Zerstörung Jerusalems durch Titus - von Kaulbach |
von Plinio Corrêa de Oliveira
Bevor unser Chor die Klagelieder des Jeremias anstimmt, erlauben Sie mir, ein paar Anmerkungen zu machen*.
Wie Sie wissen, beklagte der Prophet Jeremias den Fall Jerusalems und gleichzeitig das Leiden und den Tod unseres Herrn Jesus Christus. In diesem Sinne ist er vielleicht der traurigste Prophet, derjenige, der sich am meisten quält und klagt. So sehr, dass man auch heute noch von jemandem, der zu viel weint und klagt, sagt, er sei ein „Jeremias“, und von einer schrecklichen Klage sagt man, es sei eine „Jeremiade“. Jeremias war der Prophet der Tränen, derjenige, der am besten das Weinen und den Kummer Unseres Herrn und Unserer Lieben Frau prophezeite.
Hier sind die Passagen, die in Kürze gesungen werden: „Ach, wie einsam sitzt die Stadt, die an Volk einst so reich! Gleich einer Witwe ward die Große unter den Völkern, die Fürstin über die Länder geriet unter Frondienst!“
Jerusalem war souverän und herrschte über Provinzen, jetzt war sie gezwungen, zu dienen und Frondienst zu leisten. Sie hat die Souveränität, die sie einst auszeichnete, verloren und ist einer fremden Macht unterworfen. Sie hat den größten Teil ihres Glanzes verloren und ist in einen Zustand völliger Niedergeschlagenheit verfallen.
Jeremias fährt fort: „In bitterem Weinen verbringt sie ihre Nächte, ihre Wangen sind Tränenbedeckt; unter all ihren Geliebten findet sie niemanden, der sie tröstet. Alle ihre Freunde wurden ihr untreu, sind ihr zu Feinden geworden“.
Die Fürstin ist völlig am Boden zerstört. Diejenigen, die sie liebten, haben sie verlassen, ihre Freunde verachten sie jetzt. Und sie weint in der Nacht, in der Dunkelheit und Einsamkeit. Jerusalem ist verlassen, die Widersacher haben sie erobert und das Volk in die Sklaverei getrieben, niemand sucht sie mehr, es gibt keine göttliche Anbetung mehr, kein Gesetz, keinen Handel, kein Leben. Die Stadt ist ein Trümmerhaufen...
Dieses prophetische Weinen über die Stadt Jerusalem gilt auch für die Leiden der heiligen katholischen Kirche im Laufe der Jahrhunderte und vor allem für das erschütterndste aller Leiden der Kirche von Pfingsten bis heute: den Schmerz über die schreckliche Krise, die sie heute ergreift und die sich immer mehr zuspitzt. Wir können auf die heutige Kirche die Worte Jeremias anwenden: „Ach, wie sitzt so einsam die Stadt, die einst an Volk so reich war!“
Die katholische Kirche war einst voll von Menschen. Alle nahmen an ihr teil, beteten sie an, verehrten sie, ehrten sie. Heute sind die Kirchen immer noch voll, aber die Kirche ist leer. Man sieht viele Menschen in der Messe, die Zahl der Kommunionen steigt. Wenn die Zeit der Kommunion gekommen ist, nähern sich in manchen Kirchen fast alle Menschen dem eucharistischen Tisch. Man könnte sagen, dass ein Erblühen des Glaubens stattfindet. Wie eitel ist eine solche Blüte! Wie wenige gibt es in der Kirche, die als ihrer wahren Kinder betrachtet werden können!
Was ist ein wahres Kind der Katholischen Kirche? Es ist eines, das alles glaubt, was die Kirche glaubt, alles liebt, was die Kirche liebt, und deshalb nichts anzweifelt, was die Kirche lehrt. Gleichzeitig verabscheut es alles, was im Widerspruch zur Kirche steht. Es ist also ein völlig ultramontaner Mensch, dessen Herz an nichts anderes als an das Herz der Kirche hängt. Das ist der wahre Katholik.
Ich frage mich: Wie viele von all den Menschen, die sich heute in den Kirchen drängen, sind wirklich katholisch? Wie viele denken in allem wie die Kirche und sind voll von ihrem Geist?
Es gab einmal eine Zeit, da waren die Kirchen voll von wahren Katholiken, von Gläubigen, die alle ein wahrer Tempel des Heiligen Geistes waren. Die Kirche lebte in den Seelen der Gläubigen, die sie besuchten. Heute hat die Kirche diese Herrschaft verloren, sie ist von den Menschen verlassen worden. Heute führen die Hirten die Herde in eine der Kirche entgegengesetzte Richtung.
