Ein Leser schreibt mir:
„In Ihrem letzten Artikel haben Sie Frei Galvão unter anderem den Titel „Sklave Mariens“ zugeschrieben. Dies hat mich schockiert. Dieser Titel bringt weder Frei Galvão noch Maria Ruhm. Sklaverei ist die gewaltsame Unterwerfung eines Wesens unter ein anderes. Sie ergibt sich daraus, dass der Stärkere dem Schwächeren (egal ob durch körperliche Überlegenheit oder wirtschaftlichen Druck) das wesentliche Attribut der persönlichen Würde, das heißt, das Recht eines jeden einzelnen über sich zu verfügen nach seinem eigenen Verstehen und Interesse. Das Wort „Sklaventum“ erinnert an Peitsche, Geißel, Handschellen, Unterernährung und Verfolgungsjagden durch die Polizei. Wie kann Maria Sklaven haben, die Katholiken als Königin der Güte verehren? Und wie kann jemand die Ehre haben, ein Sklave zu sein, selbst wenn er es von Maria ist? Seien wir ehrlich, das ist alles Unsinn“.
Eine solche Art der Beziehung zwischen Maria und einem ihrer Anhänger wäre in der Tat absurd. Wenn aber ein vernünftiger Mensch etwas tut, das absurd erscheint, muss man logischerweise nach einer Interpretation für seine Handlung suchen, die ihn in seinem wahren Aspekt, erklärbar und vernünftig sehen lässt. Wenn der große Frei Galvão, der so offensichtlich vernünftig und tugendhaft, dachte, meinte, seine franziskanische Kutte und sein Priestertum zu ehren, indem er sich Maria zum Sklaven macht, hätte der Briefschreiber die Pflicht, anzunehmen, dass es dafür eine vernünftige und erhabene Erklärung gibt. Eine solche Erklärung findet sich leicht in ihrer besten Quelle, der „Abhandlung über die wahre Andacht zu Maria“ vom hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort, einem von der katholischen Kirche anerkannten Buch, das allgemein als eines der bedeutendsten Werke der Mariologie gilt.
Ich werde hier versuchen, dem
Leser gegenüber zu erklären, was dieses Mariensklaventum ist, die der hl. Ludwig
Maria Sklaventum der Liebe nennt und nicht – es sei angemerkt – von roher
Gewalt, von Zwang.Der hl. Ludwig Maria
* * *
Vor nicht allzu vielen Jahren
war es eines der schönsten Komplimente, das man einem – Staatsoberhaupt,
Familienvater, Priester, Magistrat oder Militär – machen konnte, ihn als
„Sklaven der Pflicht“ zu bezeichnen. So sei er in der Lage gewesen, Risiken
oder Verluste zu tragen, um die mit seiner Stellung verbundenen Pflichten nicht
zu überschreiten. Oder auch nur das zu tun, was im Sinne sorgfältigster
Erfüllung seiner Mission nur ratsam war.
Eine analoge Bedeutung war
die Behauptung, dass ein Staats- oder Familienoberhaupt, ein Richter oder ein
Militär seine Mission zu „einem wahren Priestertum“ gemacht habe.
Das Wort „Sklave“ hatte also
eine ganz andere Bedeutung als die vom Leser erwähnte. Es qualifizierte
jemanden, der, freiwillig vom Adel und Höhe seiner Pflichten und Mission
überzeugt, auch freiwillig beschlossen hatte, ihr zuliebe, wenn dies der Fall
war, sogar seine legitimen Rechte und seine teuersten Interessen zu opfern.
In diesem „Sklaventum“ voll
Liebe zur Pflicht, zum Ideal, zur Mission ist der Mensch keineswegs ein Sklave
wie die römischen Kriegsgefangenen oder die nach Brasilien zwangsverschifften
Schwarzen. Im Gegenteil, er übt rational und im höchsten Grade seine Freiheit
aus und macht einen ganz klaren und veredelnden Gebrauch von sich und allem,
was ihm gehört.
Dies ist die Bedeutung, die der hl. Ludwig Grignion von Montfort der Weihe eines Menschen als „Sklave Mariens“ gibt.
Es ist ein Sklave der Liebe der
Allerheiligsten Maria, wer, ohne jeden Zwang, von den erhabenen Vorrechten
überzeugt ist, die ihr als Mutter Gottes zustehen, und von der moralischen
Vollkommenheit, deren Vorbild sie ist, ihr frei und aus Liebe „seinen Leib und
seine Seele, seine inneren und äußeren Güter und selbst den Wert seiner vergangenen,
gegenwärtigen und zukünftigen guten Werke, indem er ihr alles Recht und volle
Gewalt überlässt über sich und alles, was ihm gehört, ausnahmslos nach Ihrem
Wohlgefallen, zur größeren Ehre Gottes in der Zeit und in Ewigkeit“ weiht; die
Worte sind vom Heiligen. Und im Austausch für diese klare und freiwillige Weihe
behandelt Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, ihren Sklaven nicht im
Entferntesten mit der niederen und gewalttätigen Selbstsucht des Römers oder des
Sklavenhändlers, sondern mit mütterlicher Liebe, voller Zuneigung und Achtung der
liebenswürdigsten, mildesten und versöhnlichsten aller Mütter.
Und hier wende ich mich einer
weiteren aufschlussreichen Analogie zu. Diese Position des Liebessklaven der
Muttergottes – als selbstlose Opferung der eigenen Rechte und Interessen zu
Gunsten eines unantastbaren Ideals wie des Dienstes der Jungfrau Maria
betrachtet – hat viel mit der Handlung gemeinsam, durch die ein Ordensmann oder
eine Ordensschwester in einen religiösen Orden eintritt, bei dem er in einer
überaus klaren und freien Geste auf die Verfügung über sich selbst und sein
eigenes Erbe durch die Gelübde des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit
verzichtet.
Wer sich aber als Sklave
Mariens weiht, ist in gewisser Weise noch freier, weil er im Gegensatz zu einem
Ordensbruder oder einer Nonne keine Gelübde ablegt und so die Fähigkeit behält,
sich jederzeit von dieser erhabenen Weihe zu lösen.
In jedem Land der Erde wird
die Fähigkeit hierzu als Freiheit angesehen. Außer natürlich in kommunistischen
Ländern. – Aber was heißt darin schon frei sein? – Es ist buchstäblich ein
Sklave sein.
Und übrigens: ist der Verfasser des Briefes antikommunistisch?
Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von Google-Übersetzer in „Folha de S. Paulo“, 29. Dezember 1974.
© Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
„Weihe, die höchste Freiheit“ erschien erstmals in deutscher Sprache in www.p-c-o.blogspot.com
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen