Donnerstag, 19. Mai 2022

Wahre Frömmigkeit



Plinio Corrêa de Oliveira

     Die Frömmigkeit liegt auch noch im Willen. Wir müssen ernsthaft das Gute wollen, das wir kennen. Es reicht zum Beispiel nicht aus zu wissen, dass Gott vollkommen ist. Wir müssen die Vollkommenheit Gottes lieben, und deshalb müssen wir uns etwas von dieser Vollkommenheit wünschen. Es ist das Streben nach Heiligkeit.

     „Wünschen“ bedeutet nicht nur vage und sterile Gefühle zu empfinden. Wir wollen ernsthaft nur dann etwas, wenn wir bereit sind, alle Opfer zu bringen, um das zu bekommen, was wir wünschen. So wünschen wir nur ernsthaft unsere Heiligung und die Liebe Gottes, wenn wir bereit sind, alle Opfer zu bringen, um dieses höchste Ziel zu erreichen. Ohne diese Bestimmung ist alles „Wünschen“ nichts als Illusion und Lüge. Wir können größte Zärtlichkeitsgefühle haben, wenn wir die Wahrheiten und Geheimnisse der Religion betrachten: wenn wir daraus keine ernsthaften und wirksamen Vorsätze treffen, wird unser Frömmigkeit wertlos sein.

     Dies muss besonders in den Tagen der Passion Unseres Herrn gesagt werden. Es reicht nicht, die verschiedenen Ereignisse der Passion mit Rührung zu verfolgen: das wäre ausgezeichnet, aber nicht genug. Wir müssen unserem Herrn heutzutage aufrichtige Beweise unserer Andacht und Liebe geben.

     Wir geben diese Beweise, durch den Vorsatz unser Leben zu ändern und mit aller Kraft für die heilige katholische Kirche zu kämpfen.



    Die Kirche ist der mystische Leib Christi. Als unser Herr den heiligen Paulus auf dem Weg nach Damaskus erschien, fragte er ihn: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Saulus verfolgte die Kirche. Unser Herr aber sagte ihm, dass er ihn selbst verfolgte.

     Wenn die Verfolgung der Kirche bedeutet, Jesus Christus zu verfolgen, und wenn auch heute die Kirche verfolgt wird, wird heute Christus verfolgt. Die Passion Christi wiederholt sich in gewisser Hinsicht auch in unseren Tagen.

     Wie wird die Kirche verfolgt?

     Wenn ihre Rechte angefochten werden oder daran gearbeitet wird, die Seelen von ihr fernzuhalten. Jede Tat, durch die eine Seele von der Kirche entfernt wird, ist ein Akt der Verfolgung Christi. Jede Seele ist in der Kirche ein lebendiges Mitglied. Eine Seele aus der Kirche zu entfernen

     bedeutet, ein Mitglied des mystischen Leibes Christi von ihm zu trennen. Eine Seele aus der Kirche reißen bedeutet in gewissem Sinne unserem Herrn dasselbe anzutun, wenn uns der Augapfel herausgerissen würde.

     Wenn wir also mit der Passion unseres Herrn Jesus Christus leiden wollen, meditieren wir darüber, was Er in den Händen der Juden gelitten hat, aber vergessen wir nicht, was heute alles noch getan wird, um das göttliche Herz zu peinigen.

     Dies gilt umso mehr, als unser Herr während seiner Passion alles vorausgesehen hat, was bis zum Ende der Welt geschehen würde. Er sah alle Sünden aller Zeiten und auch die Sünden unserer Tage im Voraus. Er sah unsere Sünden im Voraus und litt im Voraus für sie. Wir waren im Ölgarten als Schergen anwesend und als Schergen folgten wir seiner Passion Schritt für Schritt bis zum Gipfel des Golgatha.

     Bereuen und weinen wir also.


     Die leidende, verfolgte, verachtete Kirche, steht hier vor unseren gleichgültigen oder grausamen Augen. Sie steht vor uns wie Jesus vor Veronica stand. Haben wir Mitleid mit ihren Schmerzen. Trösten wir mit unserer Zärtlichkeit die Heilige Kirche in allem, wodurch sie leidet. Wir können sicher sein, dass damit Christus einen Trost geben werden, der dem Trost der Veronica gleich ist.

     Schauen wir jetzt um uns herum, wie viele Katholiken den Glauben ablehnen. Sie wurden getauft, aber im Laufe der Zeit haben sie den Glauben verloren. Verloren durch ihre eigene Schuld, denn niemand verliert den Glauben ohne Schuld und zwar durch schwere Schuld. Und siehe, gleichgültig oder feindselig, denken, fühlen und leben sie wie Heiden. Es sind unsere Verwandten, unsere Nachbarn, vielleicht unsere Freunde! Ihr Unglück ist immens. Unauslöschlich ist das Zeichen der Taufe in ihnen. Sie sind für den Himmel gezeichnet und fahren zur Hölle. In ihren erlösten Seelen ist das Zeichen des Blutes Christi. Niemand kann es löschen. Es ist in gewisser Weise das Blut Christi selbst, das sie entweihen, wenn sie in dieser erlösten Seele Prinzipien, Maximen und Normen akzeptieren, die der Lehre der Kirche widersprechen. Der abtrünnige Katholik hat etwas Analoges zum abtrünnigen Priester. Er schleppt die Überreste seiner Größe mit sich, entweiht sie, erniedrigt sie und erniedrigt sich mit ihnen. Aber er verliert sie nicht.

