Plinio Corrêa de Oliveira
Man möge nicht meinen, es gäbe in unserem
Jahrhundert aus der Sicht eines Freundes der Tradition nichts Lobenswertes. Im
Gegenteil, wenn man die Realität sorgfältig analysiert, gibt es ernsthafte
Gründe, bestimmte Aspekte der heutigen Welt zu begrüßen. Es geht vor allem um
die Aspekte, in denen die heutige Welt nicht ganz das ist, was herkömmlich „die
Welt von heute“ genannt wird.
Ich erkläre mich. Wenn „heutige Welt“ als
eine Gruppe von Menschen verstanden wird, die in ihrer Mentalität, in ihren
wechselseitigen Beziehungen und in ihren Leistungen vom sogenannten „modernen
Geist“ beeinflusst werden, sehe ich daran eigentlich nichts Lobenswertes. Denn
unter „modernem Geist“ verstehe ich hier eine gewisse Mentalität, die
Ernsthaftigkeit und Gelassenheit grundsätzlich entgegensteht und gerade deshalb
zu Extravaganz, zur Unordnung, zur Widersprüchlichkeit, zur Lockerung aller
Verhaltensregeln neigt, von den kleinsten gesellschaftlichen Konventionen bis
zu den erhabensten Grundsätzen der Moral. Kurz gesagt, eine Mentalität, die
ausschließlich aus Nonkonformismus und Revolte, Begierde und Sinnlichkeit,
schockierender Brutalität und empfindsame Sentimentalität besteht. Was kann
daran lobenswert sein?
Aber – wird mir jemand sagen – wo finde
ich Leute, die all diese Mängel gleichzeitig zusammenbringen? Es gibt sie
natürlich, obwohl sie eine Minderheit sind. Aber nicht irgendeine Minderheit. Sie
bilden einen Kern, einen Kern mitten im Zentrum einer immensen Peripherie von
Beteiligten. Von diesen hat jeder nur einen oder wenige Fehler, die im Kern
gesammelt werden. Aber nichtsdestotrotz sind die Eigenschaften des Kerns alle in
der immensen Peripherie vorhanden, wenn auch in fragmentierter und diffuser
Weise. Wenn die soeben gegebene Beschreibung des Kerns nicht für jede seiner
Komponenten gilt, so gilt diese Beschreibung dennoch vollständig für die
Peripherie als Ganzes betrachtet.
Mit anderen Worten, bei manchen überwiegt
Brutalität, bei anderen Faulheit, bei wieder anderen Sinnlichkeit oder Revolte.
Dadurch sind alle für den Kern typischen Defekte in der Peripherie insgesamt
vorhanden.
Die moderne Welt besteht nicht nur aus
diesem Kern und dieser Peripherie. Um letztere erstreckt sich die noch breitere
Zone der Nachsichtigen, das heißt der Menschen, die, wenn auch nur am Rande, an
den Fehlern der Peripherie teilhaben, deren Ausbreitung aber dennoch mit einer Nachsicht
miterleben, die nicht selten bis zur Duldung führen. Wie viele alte Großmütter
sind auf den Straßen zu sehen, würdevoll gekleidet und mit korrekter Haltung. Stellen
Sie sich vor, jemand würde ihr einen heißen Minirock zum Anziehen anbieten: Sie
würde sich in ihrem Frauenstolz beleidigt fühlen. Beachten Sie jedoch die
erfreute Enkelin, die sie begleitet; trägt genau den Minirock, den die Oma
abgelehnt hätte!
Nein, in dieser modernen Welt habe ich
nichts zu loben. Die wenigen und schwachen Qualitäten, die darin existieren,
überleben als Spuren eines traditionellen Erbes, das jeder so schnell wie
möglich in sich selbst versteckt, erstickt, auslöscht.
Das einzige, was in der modernen Welt
gezeigt wird, ist das Gegenteil dieses Erbes.
Und das – ich wiederhole – kann ich nicht
loben.
*
* *
Aber inwiefern identifiziert sich die
Welt, wie sie heute ist, also die heutige Welt, mit der modernen Welt?
