Freitag, 31. Oktober 2025

Betrachtungen über die Hinrichtung Ludwig XVI.


Die Hinrichtung Ludwigs XVI

Auf Bitte der französischen TFP verfasste der bedeutende katholische Denker anlässlich des 200. Jahrestages des Todes Ludwigs XVI. am 21. Januar 1993 eine ergreifende Meditation. Im Folgenden geben wir einige wichtige Auszüge aus dem Text wieder.

von Plinio Correa de Oliveira
Catolicismo, Nr. 508, April 1993

Eine Bitte

O heiligste Maria, in Anbetracht all dessen, was dieser arme König aus Schwäche erleiden musste, bitten wir Dich, uns die Gnade zu erbitten, angesichts der Revolution niemals schwach zu werden, keine Gelegenheit zum Kampf gegen sie zu verpassen und unerbittlich gegen sie anzukämpfen! Erbitte uns die Gnade, alle Mittel einzusetzen, um den Impuls der Revolution einzudämmen, sie zu vernichten und die Heilige Kirche und die christliche Zivilisation überall triumphieren zu lassen. Auf dass Du damit triumphierst, o Maria, Königin des Himmels und der Erde, und Dein göttlicher Sohn triumphiere. Ja, o Maria, deren Sieg notwendigerweise und herrlich der Sieg Deines göttlichen Sohnes ist.

O Maria, zu uns Dein Reich komme, damit das Reich Jesu zu uns komme. Befehle, dass die Ereignisse, die Du in Fatima vorhergesagt hast, beschleunigt werden, damit die gegenwärtige Ära der Herrschaft der satanischen und egalitären Revolution – deren charakteristisches und ergreifendes Ereignis die Hinrichtung Ludwigs XVI. war – so schnell wie möglich ein Ende findet und Dein Reich über uns herabsteigt. Nicht das Reich der Faulen und Schwachen – die letztlich nur besiegt wurden, weil Du mit Deinen Engeln für sie eingegriffen hast –, sondern das Reich der Helden, die wie Riesen kämpften, weil Gnade und christliche Tugenden, vor allem aber die Tugenden der Reinheit, der Tapferkeit und der Demut, sie krönten und sie zugleich im Kampf furchterregend und im Sieg bescheiden und gelassen waren.

Das Todesurteil Ludwigs XVI ausgestellt
von der „Konvention“ im Dezember 1792

Wie Unserem Herrn fesselten sie dem König die Hände.

Die Gehilfen des Henkers Sanson näherten sich Ludwig XVI. und wollten ihm die Hände fesseln.

„Mich fesseln? Nein, niemals werde ich dem zustimmen!“, entgegnete er.

Der Priester, der ihn begleitete, flüsterte ihm zu:

„Sire, in dieser neuen Beleidigung sehe ich nur noch eine letzte Spur der Ähnlichkeit zwischen Euch und dem Gott, der Euer Lohn sein wird.“

Diese erhabenen Worte des Priesters rührten die Frömmigkeit des Königs. Ludwig XVI. streckte die Hände aus:

„Tut, was Ihr wollt!“

Und Sansons (des Henkers) Gefolgsleute – der Revolution, der sie als Komplizen gedient hatten, wahrlich würdig – fesselten dem König die Hände. Und so, in der Absicht, unserem Herrn Jesus Christus nachzueifern, dessen göttliche Hände während der Passion von seinen Henkern gefesselt worden waren, stieg der König Stufe für Stufe die Stufen des Schafotts hinauf und schritt entschlossen zur Guillotine.


Seine letzten Worte

Dann gab er den vor ihm stehenden Trommeln ein Zeichen. Beeindruckt hören die Soldaten auf zu schlagen:

„Franzosen“, ruft der König mit einer Stimme, die bis zum Rand des Platzes zu hören ist, „ich sterbe unschuldig. Ich vergebe den Urhebern meines Todes und bete zu Gott, dass das Blut, das nun vergossen wird, niemals auf Frankreich fallen möge! Und ihr, ihr Unglückliches Volk …“ *)

Der König will seine Beschwörung fortsetzen, doch ein Mann zu Pferd in der Uniform der Nationalgarde schlägt mit seinem Schwert eine der Trommeln, sodass sie die Stimme des Königs wird durch den Lärm der Trommeln übertönt. In diesem entscheidenden Moment, nur einen Schritt von der Guillotine entfernt, fürchten die Revolutionäre noch immer, dass die Worte des Herrschers die Menge aufrütteln und den gesamten revolutionären Prozess zunichtemachen könnten!

* * *

Die Henker legen den König auf die Guillotine. Die Klinge fällt schwer auf den Hals des Königs, und sein Kopf rollt zu Boden.

Der berüchtigte Henker nimmt ihn, noch blutend bei den Haaren, und umrundet das Schafott, damit das ganze Volk sieht, dass der König enthauptet wurde. Für Ludwig XVI. wird das Sonnenlicht in dieser Welt nicht mehr scheinen, außer an dem Tag, an dem wir alle auferstehen werden.

Es war in dem Augenblick, als der König auf dem Brett gelegt wurde, um den Todesstoß zu erhalten, dass Abbé Edgeworth de Firmont einigen Berichten zufolge die erhabenen Worte ausrief: „Sohn des heiligen Ludwig, fahre auf zum Himmel!“

Mehrere Zeugen bestätigen die Echtheit dieser Anrede. Der irische Priester selbst bestritt jedoch stets, sie ausgesprochen zu haben. Daraus lässt sich schließen, dass Abbé de Firmont diesen Ausruf entweder unter göttlicher Eingebung von sich gab und ihn dann vergaß (was angesichts seines emotionalen Zustands durchaus verständlich ist), oder dass die Formulierung von jemand anderem stammt, um – und zwar auf sehr treffende Weise – die tiefgreifende Realität dieses historischen Moments auszudrücken.**)

Der letzte Abschied Maria Antoinettes von ihrem Sohn
Edward Matthew Ward (1816-1879). Privatsammlung


Vom Himmel aus betrachtet Ludwig XVI. das heutige Frankreich

Wer könnte ernsthaft bezweifeln, dass einem Tod unter diesen Umständen die weit geöffneten Himmelstore für die Seele dieses bewegten Sohnes des heiligen Ludwig folgten?

Vom Himmel herab betrachtet er – mit jener Güte, die so oft von Stärke begleitet sein sollte – das heutige Frankreich. Und da er, der im Himmel weilt, nicht die Qual der Reue erleidet, denn ihm sind bereits alle Sünden vergeben und er braucht keine weitere Vergebung mehr zu erbitten, blickt er auf Frankreich, jenes geliebte Frankreich, jenes große Frankreich, jenes Frankreich, das die Muttergottes unaufhörlich liebt und begünstigt und dass Sie dennoch, wie die meisten Nationen unserer Zeit, immer wieder beleidigt und verleugnet. Gewiss betet die Jungfrau Maria für sie, dass sie das Joch der Revolution kraftvoll und siegreich abschütteln möge.

* * *

Unterdessen entfernte sich Abbé Edgeworth de Firmont allmählich vom Schafott, wo seine Anwesenheit keinen Sinn mehr hatte. Als er die Menge erreichte, fürchtete er, man würde ihn zerreißen. Doch durch ein erhabenes Geheimnis entkam der Priester unversehrt und verschwand in der Menge, ohne dass jemand versuchte, ihn zu ergreifen.

Im Temple, die Königin gefangen gehalten wird, rollen die Trommeln der Wachen. Unter den Fenstern des Bergfrieds rufen die Wachen: „Es lebe die Republik!“


Marie-Antoinette versteht alles …

Sie ist von tiefem Kummer überwältigt. Der junge Kronprinz bricht in Tränen aus. Madame Royale (seine Schwester) stößt durchdringende Schreie aus. Marie Antoinette, von Schluchzern geschüttelt, sinkt aufs Bett.

Plötzlich erhebt sie sich, kniet vor ihrem Sohn nieder und begrüßt ihn mit dem Titel „König“.

Ludwig XVII., Nachfolger Ludwigs XVI., verschwand auf mysteriöse Weise aus dem Temple-Gefängnis oder wurde von seinen Henkern getötet: Diese Frage ist bis heute ungeklärt. Königin Marie-Antoinette wird bald zum Tode verurteilt. Auch Madame Elisabeth, die Schwester des Königs, wurde verurteilt.

Madame Royale, die Tochter der unglücklichen Monarchen, wurde nach drei Jahren Einzelhaft im Temple Turm schließlich gegen Revolutionäre ausgetauscht, die in die Hände der Österreicher gefallen waren.

Abbé de Firmont, auf dessen Kopf ein Kopfgeld ausgesetzt war, blieb auf der Flucht und floh durch Frankreich, bis er von der Hinrichtung Madame Elisabeths erfuhr, der er dienen wollte, wenn es noch möglich gewesen wäre. Nun verlangte die Treue zu seinem Monarchen mehr von ihm: Er musste ins Exil gehen, die Brüder Ludwigs XVI., den Grafen der Provence (den späteren Ludwig XVIII.) und den Grafen von Artois (den späteren Karl X.), aufsuchen und sich in ihren Dienst stellen. Nachdem er die königliche Familie während ihres gesamten Exils begleitet hatte, starb er 1807 im Alter von 62 Jahren.

Symbole, die nicht sterben

Abbé de Firmont, nachdem er die Königliche
Familie auf allen Wegen des Exils begleitete,
Übergab seine Seele Gott 1807
im Alter von 62 Jahren

Ist diese Geschichte zu Ende? Wenn es eine Geschichte gibt, die noch nicht zu Ende ist, dann diese. Denn die Erinnerung an Ludwig XVI., wie die an Marie-Antoinette, ist lebendig. Sie sind Symbole, die in der Erinnerung und in den Herzen vieler Franzosen unvergessen bleiben. Sei es, weil sie die ihnen gebührende Liebe erfahren oder den ihnen gebührenden Hass. Doch in gewisser Weise verkörpern sie den Kampf zwischen Gut und Böse, Revolution und Gegenrevolution. Sie werden von all jenen, die einen Funken der Gegenrevolution in ihrer Seele tragen, stets mit tiefem Respekt und tiefer Trauer in Erinnerung verbleiben. Und sie werden von all jenen, die, vom Geist Satans beseelt und alle Ungerechtigkeiten verabscheuend, mit tiefstem Hass betrachtet werden – jenem König, dessen größter Fehler jedoch seine übermäßige Sanftmut war (dasselbe ließe sich auch über Marie-Antoinette sagen).

Noch einmal müssen wir uns an sie wenden und sie bitten, uns von Gott Kraft zu erbitten, Kraft, Kraft! Kraft für die Gerechtigkeit, Kraft für das Gute, Kraft für die Gegenrevolution. Kraft für dich, heiligste Maria, unsere Mutter, für deinen göttlichen Sohn, unseren Erlöser und Heiland. Kraft schließlich für die heilige Kirche und die christliche Zivilisation.

Stärke uns, damit wir Dich mit der Liebe der Starken lieben und Dir mit der Hingabe und Wirksamkeit der Starken dienen können, damit Dein Reich so bald wie möglich auf Erden komme, o Maria, o Jesus!

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Anmerkungen:

* Vgl. G. Lenotre und André Castelot, Les grandes heures de Ia Revólution Française –– La mort du Roi, p. 295.

** Vgl. Nesta H. Webster, Louis XVI and Marie Antoinett During the Revolution, Constable and Company Ltd, London, p. 524; Weiss, Historia Universal, Tipografia. La Educación, Barcelona, 1931, vol XVII, p. 98.


Die Kathedra Petri und die Ausbreitung des Christentums

Plinio Correa de Oliveira
Vortrag am 17. Januar 1966

Der morgige Gedenktag ist das Fest des Stuhls des Heiligen Petrus in Rom. Dom Guéranger zitiert dazu in „L’Année Liturgique“ einen Auszug aus der Predigt Nr. 82 des hl. Leo des Großen. Die Worte des hl. Leo des Großen lauten:

„Der gute, gerechte und allmächtige Gott, der der Menschheit niemals seine Barmherzigkeit verweigerte und der durch den Reichtum seiner Gaben alle Sterblichen befähigte, seinen Namen zu erkennen, hatte in den geheimen Plänen seiner unermesslichen Liebe Mitleid mit der willentlichen Blindheit der Menschen und der Bosheit, die sie in die Erniedrigung stürzte, und sandte sein Wort, das ihm gleich und ewig ist.

Nun, da dieses Wort Fleisch geworden war, verband es die göttliche Natur so eng mit der menschlichen, dass die Erniedrigung der ersteren zu unserer Niedrigkeit für uns zum Beginn der erhabensten Erhebung wurde.

Um aber die Wirkung dieser Gnade in der ganzen Welt zu verbreiten, bereitete die Vorsehung das Römische Reich vor und gab ihm so große Ausmaße, dass es die gesamte Völkerwelt in sich schloss. Für die Vollendung dieses Vorhabens wurde etwas sehr Nützliches getan: dass die verschiedenen Königreiche einen Bund zu einem einzigen Reich bildeten, damit die allgemeine Verkündigung sie erreichen konnte.“ …damit es die Völker schneller erreiche, die unter der Herrschaft einer einzigen Stadt vereint waren. Diese Stadt, die den göttlichen Urheber ihrer Bestimmung nicht kannte, hatte sich in dem Moment, als sie alle Völker unter ihre Gesetze brachte, deren Irrtümern unterworfen und hielt sich für den Besitzer einer großen Religion, weil sie keine Lüge ablehnte. Doch je härter sie vom Teufel beherrscht wurde, desto wundersamer wurde sie von Christus besiegt. Als die zwölf Apostel, nachdem sie vom Heiligen Geist die Gabe der Sprache empfangen hatten, sich in alle Welt zerstreuten und die Verantwortung für die Verbreitung des Evangeliums übernahmen, erhielt der selige Petrus, der Fürst der Apostel, die Festung des Römischen Reiches als Erbe, damit sich das Licht der Wahrheit, das zur Rettung aller Völker offenbart wurde, wirksamer ausbreiten und vom Zentrum dieses Reiches über die ganze Welt verbreiten konnte. Welches Volk hatte denn nicht zahlreiche Vertreter in dieser Stadt? Welches Volk kannte die Lehre Roms nicht? Dort sollten die philosophischen Ansichten, die Eitelkeiten irdischer Weisheit, verworfen, die Dämonenverehrung widerlegt und endgültig vernichtet, die Gottlosigkeit aller Opfergaben, genau dort, wo ein raffinierter Aberglaube all das zusammengetragen hatte, was die verschiedenen Irrtümer hervorgebracht hatten."

Ich habe den Eindruck, dies aus Andacht gelesen zu habe, um mich mit dem Text vertraut zu machen, doch für die Ohren der neuen Generation ist diese lange Abfolge von Sätzen und Gedanken redundant [nahezu unverständlich]. Daher werde ich eine aktualisierte Fassung – wie sagt man, eine Fassung des Konzils? – des Inhalts wiedergeben. Die Fassung “aggiornata” lautet wie folgt:

Der erste Gedanke ist, dass die Menschheit in einem extrem erniedrigten Zustand war und dass unser Herr Jesus Christus, die zweite Person der Heiligen Dreifaltigkeit, sich selbst inkarnierte und dadurch einen unermesslichen Abstieg vollzog, da er vom höchsten Himmel in die Unendlichkeit eines erniedrigten Zustands führte. Es besteht jedoch eine Entsprechung zwischen der Ungeheuerlichkeit dieses Abstiegs und der Ungeheuerlichkeit des Aufstiegs, den die Menschheit erfahren hat, denn so wie Gott sich durch seine Inkarnation unermesslich erniedrigte, wurden wir durch seine Inkarnation unermesslich erhöht. Es gibt das Sprichwort: „Je höher die Höhe, desto tiefer der Fall.“ Hier könnte man mit angemessener Verhältnismäßigkeit sagen: Je tiefer der Fall, desto größer die Höhe; je mehr Gott sich erniedrigte, desto gewaltiger wurden wir durch ihn emporgehoben.

Dann wird hier die unermessliche Gnade des Weihnachtstages hervorgehoben, die den Menschen die erhabene und unbegreifliche Erhöhung der menschlichen Natur durch die hypostatische Union in der zweiten Person der Heiligen Dreifaltigkeit offenbart. Dies ist der erste Gedanke.

Nun zum zweiten Gedanken: Diese Gunst der Vorsehung konnte ihre volle Wirkung nur durch die Entstehung des Römischen Reiches entfalten, denn das Römische Reich war ein riesiges Reich, das alle Nationen der Mittelmeerküste und viele weitere umfasste. Bekanntlich erstreckte sich das Römische Reich bis zum heutigen England und einem kleinen Teil Schottlands und berührte im Süden die Grenzen Äthiopiens.

Nordafrika war in römischer Zeit dicht besiedelt, fruchtbar und vollständig von Lateinern beherrscht, und die römische Macht reichte bis nach Persien und beinahe bis nach Indien. Man könnte also sagen, die damals bekannte Welt war vollständig römisch. Das heißt, unzählige Nationen wurden unter einem einzigen Reich vereint. Anschließend zeigt er auf, warum diese Vereinigung der Verbreitung des enormen Segens diente, der aus Christi Inkarnation und der Erhöhung der menschlichen Natur resultierte. Dafür nennt er einige Gründe.

Ein Grund dafür liegt darin, dass es ohne Grenzen viel einfacher war, nur eine Religion zu haben, denn wo es nur einen Staat gibt, passt die Idee einer einzigen Religion leichter. Dadurch bereitete die Einheit des Römischen Reiches, die bürgerliche Einheit, die Menschen auf die Akzeptanz religiöser Einheit vor.

Dann entwickelt er jedoch eine anschaulichere Vorstellung: Die Stadt Rom war wie ein Herz, das mit systolischem und diastolischem Puls Blut in sich trug, das durch das ganze Reich zirkulierte. Und in Rom lebten Bürger, Einwohner aus allen Teilen des Reiches, die entweder in Rom wohnten und von dort aus Einfluss auf ihre jeweiligen Provinzen ausübten oder ständig auf Reisen waren.

Damit trugen sie den Einfluss Roms bis in die entlegensten Winkel. Rom war wie ein Herz, das Menschen aus dem ganzen Reich anzog und zugleich aussandte: römische Beamte, Legionäre und den gesamten römischen Verwaltungs- und Militärapparat. Durch die Christianisierung Roms wurde der strategische Punkt für die Christianisierung des Reiches erobert. Und mit der Christianisierung des Reiches war potenziell die ganze Welt christianisiert.

Er erklärt weiter, warum Rom nach Gottes souveränem Plan zur Papststadt auserwählt wurde: weil es eine strategisch wichtige Stadt war, in der die Botschaft des Heils weiter verbreitet werden konnte.

Daher kommt der Stuhl des heiligen Petrus, der verehrt werden soll. Der Stuhl des heiligen Petrus stand im neuralgischen Zentrum der Welt. Er war der Ort des weltweiten Einflusses und „impfte“ dadurch die katholische Erneuerung in der ganzen Welt, verbreitete den wahren Glauben und trug zur Verbreitung der Kirche bei.

Das Schöne daran ist: Wie die Vorsehung auf interessante Weise politisch wirkt – und ich scheue mich nicht, das Wort „politisch“ zu verwenden. Solange die Kirche klein und schwach war, musste ihr Sitz in der wichtigsten Stadt der Welt liegen, um von dort aus ihren Einfluss zu verbreiten. Nachdem sich die Kirche aber über die ganze Welt ausgebreitet hatte, war es angemessen, dass der Papst, der zu einer sehr mächtigen Persönlichkeit geworden war, nicht in der wichtigsten Stadt der Welt mit der größten weltlichen Macht residierte, da sonst Reibungen entstanden wären. Im Gegenteil, irgendwann durfte Rom nicht mehr die politische Hauptstadt der Welt sein. Und so verließ Konstantin Rom und zog nach Byzanz. Manche führen dies darauf zurück, dass der Kaiser den Papst nicht störte, doch das ist umstritten, denn Rom war nicht mehr die Hauptstadt des Reiches. Die Hauptstadt des Reiches war Mailand, dann Ravenna; Rom war nicht mehr die Hauptstadt. Rom wurde jedoch nie wieder Hauptstadt eines Landes, das eine internationale Macht war. Wir hatten das Rom der Päpste, das stets ein kleiner weltlicher Staat war, und nach dem Rom der Päpste kam das karnevaleske savoyische Rom, das Rom der Savoyer, Hauptstadt des Königreichs Italien. Dieses Rom war die Hauptstadt eines Staates von gewisser Bedeutung in Europa, aber nicht eines Staates von Weltrang, einer politischen und militärischen Weltmacht; eines Staates mit weltweitem kulturellen Einfluss, ja; einer politischen und militärischen Weltmacht, nein.

Nun konnte sich eine Art Unterdrückung des religiösen Roms durch das zivile, mächtige Rom abzeichnen. Was geschah? Das Unerwartetste überhaupt geschah. Um die Demütigung des Papstes fortzusetzen, war das Rom der Savoyer zunächst ein konstitutionelles Rom und wandelte sich dann in eine Republik um. Doch bei den Wahlen zeigte sich, dass der Papst den größten Einfluss auf die Wähler in Italien hatte. Und heute, hinter der christdemokratischen Regierung, ist es der Papst, der regiert. Die Rollen haben sich also umgekehrt, und anstatt dass das weltliche Rom das religiöse Rom regiert, haben wir nun, bis zu einem gewissen Grad, das religiöse Rom, das das weltliche Rom regiert. Der Plan, das Papsttum von der weltlichen Macht zu unterdrücken, hat sich somit nicht erfüllt.

Wird diese christlich-demokratische Regierung die bestmögliche sein? Dazu haben wir uns bereits eine Meinung gebildet. Eines ist sicher: Wenn der heilige Pius X. auf dem Papstthron säße, wäre Italien das am besten regierte Land der Welt. Daran besteht kein Zweifel! Ich weiß nicht, ob das verständlich ist oder ob jemand dazu noch Fragen hat.

Wenn man vom Stuhl Petri spricht, meint man natürlich das Stuhlgestell. Sie wissen ja, dass sich im hinteren Teil des Petersdoms ein bronzener Stuhl von Bernini befindet, umgeben von Heiligenscheinen. Daher wird er auch „Berninis Ruhm“ genannt. Dieser Stuhl ist hohl. Er kann geöffnet werden, und im Inneren wird zu bestimmten Anlässen der kleine hölzerne Thron ausgestellt, den der heilige Petrus in Rom benutzte und der noch heute zur Verehrung durch die Gläubigen aufbewahrt wird.

Nun, symbolisch steht der Stuhl für Macht, für die Institution, für das Papsttum, für das Pontifikat. Er erinnert an die Kontinuität dieser Institution durch all die so unterschiedlichen Männer hindurch, die sie innehatten.

Und er erinnert somit an die höchste Leitung der Heiligen Katholischen, Apostolischen, Römischen Kirche. Er erinnert an das Haupt der Kirche. Wenn menschliche Wechselfälle diesem Stuhl mehr oder weniger Glanz verleihen oder ihn gar in Dunkelheit hüllen mögen, bleibt er doch immer derselbe. Und die höchste Leitung der Kirche ist das Haupt der Kirche, und wenn man jemanden liebt, liebt man ihn vor allem wegen seines Antlitzes, seines Hauptes. Und deshalb muss unsere Liebe zur Heiligen Katholischen, Apostolischen, Römischen Kirche, die eine absolut grenzenlose und über allem Irdischen stehende Liebe ist, besonders dem Papsttum und dem Stuhl des heiligen Petrus gelten, wer auch immer ihn innehaben mag.

Denn dieser ist Petrus, dem der goldene und der silberne Schlüssel gegeben wurde, der Schlüssel zum Himmel und zur indirekten Macht auf Erden. Diesem Petrus küssen wir im Geiste die Füße als Ausdruck unserer Ehrerbietung und Verbundenheit, denn in Bezug auf den Stuhl des heiligen Petrus sind unsere Liebe, unser Gehorsam und unsere Verehrung grenzenlos. Und es war besonders angebracht, dies heute Abend zu betonen.

 

 

 

 

 

 

Betrachtungen über DIE GRÖSSE BRASILIENS

Die kleine Bucht von Botafogo und der
Zuckerhut sind Teil der Guanabara Bucht

                                                                                                                  Plinio Corrêa de Oliveira

Catolicismo, Nr. 454, Oktober 1988

 „Catolicismo“ präsentiert seinen Lesern heute diesen unveröffentlichten Artikel. Er enthält die tiefgründigen Beobachtungen, die der angesehene katholische Denker, Professor Plinio Corrêa de Oliveira, in einer Sitzung für Mitglieder und Mitarbeiter der TFP über die Pracht der brasilianischen Natur als Ausdruck der wahren Berufung unseres Vaterlandes anstellte.

Die GUANABARA-BUCHT in Rio de Janeiro gilt zu Recht als eines der schönsten Meerespanoramen der Welt. Viel wurde über ihre natürliche Schönheit geschrieben.

Sie ließe sich jedoch auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: als Inbegriff der unzähligen Landschaften Brasiliens. Und in diesem Sinne umfasst es eine Synthese der Schönheit und Erhabenheit unseres Landes – mal imposant, mal zart –, die den idealen Rahmen für die großartigen Leistungen seiner Berufung bilden.

Dazu müssten wir uns von den revolutionären und künstlichen Klischees befreien, mit denen die Propaganda Rio de Janeiro so oft darstellt. Wir müssten für einen Moment gewisse Aspekte ausblenden – leider sehr reale – wie die offenkundige Unsittlichkeit an den Stränden, die Wolkenkratzer, Brücken, Hochstraßen, kurzum, all das, was den modernen, kosmopolitischen Geist widerspiegelt, wie er in New York, Tokio, Johannesburg und jeder anderen Megastadt der Welt herrscht. Doch all das hat nichts mit dem einzigartigen Panorama der berühmten Guanabara-Bucht zu tun. Mit einem so reinen Blick können wir es analysieren und verstehen, was es von der Größe Brasiliens widerspiegelt. Größe, ja, das ist das richtige Wort. Vom menschlichen Geist durch die visuellen Eindrücke erfasst, geht diese Erhabenheit weit über die schlichte Schönheit hinaus, die den Sehsinn oberflächlich erfreut. Es geht also nicht nur darum, das Blau des Meeres, die gewaltigen Wellen oder die ursprüngliche Form der Bucht zu sehen. Es geht darum, darüber hinauszugehen.

WIEDERHOLUNG UND GEHEIMNIS

Beim Durchstreifen des Panoramas von Rio de Janeiro fällt auf, dass sich die Formen der verschiedenen geographischen Merkmale gewissermaßen wiederholen. Man kann also nicht sagen, dass der Betrachter von einer Neuheit zur nächsten gelangt. Von einem Wunder zum nächsten, ja; von einer Neuheit zur nächsten, nein. Hier und da findet sich mehr als ein kleiner „Zuckerhut“, der sich wie ein Echo des gewaltigen Zuckerhuts, des Zuckerhuts schlechthin, wiederholt. Es gibt mehrere Buchten, die der Flamengo ähneln. Es gibt mehrere kleine „Copacabanas“, die den berühmten Strand wiederholen.

Christus der Erlöser breite weit seine Arme aus über die Bucht von Rio de Janeiro,
ein Abrisspanorama Brasiliens.

Wir finden Inseln in der Bucht, die Überraschungen bereithalten. Doch selbst dort eröffnen sich dem aufmerksamsten Betrachter immer wieder neue Überraschungen. Und in den Umrissen mancher Inseln erkennt man Ähnlichkeiten mit anderen, die man erst kürzlich mit ähnlicher Gestalt gesehen hat.

Andererseits fällt sofort auf, dass dieses gewaltige Ensemble keine geometrische Ordnung aufweist, wie etwa die Gärten von Versailles. Die Inseln der Bucht sind also nicht starr zueinander angeordnet. Alles wirkt fantasievoll, anmutig, ganz und gar tropisch und formt innerhalb des Gesamtpanoramas kleine Ausschnitte. Man könnte fast meinen, man wolle eine dieser Landschaften mit der Schere ausschneiden, sie einzeln betrachten und sagen: Hier ist das eine Panorama, dort das andere. Doch so geschieht es nicht. Die Bucht ist so umfassend, dass sie sich aus der Summe all dieser Panoramen zusammensetzt.

Welchen Eindruck hinterlässt ein solch immenses Ensemble? Eine angenehme Verwirrung. Etwas so Unermessliches, dass es sich auf diese Weise wiederholt – sich aber in Wirklichkeit nicht exakt reproduziert –, ohne auch nur den geringsten Eindruck von Monotonie zu erwecken, sondern im Gegenteil eine subtile Harmonie ausstrahlt. Eine Unermesslichkeit, die in ihren Wiederholungen mit ihrem eigenen Ton den Zauber jedes einzelnen dominanten Tons erneuert. Und es entsteht das Gefühl einer unergründlichen Unermesslichkeit, die sich dennoch in ihrer Gänze in vielen Details erschließt, die sie mit bezaubernder Fantasie wiederholen. Es ist ein Raum, der von einer Art visuellem Echo erfüllt ist, das sich von allen Seiten in verschiedenen Formen wiederholt, ohne jemals eintönig zu sein und selten eine völlige Überraschung hervorruft. Wir bleiben zurück, ohne unsere eigene Position in einem so reichen Panorama zu verstehen. Der Betrachter nimmt nur einen Punkt darin ein. Er fühlt sich von allen Seiten angezogen, ohne zu wissen, wohin er fliegen oder wo er landen soll, denn alles zieht ihn an.

Doch hinter alldem steckt eine Ordnung – die eines Tages verstanden werden muss –, die diese Art von Erstaunen hervorruft und uns ausrufen lässt: Welch eine Perfektion!


Die brasilianischen Weiten, die die Guanabara-Bucht auf ihre Weise vereint, haben diese Dimension; die brasilianische Seele besitzt eine vergleichbare Größe! Sie spiegelt das ganze Land wider. Sie ist das Panorama einer Nation, die für eine immense Zukunft bestimmt ist, die sich jedoch noch nicht offenbart hat und die in der Gegenwart noch voller Unbekannter ist. Faszinierende Unbekannte, deren Ergründung Intelligenz und Feingefühl erfordert und die darauf warten, erklärt zu werden. Sobald sie offenbart sind, wird die Bucht entschlüsselt sein, ebenso wie das Land selbst.

Doch schon von nun an ruft dies Brasilien zu einer Berufung der Größe auf, ohne die die Nation ihre von der Vorsehung vorgegebene Mission nicht vollständig verwirklichen kann. Es wird ihm gesagt: Projiziere deine spirituelle Gestalt über die gesamte Ausdehnung deiner Landkarte.

Daher kann Rio de Janeiro, aus der Perspektive seines Panoramas betrachtet, als Synthese Brasiliens beschrieben werden, als das Herz Brasiliens, das dort weiter schlägt, obwohl die Hauptstadt offiziell nach Brasília verlegt wurde. Hier liegt eine geheimnisvolle Synthese des Landes, eine Einladung in eine Zukunft voller geheimnisvoller Versprechen.

Wie faszinierend wäre es, mit einem kleinen Boot die verschiedenen Orte der Guanabara-Bucht zu erkunden um Brasilien zu entdecken…

DAS BRASILIEN DES MEERES

Solche majestätischen und geheimnisvollen Aspekte finden sich nicht
nur in der Guanabara-Bucht. Dort entfalten sie sich in einzigartiger Schönheit, denn sie ist der kostbare Edelstein, eingefasst in einen Ring – die brasilianische Küste. Doch auch an unserer Küste gibt es etwas, wo sich die Schönheit Guanabaras zu vervielfachen und entlang unseres Küstenstreifens auszubreiten scheint. Das Brasilien des Meeres bietet Abschnitte von solcher Schönheit, dass jeder einzelne ausreichen würde, um das maritime Panorama eines Landes hervorzuheben oder gar berühmt zu machen. Hätte ein Land nur einen dieser Gipfel maritimer Schönheit, wäre dieser natürlich der größte Anziehungspunkt seiner Küste. So zum Beispiel Salvador (BA), Cabo Frio (RJ) oder Fortaleza (CE), oder auch Ilha Bela und São Sebastião an der Küste von São Paulo. All dies, ohne die weitläufige, prachtvolle Küste von Santa Catarina zu erwähnen. Dieses wunderbare Ensemble blendet den Betrachter so sehr, dass ihm folgende Frage in den Sinn kommt: Warum diese Fülle an Schönheiten? Welche Geschichte wird sich vor dieser Kulisse noch entfalten? Welche Menschen sollten sich welchen Betrachtungen widmen und welche Wege beschreiten? Und welche Taten sollten dort vollbracht werden? Welchen Ruhm sollten sie erlangen?

Der überdiemsionale Fluss Araguaia
in Herzen Brasiliens

Man spürt, dass jede dieser Landschaften ein Höhepunkt für die Betrachtungen des hellsten Geistes ist. Die „Baía de Todos os Santos“ (Allerheiligenbucht) und die darin liegende, im Sonnenuntergang erstrahlende Insel Itaparica haben im Nordosten eine herausragende Stellung ein, vergleichbar mit der der Guanabara-Bucht an der gesamten brasilianischen Küste. In der Allerheiligenbucht scheint sich die Schönheit aller nordöstlichen Strände und Buchten in ihrer Gesamtheit zu verdichten und widerzuspiegeln.

Man kann sagen, dass in der nördlichen Region von Maranhão und Pará bereits ein anderes Brasilien entsteht, mit einer ganz eigenen Schönheit, die in São Luís so erhaben erstrahlt und im Amazonasdelta aufregende und unverwechselbare Züge annimmt.

So gewaltig ist das Brasilien des Küstenstreifens, vom Arroio Chuí an der Grenze zu Uruguay, der ins Meer mündet, bis zum viel weiter entfernten Río Oiapoque, der ebenfalls ins Meer mündet und Cabo Orange, den äußersten Punkt unserer Nordküste, umspült.

ANDERE BRASILIEN

Doch es gibt noch so viele andere Brasiliens: das Brasilien der Wälder, das Brasilien der Flüsse, das Brasilien der Berge, das Brasilien der Felder, um nur einige zu nennen.

Das Brasilien der Wälder ist bereits so bekannt und seine Schönheit so besungen, dass es hier keiner weiteren Erwähnung bedarf.

Brasilien wiederum ist so gewaltig, dass man sein ganzes Leben damit verbringen könnte, es aus ästhetischer und metaphysischer Sicht, basierend auf der geografischen Realität, zu studieren und zu bewundern. Das Geheimnis des Zusammentreffens der Gewässer des Rio Negro mit dem des Solimões-Amazonas beispielsweise ist ein Thema für sich.

Man könnte Brasilien als ein Land der Berge oder Gebirgsketten bezeichnen. Es gibt heroische, gewaltige Gebirgszüge und sanft gerundete, bei denen jeder Berg wie eine Schwester wirkt, die sich zärtlich an den anderen lehnt. Die Serra dos Órgãos, die Bergkette um Rio de Janeiro, gehört beispielsweise zu letzterem Typ.

Auf dem Flug von Belo Horizonte nach Diamantina überfliegt man die Gebirgsketten von Minas Gerais. Sie wirken wie aus Metall, mit gerade so viel Vegetation, dass das Gestein nicht allzu deutlich hervortritt. Es sind unendlich viele Hügel – das Hochland –, die sich in einem Spiel von Analogien wiederholen, ähnlich dem der Guanabara-Bucht auf See. Berge vermehren sich, ihre Ausdehnung ist unermesslich, was wiederum die Idee eines unermesslichen Schicksals suggeriert. Dort herrscht eine Erhabenheit, deren Bedeutung noch nicht vollständig ergründet ist.

Da ist auch das Brasilien der Felder. Sie bestehen aus endlosen Weiten, die unter anderem einen bemerkenswerten Aspekt aufweisen: In jeder einzelnen Fläche scheinen Sonnenaufgänge, Sonnenuntergänge und Mondlichter zu erstrahlen – geprägt von spezifischen Zonen und Schönheiten –, die beinahe die Unterschiede zwischen den Regionen markieren.

Meinen Erinnerun-gen an einen Aufenthalt in meiner Kindheit in der Region Araxá zufolge gibt es dort prächtige Sonnenuntergänge, die trocken, glühend und rötlich erschei-nen. Und der Boden dieser Gegend scheint die-ses Bild harmonisch zu vervollständigen, mit einer beach-tlichen Menge an Malacacheta-Steinen (Glimmer), die wie ein farbenfrohes und ab-wechslungsreiches Pflaster wirken. Die Weite, die sich dort ausbreitet, weckt Assoziationen an epische Schlachten, Heldentaten, Ruhm und Größe – nicht einer Vergangenheit, die nie existierte, sondern einer Zukunft, die die Menschheit erwartet, mit dem Versprechen großer Tage, die zu gegebener Zeit anbrechen werden.


In ganz Brasilien ist all dies zugleich zart und geheimnisvoll-episch.

Vergleichbare Pracht

Die verschiedenen Facetten der Pracht Brasiliens scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Man hat den Eindruck, unser Heimatland sei wie ein handgeschriebenes Buch auf prächtigem Papier oder feinem Pergament, dem noch der Einband fehlt.

Betrachtet man die verschiedenen Aspekte der Pracht des Landes, möchte man ausrufen: Solch eine Pracht macht Brasilien – man könnte sagen – beinahe unmöglich zu „binden“! Doch andererseits wartet diese Pracht noch auf ihre Bindung. Es gibt weite Gebiete in unserem Land, die im Allgemeinen unzureichend eingerahmt sind; doch wenn man sie pflegt, mit einem Geist regionaler und nationaler Authentizität, der Nachahmung und Künstlichkeit entgegensteht, können sie etwas von gesunder Originalität hervorbringen, mit Aspekten, die noch ungeahnt sind.

All diese Faktoren ergeben eine reiche Farbigkeit, einen reichen Ausdruck. Denn das brasilianische Geheimnis ist ein Rätsel, das lächelt und umhüllt. Kein Stirnrunzeln ist darin zu sehen. Dieses Geheimnis scheint Folgendes zu sagen: „Mein Sohn, ich offenbare mich dir noch nicht, doch wisse, dass aus den Tiefen meines Nebels eine Zärtlichkeit, ein Versprechen auf dich wartet. Das heutige Brasilien wird einem prächtigen Palast gleichen, dessen Glanz dich nicht einschüchtern wird. Es wird die Frucht deiner eigenen Größe sein. Und es wird dich wiederum noch größer machen.“

Die liebevolle Betrachtung dieser Wirklichkeit ist der höchste Ausdruck von Patriotismus, denn sie entspringt der Liebe Gottes. Sie sucht die Stimme des Schöpfers inmitten der Wunder der Schöpfung. Wenn diese Stimme vernommen wird, wird die tiefste Bedeutung des Wortes Brasilien erfasst sein. Vorher nicht.

Was ist dieses Brasilien, das uns in den Möglichkeiten Gottes erwartet? Der mütterliche Schutz der Muttergottes wird es uns zur rechten Zeit offenbaren!

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Hl. Antonio Maria Claret, feuriger Missionar

Sto. Antonio Maria Claret
(Museo Nacional dek Romanticismo de Madrid)


Plinio Corrêa de Oliveira 

Heiliger des Tages – 23. Oktober 1964

 

Heute ist der Gedenktag des hl. Antonius Maria Claret, Bischof und Beichtvater. Er war Erzbischof von Kuba und sah die Strafe der Insel voraus. Er kämpfte unermüdlich gegen die Freimaurerei und für die päpstliche Autorität. Als großer Verehrer der Gottesmutter gründete er die Kongregation der Söhne ihres Unbefleckten Herzens.

Ich empfehle allen Anwesenden, in der Bibliothek nach der Biografie des hl. Antonius Maria Claret zu suchen. Sie ist auf Spanisch verfasst und wurde von den Claretinerpatres herausgegeben. Es handelt sich um eine recht umfangreiche Biografie, nicht um eine der üblichen Kurzfassungen. Ich las sie, als ich vor vielen Jahren in Rio Claro einen Vortrag über den hl. Antonius Maria Claret halten sollte. Ich las sie auf dem Weg dorthin und war von seiner Biografie tief beeindruckt.

Es gäbe so viel über den hl. Antonius Claret zu sagen, und so vieles ist so außergewöhnlich – wie es ja für jeden Heiligen gilt, dessen Biografie gut geschrieben und gut zu lesen ist –, dass dies eher einen Vortrag als ein paar kurze Anmerkungen erlauben würde.

Ich könnte jedoch Folgendes sagen: Die Kirche rät von Vergleichen zwischen Heiligen ab, und deshalb werde ich nicht behaupten, dass der hl. Antonius Claret der größte Heilige seiner Zeit war. Aber ich würde sagen: Wenn es stimmt, dass es in jeder Epoche große Heilige gibt, die in Gottes Augen und in den Plänen der Vorsehung alle anderen an Bedeutung übertreffen, dann war der hl. Antonius Claret gewiss einer dieser Heiliger.

Er war weit mehr als nur der Gründer einer Ordensgemeinschaft. Und außerdem ist umstritten, ob er der Gründer der Söhne des Unbefleckten Herzens Mariens war. Das wird von einigen bestritten. Er war wahrlich einer jener Männer, die, obwohl sie keinen besonders tiefgreifenden Einfluss auf ihre Zeit hatten, allein durch ihre Existenz die Epoche vollständig prägten.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein kleiner, untersetzter, lebhafter, feuriger Katalane, der nacheinander Folgendes tut: Zuerst geht er zum Studium nach Barcelona, ​​und dort beginnt er als Weber zu arbeiten. Aufgrund seines überaus lebhaften und ungestümen Temperaments verlor er so viel psychische Distanz beim Weben, dass er das Interesse an seiner Berufung verlor; er hörte auf, an das Priesteramt zu denken, und verbrachte einige Jahre mehr oder weniger mit Maschinen, Webstühlen und Ähnlichem beschäftigt; ohne an etwas anderes zu denken. Er praktizierte zwar weiterhin die Religion, war aber im Grunde ein totaler Looser.

Und genau so war der heilige Antonius Maria Claret zu jener Zeit in seinem Leben. Er berichtet, dass er zur Messe ging und – so scheint es – einmal wöchentlich die Kommunion empfing; aber, dass er, abgesehen von der strikten Erfüllung dieser Pflichten, an nichts Anderes dachte. Denn das Einzige, worüber er nachdenken wollte, waren Maschinen und Webstühle. Und an nichts Anderes. Kurz gesagt, das ist ein vergifteter Looser.

Eines Tages ging er mit seinen Gefährten schwimmen; eine sehr starke Welle kam, und er wurde auf den Grund gezogen; einen Grund, der vielleicht gar nicht so tief war, weil er klein war; Doch er wurde auf den Grund gezogen. Dort schluckte er Unmengen Wasser, verlor kurz das Bewusstsein und seine Freunde bringe ihn an den Strand. Dort, zwischen Atemzügen und Ohnmacht, begann er über die Todesgefahr nachzudenken und erkannte das Böse, das er getan hatte. Und erholt er sich wieder.

Und hier ist eine gewisse Ähnlichkeit mit uns. Denn unter einen gewissen Punkt kommt eine gewisse Besserung zustande in einigen von uns. Dann beginnt die zweite Phase, die mit einiger Mühe fortgesetzt wird, bis er wiederhergestellt wird oder von seinen inneren Dämonen befreit wird. Es ist eine Art Bekehrung. In diesem Sinne ist er der Schutzpatron der Taugenichtse.

Er hat sich bekehrt, weil er eine tiefe Verehrung für die Muttergottes hatte. Das hatte er schon immer. Und die Muttergottes, die ihn zu Großem vorherbestimmt hatte, ließ ihn, indem sie ihre Pläne erfüllte, wieder aufstehen und bekehrte ihn. Dann folgte ein unaufhaltsamer, eifriger Aufstieg zu den Gipfeln der Heiligkeit, die wir gleich sehen werden, wie er sie erreicht hat.

Er wird zum Priester geweiht. Er wird Missionar. Und so offenbart sich der Typus des Volksmissionars mit einigen wirklich herausragenden Eigenschaften. Er war ein Mann mit einer kraftvollen Stimme. Wäre er in den heutigen Kirchen, bräuchte er keinen Lautsprecher. Und er predigte nicht nur in Kirchen, sondern – da diese zu klein waren für die Menschenmassen, die er anzog, - und ich möchte das Wort „Menschenmassen“ betonen –, mussten Versammlungen auf öffentlichen Plätzen abgehalten werden. Und auf den öffentlichen Plätzen trug seine Stimme weit. So viele Menschen kam um ihn zuzuhören, dass die öffentlichen Plätze manchmal nicht ausreichten, um alle zu fassen.

Und wenn er von einer Stadt zur anderen ging, war sein Ruhm als begnadeter Redner so groß, dass ihn ein Großteil der Bevölkerung der Stadt, in der er gesprochen hatte, bis zur Hälfte der Strecke begleitete; die Bevölkerung der Stadt, in die er ging, kam ihm in einer Prozession entgegen und begleitet ihn. Bei der Versammlung hielten die einen eine Abschiedspredigt, für die anderen eine Begrüßungspredigt; es wurde viel geweint, denn er verstand es, die Zuhörer zu Tränen zu rühren.

Und dann ging er zu einer anderen Kirche, um dort als ein überaus lebhafter, fesselnder, leidenschaftlicher, tiefgründiger und überzeugender Volksredner zu sprechen, der von außergewöhnlichen Charismen geprägt war, die während seiner Predigten zu spektakulären Ereignissen führten.

Plötzlich ging er vorbei und sagte: „Gnädige Frau – und er deutete auf eine Frau im Publikum –, gnädige Frau zum Beispiel glaubt, dass sie nicht sterben wird, dass sie noch, ich weiß nicht wie viele Jahre, leben wird; und Ihr Tod wird nicht länger als … – Spannung – sechs Monate dauern!“ Die sichtlich interessierte Frau fiel natürlich in Ohnmacht; Weinen usw. Und oft geschah es, wie er vorhergesagt.

Ein andermal sagte er: „Ich werde den Dämon austreiben, der über diesem Saal schwebt.“ Er sprach die Exorzismus Formel, und ein lauter Knall ertönte: Blitze zuckten am klaren Himmel, die Glocken des Glockenturms läuteten! Und die ganze Bevölkerung war wie erstarrt … Natürlich kam es zu Massenbekehrungen. Denn wir können uns die Wirkung solcher Predigten gut vorstellen.

Seine großen Qualitäten als begnadeter Redner und Missionar wurden durch etwas Merkwürdiges ergänzt. Er wusste genau, dass seine Mission die eines Missionars war; er wollte nie ein tiefgründiger Theologe werden. Er wollte nie ein hochtrabender Redner sein; er strebte nie danach, ein Pater António Vieira, ein Bossuet, ein Bourdaloue oder Ähnliches zu sein. Er verstand, dass er geboren war, um zum einfachen Volk zu sprechen, und er sprach zu ihnen. Und er gab ein erbauliches Beispiel, etwa in Bezug auf bestimmte Ordensgemeinschaften, die dazu bestimmt sind, Menschen aus dem einfachen Volk auszubilden, sie mit einer brillanten Volksrede zu bekehren – und das war’s.

Interessanterweise behaupteten die Christdemokraten jener Zeit, es sei unmöglich, das Volk zu gegenrevolutionären Positionen zu führen, und es sei notwendig, völlig neue Methoden der Missionierung zu erfinden, da die alten nicht funktionierten. Er hingegen erzielte ein fabelhaftes Ergebnis, indem er die alten Methoden geschickt anwandte.

Mit anderen Worten: Er gab diesen Leuten die Antwort: „Mit den alten Methoden der Missionierung, die ihr predigt, erzielt ihr keine Ergebnisse; ich glaube euch. Mit den neuen werdet ihr auch keine Ergebnisse erzielen, aber das liegt daran, dass ihr nichts taugt.“ Es ist ungefähr so, als würde ein Sänger im Radio singen und sagen: „Nein, ich singe nicht gut wegen des Lautsprechers.“ „Nein! Du singst falsch; wenn du den Lautsprecher anmachst, klingt es sowieso nur Unsinn.“

Auch hier fehlen ihm die Eigenschaften des hl. Antonius von Claret. Doch der hl. Antonius von Claret verstand etwas anderes sehr gut. Er war ein Mann, der dazu berufen war, Begeisterung zu entfachen, nicht die von ihm entfachte Begeisterung zu koordinieren. So reiste er durch die Provinzen und entfachte überall die Liebe zu Gott; und dann ließ er andere diesen Samen, dieses Feuer aufgreifen und es für einen anderen Zweck nutzen. Das ist das Vorbild der Losgelöstheit; ohne sich um die eigene Ernte zu kümmern, sondern um zu säen, damit andere ernten konnten.

Schließlich, zum Erzbischof ernannt, reiste er nach Kuba. Dort begann er eine wahre Bekehrung der jungen Insel. Und deshalb entfesselte die Freimaurerei eine heftige Kampagne gegen ihn. Weil er die Änderung von Bräuchen provozierte, provozierte er Bekehrungen. Dann folgte eine Reihe von Angriffen und so heftiger Widerstand gegen ihn, dass die spanische Königin ihn aufgrund dieses Widerstands von der Insel entfernen musste.

Anschließend wurde er vom Papst vom Erzbischof von Santiago de Cuba zum Patriarchen von Indien und Kaplan des Königlichen Hofes von Madrid versetzt, worauf ich später noch eingehen werde. Vor seiner Abreise aus Kuba sprach er eine Art Fluch über die Insel aus.

Die Szene ist prachtvoll: Das Schiff, das davonsegelt; und er, in seinem bischöflichen Ornat, blickt auf Santiago de Cuba, die damalige Hauptstadt, mit dem Glanz ihrer Lichter am Meer usw.; und prophezeit, es sei eine schreckliche Insel, bewohnt von Menschen, die Gott verworfen hätten, und es werde nicht lange dauern, bis die Strafe für Kuba beginne.

Tatsächlich wurde Kuba kurz darauf unabhängig. Und für Kuba gab es keine schlimmere Strafe als die Unabhängigkeit. Denn unabhängig zu werden bedeutete erstens, auf jegliche spirituelle Kraft zu verzichten, die man von Spanien erhalten hatte; Aber zweitens geriet es unter die Herrschaft einiger verkommener Männer aus den Vereinigten Staaten. Und Kuba wurde in dieser Zeit zu einer Art amerikanischer Kolonie, wo skrupellose Amerikaner ihre Ausschweifungen und ihre Lust an die Strände Kubas brachten, die während ihrer Ferien zu einem Ort der Korruption und Unmoral geworden waren.

Dann kam Fidel Castro – wie Sie alle wissen – und die Prophezeiung des heiligen Antonius Claret erfüllte sich in unvorstellbarem Maße.

Er ging nach Spanien. Kurz darauf wurde er an den Hof berufen. Der Hofkaplan trug den Titel Patriarch von Indien, doch dieser hatte nichts mit Indien zu tun; es war eine rein konventionelle Angelegenheit. Schließlich wurde er der Beichtvater der Königin. Und die Königin war eine liberale Königin, die dem liberalen Zweig des spanischen Königshauses angehörte, der sich im Krieg mit den Karlisten befand.

Und wie es bei diesen liberalen Zweigen immer der Fall ist, besteht ihre Daseinsberechtigung darin, der Revolution in die Hände zu spielen. Und wenn sie sich ihr nicht beugen, werden sie gestürzt. Und so kam es, dass die Königin der Revolution in die Hände spielte, denn sie war eine Frau aus eigenem Antrieb und verfolgte liberale Politik. Doch im Kontakt mit dem hl. Antonius Claret veränderte sie sich allmählich; sie wurde antiliberal. Und sie verfolgte eine Politik, die den Zielen der Revolution zuwiderlief, sodass sie schließlich nach Frankreich verbannt wurde. So war es der heilige Antonius Claret, der durch seinen Eifer dieses Erdbeben in Spanien auslöste.

Während er gleichzeitig seine wichtige Mission als Missionar in ganz Spanien fortsetzte, soll er in dieser Zeit die Kongregation der Söhne des Unbefleckten Herzens Mariä gegründet haben. Der Name der Kongregation ist eng mit der Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariä verbunden, und da ich dies bereits erwähnt habe, brauche ich es nicht weiter auszuführen.

Es war ein großer Sieg für die gute Sache, dass Isabella II. auf diese Weise abgesetzt wurde. Denn die Revolution wollte in Spanien keine Republik errichten. Sie strebte eine konstitutionelle Monarchie an, da es für eine Republik noch zu früh war. Sie wurde gezwungen, eine Republik zu errichten, doch dann traten viele Gegenreaktionen auf. Und schon bald musste die Monarchie wiederhergestellt werden. Das heißt, dieser Erfolg war ein wahrer Sieg für die Monarchie. Die Republik hätte in Spanien ohne das Wirken des hl. Antonius Claret früher endgültig gesiegt.

Daher im Ersten Vatikanische Konzil, und die ist berühmte Episode in seinem Leben. Er war alt, krank und von den höchsten Gnaden umgeben, die einem Menschen zuteilwerden können; so ging beispielsweise die Gegenwart des Allerheiligsten Sakraments in ihm von einer Kommunion zur nächsten nicht verloren; er war ein lebendiges Tabernakel, das das Allerheiligste Sakrament stets bei sich trug, so wie die Gottesmutter Jesus während der Menschwerdung und der Zeit seiner Geburt in sich trug.

Nun gut. Er erlebte auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil einige Äußerungen von Bischöfen gegen die päpstliche Unfehlbarkeit. Und er, der kein Theologe war, erhob sich und hielt eine berühmte Predigt, in der er erklärte: „Ich bin kein Theologe, und ich bin nicht hierhergekommen, um darüber zu sprechen, sondern um mein tiefes Bedauern darüber auszudrücken, wie Bischöfe hier die Vorrechte des Papstes beschneiden und sich dem Heiligen Stuhl gegenüber so unverschämt verhalten haben.“ Er war darüber so entmutigt, dass er kurze Zeit später an gebrochenem Herzen starb.

Er ist unser Schutzpatron, als Schutzpatron der Nichtsnutzer; er ist unser Schutzpatron, als Schutzpatron der Gläubigen, die die Gnade annehmen; er ist unser Schutzpatron, weil er sein Leben lang die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens und der Muttergottes mit großem Eifer förderte. Er ist uns ein Vorbild und Schutzpatron, als Kämpfer gegen die Spanische Revolution; er ist uns ein Vorbild und Schutzpatron, weil er uns zeigt, dass in den einfachen Bevölkerungsschichten – entgegen den Absichten der Revolution – eine wahre und gute, ultramontane Predigt vollkommen Anklang findet. Und er ist unser Schutzpatron, als Verehrer des Heiligen Apostolischen Stuhls.

All diese Gründe veranlassen uns morgen, in besonderer Weise auf seinen Schutz zu vertrauen und ihn um ganz besondere Gnaden zu bitten.

Ich möchte betonen, dass wir vor allem über zwei Dinge nachdenken sollten: unsere eigenen Schwächen, die Befreiung jedes Einzelnen von ihnen von der Nichtsnützigkeit und insbesondere für das Zweite Vatikanische Konzil.

 

 

 

Anmerkungen und Kommentare zur Enzyklika „Mediator Dei“

 



„Legionário“ Nr. 803, 28. Dezember 1947

In der Fortsetzung unserer Bemühungen die Verbreitung der Enzyklika „Mediator Dei“ von Papst Pius XII., beginnen wir heute mit der Veröffentlichung von Kommentaren und Anmerkungen zum päpstlichen Text.

Neben dem Bestreben, die Gedanken des Papstes in erhabener theologischer Sprache den Lesern zugänglich zu machen, konzentrieren wir uns auf den Zusammenhang zwischen den Enzykliken „Mediator Dei“ und „Mystici Corporis Christi“, die ein einziges und wichtiges Lehrwerk bilden.

1. Text der Enzyklika:

Die Kirche führt also, getreu dem von ihrem Stifter erhaltenen Auftrag, das Priesteramt Jesu Christi vor allem durch die heilige Liturgie weiter.

Kommentar der Redaktion:

Das Priestertum Jesu Christi wird vor allem und also nicht nur durch die Heilige Liturgie fortgeführt.

2. Text der Enzyklika:

In erster Linie tut sie dies am Altare, wo das Kreuzesopfer ständig dargebracht und erneuert wird, wobei einzig die Art der Darbietung verschieden ist; dann durch die Sakramente, besondere Mittel, durch welche die Menschen des übernatürlichen Lebens teilhaftig werden; endlich durch den Lobpreis, der täglich dem allgütigen und allmächtigen Gott dargebracht wird.

Kommentar der Redaktion:

In der Liturgie setzt die Kirche das Priesteramt Jesu Christi nicht nur in der Messe fort, sondern auch in den Sakramenten und im Stundengebet.

3. Text der Enzyklika:

Es ist Euch, ehrwürdige Brüder, sicher bekannt, dass gegen Ende des letzten und zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts ein außerordentlicher Wetteifer auf dem Gebiet der liturgischen Studien entfaltet wurde, sowohl durch private Arbeit, wie besonders durch die weit ausholende und emsige Tätigkeit einiger Klöster des berühmten Benediktinerordens; so wuchs nicht nur in vielen europäischen Nationen, sondern auch in den überseeischen Ländern diesbezüglich ein lobenswertes und fruchtbringendes Bemühen. Die segensreichen Früchte dieses eifrigen Bemühens konnte man auf dem Gebiet der theologischen Wissenschaften wahrnehmen, wo die liturgischen Riten der abend- und morgenländischen Kirche erschöpfender und tiefer durchforscht und erfasst wurden, wie auch im geistlichen und privaten Leben vieler Christen.

Die hehren Zeremonien des heiligen Opfers wurden bessererkannt, erfasst und geschätzt, die Sakramente wurden allgemeiner und häufiger empfangen, die liturgischen Gebete inniger verkostet und die Verehrung der heiligen Eucharistie - was auch fortdauern soll - als Quelle und Mittelpunkt wahrer christlicher Frömmigkeit gewertet. Außerdem wurde die Tatsache in helleres Licht gerückt, daß alle Gläubigen einen einzigen, eng gefügten Leib bilden, dessen Haupt Christus ist, weshalb dem christlichen Volke die Pflicht obliege, in gebührender Weise an den liturgischen Handlungen teilzunehmen.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zeigt, dass die Lehre vom Mystischen Leib, die in einem natürlichen Zusammenhang mit der Heiligen Liturgie steht, von derselben Bewegung untersucht wurde, die auch die Liturgische Bewegung förderte. Diese umfangreiche und reiche Sammlung von Lehren, die auf diese Weise hervorgehoben wurde, war zunächst heilsam, wurde aber später auf heterodoxer Art verarbeitet. Daher der Zusammenhang zwischen den Enzykliken „Mistici Corporis Christi“ und „Mediator Dei“. Erstere zielte darauf ab, Irrtümer über den Mystischen Leib, letztere Irrtümer in der Liturgie zu bekämpfen. Beide Irrtümer verschmelzen somit zu einer gemeinsamen Wurzel der Heterodoxie und bilden so ein homogenes heterodoxes System.

4. Text der Enzyklika:

Ihr wisst ohne Zweifel sehr wohl, dass der Apostolische Stuhl jederzeit eifrig bestrebt war, das ihm anvertraute Volk mit richtigem und lebendigem liturgischem Empfinden zu erfüllen; und wie er mit nicht geringerem Eifer darauf geachtet hat, dass die heiligen Handlungen auch nach außen durch angemessene Würde wirkten. Wir selbst haben, als Wir dem Brauch gemäß im Jahre 1943 zu den Fastenpredigern der Ewigen Stadt sprachen, sie mit Nachdruck ermahnt, ihre Zuhörer zu einer wachsenden Teilnahme am eucharistischen Opfer anzuspornen; und erst neulich haben Wir in der Absicht, das rechte Verständnis der liturgischen Gebete und die Erfassung ihres kostbaren Wahrheitsgehaltes zu fördern, das Buch der Psalmen, das in der katholischen Kirche einen großen Teil jener Gebete ausmacht, aus dem Urtext von neuem ins Lateinische übertragen lassen.

Kommentar der Redaktion:

Der Grund für die Übersetzung ist laut Papst, dass die Psalmen besser verstanden und begriffen werden können. Daraus folgt, dass der Hauptnutzen, den die Gläubigen aus dem Offizium ziehen, nicht in nebulösen transpsychologischen, sondern vielmehr in einem psychologischen Effekt besteht. Wahre liturgische Bildung liegt im Verstehen und Auskosten der Bedeutung der Psalmen.

5. Text der Enzyklika:

Während also diese Bestrebungen infolge ihrer heilsamen Wirkungen Uns nicht geringen Trost bereiten, fordert doch auch das Gewissen, daß Wir jene Erneuerungsbestrebungen im Auge behalten und sorgsam darauf achten, daß die Anregungen nicht ins Maßlose oder Fehlerhafte ausarten.

Kommentar der Redaktion

Dieser Abschnitt macht deutlich, dass die Irrtümer nicht von einer anderen liturgischen Bewegung ausgingen, sondern von denjenigen, die so glücklich in Europa unter der Schirmherrschaft des Ordens des Heiligen Benedikt begann, die Meere überquerte und sich in der gesamten westlichen Kirche ausbreitete. Es zeigt auch, dass der Papst es für notwendig hält, diese Bewegung überall zu überwachen, um die schwerwiegenden Irrtümer, die in ihr entstanden sind, zu verhindern oder zu vermeiden.

6. Text der Enzyklika:

Wenn Wir nämlich einerseits mit großem Bedauern feststellen, daß in verschiedenen Ländern der Sinn für die heilige Liturgie, ihre Kenntnis und ihr Studium gelegentlich ungenügend sind oder fast ganz fehlen, so müssen Wir anderseits mit Besorgnis, ja mit Furcht wahrnehmen, wie einige allzu neuerungssüchtige Leute vom Weg der gesunden Lehre und der Klugheit abweichen.

Kommentar der Redaktion:

Entgegen einem sich heimtückisch verbreitenden Gerücht tadelt der Papst nicht diejenigen, die vor der Enzyklika die Irrtümer der Liturgischen Bewegung angegriffen haben. Er tadelt lediglich die Vernachlässigung der Heiligen Liturgie durch einige Menschen („in bestimmten Regionen“). Der Papst weist auf die psychologischen Gründe für diese Irrtümer hin: die Gier nach Neuerungen und ihre beiden Folgen: Bruch mit der gesunden Lehre und Unklugheit im Verhalten.

7. Text der Enzyklika:

Der Grund dafür liegt darin, dass sie in der Absicht und dem Wunsch, die liturgische Erneuerung zu fördern, oft Prinzipien außer Kraft setzen, die diese ,0heiligste Sache theoretisch oder praktisch gefährden und sie oft auch mit Irrtümern über den katholischen Glauben und die asketische Lehre verunreinigen.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst prangert die Existenz eines Systems („Prinzipien“) an, mit dem die Irrtümer der liturgischen Bewegung verbunden sind. Es ist Aufgabe der Gelehrten, Mystici Corporis Christi und Mediator Dei sorgfältig zu analysieren, um diese Prinzipien anhand der darin enthaltenen Elemente zu definieren.

Der Papst betont die Schwere dieser Haltungen, die „oft den katholischen Glauben und die asketische Lehre beeinträchtigen“. – Die schlimmsten Feinde der liturgischen Bewegung sind diejenigen, die sie mit diesen Irrtümern gegen Glauben und Moral verunreinigen. Ihre besten Freunde hingegen sind diejenigen, die diese Irrtümer energisch bekämpfen, um eine gute liturgische Bewegung zu verbreiten.

8. Text der Enzyklika:

Reinheit des Glaubens und der Sitte muss aber die hauptsächlichste Richtlinie dieser heiligen Wissenschaft sein, die mit der weisen Lehre der Kirche in allem übereinstimmen soll. Es ist demnach Unsere Pflicht, was gut ist, zu loben und zu empfehlen, was aber vom rechten Weg abweicht, in Schranken zu halten oder zu verwerfen.

Kommentar der Redaktion:

Es gab unter uns einige, die glaubten, dass ein Angriff auf die Irrtümer der liturgischen Bewegung diese selbst in ihrer ganzen Integrität gefährden würde. Menschliche und fleischliche Klugheit ließ sie es vorziehen, dass sich die liturgische Bewegung durch Irrtümer verunreinigt ausbreitet, anstatt sie umsichtig zu unterbinden. Der Papst konnte nicht umhin zu erkennen, dass er mit der Veröffentlichung dieser Enzyklika die Existenz sehr schwerwiegender Irrtümer unter den Katholiken selbst öffentlich machen würde. Er urteilte, dass diese Gefahr geringer sei, als die liturgische Bewegung in ihren Irrtümern zu belassen. Unter uns gab es solche, die es als entweihend empfanden, die Irrtümer der Liturgie anzugreifen, die die Existenz einer Spaltung unter den Katholiken offenbarten. Eine verdächtige und seltsame Therapie, die darin bestand, dem Irrtum freien Lauf zu lassen, damit seine Existenz nicht wahrgenommen wurde. Nach Mediator Dei ist es nicht länger zulässig, diese Praxis zu befürworten.

9. Text der Enzyklika:

Es sollen jedoch die Säumigen und Lässigen nur nicht meinen, Wir wären mit ihnen zufrieden, weil Wir die Irrenden tadeln und die Allzukühnen zügeln; noch sollen die Unklugen es als Lob für sich deuten, wenn Wir die Nachlässigen und Zauderer zurechtweisen.

Kommentar der Redaktion:

Wie in Thema Nr. 6 spricht der Papst von zwei irrigen Positionen: der der Trägen und Lauen, die an der Sache desinteressiert sind, und der der Rücksichtslosen und Innovativen. Es gibt nicht den geringsten Hinweis auf diejenigen, die, obwohl sie an der Sache interessiert waren, die Irrtümer der Liturgie angriffen. Dies ist wichtig zu beachten, um heimtückische Gerüchte zu zerstören.

10. Text der Enzyklika:

Wenn Wir in Unserem Rundschreiben hauptsächlich von der lateinischen Liturgie sprechen, so geschieht das nicht, weil Wir die ehrwürdigen Liturgien der Ostkirche weniger schätzten; ihre Riten, durch alte und kostbare Urkunden überliefert, sind Uns ebenso teuer; das geschieht vielmehr wegen der besonderen Verhältnisse der abendländischen Kirche, die so geartet sind, daß sie das Eingreifen Unserer Autorität notwendig zu machen scheinen.

Kommentar der Redaktion:

Diese Worte des Papstes verdeutlichen die extreme Dringlichkeit der Situation, in der wir uns befinden: Die besonderen Bedingungen der westlichen Kirche ERFORDERN DAS EINGREIFEN UNSERER AUTORITÄT. Ein eindringlicher Aufruf an alle eifrigen Gläubigen, für eine gesunde liturgische Bewegung zu kämpfen, indem sie die Irrtümer, die sie plagen, radikal und unverzüglich beseitigen.

11. Text der Enzyklika:

Alle Christen sollen daher willig auf die Stimme ihres gemeinsamen Vaters hören, der sich sehnlichst wünscht, dass alle, die ihm innig verbunden sind, sich dem Altar Gottes nähern, denselben Glauben bekennen, dieselben Gesetze befolgen und mit einmütiger Absicht und einmütigem Willen am selben Opfer teilnehmen.

Kommentar der Redaktion:

Die obige Anmerkung wird bestätigt. Das Wort des Papstes zu hören, verpflichtet alle, auch die Laien, insbesondere im Jahrhundert der Katholischen Aktion, dazu, es zu verbreiten. Lasst uns energisch gegen das kämpfen, was der Papst verabscheut und verurteilt.

12. Text der Enzyklika:

Das verlangt schon die Ehre Gottes; das fordern auch die Bedürfnisse der Gegenwart. Nachdem ein langer und grauenvoller Krieg die Völker durch Feindschaft und blutigen Tod sich gegenseitig entfremdet hat, mühen sich jetzt Menschen guten Willens, alle nach besten Kräften zur Eintracht zurückzuführen.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zeigt, wie dringend nötig die Einheit der Gläubigen ist. Dies ist jedoch nur durch die Einheit im Glauben möglich, wie der Papst sagt. Um diese Einheit zu erreichen, hat der Papst, anstatt zum liturgischen Problem zu schweigen, im Gegenteil den Finger auf die Wunde gelegt. Den Finger eines Vaters und Arztes, der weiß, dass Ausbrüche nicht dadurch bekämpft werden, dass man sie ignoriert, sondern indem man sie behandelt. Dies ist ein unschätzbarer Trost für diejenigen von uns, die den Liturgizismus immer bekämpft haben und die mit dieser Haltung keine Zwietracht gestiftet, sondern die Einheit gefördert haben.

13. Text der Enzyklika:

Kaum nämlich ist das Wort Fleisch geworden[13], als es auch schon mit dem Priesteramt bekleidet sich der Welt offenbart, indem es sich dem Ewigen Vater unterwirft und diese Unterwerfung sein ganzes Leben hindurch ununterbrochen fortsetzt  Beim Eintritt in die Welt spricht Christus: ... Siehe ich komme . . . Deinen Willen, O Gott, zu erfüllen . . .[14], und im blutigen Kreuzesopfer hat er dies wunderbar erfüllt : Kraft dieses Willens sind wir ein für allemal geheiligt durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi[15].

Kommentar der Redaktion:

Das priesterliche Amt Jesu Christi bestand nicht allein im Abendmahl und auf dem Kalvarienberg, sondern in der Unterwerfung, mit der er sich in jeder seiner Lebenshandlungen dem Vater gegenüber verhielt. Wie wir sehen werden, dient diese Beobachtung dem Papst als Grundlage, um die Art des von den Gläubigen dargebrachten Opfers, die Eigenschaften, die dieses Opfer haben muss, und damit die Art und Weise der Teilnahme der Gläubigen an der Heiligen Messe zu bestimmen. Man beachte die Beziehung zwischen den Opfern des christlichen Lebens und dem Opfer, einem Akt des öffentlichen Kultes.

14. Text der Enzyklika:

Sein tatenreiches Menschendasein strebt diesem einen Ziele zu. Als kleines Kind wird er im Tempel zu Jerusalem dem Herrn dargestellt; als Knabe begibt er sich wieder dorthin; später betritt er den Tempel immer und immer wieder, um das Volk zu lehren und dort zu beten. Bevor er seine öffentliche Tätigkeit beginnt, beobachtet er ein vierzigtägiges Fasten; durch seinen Rat und sein Beispiel mahnt er alle, ihre Bitten bei Tag und bei Nacht an Gott zu richten. Er, der Lehrer der Wahrheit, erleuchtet jeden Menschen[16]damit die Sterblichen den unsichtbaren Gott gebührend anerkennen und nicht Söhne feigen Versagens seien zu ihrem Verderben, sondern Kinder des Glaubens, durch den das Leben gewonnen wird[17]. Als Hirt leitet er seine Herde, führt sie auf die Weide des Lebens und erläßt sein Gesetz so, daß niemand von ihm und dem rechten Wege, den er weist, sich abbringen lasse, sondern alle unter dem Hauch seines Geistes und in seiner Kraft heilig leben. Beim letzten Abendmahle begeht er in feierlicher Form das neue Pascha, dessen Fortbestand er durch die Einsetzung der heiligen Eucharistie sichert;

Kommentar der Redaktion:

Der Papst unterscheidet in Jesus Christus zwischen individuellen und eigentlich priesterlichen Handlungen. Diese Unterscheidung bedeutet keine Trennung; im Gegenteil, es besteht eine enge Verbindung zwischen beiden. In der Frömmigkeit des Hohepriesters als Ganzes und auch in der Frömmigkeit der Kirche können wir zwei Elemente unterscheiden: Das eine besteht aus den eigentlich priesterlichen Handlungen, die das Handeln Christi als Meister, Hirte und Opferer fortsetzen; das andere besteht aus der Frömmigkeit des Einzelnen, einer Frömmigkeit, die streng privat und individuell ist. Der Papst wird dieses Konzept weiter ausführen, um zwischen dem eigentlich aktiven Priestertum der Hierarchie und dem analogen und passiven Priestertum der Laien zu unterscheiden, zwischen der eigentlich liturgischen Frömmigkeit der ersteren und der Frömmigkeit der Gläubigen, die auch bei der Ausübung liturgischer Handlungen privat ist.

15. Text der Enzyklika:

am folgenden Tag bringt er, zwischen Himmel und Erde schwebend, das heilbringende Opfer seines Lebens dar und läßt seiner durchbohrten Brust gleichsam die Sakramente entströmen, die den Menschen die Schätze der Erlösung zuführen sollen. Bei alledem schaut er einzig auf die Ehre seines himmlischen Vaters und darauf, die Menschen mit immer größerer Heiligkeit zu erfüllen.

Kommentar der Redaktion:

Die Heiligung der Menschheit wird durch die Vereinigung aller Kräfte ihrer Seele mit Gott erlangt. Es ist eine Vereinigung der Intelligenz, des Willens, der sich fest nach Gott sehnt, und der Sensibilität. Diese Vereinigung kann innerhalb der rein natürlichen Ordnung erreicht werden. So sind die Seelen derer, die sich in der Vorhölle (im Limbus) befinden, vollständig mit Gott vereint, obwohl sie kein übernatürliches Leben besitzen. Um diese moralische Vereinigung leichter und inniger zu fördern, schenkte unser Herr der Menschheit mit der Erlösung übernatürliches Leben. Doch, so der Papst, die Verleihung dieses herrlichen Geschenks ist kein Selbstzweck. Das letzte Ziel, zu dem die Verleihung des übernatürlichen Lebens ein Mittel ist, ist die moralische Vereinigung mit Gott: dass der Mensch Gott von ganzem Herzen und vor allem seine eigene Ehre lieben kann.

16. Text der Enzyklika:

Deshalb zielt die vom göttlichen Erlöser gestiftete Gesellschaft mit ihrer Lehre und Leitung, dem von ihm eingesetzten Opfer und den von ihm gestifteten Sakramenten, mit der von ihm überkommenen Verwaltung und dem von ihr verströmten Gebet und Blut nur auf das eine hin, daß sie täglich sich weite nach außen und innerlich zusammenwachse; das wird auch erreicht, wenn Christus in den Menschenseelen Leben gewinnt und sich entfaltet, und umgekehrt die Menschenseelen durch Christus gleichsam erbaut werden und wachsen;

Kommentar der Redaktion:

Der Papst bestätigt die obige These. Es ist so wahr, dass die Ehre Gottes und die moralische Vereinigung des Menschen mit Gott das Ziel aller Taten Jesu Christi und der Erlösung selbst sind, dass die Kirche, die Fortsetzung Christi, kein anderes Ziel hat als dieses. Man beachte, dass für den Papst die klassische Formel, Christus im Gläubigen oder den Gläubigen in Christus aufzubauen, im Wesentlichen die Idee zum Ausdruck bringt, die festeste und tiefste moralische Verbindung zwischen dem Gläubigen und Christus herzustellen. Hier liegt nichts Transpsychologisches vor, wie man in der verdächtigen oder fehlerhaften Terminologie gewisser moderner Philosophien sagen könnte.

17. Text der Enzyklika:

Deshalb ist in jeder liturgischen Handlung zugleich mit der Kirche ihr göttlicher Stifter zugegen. Zugegen ist Christus im hochheiligen Opfer des Altares, in der Person des seine Stelle vertretenden Priesters und vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Zugegen ist er in den Sakramenten durch die Kraft, die er ihnen zuströmen läßt als den Werkzeugen der Heiligung. Zugegen ist er endlich im Lob Gottes und im Bittgebet, gemäß dem Worte: Wo nämlich zwei oder drei in meinem Namen vereint sind, bin ich mitten unter ihnen[22].

Kommentar der Redaktion:

Man beachte, dass Christi Gegenwart in der liturgischen Handlung „gemeinsam“ mit der Kirche erfolgt. Dieser Ausdruck findet seinen Kommentar in Mystici Corporis Christi, wo der Heilige Vater die Unmöglichkeit betont, einer vermeintlich unsichtbaren Kirche Christi anzugehören, und bekräftigt, dass es unmöglich ist, mit Christus vereint zu sein, ohne mit der sichtbaren Kirche verbunden zu sein, deren oberstes Oberhaupt der Heilige Vater, der Papst, ist.

18. Text der Enzyklika:

Die heilige Liturgie bildet folglich den öffentlichen Kult, den unser Erlöser, das Haupt der Kirche, dem himmlischen Vater erweist und den die Gemeinschaft der Christgläubigen ihrem Gründer und durch ihn dem Ewigen Vater darbringt; um es zusammenfassend kurz auszudrücken: sie stellt den gesamten öffentlichen Gottesdienst des mystischen Leibes Jesu Christi dar, seines Hauptes nämlich und seiner Glieder.

Kommentar der Redaktion:

Hier finden wir eine offizielle Definition der Liturgie, die von nun an als Grundlage für alles zu diesem Thema dienen wird. Diese Definition bestätigt die traditionelle Lehre, dass nur Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die speziell zu diesem Zweck ernannt wurden, liturgische Funktionen ausüben dürfen. Die einfachen Gläubigen sind daher von allen offiziellen oder formal liturgischen Handlungen ausgeschlossen. Diese Lehre wird später noch eindringlich und entschieden bekräftigt.

19. Text der Enzyklika

Je nach den Umständen und den Bedürfnissen der Christen wird der Gottesdienst veranstaltet, ausgebaut und mit neuen Riten, Zeremonien und Gebetsformen bereichert, immer zu dem Zwecke, „daß wir durch jene Sinnbilder uns selbst anspornen und innewerden, wieviel Fortschritt wir gemacht haben, und zu dessen Förderung uns entschieden aneifern denn die Wirkung wird um so wertvoller sein, je stärker der Eifer ist, der ihr vorausgeht“[25]

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zeigt einmal mehr, dass die moralische Vereinigung der Gläubigen (und nicht die transpsychologische oder ontologische, wie manche behaupten) mit Gott, zusammen mit der Verherrlichung Gottes selbst, der wesentliche Zweck der Liturgie ist.

Der Papst verurteilt umgehend den liturgischen Archaismus und erklärt, dass die neuen Riten kein Abschaum oder Unreinheiten einer dekadenten Kirche seien, sondern wahre Reichtümer, die das spirituelle Erbe der Kirche intensivieren.

20. Text der Enzyklika:

So erhebt sich das Gemüt beschwingter und leichter zu Gott, und das Priestertum Jesu Christi lebt und wirkt jederzeit durch alle Jahrhunderte hindurch, da die heilige Liturgie nichts anderes ist als die Ausübung dieses Priesteramtes.

Kommentar der Redaktion:

Dieses gesamte Thema zeigt, dass das von der Kirche ausgeübte Priestertum Jesu Christi ein hierarchisches Priestertum ist, das nur von geistlichen Amtsträgern und nicht von einfachen Gläubigen ausgeübt werden kann.

21. Text der Enzyklika:

Die zum irdischen Leben Gebotenen bereichert sie in einer Art von Wiedergeburt mit dem übernatürlichen Leben; für den Kampf gegen den unversöhnlichen Feind stärkt sie dieselben mit der Kraft des Heiligen Geistes; sie ruft die Christen zu den Altären, eifert sie durch wiederholte Einladung an zur andächtigen Feier des eucharistischen Opfers und nährt sie mit der Engelspeise, damit sie immer mehr erstarken; die durch die Sünde Verwundeten und Befleckten.

Kommentar der Redaktion:

Der Ausdruck „feiern“ ist von den Gläubigen im Sinne von Gedenken zu verstehen, denn der Papst …(Druckfehler im Original)… er verwendet den verwerflichen und oft verwendeten Ausdruck „konzelebrieren“ gerade deshalb, weil die Gläubigen vom wesentlichen Akt des Heiligen Messopfers, der Wandlung, ausgeschlossen sind.

22. Text der Enzyklika:

Jedoch ist das Hauptgewicht bei der Gottesverehrung auf das Innere zu verlegen. Wir müssen immer in Christus leben und uns ihm ganz hingeben, damit in ihm, mit ihm und durch ihn dem himmlischen Vater die gebührende Ehre erwiesen werde. Die heilige Liturgie verlangt aber, daß die beiden Elemente aufs engste miteinander verknüpft seien; sie selbst wird nicht müde, das immer und immer wieder zu empfehlen, sooft sie nämlich einen äußeren Akt religiösen Kultes vorschreibt. So mahnt sie uns z. B. beim Fasten, „unser sittliches Verhalten möge das, wovon es nach außen Zeugnis gibt, in unserem Innern verwirklichen“[28]. Sonst wird die Religion zweifelsohne zum leeren Ritus und reinen Formalismus. Wie euch, ehrwürdige Brüder, bekannt ist, hält der göttliche Meister jene des Gotteshauses für unwürdig und möchte sie aus ihm entfernt wissen, die vermeinen, sie könnten allein schon mit klangvollen schönen Stimmen nach Art der Schauspieler Gott verehren, und die sich einbilden, für ihr ewiges Heil ordentlich Sorge zu tragen, auch wenn sie ihre tief eingewurzelten Fehler nicht mit der Wurzel ausrotten[29].

Kommentar der Redaktion:

Wenn die heilige Liturgie und das christliche Leben im Allgemeinen, wie manche behaupten, eine transpsychologische und ontologische Vereinigung mit Gott bewirken würden, wären die inneren Gefühle der Seele, gerade weil sie im psychologischen Bereich stattfinden, mit Sicherheit zweitrangig. Durch die korrekte Durchführung des Ritus und damit das Erreichen seiner ontologischen oder transpsychologischen Wirkung wäre der Zweck der Liturgie erreicht, selbst wenn die moralische und psychologische Vereinigung nicht erreicht würde.

Der Papst geht vom entgegengesetzten Prinzip aus und misst daher nicht der Durchführung des Ritus, sondern der inneren Verfassung höchste Bedeutung bei. Der Papst ist zutiefst empört über den rein mechanischen Formalismus der Liturgie, über die Vorstellung, sie handle ausschließlich „ex opere operatur“ und nicht „ex opere operantis“. Die Enzyklika „Mediator Dei“ ist die Peitsche, die diese neue Form von Hausierern und Pharisäern aus der Kirche vertreiben soll.

23. Text der Enzyklika:

Die Kirche wünscht also, daß alle Christgläubigen sich zu den Füßen des Erlösers niederwerfen, um ihm ihre Verehrung und Liebe zu erzeigen; sie wünscht, daß die Scharen nach dem Beispiel der Jugend, die Christus bei seinem Einzug in Jerusalem mit Freudengesang entgegenzog, lobsingen und dem König der Könige, dem höchsten Geber aller Güter Jubellieder ertönen lassen und Danksagung darbringen; daß ihren Lippen Gebete entströmen, Bittgebete und froher Lobpreis, durch die sie wie die Apostel am See Genesareth seine barmherzige und allmächtige Hilfe anrufen; oder daß sie, wie Petrus auf dem Berge Tabor vom Lichtglanz und der Wonne seliger Beschauung hingerissen, sich und das Ihrige dem Ewigen Gott anheimstellen.

Kommentar der Redaktion:

Die innere Haltung der Gläubigen ist für ein gesundes und orthodoxes liturgisches Leben so grundlegend, dass der Papst in diesem Thema, in dem er eindeutig von liturgischer Frömmigkeit spricht, Worte und Begriffe verwendet, die durchaus für eine rein private Frömmigkeit geeignet sind.

24. Text der Enzyklika:

Daher haben jene vom wahren Begriff und Sinn der heiligen Liturgie entschieden eine falsche Vorstellung, die unter ihr nur den äußeren und sinnfälligen Teil des Gottesdienstes oder etwa eine würdige Aufmachung von Zeremonien verstehen. Und ebenso gehen jene fehl, die sie nur für eine Sammlung von Gesetzen und Vorschriften halten, wonach die kirchliche Hierarchie die heiligen Riten regelt.

Es muß allen eine Selbstverständlichkeit sein, daß Gott nicht würdig verehrt werden kann, wenn nicht Geist und Herz zur Vollkommenheit angeeifert werden, und daß der Kult, den die Kirche in Einheit mit ihrem göttlichen Haupt Gott darbringt, die höchste Wirkkraft zur Weckung wahrer Heiligkeit in sich birgt.

Kommentar der Redaktion:

Die Sprache des Papstes zeigt, dass diese Irrtümer nicht bloß hypothetisch und möglich sind, sondern dass sie konkret aus der ansonsten providentiellen liturgischen Bewegung entstanden sind.

In diesem Abschnitt formuliert der Papst den in den vorherigen Erwägungen widerlegten Irrtum und verurteilt ihn. Der Irrtum ist zweifacher Natur: 1) dass die Liturgie Gott allein deshalb würdig verherrlichen kann, weil ihr Ritus in hervorragender Weise vollzogen wird, obwohl keine Anstrengungen zur Heiligung der Amtsträger und der Gläubigen unternommen werden; 2) dass die Heiligung nicht eine höchste Wirkung der Liturgie ist.

25. Text der Enzyklika:

Diese Wirkkraft kommt, wo es sich um das eucharistische Opfer und die Sakramente handelt, vor allem und an erster Stelle ex opere operato (aus der heiligen Handlung selbst). Wenn wir hingegen die Funktionen der unversehrten Braut Jesu Christi ins Auge fassen, wodurch sie mit Gebeten und heiligen Zeremonien das eucharistische Opfer und die Sakramente umrankt, oder wenn die Rede ist von den Sakramentalien und den übrigen Riten, die von der kirchlichen Hierarchie angeordnet sind, so kommt die Wirkkraft vor allem ex opere operantis Ecclesiae (aus der Handlung als einer Handlung der Kirche), insofern sie heilig ist und in engster Verbindung mit ihrem Haupte wirkt.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst bestätigt hier die traditionelle Lehre der katholischen Theologie, wonach er bei jeder heiligenden Handlung mehrere Arten der Wirksamkeit unterscheidet. 1) die intrinsische Wirksamkeit (ex opere operato), d. h. die Wirksamkeit der Sakramente und des Messopfers, unabhängig von der Heiligkeit desjenigen, der sie spendet. 2) die Wirksamkeit, die außerhalb des Werkes selbst liegt, aber auch unabhängig von der Heiligkeit des Spenders ist. Dies ist das „opus operantis Ecclesiae“, dessen heiligende Wirksamkeit von der Heiligkeit der Kirche abhängt, in deren Namen der heilige Ritus von ihrem Spender vollzogen wird. 3) die Wirksamkeit, die sich aus dem Verdienst der Person ergibt, die die heiligende Handlung vollzieht, und von der Heiligkeit desjenigen abhängt, der die Handlung vollzieht.

Man sollte nicht meinen, dass die Wirksamkeit „ex opere operato“ in keiner Weise ein Element innerer Anbetung beinhaltet, d. h. die Gefühle der Seele, die sich Gott zuwendet, um ihn anzubeten. Es ist wahr, dass das Messopfer und die Sakramente auch dann gültig und wirksam sind, wenn sie von unwürdigen Personen gefeiert werden. Ihre Wirksamkeit leitet sich jedoch nicht aus ihrer liturgischen Handlung ab, als wäre diese eine magische Handlung; ihre Wirksamkeit leitet sich aus den Verdiensten Jesu Christi ab, in dessen Person sie ausgeübt werden, und die Verdienste Jesu Christi umfassen den gesamten unendlichen Wert ihrer inneren Anbetung.

Man sollte nicht meinen, die Kirche würde die Elemente der inneren Anbetung und die Heiligung selbst vom Spender, der die Sakramente spendet oder spendet, entbehrt. Es ist wahr, dass ihre liturgischen Handlungen in diesen Fällen gültig sind, auch wenn sie unwürdig sind. Aber die Kirche erklärt sie für unzulässig und macht sie schwer schuldig, wenn sie sich ihnen unwürdig, im Zustand der Todsünde oder ohne die für die heilige Handlung erforderlichen Voraussetzungen nähern. Gleiches gilt für die Sakramentalien, bei denen die Wirksamkeit nicht vom Spender, sondern von der Kirche abhängt.

Darüber hinaus wird bei der sakramentalen Handlung selbst das innere psychologische Element nicht völlig vernachlässigt. Mit anderen Worten: Eine mechanische, äußerlich vollzogene Handlung reicht nicht aus. Denn damit die Sakramente gültig sind, verlangt die Kirche die Absicht des Spenders, „das zu tun, was die Kirche tut“.

26. Text der Enzyklika:

In diesem Zusammenhang möchten Wir, ehrwürdige Brüder, eure Aufmerksamkeit auf jene neue Theorie der christlichen Frömmigkeit hinlenken, die man „objektive“ (sachliche) Frömmigkeit nennt; während diese Theorie das Geheimnis des Mystischen Leibes, die wahrhaft heiligende Wirkkraft der Gnade sowie die göttliche Wirkung der Sakramente und des eucharistischen Opfers klar herausstellt, scheint sie dahin zu zielen, die „subjektive“ oder „persönliche“ Andacht herabzumindern oder ganz zu übersehen.

Kommentar der Redaktion:

Bisher hat der Papst von zwei Elementen gesprochen, die die Frömmigkeit der Kirche, d. h. des mystischen Leibes, ausmachen – beides wesentliche Elemente:

a) die Taten Jesu Christi, des Hauptes der Kirche, die von den Liturgiedienern fortgeführt werden;

b) die Taten der Gläubigen und des Liturgiedieners selbst, nicht als Stellvertreter Jesu Christi, sondern als Privatperson.

Das erste Element könnte man als objektiv, das zweite als subjektiv bezeichnen. Der vom Papst verurteilte Irrtum besteht darin, das objektive Element zu übertreiben und das subjektive Element zu unterschätzen oder gar zu vernachlässigen.

Da das subjektive Element persönlich und das objektive daher kollektiv ist, besteht dieser Irrtum darin,

1) die Frömmigkeit überwiegend kollektiv oder liturgisch zu gestalten, zum Nachteil der privaten oder persönlichen Frömmigkeit;

2) innerhalb der kollektiven Frömmigkeit selbst das Element der persönlichen Frömmigkeit zu unterschätzen, das ihr innewohnt und von ihr untrennbar ist. Dies wäre also eine Entpersonalisierung und Sozialisierung der Frömmigkeit, die im spirituellen Bereich das bewirken würde, was der Kommunismus im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich bewirkt. Es wäre die Bolschewisierung der christlichen Frömmigkeit.

Wenn wir die letzten und extremsten logischen Konsequenzen dieser Irrtümer ziehen und Frömmigkeit als etwas völlig Unpersönliches begreifen, sind wir beim Panpsychismus und Pantheismus angelangt.

Daraus ergibt sich als Konsequenz, und zwar nur als Konsequenz, der Quietismus in der Frömmigkeit. Wenn der Einzelne nichts mit Frömmigkeit zu tun hat, besteht seine Rolle darin, ruhig und inaktiv zu bleiben, während sich die „ex opere operato“-Wirkungen der Liturgie in einem kollektiven und unpersönlichen Bereich entfalten.

Dieses Thema, eines der dichtesten, reichhaltigsten und tiefgründigsten dieser Enzyklika, prangert die Verwandtschaft zwischen den Irrtümern des Liturgizismus und den pantheistischen und sozialistischen Tendenzen der wichtigsten philosophischen Strömungen unserer Zeit an. Dieses Thema wird deutlicher, wenn man die Enzyklika „Mediator Dei“ in Verbindung mit der Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ betrachtet. Letztere verurteilt diejenigen, die an einer leiblichen Verbindung zwischen den Gläubigen und Jesus Christus festhalten, und prangert damit die Existenz eines Neopantheismus mit christlichen Anklängen an, der sich aus der Untersuchung der paulinischen Allegorie des mystischen Leibes ergibt.

27. Text der Enzyklika:

In den liturgischen Feiern und besonders im hochheiligen Opfer des Altares wird das Werk unserer Erlösung weitergeführt und seine Frucht uns zugewendet. Christus wirkt in den Sakramenten und in seinem Opfer tagtäglich unser Heil; durch sie entsühnt er jederzeit die Menschheit und weiht sie Gott. Sie besitzen also eine „objektive“ (in ihnen selbst liegende) Kraft, die unseren Seelen das göttliche Leben Jesu Christi tatsächlich mitteilt. Also nicht aus unserer, sondern aus Gottes Kraft wohnt ihnen jene Wirksamkeit inne, welche die gläubige Gesinnung der Glieder mit jener des Hauptes verbindet und sie gewissermaßen zur Haltung der ganzen Gemeinschaft macht.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zeigt in diesem Thema, worin wahre objektive Frömmigkeit besteht und dass sie, wie die subjektive Frömmigkeit, auch das Ziel hat, die Gläubigen zu heiligen. In dieser Erklärung der objektiven Frömmigkeit ist kein Platz für transpsychologische Überlegungen. Tatsächlich erfordert diese Frömmigkeit die Mitwirkung des menschlichen Willens, d. h. der subjektiven Frömmigkeit, wie der Papst später sagen wird.

28. Text der Enzyklika:

Aus diesen scharfsinnigen Gedankengängen schließen manche, die ganze christliche Frömmigkeit müsse im Geheimnis des Mystischen Leibes Christi ihren Bestand haben ohne „persönliche“ oder „subjektive“ Beziehung; und sie sind sogar der Meinung, die übrigen religiösen Übungen, die nicht eng mit der heiligen Liturgie verbunden sind und sich außerhalb des öffentlichen Kultes vollziehen, seien hintanzusetzen.

So richtig nun die oben dargelegten Grundsätze sind, die Schlussfolgerungen bezüglich der beiden Arten von Frömmigkeit erkennt jedermann als irreführend, verfänglich und sehr verderblich.

Kommentar der Redaktion:

In diesem Zusammenhang verurteilt der Papst die Behauptung, man dürfe sich nicht um die eigene Heiligung kümmern, auch nicht in der Liturgie. Er verurteilt auch die damit verbundene Vorstellung, dass private Frömmigkeitspraktiken, die ausschließlich der „persönlichen und subjektiven Sorge“ dienen, von den Gläubigen nicht übernommen werden sollten.

Dies zeigt die wahrhaft pestilenzialische doktrinäre Wurzel der bekannten Verachtung der Liturgen für private Frömmigkeit, ein Irrtum, der in einer Mitteilung der Kirchenkammer von Rio de Janeiro und auch in der Enzyklika „Mistici Corporis Christi“ angeprangert wurde. Diese Irrtümer werden vom Papst als „falsch, heimtückisch und äußerst schädlich“ eingestuft.

29. Text der Enzyklika:

Gewiss ist daran festzuhalten, dass die Sakramente und das Messopfer eine durchaus innere Kraft in sich bergen, weil sie eben Handlungen Christi sind, welche die Gnade des göttlichen Hauptes den Gliedern des Mystischen Leibes zuleiten und zuteilen; damit sie aber die entsprechende Wirksamkeit haben, muss notwendig von unserer Seite die richtige seelische Verfassung dazukommen. Deshalb mahnt der Apostel Paulus bezüglich der Eucharistie : So prüfe sich denn der Mensch, und dann esse er von dem Brot und trinke aus dem Kelch[30]. Deshalb nennt die Kirche alle Übungen, durch die besonders während der Fastenzeit unser Inneres geläutert wird, „Wachtpostendienst des christlichen Kampflebens“[31], sind sie doch tatkräftige Bemühungen der Glieder, die auf Anregung und mit Hilfe der Gnade ihrem göttlichen Haupt anhangen wollen, damit, wie Augustinus sagt, „uns in unserem Haupte die Quelle der Gnade selbst erscheine“[32].

Kommentar der Redaktion:

Dieses Thema verdeutlicht die enge und notwendige Verbindung zwischen objektiver und subjektiver Frömmigkeit in der liturgischen Frömmigkeit selbst. Tatsächlich gehören die Wirkhandlungen „ex opere operato“ Jesus Christus selbst und können daher nur von dem Priester vollzogen werden, der ihn vertritt. Die Teilnahme der Gläubigen erfolgt durch das Zusammenwirken ihres freien Willens mit der Gnade. Dies ist ein entscheidender Aspekt für das Verhalten der Gläubigen während der Liturgie. Es ist absolut nicht notwendig, dass sie dieselben Formeln wie der Zelebrant sprechen, aber es ist absolut notwendig, dass sie die Wirkhandlungen Christi annehmen, was sie durch die Übereinstimmung von freiem Willen und Gnade tun. Ein Gläubiger, der sich darauf beschränkte, dieselben Formeln wie der Priester zu sprechen, und nicht darauf achtete, seine Seele für den Gnadenfluss, der aus der heiligenden Handlung „ex opere operato“ hervorgeht, bereitwillig zu empfangen, würde die Kirche verlassen, wie der Pharisäer den Tempel verließ: ohne etwas von seinem Akt der Frömmigkeit gewonnen zu haben.

30. Text der Enzyklika:

Aber wohlgemerkt, diese Glieder leben und sind mit eigenem Verstand und freiem Willen begabt; deshalb müssen sie unbedingt selber die Lippen an die Quelle legen, die lebenspendende Nahrung aufnehmen und in sich umwandeln sowie alles ausstoßen, was der Wirksamkeit dieser Nahrung hinderlich sein könnte. Es gilt also: das Erlösungswerk, das in sich etwas von unserem Willen Unabhängiges ist, verlangt unser inneres Mittun, damit wir das ewige Heil erlangen können.

Kommentar der Redaktion:

Die obige These wird bestätigt. Interessant ist der Standpunkt, auf den der Papst sie stützt: Nur wenn die Kirche nicht aus lebendigen Gliedern bestünde, die über eigene Vernunft und eigenen Willen verfügen – das heißt, nur wenn Pantheismus und Panpsychismus wahr wären –, könnte auf die Mitwirkung dieser Glieder im Lebenssystem des Mystischen Leibes verzichtet werden.      

31. Text der Enzyklika:

Wenn die private und persönliche Frömmigkeit der einzelnen das heilige Messopfer und die Sakramente vernachlässigt und sich der heilbringenden Kraft entzieht, die vom Haupt in die Glieder strömt, so wird sie zweifelsohne eine verwerfliche und unfruchtbare Sache sein. Wenn aber alle mit der Liturgie nicht eng verbundenen Weisungen und Übungen der Frömmigkeit sich gerade deshalb mit den menschlichen Handlungen befassen, um sie auf den himmlischen Vater hinzurichten, die Menschen heilsam zur Buße und heiligen Gottesfurcht anzueifern, sie von den Verlockungen der Welt und Sünde hinweg und auf steilem Pfade glücklich zum Gipfel der Heiligkeit zu führen, so sind sie wahrlich nicht nur höchsten Lobes würdig, sondern einfachhin notwendig, weil sie nämlich die Gefahren des geistlichen Lebens aufdecken, uns zur Tugendhaftigkeit erziehen und jenes lebendige Streben in uns stärken, wodurch wir uns und all das Unsrige dem Dienste Jesu Christi weihen sollen.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zeigt, dass individuelle, außerliturgische Frömmigkeit für das Heil absolut unverzichtbar ist. Sie stellt eine harmonische und wesentliche Ergänzung der liturgischen Frömmigkeit dar. Daraus folgt, dass eine Bewegung, die ausschließlich zur Vertiefung des Liturgiewissens gegründet wurde und dabei die individuelle Frömmigkeit innerhalb und außerhalb der Liturgie vernachlässigte, grundlegend falsch wäre. Die liturgische Bewegung, die der Papst entwickeln möchte, umfasst die Förderung der privaten Frömmigkeit.

32. Text der Enzyklika:

Die christliche Religion verlangt nämlich, richtig gepflegt, dass vor allem der Wille Gott geweiht werde und mit seiner Kraft auf die übrigen Seelenfähigkeiten einwirke.

Kommentar der Redaktion:

Beachten Sie dieses Prinzip, das die gesamte Enzyklika dominiert.

33. Text der Enzyklika:

Nun aber setzt jeder Willensakt Verstandestätigkeit voraus; und bevor das Verlangen und der Vorsatz zustande kommen, sich dem ewigen Gott durch das Opfer zu weihen, ist die Erkenntnis der Tatsachen und Wahrheiten, welche die Gottesverehrung zur Pflicht machen, unbedingt erfordert; dazu gehören z. B. das letzte Ziel des Menschen und die Erhabenheit der göttlichen Majestät, die Pflicht der Unterwerfung unter den Schöpfer, sodann die unergründlichen Schätze der Liebe, mit denen Gott uns zu bereichern wünscht, die Notwendigkeit des übernatürlichen Lebens zur Erreichung des uns gesteckten Zieles und jener besondere, von der göttlichen Vorsehung uns gewiesene Weg, insofern wir ja alle als Glieder des Leibes mit Christus dem Haupte verbunden sind.

Kommentar der Redaktion:

Dieser Abschnitt verdeutlicht die Bedeutung einer Religionsunterweisung mit apologetischem Charakter. Es verurteilt implizit eine gewisse antiapologetische Tendenz, die heute offensichtlich ist.

34. Text der Enzyklika:

Weil aber die Beweggründe der Liebe nicht immer über unseren bisweilen von verkehrten Regungen verwirrten Geist Gewalt haben, ist es sehr angebracht, daß die Betrachtung der göttlichen Gerechtigkeit uns in heilsamer Weise erschüttere und uns zu christlicher Demut, Buße und Besserung des Lebens führe.

Kommentar Herausgebers:

„Mystici Corporis Christi“ verurteilt diejenigen, die sich der Predigt über die ewige Strafe widersetzen. Pius XII. bekräftigt in dieser Enzyklika dieselbe Verurteilung.

35. Text der Enzyklika:

Daraus ergibt sich ein harmonisches Gleichgewicht der Glieder im Mystischen Leibe Jesu Christi. Indem die Kirche uns im katholischen Glauben unterrichtet und zum Gehorsam gegen die christlichen Gebote ermahnt, bereitet sie den Weg zu ihrer eigentlich priesterlichen, unsere Heiligung bewirkenden Aufgabe; ebenso leitet sie uns zu einer eingehenderen Betrachtung des Lebens unseres göttlichen Erlösers an und führt uns zu einer tieferen Erkenntnis der Glaubensgeheimnisse. So spendet sie uns überirdische Nahrung, damit wir durch sie gestärkt und mit der Hilfe Christi sicheren Fortschritt in der Vollkommenheit machen können. Nicht allein durch ihre Diener, sondern auch durch die einzelnen Gläubigen, die so den Geist Jesu Christi in sich aufgenommen haben, bemüht sich die Kirche, das private, eheliche, soziale, ja selbst das wirtschaftliche und politische Leben und Handeln der Menschen zu durchdringen, damit alle, die Kinder Gottes heißen, das ihnen gesteckte Ziel leichter erreichen können.

Kommentar:

Die unzerstörbare gegenseitige Abhängigkeit zwischen privater Frömmigkeit und der Heiligen Liturgie kann nicht deutlicher bekräftigt werden.

36. Text der Enzyklika:

Derlei private Übungen der Gläubigen und der religiöse Eifer, der sie zur inneren Läuterung treibt, wecken daher in ihnen gerade jene Kräfte, die es ihnen ermöglichen, besser am hochheiligen Opfer des Altares teilzunehmen, die Sakramente fruchtbringender zu empfangen und die gottesdienstlichen Handlungen so mitzufeiern, daß sie noch entschlossener und befähigter werden zum Gebet und zur christlichen Entsagung, zur bereitwilligen Aufnahme der Anregungen der göttlichen Gnade und zur täglich vollkommeneren Nachahmung des Tugendlebens unseres Erlösers; und das nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern ebenso zu dem der ganzen Kirche: denn alles Gute, das in ihr gewirkt wird, ist ein Kraftstrom, der ausgeht von ihrem Haupte und sich heilsfördernd auf alle Glieder auswirkt.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst beschreibt diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen privater Frömmigkeit und der Heiligen Liturgie als ein heilsames Auf und Ab: Private Frömmigkeit ermöglicht eine wirksamere Teilnahme an liturgischen Handlungen, und diese tragen dank dieser Voraussetzungen reichere Früchte für die Erbauung der individuellen Frömmigkeit.

37. Text der Enzyklika:

Im geistlichen Leben kann es also keinen Widerstreit geben zwischen dem göttlichen Wirken, das zur ununterbrochenen Fortführung unserer Erlösung den Seelen die Gnade zuleitet, und dem willigen Mitwirken der Menschen, die Gottes Geschenk nicht vergeblich empfangen dürfen[36]; keinen Widerspruch zwischen der Wirksamkeit des äußeren Zeichens der Sakramente, die ex opere operato, d. h. aus dem Sakrament selber kommt, und dem verdienstlichen Werk derer, welche die Sakramente spenden oder empfangen, was wir opus operantis, d.h. das Werk des Handelnden nennen; keinen Widerspruch zwischen öffentlichem und privatem Gebet, zwischen Sittenlehre und Mystik, zwischen Aszese und liturgischer Frömmigkeit; keinen Widerspruch schließlich zwischen der Rechts- und Lehrgewalt der kirchlichen Hierarchie und ihrer priesterlichen Gewalt im eigentlichen Sinne, die sich im heiligen Amt betätigt.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst zählt die falschen und verabscheuungswürdigen Gegensätze auf, die durch die Liturgie geschaffen werden:

a) zwischen privater Frömmigkeit und Liturgie;

b) zwischen Gnade und freiem Willen;

c) zwischen Ritus und inneren Dispositionen;

d) zwischen Handeln „ex opere operato“ und Handeln „ex opere operantis“;

e) zwischen Moral und Kontemplation;

f) zwischen Askese und Liturgie;

g) zwischen Jurisdiktionsgewalt und Lehramt und der Weihegewalt.

38. Text der Enzyklika:

Aus schwerwiegenden Gründen besteht die Kirche darauf, daß die amtlichen Diener des Altares und die Ordensleute zur festgesetzten Zeit der Betrachtung, der eifrigen Gewissenserforschung und Gewissensreinigung, sowie den übrigen geistlichen Übungen obliegen[37], gerade weil sie in besonderer Weise zu den liturgischen Funktionen des heiligen Opfers und des Lobes Gottes bestimmt sind.

Kommentar der Redaktion:

Der Papst betont, dass die private Frömmigkeit des Zelebranten bei der Feier liturgischer Handlungen eine bedeutende Rolle spielt. Diese Lehre gilt auch für die Gläubigen.

39. Text der Enzyklika:

Zweifellos hat das liturgische Gebet als öffentliches Gebet der erhabenen Braut Jesu Christi eine höhere Würde als das private. Allein diese höhere Würde besagt keinen Gegensatz oder Widerspruch zwischen diesen beiden Gebetsarten. Da sie von ein- und demselben Geiste beseelt sind, fließen sie zu harmonischer Einheit zusammen nach dem Worte alles und in allem Christus[38]und streben demselben Ziele zu, bis Christus in uns Gestalt gewinnt[39].

Kommentar der Redaktion:

Die vielfach behauptete und wahrhaft herausragende Bedeutung der Liturgie rechtfertigt keine Verachtung der privaten Frömmigkeit.

 

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Dieser war der letzte Artikel von Prof. Plinio Corrêa de Oliveira in der letzten Ausgabe des „Legionário“. An diesem Tag wurde er Fristlos all seiner publizistischen Tätigkeiten entlassen auf Grund seiner anti-progressiven Einstellungen. Selbst seine Anwaltskanzlei in der er einige Angelegenheiten der Kurie verwaltete, musste er schließen, da ihm alle Mandanten seinen Dienst kündigten. Es folgte eine Zeit der völligen Zurückgezogenheit bis 1951, als P. Antonio de Castro Meyer und P. Geraldo Sigaud SVD von Pius XII. zu Bischöfen ernannt wurden. Mit der Gründung der Monatszeitschrift „Catolicismo“ als offiziöses Blatt der Diözese Campos, zu der Bischof Antonio de Castro Meyer ernannt wurde. So fing Plinio Corrêa de Oliveira sein neues Apostolat in Kirche und Gesellschaft von Neuem an.