„Ich bin
überzeugter Thomist. Der Aspekt der Philosophie, der mich am meisten
interessiert, ist die Geschichtsphilosophie.“
Mit diesen Worten
beginnt Professor Plinio Corrêa de Oliveira sein 1997 erschienenes
„Philosophisches Selbstporträt“. Sein Interesse an der Geschichtsphilosophie
war nicht nur intellektuell, sondern auch handlungsorientiert: „Hier finde ich
den Punkt, der die beiden Tätigkeitsarten verbindet, denen ich mich mein Leben
lang gewidmet habe: Studium und Handeln.“ Letzteres verfolgte er „nicht nur mit
dem Charakter des Dialogs, sondern auch der Polemik, so anachronistisch der
Begriff und das Wort auch erscheinen mögen.“
Das Ziel dieser
Polemik wird in seinem Meisterwerk „Revolution und Gegegnrevolution“
beschrieben, das er als „den Aufsatz, in dem ich die Essenz meines Denkens
zusammenfasse und der zugleich die Bedeutung meines Handelns erklärt“
definiert.
Dies ist die
Revolution, genauer gesagt der historische Prozess, der seit der Dekadenz des
Mittelalters und in klar definierten Phasen die christliche Zivilisation
allmählich zerstörte: Humanismus, Renaissance, Protestantismus, Aufklärung,
Französische Revolution, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, bis hin zur
gegenwärtigen revolutionären Ära, die mit dem Mai 1968 begann.
Eine Berufung
in der weltlichen Ordnung
Neben einigen
höchst originellen Erkenntnissen – wie der Betonung der tendenziellen Elemente
des revolutionären Prozesses statt der doktrinären – wird bei der Lektüre
dieses Buches sofort ein grundlegender Punkt deutlich: Während der Autor die
Zentralität der Kirche anerkennt und sie sogar als das ultimative Ziel der
Revolution definiert, konzentriert er seine Aufmerksamkeit fast ausschließlich
auf die weltliche Ordnung. Auch sein Handeln war auf die weltliche Ordnung
ausgerichtet. Was eine gewisse Ratolsigkeit aufkommen lässt.
Wenn die Kirche
tatsächlich der mystische Leib Christi ist, gegründet zur Erlösung der
Menschheit, Mutter und Lehrerin der Wahrheit, Mittelpunkt des sakramentalen und
geistlichen Lebens, kurz gesagt, das Alpha und Omega von allem, was die
Menschheit auf dieser Erde betrifft, fragt man sich, warum ein bewusster und
militanter Katholik wie Plinio Corrêa de Oliveira, der ein Leben in
Vollkommenheit wählte und sogar zölibatär blieb, um sich ganz seiner Mission zu
widmen, nicht den Kirchenstand vorzog.
Und doch war er in diesem Punkt sehr deutlich. Er erkannte den Primat des Kirchenstands an und verbrachte sein gesamtes Leben im bürgerlichen Stand: von seinem Engagement in den Marianischen Kongregationen und der Katholischen Aktion über seine Karriere als Politiker, Professor und Journalist bis hin zur Gründung der Gesellschaften zur Verteidigung von Tradition, Familie und Eigentum, die bürgerliche, nichtkanonische Vereinigungen sind. Im ersten Artikel der Statuten der brasilianischen TFP heißt es, sie habe „bürgerlichen und kulturellen Charakter“. „Wir fühlen uns nicht als Geistliche“, wiederholte Plinio Corrêa de Oliveira, „wir fühlen uns der bürgerlichen Ordnung zugehörig.“
Was sind die
Gründe für diese Entscheidung?
Der Dreh- und
Angelpunkt der Revolution verschiebt sich
Der revolutionäre
Prozess entfaltete sich im politischen und kulturellen Bereich mit dem
Humanismus und einer gewissen Renaissance, die die Mentalität des
mittelalterlichen Menschen radikal untergrub und den historischen Prozess
auslöste, der später mit der „Moderne“ identifiziert wurde. Im 16. Jahrhundert,
vielleicht im Glauben, der Boden sei bereits bereitet, versuchte die Revolution
einen großen Coup: Mit dem Protestantismus griff sie die Kirche direkt an und
versuchte, ihre organische Verfassung, ihre Lehre, ihre Liturgie und ihre
Disziplin zu zerstören. „Papsttum, lebendig war ich deine Pest! Tot werde ich
dein Tod sein!“, waren die letzten Worte Martin Luthers, einer emblematischen
Figur dieser Revolution.
Die Reaktion der
Kirche war unmittelbar, tiefgreifend und umfassend: eine Gegenreformation,
deren Zentrum das Ökumenische Konzil von Trient war und die von einer Schar
seit Jahrhunderten unbekannter Heiliger angeführt wurde, allen voran Papst Pius
V. Die Kirche ging das Problem aus allen Blickwinkeln an: theologisch,
liturgisch, kulturell, künstlerisch usw. Der Sieg war so überwältigend, dass
die Kirche, die aus der Gegenreformation hervorging, bis in die 1960er Jahre
weitgehend unbeschadet überlebte.
