Dienstag, 9. Januar 2024

Die hl. Theresia vom Kinde Jesu und die Reinheit



Plinio Corrêa de Oliveira

       Ich wurde gebeten einen Vortrag über die Tugend der Reinheit im Leben der heiligen Theresia vom Kinde Jesu zu halten. Ich mache das gerne, aber das ist nicht ganz so einfach.

       Dies liegt daran, dass die heilige Theresia vom Kinde Jesu zweifellos ein Vorbild der Reinheit war. Sie hätte auch keine gute Nonne sein können, geschweige denn eine Heilige, wenn sie nicht ein Vorbild der Reinheit gewesen wäre. Es kommt jedoch vor, dass alle Heiligen einen Charakterzug in ihren Tugenden haben, durch den ihre Persönlichkeit definiert wird und der den hervorstechendsten Aspekt ihrer Seele darstellt. Und wenn die Reinheit der hl. Theresia vom Kinde Jesu eine authentische, tiefe und verfeinerte Tugend ist, erscheint sie nicht sofort als eine jener Tugenden, die ihre Seele tief geprägt hat. Und erst nach einigem Nachdenken können wir das Zeichen der Reinheit im Leben der hl. Theresia deutlich erkennen.

       Welches Zeichen ist das?

       Um dies gut zu verstehen, müssen zunächst feststellen, dass die heilige Theresia eine Heilige war, die nicht zu kämpften hatte, um die Tugend der Reinheit gegen schreckliche Versuchungen aufrechtzuerhalten. Im Leben der heiligen Theresia finden wir davon keine Spuren. Zumindest in dem, was ich über sie gelesen habe, habe ich davon keine Spur gefunden.

      Die große Versuchung der heiligen Theresia – sie war eine sehr von Versuchungen geplagte Heilige –, aber die große Versuchung der hl. Theresia war die Versuchung gegen den Glauben, nicht die Versuchung gegen die Reinheit.

       Andererseits gehörte sie auch nicht zu den Heiligen, die eine Reinheit besaßen, wie zum Beispiel der heilige Stanislaus Kotska, der heilige Aloisius von Gonzaga, der sich unwohl fühlte, seine Füße seiner Mutter zu zeigen. Was eine Verfeinerung der Reinheit bedeutete, ein extremes Feingefühl in Sachen Reinheit, das diesen Heiligen auszeichnet. Wie auch der heilige Stanislaus Kotska, dessen Name mir zufällig in den Sinn kam, und in jüngerer Zeit der heilige Dominikus Savio charakterisierte.

       Wo finden wir dann das Zeichen der Reinheit im Geiste der hl. Theresia? Es scheint mir, dass wir es finden, hervorragend und sogar leuchtend, wenn wir wissen, wie wir danach suchen müssen. Und um danach zu suchen, müssen wir uns dem folgenden Problem stellen: Was ist das Zeichen der Reinheit im Geiste einer Person, die in Fragen der Reinheit keine besondere Versuchung erleidet? Wo ist das Zeichen der Reinheit? Wo ist dort die psychologische Präsenz der Tugend der Reinheit zu spüren?

       Eine der Demonstrationen, die wir für die Vortrefflichkeit der Tugend der Keuschheit geben, gegen die heutigen Zweifler, die der Ansicht sind, insbesondere die Freudianer, dass der Sexualtrieb ein Instinkt wie jeder andere sei und dass es keinen Grund gebe, ihn zu stoppen. Ein Argument, das wir anführen, um zu beweisen, dass dieser Instinkt gezügelt werden muss, und dass er, selbst wenn er bis zur Erhabenheit absoluter Keuschheit gezügelt wird, im Zustand des Zölibats seine schönsten Blüten und schönsten Ergebnisse hervorbringt. Ein Argument, das wir vorbringen, ist genau dieses:

       Die Tugend der Reinheit verleiht dem Geist die Herrschaft über das Fleisch, was dazu führt, dass sich die Seele des Menschen vollständig auf höhere Dinge konzentriert, vollständig auf ideale Dinge konzentriert, vollständig auf himmlische Dinge konzentriert. Und die Seele kann sich leicht von dem Vulgären, dem Gewöhnlichen und sogar dem Trivialen lösen. Dieser Flug der Seele in die höchsten und edelsten Bereiche des Denkens, dieser Flug des Geistes, dieser Flug des Willens, die Güter des Geistes mehr zu begehren als die Güter des Fleisches, dieser Flug kommt genau von der Tugend der Reinheit.

       Und warum? Weil es unter den Sinnen des Menschen eine adelgleiche Hierarchie gibt. Sie sind umso edler, je kognitiver sie sind. Das heißt je mehr sie der Erkenntnis helfen. Und damit, so sagt der hl. Thomas, ist das Sehvermögen der edelste Sinn des Menschen, durch den der Mensch am besten die Wirklichkeit vernimmt, am besten Notiz der Realität nimmt, sie erkennt und in der Lage ist, die von Gott geschaffene Wirklichkeit zu analysieren.

       Wenn wir uns nun an der Skala der menschlichen Sinne orientieren, ist der Spürsinn der am wenigsten kognitive. Der Spürsinn ist der, der uns am wenigsten Informationen über äußere Dinge gibt. Es ist daher der am wenigsten edle Sinn, weil er am wenigsten erkenntnisfähig ist. Er ist auch der Sinn, der der Materie am nächsten ist. Und aus diesem Grund ist das Vergnügen der Berührung das niedrigste Vergnügen, das es im Menschen gibt, das Vergnügen, an dem der Geist am wenigsten und der Körper, das Fleisch, am meisten beteiligt ist.

       Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er an sich eine schlechte Bedeutung hat. Daraus lässt sich nur ableiten, dass er der am wenigsten Erhabene, der am wenigsten Edle ist; denn alle Sinne wurden dem Menschen von Gott als gute Dinge gegeben.

       Dadurch ist es leicht zu verstehen, dass dieser, da es sich um den am wenigsten erhabenen Sinn handelt, folglich auch der Sinn war, der am stärksten von der Erbsünde betroffen war. Und daher kommt die Tatsache, dass sich die Lust an der Berührung und das Verlangen nach Berührung bei einem Menschen, der von der Erbsünde verletzt wurde, in einem Zustand der Hemmungslosigkeit, in einem Verlangen nach Intensität, in einer Heftigkeit der Begierde führen, die den Menschen dazu führt, diesem Sinn leichter nachzugeben als allen anderen.

       Daraus ergibt sich auch die Tatsache, dass, wenn der Mensch nachgibt, da er dem niedrigsten Sinn nachgibt, der weniger mit den Tätigkeiten des Geistes verbunden ist und mehr in die Aktivitäten der Materie zugewandt ist, aus diesem Grund entwickelt sich die Macht der in der Gesamtheit Seele und Körper des Menschen mehr als in den anderen Sinnen. Und deshalb richtet sich der Mensch mehr auf fleischliche Dinge, auf materielle Dinge, auf greifbare Dinge, auf sensible Dinge. Gerade weil die Herrschaft der Seele über ihn schwächer wird und er animalisch wird.

       Daraus folgt, dass wenn wir eine Seele sehen, die mit großer Leichtigkeit nach höheren Dinge strebt, die nach himmlischen Dinge strebt, um sich mehr von irdischen Dingen zu lösen, um sich mehr von den materiellen Dingen zu lösen, gerade fort finden wir das Vorhandensein der Keuschheit. Es ist gerade die Keuschheit, die der Seele diesen Flug ermöglicht, diese Möglichkeit zum Aufstieg, diese Leichtigkeit, den geistigen Höhepunkt zu erreichen.

