Plinio Corrêa de Oliveira
Der Marianische Frauenbund von Santos wollte den Jahrestag seiner Gründung mit einer feierlichen Sitzung im Hauptsaal des Heiligtums des hl. Antonius von Embaré begehen, die der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria gewidmet werden sollte. Dies war eine besonders fromme und passende Idee, denn sie stand im Zusammenhang mit dem vom Heiligen Vater Pius XII. ausgerufenen Marianischen Jahr, das die Verehrung der Gläubigen für dieses bemerkenswerte Privileg der Mutter Gottes wiederbeleben sollte. Als ich eingeladen wurde, an diesem Festtag einen Vortrag über das von Pius IX. definierte Dogma zu halten, hatte ich die Gelegenheit, einige Überlegungen zu äußern, die die dortigen Freunde schriftlich haben wollten. Ich bin ihrem Wunsch nachgekommen und habe sie in diesem Artikel zusammengefasst, und ich hoffe, dass sie auch für die Leser dieser Zeitung von Interesse sind.
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Im Leben der Kirche ist die Frömmigkeit das zentrale Thema. Richtig verstandene Frömmigkeit ist keine routinemäßige und sterile Wiederholung von Formeln und gottesdienstlichen Handlungen, sondern wahre Frömmigkeit ist ein Geschenk des Himmels, das in der Lage ist, durch menschliche Erwiderung Seelen, Familien, Völker und Zivilisationen zu erneuern und sie zu Gott zu führen.
In der katholischen Frömmigkeit steht die Verehrung der Muttergottes im Mittelpunkt. Denn wenn sie der Kanal ist, durch den alle Gnaden zu uns kommen, und durch sie unsere Gebete zu Gott gelangen, so besteht das große Geheimnis des Triumphes im geistlichen Leben darin, mit Maria innig verbunden zu sein.
Es gibt daher kein wichtigeres Ziel, keine fruchtbarere Aufgabe, keinen größeren Ruhm als die Verbreitung der marianischen Frömmigkeit. Und das Pontifikat Pius’ XII. erstrahlte in diesem Glanz. In den reichen, spannenden und aufregenden Jahren seines Pontifikats hatte er viele Gelegenheiten, der Menschheit großen Nutzen zu bringen. Man braucht nur einen Blick in die Zeitungssammlungen der letzten Jahrzehnte zu werfen, um dies zu erkennen. Wenn eines Tages die Archive geöffnet werden und die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und all dessen, was darauf folgte, niedergeschrieben wird, wird diese Wahrheit noch deutlicher zutage treten: Das kann jeder aufmerksame Beobachter schon jetzt erkennen. Aber wie groß die Verdienste und der Ruhm die Geschichte auch aufzeichnen wird, wird es nicht schwer sein zu sagen, welche die größte ist. Es wird zweifellos der zutiefst marianische Charakter der Regierungszeit von Pius XII. sein. Das wurde in dieser Zeitung bereits gesagt, und das zu Recht. Es würde ausreichen die Definition des Dogmas der Himmelfahrt, um den gegenwärtigen Papst bis in die fernste Zukunft zu verherrlichen. Aber Mariä Himmelfahrt ist kein einzelner Edelstein, kein Solitär-Diamant in der Chronik Pius’ XII. Er glänzt in einer Konstellation anderer marianischer Lichter: die Konstitution „Bis Saeculari“, die Gründung des Marianischen Weltbundes, die Heiligsprechung des sel. Ludwig Grignion von Montfort, die Weihe Russlands und der Welt an das Unbefleckte Herz Mariens, die Krönung der Gottesmutter in Fatima und schließlich die Ausrufung des Marianischen Heiligen Jahres, zum hundertjährigen Gedenken des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis. Es genügt, an all dieses zu denken, um zu verstehen, wie sehr der spezifische Glanz des Marianischen im Werk Pius’ XII. aufleuchtet.
Die Lehren und das Beispiel des Heiligen Vaters ermutigen uns, unsere Frömmigkeit gegenüber der heiligen Jungfrau zu verstärken.
Das „sentire cum Ecclesia“ lädt uns aber in besonderer Weise ein, in diesem Jahr über die Unbefleckte Empfängnis zu meditieren, denn dies ist das Geheimnis, das der Stellvertreter Jesu Christi in diesem Augenblick unserer Frömmigkeit im Besonderen anbietet. Es ist sicherlich ein Thema reich an Schönheit voller Poesie, das geeignet ist, das Talent der größten Dichter und Künstler anzuziehen und zum Leuchten zu bringen. Aber gerade deshalb ist es ein Thema, bei dem das brasilianische Temperament, das von Natur aus zu Abschweifungen neigt, Gefahr läuft, nur in der Poesie zu bleiben. Nun ist jede Emotion - in der Frömmigkeit mehr als in jedem anderen Bereich - nur in dem Maße legitim und heilsam, wie sie auf der Wahrheit beruht und die Wahrheit zum Maßstab hat. So, dass in unserem Empfinden nichts anderes ist als die harmonische, proportionale und kohärente Schwingung der Wahrheit, die unser Intellekt betrachtet hat. Es scheint daher angebracht, eine Meditation über die Unbefleckte Empfängnis zu unternehmen, die keinerlei literarischen Anspruch erhebt und allein auf die Anwendung des Verstandes auf die in diesem Dogma enthaltene Wahrheit gerichtet ist.
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Die Menschheit bestand in der Zeit vor Jesus Christus aus zwei deutlich unterschiedlichen Kategorien: den Juden und den Heiden. Die ersteren bildeten das auserwählte Volk, hatten die Synagoge, das Gesetz, den Tempel und die Verheißung des Messias. Die letzteren, die dem Götzendienst verfallen waren, das Gesetz und die wahre Religion nicht kannten, lagen im Schatten des Todes und warteten, ohne es zu wissen, oder manchmal von einem geheimen Impuls bewegt, auf einen Retter, der kommen sollte. Bei den Heiden lassen sich noch zwei Kategorien unterscheiden: die Römer, die Herrscher der Welt, und die Völker, die unter der Autorität des Römischen Reiches lebten. Eine Analyse der Zeit, in der das Kommen des Messias stattfand, setzt eine Untersuchung der Situation voraus, in der sich jede dieser Fraktionen der Menschheit befand.
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Es wird viel von der militärischen Tapferkeit der Römer und dem Glanz ihrer Eroberungen gesprochen. Es liegt auf der Hand, dass es unter diesem Gesichtspunkt viel zu bewundern gibt. Aber eine genaue Betrachtung aller historischen Umstände zwingt uns zu der Erkenntnis, dass die Römer zwar große Eroberungen machten, die von ihnen unterworfenen Völker aber größtenteils alt und abgenutzt waren, von ihren eigenen Lastern beherrscht und daher dazu verdammt, unter das Joch des ersten Gegners zu fallen, der sich ihnen entgegenstellte. Das gilt für Griechenland ebenso wie für die Völker Asiens und Afrikas, mit Ausnahme von Karthago vielleicht. Was hatte so viele Völker, die einst so dominant und glorreich waren, in diesen Zustand der Schwäche versetzt? Moralische Korruption. Die historische Entwicklung ist bei allen gleich. Zu Beginn befinden sie sich in einem halbprimitiven Stadium und führen ein einfaches Leben, das von einer gewissen natürlichen Aufrichtigkeit geprägt ist. Daraus schöpfen sie die Kraft, die sie befähigte, ihre Nachbarn zu beherrschen und ein Imperium zu bilden. Aber mit dem Ruhm kommt der Reichtum, mit dem Reichtum kommen die Vergnügungen, und mit diesen kommt die Ausschweifung. Die Ausschweifung wiederum bringt den Tod aller Tugenden, die soziale und politische Dekadenz und den Untergang des Reiches mit sich. Und so erschien ein Volk nach dem anderen auf der historischen Bühne, die großen Völker des Ostens wuchsen zu ihrem Höhepunkt und gingen unter. Alle zivilisierten Völker, die Rom besiegte, hatten die verschiedenen Etappen dieses Zyklus durchlaufen. Rom selbst war ihnen der Reihe nach gefolgt. Die familiären Tugenden des Roms der Kaiser und der aristokratischen Republik gaben ihr ihre Größe. Am Ende der Republik begann der Luxus die Charaktere zu korrumpieren und der Niedergang begann. Das Imperium, das anfangs einen prächtigen Sonnenuntergang gleichte, verwandelte sich allmählich in eine unrühmliche und bräunliche Dämmerung.
Zu dem Zeitpunkt, als Rom in die noch goldene Phase dieses Abstiegs eintrat, wurde Jesus geboren. Die Geschichte der Zukunftsmöglichkeiten aufzustellen ist gefährlich. Auf jeden Fall darf man sich fragen, was in der mediterranen Welt geschehen wäre, als Rom seine Entwicklung beendete, wenn das Wort Gottes nicht Fleisch geworden wäre. Bis dahin hatte jede zivilisierte Nation das Erbe ihrer Kultur an den Sieger weitergegeben. Die Perser zum Beispiel ernährten sich von der assyro-babylonischen und ägyptischen Kultur. Die Griechen von der ägyptischen und persischen Kultur, die Römer von der griechischen Kultur. Auf diese Weise wurde die Zivilisation von Ost nach West weitergegeben. In welchen Händen würde das Erbe des untergegangenen Roms verbleiben? In den Händen der Barbaren. Aber die Geschichte beweist, dass sie ohne die Kirche während der Invasionen nicht zivilisiert worden wären, und so wäre der Fall Roms ohne Jesus Christus der Untergang des Abendlandes gewesen. Mit dem Niedergang Roms, der bereits vor Christus begonnen hatte, drohte das gesamte Abendland zu zerfallen. Es wäre das Ende einer Kultur, einer Zivilisation, eines historischen Zyklus. Es wäre das Ende der Welt...
Nun war aber das Auserwählte Volk auch am Ende. Zwei Tendenzen hatten sich in ihm immer abgezeichnet. Eine wollte dem Gesetz, der Verheißung und seiner historischen Berufung treu bleiben und ganz auf Gott vertrauen. Die andere aber, der Kleingläubigen, der Hoffnungslosen, war erschrocken über die Tatsache, dass die Juden in der antiken Welt keinen militärischen und politischen Wert hatten. Die Israeliten unterschieden sich von allen anderen Völkern in Bezug auf Rasse, Sprache und Religion, waren klein in Bezug auf Bevölkerung und Territorium und standen schon vor Christus kurz vor dem Untergang. Die beste Strategie für die Verfechter der „politique de la main tendue“ im Alten Gesetz war nicht Widerstand, sondern Nachgeben. Daher die Anpassung des auserwählten Volkes an die heidnische Welt, das heimliche Eindringen exotischer Lehren in die Synagoge, die Bildung einer Priesterschaft ohne Charakter, ohne Opfergeist, die zu allem bereit war, um friedlich im Schatten des Tempels zu vegetieren, und die Neigung einer großen Mehrheit der Juden, dieser Politik zu folgen. Die Führer dieser Tendenz besetzten alles, drangen in alles ein, beherrschten alles. Mit dem Makkabäer-Epos endete der Einfluss der Anhänger der israelitischen Integrität. Diese waren zur Zeit Christi nur wenige Auserwählte, die hier und da im Schatten seufzten und weinten, in der Erwartung des Tages des Herrn. Die anderen öffneten ihre Arme dem ihn beherrschenden Feind. Auch das auserwählte Volk war unter das römische Joch geraten. Es war auch ein Ende. Die Nacht, die moralische Nacht der Verfinsterung aller Wahrheiten, aller Tugenden, war über die ganze Welt, über das Heidentum und die Synagoge, hereingebrochen...
In dieser Anhäufung der Übel, in dieser Atmosphäre, die allem Guten entgegenstand, wurde das heiligste aller Geschöpfe geboren, die „Voll der Gnaden“, die alle Völker selig preisen werden. Denn dies war bereits die allgemeine Situation, als die Heilige Jungfrau auf die Welt kam.
Regina Sanctorum Omnium
Die Ausmaße eines Artikels wie diesen erlauben keine detaillierte Beschreibung des Sittenbildes der römischen Welt. Dies wäre auch nicht unbedingt notwendig, da dieses Bild allgemein bekannt ist. Überall im römischen Reich mischten sich nationale Aristokratien im letzten Stadium der moralischen Zersetzung mit Abenteurern, die sich im Handel, in der Politik oder im Krieg bereichert hatten, mit Freigelassenen, die durch Günstlingswirtschaft an die Spitze des Einflusses gelangt waren, mit berühmten Schauspielern und Sportlern in einem Leben ununterbrochener Vergnügungen, in die die Dekadenten die ganze Weichheit ihres Spleens einbrachten, die Abenteurer den ganzen ungezügelten Appetit ihrer noch kaum gemästeten Gier, die Günstlinge, die Schauspieler, die Athleten die ganze Atmosphäre der Schmeichelei, der Anmaßung, der Intrige, der Falschheit, der Politik, dank derer sie sich erhielten. Kaiser Augustus, in dessen Regierungszeit Jesus Christus geboren wurde, versuchte vergeblich, all diesen Missständen Einhalt zu gebieten, die sich zu seiner Zeit in erschreckendem Maße ausbreiteten. Er hat nichts Dauerhaftes erreicht. Im Gegensatz zu dieser Elite - wenn man sie als solche bezeichnen kann - stand eine zahllose Welt von Sklaven aller Nationen, von elenden Arbeitern, verdorben durch die Last ihrer eigenen Laster und die Beispiele von oben. Hungrig, misshandelt, dumm und faul wollten sie ihre Herren absetzen, nicht so sehr aus Empörung über deren Missetaten, sondern aus Bedauern darüber, dass sie selbst nicht das gleiche Leben führen konnten wie sie. Ein ganzes Bild, kurz gesagt, für das man weder viel Kultur braucht, um es zu erkennen, noch viel Finesse, um es in seiner lebendigen Realität zu spüren, denn es unterscheidet sich nicht wesentlich von den dunklen Tagen, in denen wir leben...
Wenn nun so die alte Welt war, wer war die Heilige Jungfrau, die Gott in jenem Zeitalter allumfassender Dekadenz geschaffen hatte? Die vollständigste, kompromissloseste, kategorischste, unmissverständlichste und radikalste Antithese der Zeit.
Der menschliche Wortschatz reicht nicht aus, um die Heiligkeit der Gottesmutter auszudrücken. In der natürlichen Ordnung vergleichen die Heiligen und Kirchelehrer sie mit der Sonne. Aber wenn es einen Stern gäbe, der unvorstellbar heller und herrlicher wäre als die Sonne, dann wäre es der, mit dem sie sie vergleichen würden. Und am Ende würden sie sagen, dass dieser Stern nur ein blasses, mangelhaftes, unzureichendes Bild von Ihr geben würde. Was die moralische Ordnung betrifft, so behaupten sie, dass sie alle Tugenden weit übertroffen hat, nicht nur die aller herausragenden Männer und Frauen des Altertums, sondern - was unermesslich mehr ist - die aller Heiligen der katholischen Kirche. Man stelle sich vor ein Geschöpf, das das ganze Ausmaß der Liebe eines hl. Franziskus von Assisi, des Eifers eines hl. Dominikus von Gusman, der Frömmigkeit eines hl. Benedikt, der Besinnung einer hl. Teresa, der Weisheit eines hl. Thomas, der Unerschrockenheit eines hl. Ignatius, der Reinheit eines hl. Aloysus von Gonzaga, der Geduld eines hl. Laurentius, des Kasteiungsgeistes aller Anachoreten der Wüste: es würde sich den Füßen der Gottesmutter nicht nähern. Und noch etwas. Die Herrlichkeit der Engel ist etwas, das der menschliche Verstand nicht begreifen kann. Einem Heiligen ist einmal sein Schutzengel erschienen. Seine Herrlichkeit war so groß, dass der Heilige glaubte, es sei Gott selbst, und war bereit, ihn anzubeten, als der Engel ihm offenbarte, wer er war. Nun gehören die Schutzengel in der Regel nicht zu den höchsten himmlischen Hierarchien. Und die Herrlichkeit der Gottesmutter steht unermesslich über der aller Engelschöre.
