgruppe São Paulos zusammen mit der TFP feierlich den ersten Jahrestag der Unabhängigkeit Litauens. Bei dieser Gelegenheit wurde Plinio Corrêa de Oliveira von P. Pranas Gavenas an der Spitze einer Gruppe von Nachkommen litauischer Einwanderer in ihren traditionellen Trachten feierlich begrüßt. Während der in der St. Josefs-Kirche in Vila Zelina (dem Stadtteil, in dem die meisten litauischen Familien in São Paulo wohnen) gefeierten heiligen Messe sang der Litauer-Chor das bekannte, herrliche Lied: „Maria, Maria“.
Plinio Corrês de Oliveira besaß diese große Liebe zu Litauen seit er erfahren hatte, dass Litauen „Land Mariens“ genannt wird. Nichts eignet sich daher besser als Abschluss dieses Berichts über seine Verbundenheit mit Litauen als die herrlichen Worte dieses Loblieds auf die Heiligste Jungfrau Maria, deren vortrefflicher Sohn und treuer Kämpfer Prof. Plinio stets war.
Reinste Lilie,
Strahlend am hohen Himmel,
Lindere die Knechtschaft,
Komm der Menschheit zu Hilfe,
Steh uns bei gegen den schrecklichen Feind.
Wir irrende Menschen bitten dich um deine
Gnade,
O Maria, weise unser Flehen nicht ab!
In den Stürmen dieser Welt
Stärke und führe die Fallenden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen