Verkündigung – Girolamo Lucenti (1602-1624) Museum Hermitage, Sankt Petersburg, Russland. |
Der hl. Evangelist Lukas (1,26-38) beschreibt die Verkündigung folgendermaßen:
»Im sechsten Monat (der Schwangerschaft
Elisabeths) wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt Galiläas namens Nazareth
zu einer Jungfrau gesandt. Sie war verlobt mit einem Manne namens Joseph aus
dem Hause David, und der Name der Jungfrau war Maria.
Der Engel trat bei ihr ein und sprach: „Gegrüßet
seist du, voll der Gnade! Der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den
Frauen.“ Als sie das hörte, erschrak sie über seine Worte und dachte nach, was
dieser Gruß wohl bedeuten sollte.
Der Engel sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht,
Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst empfangen und
einen Sohn gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein
und Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Gott, der Herr wird Ihm den Thron
seines Vaters David geben. Er wird herrschen über das Haus Jakob in Ewigkeit,
und Seines Reiches wird kein Ende sein.“
Maria sprach zum Engel: „Wie wird dies
geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Der Engel antwortete ihr: „Der Heilige
Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich
überschatten. Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn
Gottes genannt werden.
Siehe, auch deine Base Elisabeth hat noch in
ihrem Alter einen Sohn empfangen, und dies ist schon der sechste Monat für sie,
die als unfruchtbar gilt. Denn bei Gott ist ja kein Ding unmöglich.“ Da sprach
Maria: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Worte!“
Und der Engel schied von ihr.«
Dieses Evangelium ist voller Nuancen, die interessant
erscheinen. Da ist zunächst die Anonymität, die relativ unbedeutende Stadt, in
der die Heilige Familie lebte, usw. Der Plan Gottes war folgender: Als die
Fülle der Zeit gekommen war, sendet er vom Himmel den hl. Erzengel Gabriel
auf die Erde. Aber er schickt ihn an einen Ort, der allen unbekannt ist: in eine
Stadt in Galiläa namens Nazareth. Es bleibt der Eindruck, dass es sich um einen
winzigen Ort handelte, ein kleines Dorf. Er schickt ihn zu einer Jungfrau, die
mit einem Mann namens Josef aus dem Hause David verlobt war. Eine unbekannte
Stadt, eine unbekannte Jungfrau, verheiratet mit einem unbekannten Mann. Das einzig
Bekannte war, dass er aus dem Hause David stammte. Die Jungfrau hieß Maria. Und
als der Engel bei ihr eintrat, sagte er: „Gott grüßt dich, voll der Gnade, der
Herr ist mit dir, gebenedeit bist du unter den Frauen.“
Dieses „Eintreten des Engels bei ihr“ erweckt
den Eindruck, dass es sich um einen abgelegenen, einsamen Ort gehandelt hat und
das „Eintreten“ verweist auf die Zurückgezogenheit, die Klausur, die verletzt
wird.
Maria war dort ganz allein. Dies ist es, was
die Welt am meisten verabscheut: ein Mensch allein, isoliert, unbekannt, der
zudem in seinem Alleinsein auch noch betet. Für eine solch unscheinbare Person ist
diese erhabene Botschaft bestimmt. Wir können uns vorstellen, wie der Engel vom
höchsten Himmel zur Erde herabschwebt im Auftrag einer großen Mission, in ein
Dorf, wo ein Paar wohnt, zu einer Frau, die zurückgezogen in ihrer Kammer betet;
dorthin bringt er die wichtigste Botschaft der Menschheitsgeschichte. All dies
wird in der Formulierung des Textes angedeutet, und es ist sehr schön zu sehen,
wie die Sprache in all dies einführt.
Nach dem Gruß des Engels betrachten wir die
Reaktion. Als Reaktion Mariens könnte man erwarten, dass sie bei sich denkt: „Hier
ist jemand, der den Wert versteht, den ich habe – endlich wird man mir
gerecht.“
Oder man stellt sich den Engel vor, wie er
völlig beruhigend, umgänglich und friedlich hereintritt. Dem ist aber nicht so.
Denn hier geschieht etwas Merkwürdiges: In
allen Erscheinungen Unserer Lieben Frau, über die man nachlesen kann,
wiederholt sich dieselbe Szene. Die Erscheinungen haben alle etwas Erschreckendes,
das zunächst Angst auslöst. Die Kinder von Fátima hatten Angst, ebenso die
Kinder von La Salette; auch Bernadette Soubirous in Lourdes. Es ist das
Missverhältnis zweier vollkommen verschiedener Naturen und die Erscheinungen
haben etwas so sagenhaft Majestätisches, dass sie Angst einflößen.
Das Evangelium bestätigt: „Sie aber erschrak
bei dem Wort und dachte nach, was dieser Gruß bedeute“. Sie erschrak durch die
Erscheinung des Engels und war verstört ob seiner Worte, das heißt, sie war
aufmerksam genug, um den Inhalt des Gesagten zu verstehen, aber ihr Inhalt verstörte
sie. „Und sie wurde nachdenklich“ – was für ein schöner Ausdruck, um das Gehörte
Punkt für Punkt gedanklich nachzuvollziehen. Sie analysierte die Botschaft
nachdenklich und fragte sich selbst, was diese Begrüßung bedeuten sollte.
Was hat das insgesamt für eine Bedeutung?
Schauen wir uns genau an, welchen Geist Unsere Liebe Frau dabei hatte: Vor einer
Gestalt, die so hoch erhaben ist und alle Eigenschaften besitzt, von Gott gesandt
zu sein, führt sie eine rationale inhaltliche Analyse durch, Wort für Wort dessen,
was ihr gesagt wurde.
So sollten auch wir sein: niemals den Kopf
verlieren und selbst angesichts der erstaunlichsten, überraschendsten und wunderbarsten
Sache gedanklich Punkt für Punkt durchgehen.
An einer anderen Stelle, nach der Geburt
unseres Herrn, sagt uns das Evangelium: „Maria behielt alle diese Worte und
erwog sie in ihrem Herzen“. Sie war äußerst nachdenklich und analytisch, was
gewissen Heiligenbildchen nicht entspricht, die uns eine langweilige Person mit
einem süßlichen Puppengesicht präsentieren.
Unsere Liebe Frau ist eine Person der
Unterscheidung, der Prinzipien und der Fähigkeit des Denkens. Sie betrachtet
die Dinge mit einem erkennenden Auge.
Und hierin liegt ihr Beispiel für uns. Wir
sollen unterscheiden lernen. Sogar das, was von Gott kommt, analysiert Maria nicht
misstrauisch, sondern nachdenklich. Natürlich könnte man an dieser Stelle einen
weiteren Kommentar zur Demut abgeben. Aber diese Feststellung ist bereits so geläufig,
dass wir sie übergehen und stattdessen auf etwas anderes Ungewöhnliches in
diesem Evangelium hinweisen.
Der Engel, der durch Gottes Zulassung wusste,
was in ihr vorging, wartete ihre Überlegung, welche Frage sie stellen sollte, erst
gar nicht ab, sondern griff ihr vor: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast
Gnade gefunden bei Gott“. Das bedeutet: Du hast nichts zu befürchten, weil Gott
ein großes Wohlgefallen an dir hat. Gewiss waren diese Worte des Engels von
einer Gnade des Friedens begleitet. Sie verspürte plötzlich einen großen
innerlichen Frieden. Und dann stellte sie natürlich ihre weiteren Fragen.
Schauen wir uns nun weiter den Respekt Gottes
für die Kreatur an, die Unterscheidungsvermögen besitzt und denkt, für die
Kreatur, die analysiert. Sie war zu Recht verstört und der Engel klärte sie
auf, als würde er verstehen, dass sie wissen wollte, was dieser Gruß bedeutete.
Und der Grund, den der Engel nennt, erklärt ihren Zweifel. Der Engel sagt ihr
mit der Autorität Gottes, dass sie tatsächlich Gnade bei Gott gefunden hat. Sie
ist so heilig, so tugendhaft, Gott hat ihr so viele Gnaden geschenkt, dass sie diesen
Gruß wirklich verdient hat. Daraufhin war sie beruhigt.