Könnte es einen größeren Kontrast geben zwischen diesem Meisterwerk der Natur und der Gnade, das nicht nur unbeschreiblich, sondern sogar unvorstellbar ist, und dem Sumpf von Laster und Elend, der die Welt vor Christus war?
Die Unbefleckte Empfängnis
Diesem Geschöpf, dem innig geliebten unter allen Geschöpfen, das allem Geschaffenen überlegen und nur der heiligsten Menschheit unseres Herrn Jesus Christus unterlegen ist, hat Gott ein unvergleichliches Privileg verliehen, nämlich die Unbefleckte Empfängnis.
Durch die Erbsünde war der menschliche Verstand dem Irrtum unterworfen, der Wille der Schwäche ausgesetzt, die Empfindsamkeit von unbändigen Leidenschaften ergriffen, der Körper sozusagen in Aufruhr gegen die Seele versetzt.
Durch das Privileg ihrer unbefleckten Empfängnis wurde die Gottesmutter vom ersten Augenblick ihres Daseins an vor dem Makel der Erbsünde und ihren Folgen bewahrt. Und so war in ihr alles in tiefer, vollkommener, unerschütterlicher Harmonie. Der Intellekt, der niemals dem Irrtum ausgesetzt war, der mit einem Verständnis, einer Klarheit, einer unaussprechlichen Beweglichkeit ausgestattet war, der von den höchsten Gnaden erleuchtet wurde, hatte eine bewundernswerte Kenntnis der Dinge des Himmels und der Erde. Der Wille, der dem Verstand in allen Dingen gefügig war, war ganz auf das Gute ausgerichtet und beherrschte voll und ganz die Empfindsamkeit, die nie in sich selbst fühlte und vom Willen nichts verlangte, was nicht völlig gerecht und mit der Vernunft übereinstimmend war. – Man stelle sich vor einen von Natur aus vollkommenen Willen, eine von Natur aus untadelige Empfindsamkeit, die mit unaussprechlichen Gnaden bereichert und überreichlich ausgestattet ist, und der in jedem Augenblick vollkommen entsprochen wird, und wir können uns eine Vorstellung davon machen, was die Heilige Jungfrau war. Oder besser gesagt, man kann verstehen, warum man sich nicht einmal eine Vorstellung davon machen kann, was die Heilige Jungfrau war.
„Inimicitias ponam“ (Ich werde Feindschaft stiften)
Ausgestattet mit so vielen natürlichen und übernatürlichen Lichtern, kannte die Gottesmutter sicherlich die Niedertracht der Welt zu ihrer Zeit. Und darunter litt sie bitterlich.
Denn je größer die Liebe zur Tugend, desto größer ist auch der Hass auf das Böse.
Maria hatte in sich Abgründe der Liebe zur Tugend, und deshalb fühlte sie notwendigerweise in sich Abgründe des Hasses gegen das Böse. Maria war also eine Feindin der Welt, von der sie abgesondert lebte, getrennt von ihr, ohne jede Vermischung oder Verbindung, allein auf die Dinge Gottes ausgerichtet.
Die Welt ihrerseits scheint Maria weder verstanden noch geliebt zu haben. Denn es scheint nicht, dass sie ihr die Bewunderung zollte, die angemessen ihrer keuschen Schönheit, ihrer edlen Anmut, ihrer süßen Art, ihrer stets ermahnenden, zugänglichen Nächstenliebe, die reichhaltiger als das Wasser des Meeres und lieblicher als Honig war.
