Plinio Corrêa de Oliveira
Ich vermute, dass sich die große Mehrheit der Leser erst um 1964 klar und deutlich bewusst wurde, dass die Kirche in einer Krise steckt, als Vertreter des Klerus und der katholischen Laien angesichts der vom damaligen Präsidenten João Goulart geschaffenen Situation eine Haltung einnahmen, die der zu erwartenden diametral entgegengesetzt war. Seitdem sind die Symptome dieser unglückseligen Krise so akut und charakteristisch geworden, dass sie deutlich machen, dass es sich nicht nur um irgendeine Krise handelte, sondern um eine immense, schwindelerregende, apokalyptische Krise. Viele sind zu Recht der Meinung, dass sie vielleicht die größte von allen ist, größer zum Beispiel als die des Arianismus oder des Protestantismus.
Angesichts einer solchen Katastrophe, die die Kirche mit Sicherheit vernichten würde, wenn sie sterblich wäre, stellt sich unwillkürlich die Frage: Wie konnte es so schnell so weit kommen?
Diese an sich schon wichtige Frage gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn wir in Übereinstimmung mit unserem vorangegangenen Artikel an die tausend Wechselbeziehungen erinnern, die die gegenwärtige religiöse Krise notwendigerweise mit Krisen anderer Art hat, die das Land zur gleichen Zeit erschüttern. Kommen wir also zu der Antwort.
Stellen Sie sich vor, Sie lesen in der Presse die erstaunliche Nachricht, dass die Cheops-Pyramide - ohne dass ein Erdbeben stattgefunden hätte – eine Riss bekommen hat und ein großer Teil von ihr zu Boden gefallen ist. Daneben informiert eine telegrafische Mitteilung darüber, dass die Ursachen der Katastrophe im Jahr 1964 begannen. Es wäre legitim, die Informationen anzuzweifeln. Könnte ein Gebäude, das Jahrtausende lang allen Witterungseinflüssen standgehalten hat, durch eine Ursache, die nur fünf Jahre lang gewirkt hat, Risse bekommen und zum Einsturz gebracht werden - ohne dass ein Erdbeben gegeben hätte? Das ist unwahrscheinlich.
Dieselbe Feststellung könnte man mit gesundem Menschenverstand auch über die heilige Kirche Gottes machen, ein Bauwerk, das ganz und gar geistlich, ganz und gar übernatürlich, durch Gottes Plan und Verheißung unsterblich und daher unvergleichlich solider ist als die Cheopspyramide.
Trotz der Unzulänglichkeiten, die jeder Vergleich zwischen der Kirche und den irdischen Dingen mit sich bringt, denke ich, dass das Gleichnis dennoch anschaulich ist.
Wir sehen also, wie erklärbar es ist, dass der Brand in der Kirche Brasiliens lange vor 1964 begann. In Wirklichkeit - und das sollte nicht überraschen - begann er um 1940 auszubrechen.
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Ausgehend von verschiedenen Schwerpunkten in Europa wurde in den religiösen Kreisen Brasiliens von etwa 1937 bis 1943 schrittweise eine Mentalität ausgebrütet, die von einer Obsession beherrscht wurde: den Konflikt zwischen der Kirche und dem Weltlichen durch eine völlige Kapitulation zu lösen, d.h. durch eine Neuinterpretation der kirchlichen Lehre, eine Reform ihrer Gesetze, ihrer Liturgie, ihrer Lebensweise, die sie völlig in Einklang mit dem bringen würde, was modern ist.
Das Wort „modern“ ist klebrig. Einerseits hat es einen guten Sinn. Wenn man also von moderner Astronomie spricht, meint man den Wissensschatz der Vergangenheit, der durch den immensen Schatz an Errungenschaften der zeitgenössischen Forschung erweitert und korrigiert wurde. Dieser gesamte Korpus ist das Ergebnis des Impulses, der von früheren Generationen ausgeht, der uns zum gegenwärtigen Höhepunkt gebracht hat und sich mit unseren Bemühungen zu immer höheren Höhepunkten bewegt. Eine solche Modernität kann von der Kirche nur begrüßt werden. Und in dieser Perspektive kann die Aktualisierung einiger sekundärer und zufälliger Aspekte des kirchlichen Lebens eine gute Sache sein.
Das Wort „modern“ hat aber auch eine andere Bedeutung, und zwar eine sehr schlechte. In diesem Sinne ist das Mädchen im Minirock moderner als das Mädchen in einem Rock von normaler Länge. Das halbnackte Mädchen wäre moderner als das Mädchen im Minirock, und so weiter. In der Kunst gilt: je extravaganter, desto „moderner“. Auf der anderen Seite sieht sich der „gemäßigte“ Sozialist gegenüber dem Antisozialisten als modern. Der linksextreme Sozialist rühmt sich, gegenüber dem „gemäßigten“ modern zu sein, und der Kommunist hält sich für erzmodern, das heißt, er verachtet die Sozialisten aller früheren Bereiche als Fossilien. Und so könnten wir die Beispiele vervielfältigen.
Letztlich ist „modern“ in diesem Sinne etwas, dessen Fülle, dessen nec plus ultra im Delirium und im Kommunismus liegt. Wenn sich die Kirche also an diesen zweiten Sinn der Moderne anpassen soll, verzichtet sie implizit darauf, sie selbst zu sein.
Dieser Geist einer zweideutigen Modernisierung, der Dinge vorschlägt, die ausgezeichnet sind, Dinge, die fragwürdig sind, und Dinge, die schrecklich sind, und der im Allgemeinen ausgezeichnete und fragwürdige Dinge zum Vorwand für schreckliche Dinge macht, hat begonnen, sich in einigen Bewegungen zu äußern, die an sich ausgezeichnet sind. Da ich im Rahmen eines Artikels einen äußerst komplexen Sachverhalt schildere, beschränke ich mich darauf, auf das zu verweisen, was in zwei dieser Bewegungen, die zwischen 1937 und 1943 in Brasilien Wurzeln schlugen, im Keim schlecht war:
a – Die Katholische Aktion: Tendenz, das Autoritätsprinzip zu untergraben und die Laien praktisch unabhängig vom Klerus zu machen; gewohnheitsmäßiges Aufsuchen von Orten, die von allen Moralisten missbilligt werden, unter dem Vorwand, „Christus“ dorthin zu bringen; Leugnung der harmonischen Ungleichheit zwischen den sozialen Klassen; Förderung des Klassenkampfes.
b – Die Liturgische Bewegung: Tendenz, das Autoritätsprinzip zu untergraben, indem der zelebrierende Priester in gewisser Weise mit den Gläubigen identifiziert und auf gleicher Stufe gestellt wird; Unterschätzung der Formen katholischer Frömmigkeit, die von den nichtkatholischen Theologen, insbesondere den modernen, am stärksten bekämpft werden: die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu, der Eucharistieempfang außerhalb der Messe, der Gottesmutter, der Heiligen, der Heiligenbilder, der Spiritualität des Heiligen Ignatius von Loyola, des Heiligen Alfons von Liguori, des Kreuzweges, des Rosenkranzes usw.
c - In beiden Bewegungen: Unterschätzung der Askese, des Opfers, des Kampfes gegen ungeordnete Leidenschaften durch den von der Gnade gestärkten menschlichen Willen.
Ich werde die Beurteilung bestimmter Begleitphänomene, wie z.B. des Maritainismus, beiseite lassen, um mich allein auf die oben erwähnten zu beschränken. Der Leser soll nun all das analysieren, was ihn heute in so vielen katholischen Kreisen bestürzt. Er wird sehen, dass es sich fast immer um den Höhepunkt der Tendenzen handelt, die ich gerade aufgezählt habe.
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Aber jemand wird mich fragen: Ist das nicht eine Fantasie? Wie lässt sich nachweisen, dass solche Probleme bereits in so weit zurückliegenden Epochen Anlass zur Sorge gaben? War zwischen 1937 und 1943 nicht alles ruhig in der Kirche? Genau im Jahr 1943 wurde in São Paulo ein Buch mit dem Titel „Zur Verteidigung der katholischen Aktion“ veröffentlicht (Verlag Ave Maria). Dieses Buch hatte ein ehrenvolles Vorwort des damaligen Apostolischen Nuntius in Brasilien, des heutigen Kardinals Aloiso Masella. Das Werk prangerte genau das an, was hier steht. Das Buch wurde vom damaligen Präsidenten des Erzdiözesanrates der Katholischen Aktion von São Paulo geschrieben, der auch der Autor dieses Artikels ist. Dieses Buch, das in der katholischen Hierarchie eine enorme Verbreitung fand, war eine Bombe, von der die breite Öffentlichkeit wenig vernommen hat, die aber in katholischen Kreisen große Auswirkungen hatte. Die derzeitigen Veteranen des Nationalen Rates der TFP waren an der Verbreitung des Buches maßgeblich beteiligt. Wir befinden uns also in der Vorgeschichte der TFP.
„Wie konnte die
Cheopspyramide einstürzen?“ erschien erstmals in deutscher Sprache in
www.p-c-o.blogspot.com
© Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.
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