Mitterand als Präsident hervorging, wegen der Mittemäßigkeit und Gleichgültigkeit
der Wählerschaft der Rechten und der Mitte.
Das Geistesleben der Mittelmäßigen beschränkt sich auf das Empfinden des Unmittelbaren – die Fülle des Tages, den bequemen Sessel, die Pantoffeln und den Fernseher – sein kleines Paradies geht darüber nicht hinaus.
An die Mitte und an die Rechte
Frankreichs richtete ich die rügenden Fragen meines letzten Artikels – und das
ist wichtig – den ich noch vor dem ersten Wahlgang zur Legislative geschrieben
hatte.*)
Ich hatte jedoch nicht
wahllos alle Mitglieder dieser Strömungen im Sinn. Die für die
Mitterrand-Katastrophe verantwortlichen Zentristen und Rechten bilden eine
große Seelenfamilie, die in einem vage „nicht-kommunistischen“ Lehrkontext (der
sich aber dem Etikett antikommunistisch entzieht) fast ausschließlich die
Mittelmäßigen vereint. Meine Rügen richteten sich daher speziell an die
Mittelmäßigen der Mitte und der Rechten, einschließlich derer, die, obwohl sie
nicht für Mitterrand gestimmt hatten, im Wahlkampf schwach, weich und sorglos
waren.
*
* *
Ich unterscheide hier
zwischen mittelmäßige und durchschnittliche. Man hat das Recht,
durchschnittlich zu sein, genauso wie man mit kräftiger oder gerade ausreichender
persönlicher Ausstattung geboren werden kann.
Mittelmäßigkeit ist das Übel
derer, die, ganz versunken sind in den Freuden der Faulheit und in die ausschließlichen
Wonne dessen, was in Reichweite der Hand ist, durch die völlige Einschränkung
des Unmittelbaren und aus der Stagnation den normalen Zustand ihres Daseins
machen. Sie blicken nicht zurück: ihnen fehlt der Sinn für Geschichte. Sie
blicken auch nicht nach vorne oder nach oben: sie analysieren und
prognostizieren nicht. Sie sind zu faul, um zu abstrahieren, Syllogismen
auszurichten, Schlussfolgerungen zu ziehen, Vermutungen anzustellen. Ihr Geistesleben
beschränkt sich auf das Empfinden des Unmittelbaren – die Fülle des Tages, den
bequemen Sessel, die Pantoffeln und den Fernseher – sein kleines Paradies geht nicht
darüber hinaus.
En unsicheres Paradies, das sie mit allen Arten von Versicherungen zu schützen suchen: Lebens-, Gesundheits-, Feuer-, Unfallversicherungen usw. usw.
Der Mittelmäßige fühlt sich glücklicher,
je mehr er merkt, dass sich alle Türen, die sich dem Abenteuer, dem Risiko, dem
Glanz öffnen können – und damit auch zum Himmel des Glaubens, zu den weiten
Horizonten der Abstraktion, den gewaltigen Höhenflügen der Logik und Kunst, zur
Seelengröße, zum Heldentum – fest verschlossen sind. Durch das allgemeine
Wahlrecht haben die Mittelmäßigen so viele Gesetze erlassen, so viele
Verordnungen, so viele öffentliche Ämter eingeführt, dass kein Entkommen überlegener
Seelen aus den Kämmerlein dieser organisierten Mittelmäßigkeit möglich ist.
Ohne dies zu beabsichtigen, zwingen die Mittelmäßigen jedoch den Seelen mit
weitem Horizont die Diktatur der Mittelmäßigkeit auf.
Wie alle Diktaturen verlängert
sich diese nur wenn sie die sozialen Kommunikationsmedien monopolisieren. Immer
mehr dringen die Mediokraten in Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen
ein.
Und wenn es nur das wäre! Die
Ökumene mit ihrem unermüdlichen und eitlen Geplapper ihres Dialogs ist ganz und
gar die Religion der Mediokraten. Eine Art Versicherung oder Rückversicherung
für Leben und Tod, durch die alle Religionen aufgefordert werden, im Chor zu
sagen, dass die Menschen, ganz gleich mit welcher Religion, für ihre
Gesundheit, ihre kleinen Geschäfte und ihre Sicherheit und auch nach dem Tod eine
gute Beziehung zu Gott erreichen können.
Aus dieser Perspektive
scheint es Gott gleichgültig zu sein, irgendeiner Religion zu folgen. Man kann
Ihn sogar lästern und verfolgen. Man kann Ihn sogar verleugnen. Ihm sind alle
Handlungen der Menschen gleichgültig. Olympisch gleichgültig. Ökumenisch
gleichgültig. Ebenso wie die Mittelmäßigen ihrerseits, ob sie ein Kruzifix,
einen Keramik- oder Porzelanbuddha oder ein Amulett an ihrem Schlaf- oder
Arbeitsplatz haben oder nicht, sind sie Gott gegenüber olympisch gleichgültig.
In der relativistischen
Atmosphäre der mittelmäßigen Kammerparadiese ist Gott – so das italienische Sprichwort
– ein Wesen „con il quale o senza il quale il mondo rimane tale e quale“ (mit Ihm
oder ohne Ihn, die Welt bleibt, wie sie ist)**
Auch in dieser Perspektive
würde Gott die Menschen mit gleicher Währung bezahlen. Man könnte dann sagen,
dass die Menschheit für Ihn ein Ameisenhaufen (oder ein Schlangenknoten?) ist,
„mit oder ohne der, (der Herrgott) bleibt wie er ist“.
* * *
So häufig bei den Rechten und
in der Mitte, nicht nur in Frankreich, sondern auf der ganzen Welt, sind Medioktratie
und religiöse Gleichgültigkeit eine logische Folge der einen und der anderen.
Wie wiederum diese Gleichgültigkeit nichts anderes ist als eine Form des
Atheismus. Der Atheismus derer, die Gott nicht ernst nehmen, ist radikaler (in
gewissem Sinne) als selbst der, der konventionellen Atheisten. Diese, wenn sie
den Beweis hätten, dass Gott existiert, würden sie Ihn hassen... oder
vielleicht würden sie Ihm dienen... Aber auf jeden Fall würde sie Ihn ernst
nehmen.
Diesem ökumenischen und
relativistischen Atheismus entspricht eine spezifische Art des moralischen
Verfalls.
Sinnlichkeit, im Wesentlichen
atheistisch, ging einst Arm in Arm mit den erbittertsten Verrücktheiten des
Luxus, mit den Skandalen der Prostitution, mit den Dramen des Verbrechens. Sie
war auffällig, theatralisch, extravagant. Sie entsprach dem jubelnden und
unverfrorenen Atheismus der revolutionären Massen des späten 18. und 19.
Jahrhunderts, die mit dem Singen der „Marseillaise“, des „Çà-Ira“ oder der
„Internationalen“ vibrierten.
Aber diese Lieder sind aus
der Mode gekommen. Vielleicht würde ein Plutokrat sie als Symbol seiner
Regierung übernehmen, den die Propaganda zur Leitung des Staates gehievt hätte,
und der, um Demagogie zu machen, eines dieser Lider als musikalisches Präfix
wählen würde.
Abweichungen solcher Figuren stehen
auf der Tagesordnung.
Mitterrand zum Beispiel hat
gerade die eigene Musik seiner Regierung übernommen. Er ist kein fauler Bourgeois,
sondern ein Marxist „im Wind“. So übernahm er den von Lully komponierten Marsch
der Dragoner des Regiments von Marschall-Herzog von Noailles...
Traditionssieg? Niemand täusche
sich. Es ist offensichtliche Bestätigung der vorherrschenden Gleichgültigkeit.
Alle Mängel an Logik, alle Widersprüche, die in der Vergangenheit (aus Protest)
„gebrüllt hätten, sich zusammenzufinden“ (hurlent
de se trouver ensemble), wandeln nun Arm in Arm im Zeichen der
Mittelmäßigkeit und Gleichgültigkeit.
Nun war Giscards Regierung
vor allem das Paradies all dieser Formen der Mittelmäßigkeit, die von einer
Fraktion der Wählerschaft getragen wurde, die nichts anderes wollte.
Mit der Vorwahlperiode kam
der Kampf. Die Mittelmäßigen verteidigten sich auf ihre Weise. Mittelmäßig.
Keine Überzeugung, keine Kohärenz, keine Begeisterung, keine Durchschlagskraft.
Was konnte ihnen passieren, außer zu verlieren?
Werden zumindest die mittelmäßigen anderer Länder von dieser Lektion profitieren? Ich fürchte nein. Denn wenn der Mittelmäßige etwas nicht tut, dann die Lektion des Nachbarn zu nutzen. Per Definition sieht er nur, was in seiner Nähe geschieht. Und sieht den heutigen Tag nur auf die Weise, wie ich sie oben beschrieben habe.
**) Originalzitat im Italienischen: “La filosofia è
quella cosa con la quale o senza la quale il mondo rimane tale e quale”.
„Die Philosophie ist etwas, mit der oder ohne sie die Welt bleibt, wie sie ist.“
Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von Google-Übersetzer in „Folha de S. Paulo“, 20. Juni 1981.
© Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
„Die Mittelmäßigen, die Mediokraten usw.“ erschien erstmals in deutscher Sprache in www.p-c-o.blogspot.com
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