Nachdem er ihre Seele so vorbereitet hatte,
und ihre Demut sie ebenfalls befähigte, die Botschaft zu empfangen, gibt der
Engel ihr die Erklärung: „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären; dem
sollst du den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein und Sohn des
Allerhöchsten genannt werden. Gott, der Herr wird Ihm den Thron seines Vaters
David geben. Er wird herrschen über das Haus Jakob in Ewigkeit, und Seines
Reiches wird kein Ende sein.“ Das jüdische Volk war voller Hoffnungen auf einen
König, der den irdischen Thron Israels besteigen und dann die ganze Welt regieren
würde. In der Verheißung sahen sie die Erfüllung einer irdischen Hoffnung: Er
war der Messias, von dem jeder wusste, dass er aus dem Hause David von einer
Jungfrau geboren werden würde. Er würde der König sein, der von den Nationen
erwartet wurde. Aber unter der Besteigung des Thrones Davids, worauf alle
warteten, verstanden sie ein irdisches, materielles Königreich. Wir wissen, wie
es dann in Wirklichkeit verlief.
Oft spricht Gott in unserer Seele und entzündet
dort auf mysteriöse Weise eine Hoffnung. Die Seele versteht zwar in gewisser
Weise, worauf Gott sie hoffen lässt. Gott erfüllt diese Hoffnung aber oft auf
ganz andere Weise, als es die Seele erwartet hätte. Zum Beispiel sagt er: „Du
wirst groß sein.“ Das kann auch bedeuten: Nach dem Tod wirst du
heiliggesprochen und dein Bild wird im Petersdom aufgestellt werden. Aber im
Leben wird die Person vielleicht ein Müllmann sein. Gott sagt: „Mein Sohn, ich
habe dich erwählt, um deinen Namen unter allen Nationen zu erhöhen. Bis zum
Ende der Jahrhunderte wirst du als denkwürdiges Beispiel in Erinnerung bleiben,
und die Völker aus dem Osten und Westen, dem Süden und dem Norden werden sich
vor dir verneigen.“
Es ist wahr. In der Basilika erfolgt die Heiligsprechung
und das Versprechen wird auf eine andere Weise erfüllt als es am Tag seiner
Weissagung verstanden wurde.
Wie oft gibt es in unserer Berufung so etwas.
Gott verspricht etwas auf die eine Art, und die Person versteht es auf eine
andere. So behandelt Gott seine Geliebten; so führt er seine schönsten Pläne
aus. Seien wir deshalb darauf gefasst, denn die Verkündigung selbst enthielt
eine Formulierung, die das jüdische Volk ganz anders verstanden hatte. Es sind
Gottes Wege, die wir kennen müssen.
Und nun sehen wir, dass nach so einer
erstaunlichen Verheißung von Maria ein Einwand kommt. Es ist ein moralischer
Einwand. Sie hätte sich ja sagen können, dass Gott schließlich alles zum Guten führt
und sie nicht nachfragen müsse. Dennoch fragt sie nach. Man beachte die
Festigkeit ihrer Persönlichkeit, die an die Übungen des hl. Ignatius von Loyola
erinnert, wenn sie gut gepredigt und nicht versüßt werden. Maria fragt den Engel:
„Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Und der Engel antwortet
ihr: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten
wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird,
Sohn Gottes genannt werden.“
Für ihre anspruchsvolle Frage wird Maria
augenblicklich belohnt und bestätigt: Während sie fragt, entfaltet sich die
Realität der Botschaft, als ob Gott will, dass sie nachfragt, damit die
Botschaft sich verwirklicht. Dann vervollständigt sich das Wunder der Botschaft:
Zuerst ist es Mutterschaft kraft göttlichen Willens, dann zusätzlich jungfräuliche
Mutterschaft und somit wird das Kind der Sohn Gottes sein. Und dies ist die
ganze Erklärung des Wunders, das verwirklicht werden wird.
Es folgt eine Art apologetische Bestätigung: Da
für Gott alles möglich ist und auch, um den Plan zu erklären, sagt der Engel:
„Siehe, auch deine Base Elisabeth hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen,
und dies ist schon der sechste Monat für sie, die als unfruchtbar gilt. Denn bei
Gott ist ja kein Ding unmöglich.“ Es ist wie ein Hinweis darauf, dass sie
schließlich mit äußeren Tatsachen die volle Bestätigung der inneren Tatsache
sehen würde, die in ihr wirkte.
Als all dies geklärt ist - nicht weil sie irgendwelche
Zweifel hatte, sondern weil der Mensch ein Vernunftwesen ist - kommt die
Akzeptanz Unserer Lieben Frau: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn; mir
geschehe nach deinem Worte!“ Sie legt hier eine völlig konsequente Haltung an
den Tag. Ihre Antwort zeigt, dass sie die Lektion in ihrem Wesen verstanden
hat: Wenn Gott mir dies mitgeteilt hat, dann deshalb, weil er meine Zustimmung
will. Also gebe ich, was Gott von mir verlangt. Man erblickt darin eine Tiefe,
eine Logik, eine Seelenstärke, die kein Prediger je vermitteln kann.
Also lassen wir sie für sich selber sprechen und
wenden uns den Überlegungen zu, die uns die unergründlich heilige Seele Unserer
Lieben Frau erkennen lassen ebenso wie ihren logischen Geist voller Glauben und
Gehorsam, aber klar und konsequent in den Dingen, nicht aus Zweifel oder
Misstrauen, sondern weil die Logik Wahrheit ist.
„Und der Engel schied von ihr.“ Nach Ansicht
der besten Theologen fand die Empfängnis sofort statt. Es war eine
unergründliche Tat des göttlichen Heiligen Geistes in Unserer Lieben Frau. Der
Engel schied von ihr, aber die Prophezeiung wurde sofort erfüllt. Es ist ein
Geheimnis, das wir nur in der Ewigkeit erfassen werden. Dieser vage Aspekt, bei
dem wir alles vermuten können, lässt nur eine Idee in uns zurück: Das ist so
groß, dass was auch immer passiert ist, jede menschliche Intelligenz
übersteigt. Es tritt eine Pause voller Leere ein. Über den Rest wird nicht
gesprochen. Es ist die absolute Stille, die das Evangelium über Dinge
hinweggehen lässt. Und dies ist die richtige Atmosphäre für die
Zurückgezogenheit und Meditation, die für heilige und liturgische Dinge
geeignet ist.
Aus diesem Grund wird in einigen östlichen
Riten bei der Wandlung in der hl. Messe ein Schleier um den Priester gehalten, weil
die Handlung so heilig und geheimnisvoll ist.
Hier begreift man also, dass der religiöse
Sinn ein gewisses Gefühl für das Mysterium erfordert und dass die Dinge Gottes
gleichzeitig viel sagen und verschweigen. Man weiß nicht, wodurch sie mehr aussagen:
durch das, was sie sagen, oder durch das, was sie verschweigen. Es versteht
sich also von selbst, dass vor dieser erhabenen Mission alles Kleinliche
verschwinden muss.
Bewahren wir dies allen in unsere Seelen,
damit wir diese immensen Größen auch mit unserem kleinen, trägen und unflexiblen
Verstand lieben können. Denn hierin liegt der wahre Sinn für die Würde der
Dinge Gottes. Bitten wir die Muttergottes, dass sie über uns den Mantel ihres Geistes
in diesem Sinne ausbreite: Bitten wir um einen klaren jungfräulichen Geist, um
Klarheit und Folgerichtigkeit des Geistes. Keuschheit ist eine große
Folgerichtigkeit und Folgerichtigkeit ist eine große Keuschheit. Bitten wir sie
heute Abend um diese Gabe.
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Text
aus dem Lukas-Evangelium zum 25. März aus “Das vollständige Römische Messbuch”
von Anselm Schott O.S.B., herausgegeben von Benediktinern der Erzabtei Beuron. Nachdruck 2007.
Aus
dem Portugiesischen mit Hilfe von Google-Übersetzer des Vortrages von Plinio
Corrêa de Oliveira am 25. März 1965, „Santo do Dia“.
Korrekturlesung:
Christina Brock
©
Nachdruck oder Veröffentlichung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
„Die
Verkündigung und das Verhalten der Muttergottes“ erschien erstmals auf Deutsch
in www.p-c-o.blogspot.com
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