       Das finden wir in herausragender Weise im Leben der hl. Theresia vom Kinde Jesu. Wenn wir die „Geschichte einer Seele“ lesen, fällt uns sofort die Höhe der Ebene auf, auf der sie sich befindet. Das ganze Problem ihres Lebens ist das Problem ihres spirituellen Lebens. Wir sehen in ihrer Seele als dominante Noten, nicht die Sorgen um die Gesundheit, Sorgen um Geld, Sorgen um nichts davon. Ihr großer Flug führt dazu, dass sie sich direkt darum sorgt, eine Aufgabe zu erfüllen, die Gott ihr gegeben hat, sich in die Betrachtung der Dinge Gottes zu vertiefen. Über die Sorge um ihre eigene Seele hinaus sehen wir, dass die heilige Theresia ihren gesamten Geist auf Gott konzentriert. Sie möchte etwas über Gott wissen, über die Dinge Gottes, über Gott meditieren, menschliche Dinge nur insoweit betrachten, als sie sie zu Gott führen und als Weg zu Gott dienen. So dass sie, alles was irdisch, Fleischliches ist, souverän überwindet.

       Das findet man in unzähligen Episoden ihres Lebens. Als sie zum Beispiel klein war und es ihr gefiel, lange Zeit allein auf einer Art Terrasse ihres Hauses zu sein, den Sonnenuntergang zu beobachten und die tausend Harmonien und die tausend Gnaden der Natur in Lisieux und Umgebung von Lisieux zu sehen, wo sie wohnte. Es war keine Meditation künstlerischer Natur, geschweige denn literarischer Natur. Aber als sie diese Dinge sah, erhob sich ihre Seele zu Gott.

       Und sie sagte, dass sie noch sehr klein war, und dass sie dort bereits Betrachtungen mache, was für sie ein echtes Beten gleichkam, als sie am Fenster lehnte und mit einer ihrer Schwestern lange Gespräche führte und das Panorama betrachtete. Sie sagte, sie sei sicher, dass zwischen beiden Dinge von nicht geringerer Erhabenheit geschahen, als die berühmte Ekstase, die der heilige Augustinus und die heilige Monika in einem Fenster eines Gasthauses in Ostia hatten, kurz bevor die heilige Monika ihre gesegnete Seele unserem Herrn übergab.

       Wir sehen das auch später an anderen Dingen. Die heilige Teresia zum Beispiel möchte eine Lehre erläutern. Sie greift ein kleines Geschehnis auf, das unbedeutendste im Alltag, und sie illustriert dieses kleine Geschehnis, das als Erklärung für etwas sehr Hohes dient. Mit anderen Worten: Wenn sie den Geist mit den Dingen des Alltags berührt, über die jeder ausgeglichene Mensch nachdenken muss, berührt sie den Geist so, dass dies von einem Licht durchdrungen wird, das sie in ihrer Seele trägt, das aber nicht das allgemeine Licht der Menschen ist.

       Es gibt zum Beispiel nichts Trivialeres als eine Person, die zu Fuß auf der Straße geht, mit der Sorge, nicht über einen Stein oder etwas anderes zu stolpern. Das macht eigentlich jeder. Man guckt auf den Boden, um nicht zu stolpern.

       Aus dieser Sorge leitet die hl. Theresia eine Erklärung für die Gründe ab, warum sie Gott danken sollte. Sie beschäftige sich mit einem sehr hohen Problem der Theologie: ob eine unschuldige, reine Seele mehr lieben kann als eine reuige Seele. Denn zu ihrer Zeit heißt es oft, dass die Seelen großer reuiger Sünder Gott mehr liebten als die Seelen von Menschen, die nie gesündigt haben. Dann sagt sie: „que je voudrais faire mentir ce mot“, wie gerne würde ich dieses Wort für Unwahr halten. Aber wie kann man dieses Wort für unwahr halten, wenn man den Eindruck hat, dass der Büßer viel mehr erhalten hat als der Unschuldige? Dem Büßer wurde vergeben, dem Unschuldigen wurde nicht vergeben. Der Büßer hat mehr Gründe, dankbar zu sein.

       Durch einen ganz klaren Vergleich kann uns Theresia ihre Einstellung überzeugend vermitteln: „Angenommen, der Sohn eines geschickten Arztes stößt auf seinem Wege an einem Stein, der ihn zu Fall bringt, und in diesem Sturz bricht er sich ein Glied; sofort eilt sein Vater vorbei, hebt ihn liebevoll auf, pflegt seine  Wunden und bedient sich dabei aller Hilfsmittel seiner Wissenschaft. Bald ist der Sohn vollkommen hergestellt und bezeugt dem Vater seine Dankbarkeit. Zweifellos hat dieses Kind allen Grund, seinen Vater zu lieben.“

.......„Doch ich will einen anderen Fall setzen: der Vater, der wusste, dass sich auf dem Weg seines Sohnes ein Stein befand, eilt ihm voraus und entfernt, ohne das jemand ihn sieht, den Stein. Gewiss wird der Sohn, der Gegenstand dieser vorausschauenden Liebe, der aber nicht weiß, welchem Unheil er dank dem Vater entrann, diesem keinen Dank bezeugen und ihn weniger lieben, als wenn er vom Vater geheilt worden wäre. Wenn er jedoch von der Gefahr erfährt, der er soeben entronnen ist, wird er ihn dann nicht mehr lieben? ... Nun ich selbe bin dieses Kind, Gegenstand der vorsorglichen Liebe eines Vaters ... er wollte, dass ich wisse, wie er mich mit einer Liebe von unsagbarer Vorsorge geliebt hat, damit ich ihn jetzt bis zum Wahnsinn liebe!“

       Sie sehen, was für eine Zärtlichkeit, welche Anmut, welche Leichtigkeit, welche Präzision des Denkens. Es sei klar, sagt sie, dass die Seele, von der Gott große Stolpersteine beseitigte, mehr zu verdanken habe als die Seele, die strauchelte und von Gott mit Güte behandelt wurde.

       Dann triumphiert sie: „Als unschuldige Seele habe ich logische Gründe, Gott mehr zu lieben als eine reuige Seele. Warum sollte ich das nicht tun? Dann werde ich die unschuldige Seele sein, die die bewundernswerten reuigen Seelen besiegt, die mit ihrer Reue die Kirche erleuchtet haben.“. Und sie überwindet den Zweifel und betritt das Reich der reinen Liebe Gottes.

       Wir sehen, wie diese Meditation geboren wurde. Es ist als würde sie selbst die Straße entlang gehen, Eltern zu sehen, die den Mädchen Dinge aus dem Weg räumen. Und wie sie aus ein paar Kleinigkeiten die Lösung für ein Problem von großer Bedeutung und großer theologischer und moralischer Bedeutung ableitet.

       Wie kann ein kleines Mädchen und später eine junge Nonne einen so hohen Geistesflug haben, wenn sie nicht sehr rein ist?

       In der Predigt über die Seligpreisungen, in der Bergpredigt, gibt unser Herr den Lohn für diese Seligpreisung, für jene Seligpreisung. An einer Stelle spricht Er vom Reinen. Und wenn Er von den Reinen spricht, sagt Er etwas, das alle anderen beinhaltet. Er sagt: „Selig sind die Reinen, denn sie werden Gott schauen.“ Da braucht man nichts mehr zu sagen. Mit diesem „Gott schauen“ haben wir alles. Wir wurden erschaffen, um Gott zu schauen, nicht wahr? Also: Selig diejenigen, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

       Nun, das geschieht nicht nur im Himmel, es beginnt schon hier auf Erden. Der reinen Herzens ist, hat diese Transparenz, um Gott zu schauen, diesen Flug, um Gott zu schauen, der das Zeichen der Reinheit ist, der die Manifestation des Vorhandenseins der Reinheit ist.