Nach ihrer Niederlage änderte die Revolution ihre Herangehensweise und übte ihren schädlichen Einfluss verstärkt im weltlichen Bereich aus, um sich dann in die Kirche einzuschleichen. Die Mentalität der Katholiken – von denen 99 % in der Zivilgesellschaft leben – wurde allmählich von den Irrtümern und revolutionären Tendenzen geprägt, die sich im gesamten zivilen Bereich ausbreiteten, von der Aufklärung und der Französischen Revolution bis hin zum Kommunismus und der 68er-Bewegung.
Von diesem
Bereich aus war es dann leicht, die Kirche zu beeinflussen. Eine Analyse der
Irrtümer und Häresien, die die Braut Christi in den letzten zwei Jahrhunderten
geplagt haben – vom liberalen Katholizismus über den Modernismus und die
Nouvelle Théologie bis zum Progressivismus – zeigt, dass sie ausnahmslos auf
das Eindringen von Irrtümern und Tendenzen im weltlichen Bereich zurückzuführen
sind, und zwar immer unter dem Vorwand, die Kirche „an die Zeit anzupassen“.
Mit anderen Worten: Revolutionäre Vorstellungen im zivilen Bereich sind zur
Matrix der Transformationen im religiösen Bereich geworden. Über den zivilen
Bereich wirken sich die Irrtümer der Revolution schließlich auf die Kirche aus.
Ein Beispiel unter tausend. Die Liturgiereform von 1969 – der Novus
Ordo Missae – wurde weniger als Ergebnis theologischer Reifung
präsentiert, sondern vielmehr als „Anpassung an unsere Zeit“ (1), d. h. als
notwendig, um der neuen Mentalität gerecht zu werden, die sich in den letzten
Jahrzehnten unter den Gläubigen herausgebildet hatte. Eine Mentalität, so
bemerken wir, die in 99 % der Fälle durch revolutionäre Veränderungen in der
Zivilgesellschaft und nicht durch die Lektüre innovativer Theologen geprägt
wurde.
Die theologische
Begründung des Novus Ordo Missae, der vom Konzil von Trient abwich,
wurde nicht als Wahrheit ex se präsentiert, sondern als „ein Wort, das in einer
ganz anderen Epoche des Weltlebens [als dem 16. Jahrhundert] widerhallt“, ein
Wort, das „vier Jahrhunderte zuvor undenkbar“ war (2). Mit anderen Worten: Der
Lehrrahmen des Konzils von Trient wäre heute überholt, einfach weil sich „das
Leben der Welt“ verändert hat.
So wie sich der
Fokus revolutionärer Aktionen verschoben hat, hat sich auch der der Reaktion
verschoben. Hatte die Vorsehung gegen die erste Revolution einen religiösen
Orden, die Jesuiten, und eine Schar kirchlicher Heiliger ins Leben gerufen, so
traten gegen die späteren Revolutionen vor allem Laienfiguren auf, von Joseph
de Maistre und Juan Donoso Cortés bis hin zu Jean Ousset und Plinio Corrêa de
Oliveira. Dies war die leuchtende gegenrevolutionäre katholische Schule, die
fast ausschließlich aus Laien bestand. So waren es – mit der einzigen
brillanten Ausnahme von Kardinal Fabrizio Ruffo di Calabria – Laien, die der
Revolution auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden: von den französischen
Vendéenern über die italienischen „Briganti“ und die spanischen Karlisten bis
hin zu den mexikanischen Cristeros.
Bedeutung der
weltlichen Ordnung
Die Verlagerung
des Schwerpunkts revolutionären Handelns vom religiösen in den weltlichen
Bereich berücksichtigt den Mechanismus, durch den die Mentalität der Menschen
geformt wird.
Die Gesellschaft
des Menschen, zu der er von Natur aus gehört und die auf seiner Statur und
Proportion beruht, ist die weltliche Gesellschaft. Dann wurde der Mensch durch
göttliche Barmherzigkeit ins Übernatürliche erhoben, wodurch er am Leben Gottes
teilhat. Sein Bestes lebt daher im Übernatürlichen. Doch das tägliche Leben
entfaltet sich im Zeitlichen.
Der Mensch lebt
in einer zeitlichen Gesellschaft, gehört ihr an, und alles, was mit ihr
zusammenhängt, ist das ständige Thema seiner Gedanken. In dieser Gesellschaft
öffnet sich der Mensch dem Leben, zunächst im familiären Umfeld, dann im
sozialen, kulturellen, politischen usw. Und dies beruht eher auf tendenziellen
als auf doktrinären Einflüssen.
