Sonntag, 16. Mai 2021

Kirche und Gegenrevolution - I


Die Revolution ist aus einem Ausbruch ungezügelter Leidenschaften hervorgegangen und führt nach und nach zur Zerstörung der weltlichen Gesellschaft, zur völligen Umkehrung der sittlichen Ordnung und zur Leugnung Gottes. Das Hauptziel der Revolution aber ist die Kirche, der mystische Leib Christi, die unfehlbare Lehrmeisterin der Wahrheit, Beschützerin des Naturrechts und damit zugleich die letzte Stütze auch der weltlichen Ordnung.

Unter diesen Voraussetzungen gilt es nun, die Beziehung der Gegenrevolution zu dieser göttlichen Institution Kirche zu untersuchen, deren Vernichtung die Revolution anstrebt.

1. Der Stellenwert und die Reichweite der Kirche gehen weit über die Revolution und die Gegenrevolution hinaus

Die Revolution und die Gegenrevolution sind zwar überaus wichtige Episoden in der Geschichte der Kirche, denn in ihnen kommt das Drama von Apostasie und Bekehrung des Abendlandes zum Ausdruck. Aber letztendlich sind auch sie bloße Episoden.

Die Sendung der Kirche ist keineswegs auf das Abendland beschränkt und lässt sich zeitlich gesehen auch nicht auf die Dauer des Revolutionsprozesses einengen. „Alios ego vidi ventos; alias prospexi animo procellas“ („Ich habe schon andere Winde erlebt, anderen Stürmen die Stirn geboten“) – könnte die Kirche stolz und gelassen inmitten der heutigen Stürme ausrufen, denn sie hat schon in anderen Ländern mit Gegnern anderer Herkunft den Kampf bestanden.22 Bis zum Ende der Zeiten wird sie sicherlich noch ganz anderen Feinden als denen von heute entgegentreten.

Die Aufgabe der Kirche ist es, die unmittelbare geistige Autorität und die mittelbare weltliche Autorität zur Rettung der Seelen auszuüben. Die Revolution aber ist ein Hindernis, das sich ihr bei der Ausübung ihrer Sendung in den Weg gestellt hat. Der Kampf gegen dieses konkrete Hindernis – unter vielen anderen – ist für die Kirche lediglich ein der Dimension des Hindernisses angepasstes Mittel, ein wichtiges Mittel zwar, aber eben nur ein Mittel.

Auch wenn es also die Revolution gar nicht gäbe, würde die Kirche trotzdem all ihre Kraft daran setzen, die Seelen zu retten.

Um die Lage der Kirche gegenüber der Revolution und der Gegenrevolution deutlicher zu machen, können wir sie mit der eines Landes im Kriegszustand vergleichen.

Als Hannibal vor den Toren Roms stand, mussten alle Kräfte der Republik gegen ihn aufgeboten werden. Es ging in diesem Augenblick um eine lebenswichtige Reaktion gegen den übermächtigen, fast schon siegreichen Gegner. War Rom dann nichts weiter, als eine Reaktion gegen Hannibal? Wer würde sich zu einer solchen Behauptung versteigen?

Genauso absurd wäre die Vorstellung, die Kirche sei nur Gegenrevolution.

Die Aufgabe der Gegenrevolution besteht übrigens nicht darin, die Braut Christi zu retten. Gestützt auf das Versprechen ihres Gründers braucht die Kirche nicht die Hilfe der Menschen, um zu überleben. Umgekehrt ist es die Kirche, die der Gegenrevolution ihre Lebenskraft schenkt, ohne die sie undurchführbar, ja nicht einmal vorstellbar wäre.

Die Gegenrevolution kann dazu beitragen, dass sowohl eine große Anzahl von Seelen vor der Revolution gerettet wird, als auch Katastrophen abgewendet werden, welche die weltliche Ordnung bedrohen. Dazu aber muss sich die Gegenrevolution auf die Kirche stützen und ihr demütig dienen, anstatt sich hochmütig als ihre Retterin vorzukommen.

Anmerkung

22 Cicero, Familiares, 12,25.5.


Quelle: Plinio Corrêa de Oliveira: „Revolution und Gegenrevolution“ TFP Deutschland. Frankfurt am Main, 2013. S. 135f.

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