Die Kirche ist völlig allein. Sie war die Herrin der Völker, denn sie herrschte über alle. Sie war die Fürstin der Provinzen, denn jede große Nation auf der Erde war wie eine Provinz, die liebevoll unter ihrer Herrschaft stand. Nun, steht diese Fürstin allein und verlassen da...
Ich erinnere mich an ein mittelalterliches Gemälde, auf dem eine Papstmesse dargestellt ist. Der Kaiser des Heiligen Reiches und der König von Frankreich dienten dem Papst bei der Messe, während der König von Spanien und der König von England ihm zur Seite standen. Das war die Heilige Kirche, die Fürstin der Länder! Das Heilige Reich, Frankreich, Spanien, England, alle verehrten sie und dienten ihr!
Wie anders ist doch heute alles! Deshalb weint die Kirche, sie weint in der Nacht, sie weint allein. Es ist die Nacht des Unverständnisses, niemand versteht sie mehr, niemand folgt ihr mehr. Und sie weint. Es ist das Weinen der Muttergottes in Syrakus, die Tränen der Muttergottes in Rocca Corneta. In La Salette und an anderen Orten ist die Muttergottes weinend oder traurig erschienen. Es ist das gleiche Weinen der Kirche, allein und in der Nacht.
Es liegt an uns, sie in diesem einsamen Weinen zu begleiten, heute, heute Nacht. Wir müssen den Schmerz der Fürstin der Nationen wahrnehmen, um sie zu trösten!
Dazu fällt mir ein schöner Satz von Chateaubriand ein. In Bezug auf seine Loyalität gegenüber den rechtmäßigen Erben des französischen Throns, die ihn sehr enttäuscht hatten, schrieb er: „Ich bin ein Höfling des Unglücks!“ Wir sind Höflinge des Unglücks. In dieser schrecklichen Nacht, in der die Kirche am Boden liegt und von allen verlassen ist, müssen wir uns ihr mit Ehrfurcht und Zärtlichkeit nähern. Wir müssen der Kirche mit unserem von Liebe erfüllten Herzen sagen, was sie von uns hören will.
Zunächst einmal müssen wir sagen, dass wir aus tiefstem Herzen, ganz und gar, an die Kirche glauben. Wir wollen so denken, wie sie denkt, so fühlen, wie sie fühlt, so wollen, wie sie will. Wir müssen - im wahrsten Sinne des Wortes - trunken werden von der Liebe zur Kirche, von der keuschen Trunkenheit des Heiligen Geistes. Als die Apostel zu Pfingsten den Heiligen Geist empfangen hatten, sagten die Leute, sie seien betrunken. Es war die Begeisterung des göttlichen Heiligen Geistes.
Erfüllen wir uns mit dem Geist der Kirche und verkünden wir, dass wir trotz allem treu bleiben: Wir bewahren die alte Lehre, wir bewahren ein Lehramt, das sich nicht ändert, wir bewahren die immerwährenden Bräuche, in denen sich der echte Geist der Kirche widerspiegelt. Wir bewahren die Gewissheit, dass die Kirche lebendig ist und dass sie sich eines Tages durchsetzen wird. Wir richten unseren Blick auf die Kirche, auf ihre zukünftigen Triumphe, auf das Reich Mariens. Unsere Verehrung für die Kirche geht so weit, dass wir ihr gerade dann, wenn sie allein und niedergeschlagen am Boden liegt, diesen Akt des höchsten Gehorsams darbringen.
In dem Moment, in dem alle sie zu verlassen scheinen, verneigen wir uns vor ihr. In dem Maße, wie es vernünftig ist, wie es notwendig ist und wie es ihrer göttlichen Verfassung entspricht, sagen wir, dass wir ihrer Hierarchie und ihren rechtmäßigen Hirten gehorchen. Das ist unsere Einstellung.
Sollte einer von uns in diesem Augenblick sterben und zum ewigen Leben erwachen, wird er Gott ins Angesicht schauen und von der Gottesmutter mit unaussprechlicher Zärtlichkeit begrüßt werden. Er wird von unserem Herrn mit liebevoller Stimme diese Worte über das Jüngste Gericht hören: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war gefangen, und ihr habt mich getröstet“.
Die Heilige Katholische Kirche, ist der mystische Leib Christi, der in gewisser Weise nackt und bloß dasteht. Wir müssen sie mit unserer Liebe bedecken, indem wir für sie all unser Ansehen und all unsere irdischen Güter opfern, um sie in den Augen der Menschen zu verherrlichen.
Wir wollen sagen können: Die Kirche war hungrig, und wir haben ihr Speise gereicht, indem wir Kinder von vollkommener Treue in ihre Herde aufnahmen. Sie war gefangen, ihre Stimme wurde nicht mehr gehört, und wir haben das Schweigen gebrochen, indem wir ihre wahre ewige Lehre verkündet haben. Wenn Gott beim Jüngsten Gericht jedes kleine Almosen, das dem geringsten der Bettler gegeben wurde, auf wunderbare Weise vergelten wird, wie wird er dann nicht das Almosen vergelten, das diesem erhabenen, diesem königlichen, diesem wunderbaren Bettler gegeben wurde! Die Heilige Katholische Kirche ist unsere Mutter, voller Schmerz, mit blauen Flecken bedeckt, aber sie ist Königin wie eh und je und schöner denn je!
Wenn wir in wenigen Minuten den Chor die Klagelieder des Jeremia singen hören, müssen wir die Melodien die Gefühle unserer Seele ausdrücken lassen, die wir der heiligen katholischen Kirche durch die Gottesmutter und unseren Herrn Jesus Christus geschenkt haben. Wir müssen der Kirche sagen, dass wir ihren Schmerz teilen, dass wir ihr Weinen teilen, dass unsere Seelen weinen und sich voller Liebe danach sehnen, sie mit einer wiederherstellenden Liebe zu trösten, die all das Böse und all den Hass überdeckt, die ihr in dieser Zeit entgegengeschleudert werden.
Wir müssen bedenken, dass gerade dann, wenn die Kirche am meisten verfolgt wird, wenn sich ihr jemand nähert, um sie in ihrer erhabenen Einsamkeit zu trösten, um ihre Schande mit Tränen abzuwaschen, Gnaden und Wunder von allen Seiten strömen. Nach dem Leidensweg und dem Tod unseres Herrn Jesus Christus begann die Zeit der großen Wunder. Es war die Bekehrung von Dismas, einer der beiden verurteilten und hingerichteten Verbrecher zu einem Heiligen wurde: „Heute wirst Du mit mir im Paradies sein“. Der erste Heilige der Geschichte wurde von der Höhe des Kreuzes aus heiliggesprochen. Es war die Heilung des Soldaten Longinus, der die Seite unseres Herrn mit seiner Lanze durchbohrt hatte. Er, der fast blind war, wurde durch die Flüssigkeit, die aus der Seite Jesu floss, geheilt. Kurz zuvor hatte es das Wunder der Veronika gegeben. Sie ging zu Jesus, um sein Gesicht zu reinigen, das mit Staub, Blut, Speichel und allen möglichen Verunreinigungen bedeckt war, und sah das Heilige Antlitz auf ihrem Schleier abgebildet.
Bitten wir unseren Herrn Jesus Christus, uns das Wunder unserer Bekehrung für unsere Treue zur Kirche in diesem höchsten Augenblick zu schenken. Bitte wir darum, dass jeder von uns ein Apostel der Endzeit wird, wie der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort in seinem „Flammengebet“ schrieb. Wir bitten darum, dass jeder von uns ganz das sei, wozu er geschaffen wurde, dass wir Heilige werden, die wir sein sollten. Bitten wir darum, dass auf diesen moralischen Schleier, mit dem wir die heilige Kirche unseres Herrn Jesus Christus reinigen, sein heiliges Antlitz abgedruckt wird. Wir wollen, dass das Heilige Antlitz unseres Herrn Jesus Christus, das heißt der Geist Christi, in unsere Seelen abgedruckt wird, denn das Antlitz ist das Symbol des Geistes.
In diesen Seelenverfassungen und unter Berufung auf den Schutz des Propheten Jeremias werden wir nun die Klagelieder hören.**)
*) Aus einer Sitzung für Mitglieder und Mitarbeiter der brasilianischen TFP, 11. August 1967. Entnommen aus der Aufnahme des Vortrages, ohne Überarbeitung durch den Autor.
**) Leider ist die Wiedergabe der Aufnahme des Liedes nicht mehr möglich.
© Wiedergabe ist erlaubt mit
der Angabe der Quelle:
https://www.atfp.it/biblioteca/articoli-di-plinio-correa-de-oliveira/75-brani-scelti/1503-cortigiani-della-sventura-il-dovere-del-cattolico-in-tempi-di-crisi
Aus dem Italienischen übersetzt mit Hilfe von DeepL-Übersetzer (kostenlose Version)
Diese deutsche Übersetzung „Höflinge des Unglücks - Die Pflicht des Katholiken in Zeiten der Krise“ erschien erstmals in www.p-c-o.blogspot.com
© Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
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