     Was ist mit uns? Geht uns das was an? Leiden wir darunter? Beten wir dass diese Seelen sich bekehren? Tun wir Buße? Machen wir Apostolat? Wo ist unser Rat? Wo sind unsere Argumente? Wo ist unsere Nächstenliebe? Wo ist unsere mutige und energische Verteidigung der Wahrheiten, die sie leugnen oder verletzen?

     Das Heilige Herz blutet damit. Es blutet wegen dem Abfall vom Glauben und wegen unserer Gleichgültigkeit. Eine doppelt tadelnswerte Gleichgültigkeit, weil es Gleichgültigkeit gegenüber unserem Nächsten und vor allem gegenüber Gott ist.

     Und unter uns? Diesen Glauben, den so viele bekämpfen, verfolgen, verraten, Gott sei Dank, wir haben ihn.

     Welchen Gebrauch machen wir von ihm? Lieben wir ihn? Verstehen wir, dass unser größtes Glück im Leben darin besteht, Mitglieder der Heiligen Kirche zu sein, dass unsere größte Ehre der Titel eines Christen ist?

     Wenn ja - und wie selten sind diejenigen, die mit gutem Gewissen dies bejahen könnten - sind wir bereit, alle Opfer zu bringen, um den Glauben zu bewahren?

     Sagen wir nicht in einem romantischen Aufschwung, ja. Seien wir positiv. Werfen wir einen kalten Blick auf die Fakten. Steht nicht neben uns der Henker, der uns die Alternative des Kreuzes oder des Abfalls stellt? Aber jeden Tag erfordert die Bewahrung des Glaubens Opfer von uns. Tun wir sie?

     Ist es in etwa wahr, dass wir, um den Glauben zu bewahren, alles vermeiden, was ihn gefährden könnte? Vermeiden wir Lektüren, die ihn beleidigen könnten? Vermeiden wir die Gesellschaft, mit der er der Gefahr ausgesetzt ist? Suchen wir nach Umgebungen, in denen der Glaube gedeiht und Wurzeln schlägt? Oder leben wir um weltliche und flüchtige Freuden zu genießen in Umgebungen, in denen der Glaube verkümmert und in Trümmer zu fallen droht?

     Es kann sein, dass wir Unseren Herrn nicht aus unserer Seele vertrieben haben. Aber wie behandeln wir diesen göttlichen Gast? Ist er das Objekt aller Aufmerksamkeit, das Zentrum unseres intellektuellen, moralischen und affektiven Lebens? Ist er der König? Oder gibt es einfach für Ihn einen kleinen Raum, um Ihn als sekundären, uninteressanten Gast zu tolerieren, der etwas ungelegen ist?

     Als der göttliche Meister während der Passion stöhnte, weinte und Blut schwitzte, wurde er nicht nur von körperlichen Schmerzen gequält, nicht einmal von dem Leiden, das durch den Hass derer verursacht wurde, die ihn im Moment verfolgten. Er litt alles, was wir ihm und der Kirche an Schmerzen in den kommenden Jahrhunderten zufügen würden. Er weinte um den Hass aller Gottlosen, aller Arius, Nestorius, Luthers, aber er weinte auch, weil er vor sich die endlose Prozession lauwarmer Seelen, gleichgültiger Seelen sah, die, ohne ihn zu verfolgen, ihn nicht liebten, wie sie sollten.

     Es ist die unzählige Phalanx derer, die ihr Leben ohne Hass und ohne Liebe verbracht haben und laut Dante aus der Hölle ausgeschlossen werden, weil es nicht einmal einen geeigneten Ort in der Hölle für sie gibt.

     Sind wir in dieser Prozession?

     Dies ist die große Frage, die wir mit Gottes Gnade in diesen Tagen der Einkehr, Frömmigkeit und Buße, in die wir jetzt eintreten, beantworten müssen.


Der vorstehende Artikel ist einem informellen Vortrag von Professor Plinio Correa de Oliveira entnommen. Er wurde ohne seine Überarbeitung übersetzt und zur Veröffentlichung angepasst. Der Hrsg.

Quelle „Der Erste Freitag“ Nr. 1, 2022. Deutsche Gesellschaft zu Schutz von Tradition, Fanilie und Privateigentum e.V. (TFP), Frankfurt am Main.

     

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