Da Gott
geheimnisvolle und wundersame Beziehungen zwischen bestimmten Formen, Farben,
Klängen, Düften, Aromen und bestimmten Geisteszuständen geschaffen hat, ist es
klar, dass diese Mittel die Mentalitäten tiefgreifend beeinflussen und
Einzelpersonen, Familien und Völker zu einem spirituellen Zustand veranlassen
können – im Guten wie im Schlechten. Die Umgebungen, Gesetze und Institutionen,
in denen wir leben, üben einen Einfluss auf uns aus, erfüllen eine pädagogische
Funktion für uns. Ihr Einfluss dringt quasi durch Osmose und durch unsere Poren
in uns ein. Soziales Umfeld, Kultur und Zivilisation sind daher mächtige
Mittel, Seelen zu beeinflussen. Sie wirken zu ihrem Verderben, wenn Kultur und
Zivilisation revolutionär sind. Zu ihrer Erbauung und Rettung, wenn sie
katholisch sind.
Die Aufgabe, die weltliche Ordnung zu gestalten und sie auf das geistliche Wohl auszurichten, liegt naturgemäß bei den Laien. Ihnen obliegt es, eine politische Ordnung, eine Gesellschaft, eine Kultur, eine Kunst zu schaffen – kurz gesagt, einen gesellschaftlichen Lebensraum, der den Seelen ein günstiges Klima bietet, um das Wirken der Kirche voll zu empfangen. Andernfalls wird alles Gute, das die Kirche in ihrem eigenen Bereich tun kann, durch einen feindseligen gesellschaftlichen Lebensraum zunichte gemacht. Die weltliche Gesellschaft muss zur geistlichen Gesellschaft führen, wie das Seminar zum Priesterleben führt.
Deshalb widmete
Plinio Corrêa de Oliveira seine besten intellektuellen Bemühungen der Klärung
der Merkmale eines solchen Lebensraums, nämlich einer christlichen
Zivilisation, die heilig und der Kirche dienend ist. Von seinem
programmatischen Manifest „Der Kreuzzug des 20. Jahrhunderts“ (1951)
über seinen Essay „Anmerkungen zum Begriff des Christentums“ (1953)
und sein monumentales (und leider unvollendetes) Werk „Das Christentum:
Der silberne Schlüssel“ bis hin zu seinem letzten Buch „Adel
und analoge traditionelle Eliten“ (1993) können wir dies als das wahre
Leitmotiv von Plinio Corrêa de Oliveiras Denken und Handeln betrachten.
Eine weltliche
Berufung
In „Revolution
und Gegenrevolution“ erklärt Plinio Corrêa de Oliveira, dass „die
Kirche etwas viel Höheres und viel Umfassenderes ist als Revolution und
Konterrevolution.“ Doch da die Revolution ihren Höhepunkt der
Schädlichkeit erreicht hat, „ist es im Interesse des Seelenheils, ist
es von größter Bedeutung für die größere Ehre Gottes, dass die Revolution
vernichtet wird.“
Die Kirche ist die Seele dieser Reaktion. Gegegnrevolutionäres Handeln erfordert jedoch eine Neuordnung der weltlichen Gesellschaft angesichts der Ruinen, mit denen die Revolution die ganze Welt bedeckt hat. Diese Aufgabe einer gegenrevolutionären Neuordnung der weltlichen Gesellschaft muss einerseits vollständig von der Lehre der Kirche inspiriert sein, beinhaltet andererseits aber unzählige konkrete und praktische Aspekte, die speziell die gesellschaftliche Ordnung betreffen. So überschreitet die Gegenrevolution den kirchlichen Bereich, bleibt aber durch ihr Lehramt und ihre indirekte Macht stets eng mit der Kirche verbunden.
Angesichts des
Ausmaßes der Krise und der enormen Bedeutung gegenrevolutionären Handelns für
das Seelenheil ist es logisch, dass dieses Handeln als Berufung verstanden
werden kann. Und so beschrieb Plinio Corrêa de Oliveira die TFP als „eine
bürgerliche Vereinigung mit religiösem Zweck“, im Einklang mit der
consacratio mundi, die Pius XII. als Berufung der Laien begründete und die
Johannes Paul II. im Dekret Apostolicam auctositatem weiter
präzisierte. Darin erkannte er an, dass es Bereiche des Apostolats gibt,
die „weitgehend nur den Laien zugänglich“ und nicht dem Klerus
sind.
Dies erklärt
vollkommen, wie Plinio Corrêa de Oliveira – der von sich selbst sagte: „Nicht
mehr ich lebe, sondern die Kirche lebt in mir“ und „die Kirche
ist die Seele meiner Seele“ – sein Bestes intellektuelles Bemühen und
Handeln der weltlichen Ordnung widmete, im Vertrauen darauf, der Kirche damit
einen unersetzlichen Dienst zu leisten.
Anmerkungen
1. Institutio Generalis Missale Romanum, Nr. 12.
2. Ebenda, Nr. 10.
Aus dem
Italienischen in
https://www.atfp.it/rivista-tfp/2011/96-marzo-2011/490-plinio-correa-de-oliveira-una-vocazione-nellordine-temporale
Die deutsche Fassung dieses Artikels ist erstmals erschienen in
© Veröffentlichung dieser deutschen Fassung ist mit
Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen