Mittwoch, 15. Januar 2025

Revolution und Gegenrevolution

 

IV. KAPITEL

Die Metamorphosen des revolutionären Prozesses


Wie es aus dem vorhergehenden Kapitel hervorgeht, ist der revolutionäre Prozess eine schrittweise Entwicklung gewisser ungeordneter Tendenzen des christlich-abendländischen Menschen und dadurch bedingter Irrtümer.

In jedem Stadium erscheinen diese Tendenzen und Irrtümer mit einem anderen Gesicht, denn die Revolution wandelt sich im Laufe der Geschichte.

Diese Metamorphosen, die sich allgemein in den Hauptlinien der Revolution feststellen lassen, kehren in kleinerem Maßstab in jedem großen Abschnitt derselben wieder.

So bediente sich der Geist der Französischen Revolution in seiner ersten Phase einer durchaus aristokratischen, ja sogar kirchlichen Sprache und Maske, ging am Hofe ein und aus und hatte seinen Sitz im königlichen Rat.

Später nahm er bürgerliche Züge an und setzte sich nunmehr für die unblutige Beseitigung der Monarchie und des Adels sowie für eine verschleierte, friedliche Abschaffung der katholischen Kirche ein.

Bei der nächstbesten Gelegenheit nahm dieser Geist der Revolution die Haltung der Jakobiner an und berauschte sich am Blut der Terrorherrschaft.



Portrait von Maximilien-François-Marie-Isidore de Robespierre

Die Ausschreitungen des Jakobinerklubs stießen jedoch auf Widerstand, und so durchlief dieser Geist der Revolution nun auf dem Rückzug die selben Etappen wieder, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Aus dem Jakobiner wurde im Direktorium ein Bürgerlicher, und unter Napoleon streckte der Geist der Revolution seine Hand wieder der Kirche entgegen und öffnete dem verbannten Adel Tür und Tor. Am Ende klatschte er sogar den zurückkehrenden Bourbonen Beifall.

Das Ende der Französischen Revolution bedeutete jedoch nicht das Ende des revolutionären Prozesses. Mit dem Sturz Karls X. und dem Aufstieg Louis-Philippes kam er wieder zum Ausbruch, und zog aus Erfolgen und sogar aus Misserfolgen von Wandel zu Wandel Nutzen und erreichte so in unseren Tagen einen neuen Höhepunkt.

Die Revolution nützte somit ihre Metamorphosen nicht nur, um vorzustoßen, sie verstand es auch, sich immer wieder taktisch zurückzuziehen, wenn dies notwendig war.

Manchmal täuscht auch diese stets lebendige Bewegung ihren Tod vor. Dies ist eine ihrer interessantesten Wandlungen. Dem Anschein nach ist die Lage in einem bestimmten Land dann völlig ruhig. Die Reaktion der Gegenrevolution räkelt sich und schläft ein. In den Tiefen des religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Lebens aber gewinnt derweil der revolutionäre Gärungsprozess immer mehr an Boden, und am Ende dieses scheinbaren Stillhaltens kommt es dann plötzlich zu einem unerwarteten Ausbruch, der in seiner Stärke oft die vorausgegangenen Ausbrüche noch übertrifft.





V. KAPITEL


Die drei Tiefenschichten der Revolution:

in den Tendenzen, in den Ideen, in den Geschehnissen


1. Die Revolution in den Tendenzen


Wie wir bisher gesehen haben, tritt die Revolution zwar als ein schrittweise ablaufender Prozess in Erscheinung, ihre eigentlichen Wurzeln aber stecken in gewissen wirren Tendenzen, in denen ihre Seele und innerste Triebkraft liegen.1

Des weiteren können wir innerhalb der Revolution drei Tiefenschichten ausmachen, die zeitlich bis zu einem gewissen Punkt einander durchdringen.

Die erste und tiefstgehende wird von einer Krise der Tendenzen gebildet. Diese wirren Tendenzen, die sich verwirklichen und nicht mehr mit den Gegebenheiten abfinden wollen, die gegen sie sind, beginnen, die Mentalität, die Seinsweise, die künstlerischen Ausdrucksformen und die Sitten zu verändern, ohne deshalb – in der Regel – die Ideen direkt anzugreifen.


„Im Gegenteil, der freie Wille des Menschen kann
mit Hilfe der Gnade  jede Krise überwinden,
wie auch die Revolution selbst stoppen und überwinden.“


2. Die Revolution in den Ideen


Aus diesen tiefsten Schichten heraus greift die Krise auf das Gebiet der Ideologie über. Paul Bourget stellt in seinem berühmten Buch „Le Démon du Midi“ heraus, dass „man so leben muss, wie man denkt, da man sonst früher oder später anfängt zu denken, wie man gelebt hat.“2 Von den tiefer liegenden Tendenzen der Unordnung ausgehend brechen neue Lehren hervor, die anfangs zuweilen noch einen modus vivendi (Verständigung) mit den früheren Lehren suchen und die daher eine Harmonie vortäuschen, die gewöhnlich über kurz oder lang in offenen Gegensatz übergeht.


3. Die Revolution in den Geschehnissen


Diese Revolution der Ideen greift sodann auf das Gebiet der Geschehnisse über und bewirkt hier mit blutigen oder unblutigen Mitteln einen Wandel in Institutionen, Gesetzen und Sitten, sowohl im religiösen Bereich als auch in der weltlichen Gesellschaft. Es ist dies eine dritte Krise, die bereits völlig im Bereich der Geschehnisse angesiedelt ist.


Aus REVOLUTION UND GEGENREVOLUTION von Plinio Corrêa de Oliveira, deutsche Ausgabe 2013, Erster Teil, IV. Die Metamorphosen des revolutionären Prozesses und V. Die drei tiefenschichten der Revolution: in den Tendenzen, in den Ideen, in den Geschehnissen. S. 55 – 57.

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