Und wie könnte es anders sein? Welches Verständnis könnte es auch geben zwischen ihr, die ganz vom Himmel war, und denen, die nur für die Erde lebten? Sie, die ganz Glaube, Reinheit, Demut, Adel war, und jene, die ganz Götzendienst, Skepsis, Ketzerei, Lüsternheit, Stolz, Vulgarität waren? Sie, die ganz Weisheit, Vernunft, Gleichgewicht, vollkommener Sinn für alle Dinge, absolute Mäßigung, ohne Makel oder Schatten war, und jene, die ganz Leichtsinn, Verschwendung, Unausgewogenheit, falscher, kakophonischer, widersprüchlicher, schriller Sinn für alles und chronische, systematische, schwindelerregend zunehmende Unmäßigkeit in allem waren? Sie, die der Glaube war, der von einer unangreifbaren und unnachgiebigen Logik bis zu all seinen Konsequenzen getragen wurde, und jenen, die der Irrtum waren, die von einer infernalisch unerbittlichen Logik ebenfalls bis zu seinen letzten Konsequenzen getragen wurde? oder jene, die, indem sie auf jede Logik verzichteten, freiwillig in einem Sumpf von Widersprüchen lebten, in dem alle Wahrheiten in der monströsen Durchdringung aller ihr widersprechenden Irrtümer vermischt und verschmutzt sind?
„Unbefleckt“ ist ein negatives Wort. Etymologisch gesehen bedeutet es die Abwesenheit von Makel, also von jedem noch so kleinen Fehler, von jeder noch so kleinen und unbedeutenden Sünde. Es geht um absolute Integrität im Glauben und in der Tugend. Es ist also absolute, systematische, unbeugsame Unnachgiebigkeit, vollständige, tiefe, diametrale Abneigung gegen jede Art von Irrtum oder Übel. Heilige Unnachgiebigkeit in Wahrheit und Güte ist Orthodoxie, Reinheit, im Gegensatz zu Heterodoxie und Bösem. Weil sie Gott ohne Maß liebte, liebte die Gottesmutter auch alles, was von Gott war, von ganzem Herzen. Und weil sie das Böse ohne Maß hasste, hasste sie den Satan, seinen Prunk und seine Werke, den Teufel, die Welt und das Fleisch ohne Maß. Die Muttergottes der Unbefleckten Empfängnis ist die Muttergottes der heiligen Unnachgiebigkeit.
Wahrer Hass, wahre Liebe
Aus diesem Grund betete die Gottesmutter ohne Unterlass. Und wie man mit allem Grund sagen kann, betete sie um das Kommen des Messias und um die Gnade, eine Dienerin derer zu sein, die zur Mutter Gottes auserwählt würde. Sie verlangte nach dem Messias, damit derjenige käme, der die Gerechtigkeit auf der Erde wieder zum Strahlen brächte, damit die göttliche Sonne aller Tugenden aufgehe und die Finsternis der Gottlosigkeit und des Lasters auf die ganze Welt niederschlage. Die Gottesmutter wünschte, das ist sicher, dass die auf Erden lebenden Gerechten im Kommen des Messias die Erfüllung ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen fänden, dass die Schwankenden wieder aufleben und dass aus allen Ländern, aus allen Tiefen, die vom Licht der Gnade berührten Seelen zu den höchsten Gipfeln der Heiligkeit aufsteigen sollten. Denn dies sind schlechthin die Siege Gottes, der die Wahrheit und das Gute ist, und die Niederlagen des Teufels, der das Haupt des Irrtums und des Bösen ist. Die Jungfrau wollte die Ehre Gottes durch jene Gerechtigkeit, die die Verwirklichung der vom Schöpfer gewünschten Ordnung auf Erden ist. Aber als sie um das Kommen des Messias bat, war sie sich darüber im Klaren, dass der Messias der Stein des Anstoßes sein würde, durch den viele gerettet werden, aber auch viele die Strafe für ihre Sünde erhalten würden. Diese Züchtigung des reuelosen Sünders, diese Zertrümmerung des verstockten und verhärteten Bösen, das hat auch die Gottesmutter von ganzem Herzen gewollt, und es war eine der Folgen der Erlösung und der Gründung der Kirche, die sie wie keine andere gewünscht und erbeten hat: „Ut inimicos Sanctae Ecclesiae humiliare digneris, Te rogamus, audi nos“, singt die Liturgie. Und gewiss hat das Unbefleckte Herz Mariens schon vor der Liturgie ein ähnliches Flehen zu Gott erhoben, um die verhärteten Bösen zu besiegen.
Ein bewundernswertes Beispiel für wahre Liebe, für wahren Hass.
Allmächtige Bittstellerin
Gott will Werke. Er hat die Kirche für das Apostolat gegründet. Aber vor allem will er das Gebet. Denn das Gebet ist die Voraussetzung für die Fruchtbarkeit aller Werke. Und er will die Tugend als Frucht des Gebets.
Als Königin aller Apostel ist die Gottesmutter jedoch vor allem das Vorbild der betenden und sich heiligenden Seelen, der Leitstern aller Meditation und des inneren Lebens. Denn mit unbefleckter Tugend begabt, tat sie immer das Vernünftigste, und wenn sie auch nie die Unruhe und Unordnung jener Seelen in sich spürte, die nur Aktion und Aufregung lieben, so erlebte sie doch auch nie die Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit jener trägen Seelen in sich, die das innere Leben in ein Paradies verwandeln, um ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Sache der Kirche zu verbergen. Ihr Rückzug aus der Welt bedeutete nicht, dass sie kein Interesse an der Welt hatte. Wer hat mehr für die Gottlosen und Sünder getan als sie, die, um sie zu retten, freiwillig in die grausamste Opferung ihres unendlich unschuldigen und heiligen Sohnes einwilligte? Wer hat mehr für die Menschen getan als sie, die die Verheißung des Erlösers in ihren Tagen wahr gemacht hat?
Aber hat uns die Königin der Apostel, die vor allem auf das Gebet und das innere Leben vertraute, nicht eine große Lektion in Sachen Apostolat erteilt, indem sie beides zu ihren Hauptinstrumenten des Handelns machte?
Anwendung auf unsere Tage
Die Seelen, die wie die Gottesmutter das Geheimnis der wahren Liebe und des wahren Hasses, der vollkommenen Unnachgiebigkeit, des unaufhörlichen Eifers und des Geistes der völligen Entsagung besitzen, sind in den Augen Gottes so wertvoll, dass sie es sind, die die göttliche Gnaden in die Welt bringen können.
Wir befinden uns in einer Epoche, die derjenigen ähnelt, als Jesus Christus auf die Erde kam. Im Jahr 1928 schrieb der Heilige Vater Pius XI., „Die Dinge sind wirklich so traurig, dass man gesagt hat, mit solchen Vorgängen kündige und zeige sich jetzt schon der Anfang der Wehen an, die der Mensch der Sünde bringen wird, der über alles sich erhebt, was Gott heißt oder Heiligtum.“ (Enc. Miserentissimus Redemptor, 8. Mai 1928).
Was würde er heute sagen?
Und was sollen wir tun? Kämpfen auf allen erlaubten Ebenen und mit allen erlaubten Waffen. Aber vor allem muss man auf das innere Leben und das Gebet vertrauen. Das ist das große Beispiel der Gottesmutter.
Das Beispiel der Muttergottes kann nur mit der Hilfe der Gottesmutter nachgeahmt werden. Und die Hilfe der Muttergottes kann nur durch die Andacht zu Muttergottes erlangt werden. In was kann die Andacht zur Heiligen Jungfrau besser sein, als sie nicht nur um die Liebe zu Gott und den Hass auf den Teufel zu bitten, sondern auch um jene heilige Vollkommenheit in der Liebe zum Guten und im Hass auf das Böse, mit einem Wort, um jene heilige Unnachgiebigkeit, die in ihrer Unbefleckten Empfängnis so hell leuchtet?
Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von DeepL-Übersetzer (kostenlose Version) von „A santa intransigência, um aspecto da Imaculada Conceição“ in „Catolicismo“ Nr. 45 - September 1954.
„Heilige Unnachgiebigkeit: ein Aspekt der Unbefleckten Empfängnis“ erschien erstmals in deutscher Sprache in www.p-c-o.blogspot.com
© Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
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