Mir scheint, so wie es jenseits des
Eisernen Vorhangs eine verleumdete, unterdrückte und verfolgte Kirche des
Schweigens gibt, gibt es auch auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs eine
riesige geistige Familie von Schweigenden, die, beiseite geschoben, ignoriert,
verachtet werden, die im Mittelmaß und im Dunkeln leben. Meistens schweigen
diese Menschen, weil sie gehemmt werden durch den Einfallsreichtum der Moderne
und die Angst vor Sarkasmus. Doch aus der Tiefe ihres Schweigens leisten sie
den Impulsen der Moderne einen dezenten Widerstand. Ja, sie befolgen seine
Anordnungen, aber im Schneckentempo.
Die Führer der Moderne geben fast immer
vor, diese sehr breite teilnahmslose Fraktion nicht zu bemerken. Aber sie spüren
sie bis zu dem Punkt, an dem sie gezwungen sind, nicht zu rennen, weil sie
wissen, dass sie in der öffentlichen Meinung nicht mehr Fuß fassen würden, wenn
sie zu stark beschleunigen würden.
Gerade bei den Schweigenden, die die
„moderne Welt“ enttäuschen und plagen, finde ich etwas was ich applaudieren
kann.
* * *
Ich zitiere eine typische Tatsache über
die Bedeutung dieser „Schweigenden“ im Westen.
Die bekannte spanische Zeitschrift „Sábado
Gráfico“ veröffentlichte am vergangenen 2. Juli eine merkwürdige Enthüllung. „D.
Helder Câmara, Erzbischof von Recife, verteilte ein Dokument mit dem Titel
„Lateinamerika und die Option der Gewaltlosigkeit“ an alle iberoamerikanischen
prophetischen Bewegungen. Darin erkennt der Prälat folgende Tatsachen klar an:
a) Die Guerillabewegung ist gescheitert. Es
ist sehr unangebracht, heute einen bewaffneten Befreiungsversuch zu
unternehmen;
b) Die Mehrheit der Volksmassen ist
unempfindlich gegen das Predigen revolutionärer Doktrinen.
Letztendlich steht die moderne Revolution
still.
Warum steht sie still? Wenn all die
oberflächlichen Aspekte der Existenz uns glauben machen, dass sie sich bewegt? Offensichtlich
liegt es größtenteils an der sanften Aktion unzähliger stiller Menschen, denen
die Moderne von außen nach innen Eigenschaften auferlegt, die sie von innen
nach außen ablehnen.
Schauen wir uns Chile an. Laut den
Zeitungen dieses Landes betrachteten prominente Unterstützer kurz vor dem Sturz
der Regierung der Unidade Popular (Volkseinheit)
als einen der Gründe für das Scheitern, das Allende umgab, den Mangel an Mystik
in den Reihen der regierungstreuen Arbeiter. Trotz aller ideologischen
Bemühungen der Marxisten fehlte es also an der Basis an Enthusiasmus.
Viel bedeutsamer war, was in der
Opposition geschah. Als das Militär Allende stürzte, behauptete es, dies unter
dem Druck des Volkswillens getan zu haben. Und niemand zweifelte daran. Der
Beweis dieses Willens wurde durch die gewaltigen Anti-Allende-Demonstrationen erbracht,
bei denen die kühnsten Elemente nicht die Reichen waren, sondern die Arbeiter
der Kupferminen von El Teniente, die Landarbeiter, die sich mit den Waffen in
der Hand erhoben zu Gunsten ihrer Chefs, den „Camioneros“ (Lastwagenfahrer) aus
dem ganzen Land. Was waren all diese Leute, bevor Allende sie aus dem Ernst
herausholte? Schweigende...
In diesem Sinne zeigte mir ein
herausragender Direktor der chilenischen TFP, Herr Fernando Larrain, dem das
Land, das er in Curacavi besaß, enteignet wurde, einen Brief, den ihm ein
ehemaliger Kolonist geschickt hatte, der nostalgisch für das patriarchalische
Regime der ehemaligen Bosse war. Es ist ein Dokument mit Blitzen, die gut in
den Brief eines Chouan oder eines mexikanischen Cristero unseres Jahrhunderts
passen würden.
Diese Schweigenden sind die große Kraft des
gesunden Geistes und der gesunden Moral in der heutigen Welt.
Diese begrüße ich als positive Elemente. Als kostbare Antithese zur modernen Welt, der ich mich kategorisch verweigere.
Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von Google-Übersetzer von „Elogio aos silenciosos do Ocidente“ in „Folha de S. Paulo“, vom 7. Oktober 1973.
© Nachdruck oder Veröffentlichung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
Diese deutsche Fassung „Lob für die Schweigenden des Westens“ erschien erstmals in www.p-c-o.blogspot.com
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