       Wir sehen dies bei heiligen Theresia von einer anderen Seite: Es ist ihr glühender Eifer für die katholische Kirche. Sie hatte ein Problem des geistlichen Lebens: Sie liebte die Kirche so sehr, dass sie gleichzeitig alle Ämter innerhalb der Kirche ausüben wollte. Sie wollte Missionarin werden, sie wollte Bischöfin werden, sie wollte Predigerin werden, sie wollte eine Kriegerin sein, sie wollte alles sein, weil sie überall und gleichzeitig alles für die Kirche tun wollte. Und das war für sie eine echte Qual. Die Unmöglichkeit, nicht alles auf einmal sein zu können, obwohl sie das Gefühl hatte, berufen zu sein, alles auf einmal zu sein.

       Glauben Sie, dass eine Seele, die nicht rein ist, die Kirche so sehr lieben kann, dass sie gleichzeitig alles für die Kirche sein möchte? Keine Gefahr! Die Seele, die eine Sünde gegen die Keuschheit begeht, verliert dies leicht aus dem Blick. Wenn sie sich ändert, erholt sie sich natürliche, aber die Unreinheit wird immer eine Belastung sein und hindert die Seele daran, so hoch in diesen Firmamenten zu fliegen.

       In der heiligen Theresia geht das noch weiter. Sie sagt, dass sie für die Kirche arbeiten möchte, bis der letzte Auserwählte im Himmel ist. Und dass sie genau die Gnaden der Liebe Gottes, die Gnaden des Eifers, die Gnaden der Begeisterung für die katholische Sache herabregnen wird – das ist ihr Rosenregen –, dass sie diesen Gnadenregen durch Gebet und Arbeit in der Welt bis zum letzten Moment fallen lassen wird, wenn die Zahl der Erwählten vollständig ist. Man sieht einen brennenden Eifer, der sie später zu kleinen Taten wie diese bewog:

       Als sie schon an Tuberkulose erkrankt war und müde durch den Kreuzgang von einer Seite zur anderen ging, fragte sie jemand: „Warum gehen sie hier herum? Wäre es nicht besser, zu ruhen?“ Sie sagt: „Ich gehe für einen Missionar.“ Sie wusste, dass sie krank war und dass sie durch das Gehen im Kreuzgang einem erschöpften Missionar in Afrika, Asien, Südamerika, im Hinterland Brasiliens oder irgendwo anderes Kraft verdienen könnte. Sie tat es für einen Missionar, weil sie großen Eifer hatte, ein besonderes Interesse an dieser Form der Ausbreitung der katholischen Kirche, unter den Menschen in den noch ungläubigen Ländern der Welt

       Andererseits sehen wir in der heiligen Theresia die Idee, kleine Dinge wertzuschätzen und ihnen eine große Bedeutung zu geben. Zum Beispiel ihre Theorie der kleinen Opfer. Unbedeutende Opfer, in denen sie einen enormen Wert sah. Woher kommt diese Fähigkeit, im Einklang mit dem Grundsatz zu glauben und zu handeln, dass kleine Opfer viel bewirken können, wenn nicht aus einem hohen Verständnis für die Größe und Bedeutung selbst kleiner Taten?

       Auch ihre außergewöhnliche Nächstenliebe gegenüber der mürrischen Schwester im Kloster, die sie von Ort zu Ort begleitete usw. Auch ihre Geduld mit ihrer Oberin. Nun, all dies waren Ausdrucke ihres Eifers, mit dem sie tausend kleine Gelegenheiten nutzte, um zu einer großen Heiligkeit zu erlangen.

       Aber wie lässt sich erklären, dass ein Mensch in der Lage war, auch im Kleinen so große Dinge zu sehen, wenn er nicht über eine große Geisteserhebung verfügte? Und wie kann diese anders erklärt werden, als durch große Reinheit?

       Ich schließe. Eines weist auf alles hin. Die heilige Theresia in einem tragischen Moment ihres Lebens, beim letzten Abendessen im Buissonets, weil sie am nächsten Tag ins Kloster gehen sollte: die ganze Familie – eine auserwählte Familie - die ganze Familie weinte. Nur eine Person weinte nicht: sie selbst. Niemand liebte den Vater mehr als sie. Wir wissen zum Beispiel, wie die Krankheit ihres Vaters eine echte Prüfung für sie war. Aber wie lässt sich das erklären? Wir haben gesehen, wie sie mit Gott dafür kämpfte, dass ihre Schwestern in den Karmel eintreten konnten; wie sie deshalb die Erlösung ihrer Schwestern wollte; und in einer übernatürlichen Ordnung, wie sie ihre Schwestern liebte.

       Doch wie lässt sich erklären, dass nur sie nicht geweint hat? Härte der Seele? Niemals. Offensichtlich war sie dort am weitesten von einer Seelenhärte entfernt. Also, was ist es? Unempfindlichkeit? Im guten Sinne des Wortes niemals. Wie konnte sie unsensibel sein? Wie erklärt sich das? Es ist weil sie alles stärker empfand als andere. Aber sie hatte eine so viel größere Gottesliebe, dass das, was andere empfanden, von etwas viel Größerem von innen heraus übernommen, durchdrungen, beherrscht und belebt war, nämlich von der Liebe Gottes.

       Ein Beispiel kann uns das verständlich machen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass eine Person einen Autounfall erleidet, bei dem der Arm so stark verletzt wird, dass er völlig schief, völlig ausgerenkt  wird, aber gleichzeitig hat die Person auch einen Pickel an der Nase, der schon vor dem Autounfall lästig war. Bei einem Autounfall vergisst die Person den Pickel. Es könnte sein, dass sogar er noch mehr schmerzt als vorher. Aber die Person merkt es nicht einmal. Denn durch einen viel größeren Schmerz, nimmt die Person den geringeren Schmerz nicht wahr.

       So auch wenn jemand eine sehr große Liebe zu etwas Höherem hat, stört es ihm gar nicht, anderen ebenfalls eine große Liebe zu erweisen.

       Das zeugt von einer sehr ruhigen, ausgeglichenen, sehr hohe, mit einem Wort eine sehr keusche, reine Stellung der Seele der heiligen Theresia vom Kinde Jesus. Ein unkeuscher Mensch würde niemals zu solcher Einstellung gelangen.

       Das sollte für uns eine Ermutigung sein. Ein Ansporn für uns, den Wert der Keuschheit, die die Muttergottes uns geschenkt hat, bis ins Innerste zu lieben und zu verstehen, den Wert der Berufung zur Keuschheit, die Sie uns geschenkt hat, den Wert der Reue, die Sie dem einen oder anderen ihrer Kinder beimisst, wenn es gegen die Keuschheit verstoßen hat.

       Ich halte es für eines der schönsten Dinge, die ich in unser Gemeinschaft gesehen habe, dass die Muttergottes eine oder andere Male eine traurige Tat in dieser Hinsicht zugelassen hat, aber dass sie die Berufung in dieser oder jener Person unversehrt bewahrt, die ausnahmsweise in irgendeiner Hinsicht, dem Bösen etwa nachgegeben hat. Unsere Liebe Frau bewahrt die gesamte Berufung, den gleichen Ruf, um wieder aufzustehen und die Wege der Keuschheit zu gehen.

       Zusammenfassung

       Wir sehen also, bis wohin Keuschheit führt. Sie gibt uns die Fülle der Sicht der übernatürlichen Dinge, die man auf der Erde haben kann. „Selig sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Wenn es einen Menschen auf der Erde gibt, der Gott und die Muttergottes geschaut hat, dann war es die heilige Theresia vom Kinde Jesu.

       Ich habe vergessen, eine Zusammenfassung über das behandelte Thema zu geben:

       Also, ich habe zuerst das Thema angegeben: Heilige Theresia und die Reinheit.

       Dann habe ich die Schwierigkeiten des Themas dargelegt: Warum ist die Tugend der Reinheit, in welchem Sinne war die Tugend der Reinheit nicht eine der archetypischsten Tugenden der heiligen Theresia?

       Danach ging ich zu methodologischen Überlegungen über. Ich habe darauf hingewiesen, welche Methode in diesen Fällen angewendet werden sollte, um die Tugend der Reinheit mit der Heiligen in Verbindung zu bringen, der sich in ihrer Situation befindet. Die Methode besteht darin, herauszufinden, welche Beziehung ihre Art der Gottesliebe zur Tugend der Reinheit hat.

       Danach habe ich die Methode begründet und gezeigt, wie die Tugend der Reinheit die Wurzel ihrer großen Tugend ist, d.h. ihre geistige Fähigkeit sich in den Bereichen des Denkens hoch zu erheben.

       Von diesem Punkt an analysierte ich verschiedene Aspekte ihres Werkes, in denen wir sahen, wie Reinheit ihr zum Aufstieg verhalf oder wie sie andererseits in Großen Dingen aufstieg. Ich habe einige Beispiele gegeben, dann habe ich für die kleinsten Dingen andere Beispiele gegeben.

       Nun, später habe ich gezeigt, dass dies ohne Reinheit offensichtlich nicht zu erreichen ist.

       Und dann schloss ich den Kreis und kehrte zum Ausgangspunkt zurück: Hier war das Vorhandensein der Tugend der Reinheit in der Art ihrer Heiligkeit.

       (Frage: Könnten Sie nicht eine Begründung angeben?

       Das heißt, ich habe auf dem Gebiet der Lehre festgestellt, dass die unreine Seele eine enorme Schwierigkeit hat, sich zu übernatürlichen Dingen zu erheben. Dann habe ich die enorme Leichtigkeit gezeigt, mit der sie sich übernatürlichen Dingen widmet. Damit zeigt sich nicht nur, dass sie rein war, sondern auch die Intensität ihrer Reinheit.

.......Dann habe ich übe die Anwendung auf uns gemacht. Der Muttergottes für die Berufung zur Reinheit danken, die Sie uns gegeben hat. Dann, danken für die größte Güte, mit der Sie uns diese Berufung erhält, auch wenn diese Tugend ausnahmsweise leider einen kleinen Schaden nehmen kann.

       Ich glaube, dass Sie, wenn Sie den Vortrag in dieser Richtung und mit diesem Schema verfolgen, die Entwicklung dessen, was ich meinte, gut verstehen.

       Nun, da es keine Fragen gibt, wollte ich noch etwas klarstellen. Ich habe in der Rolle der heiligen Teresia viel über Gottes Liebe gesprochen. Und in der Regel legt die allgemeine Frömmigkeit großen Wert auf die Hilfe, die die heilige Therese denen, die sich an sie wenden, auf verschiedenen Ebenen schenkt oder gewährt.

       Jemand könnte mich fragen, ob ich es für Bigotterie halte, die heilige Teresia um diese Hilfe zu bitten oder auf der Grundlage dieser Hilfe die Frömmigkeit zu fördern.

       Meine Antwort ist energisch: Nein! Diese Hilfe wird tatsächlich durch sie, durch ihr Gebet gewährt, und dies ist ein Plan der Vorsehung. Das Übel besteht darin, diese Hilfen nicht im Einklang mit der Liebe Gottes zu sehen. Es sind zwar Hilfsmittel, die uns zum Wohl unseres Körpers, zum Wohl unseres irdischen Lebens gegeben werden, aber es wäre sehr wenig, wenn sie nur diese Wirkung hätten. Sie bringen einen noch wertvolleren Wert mit sich, den Sie richtig einschätzen müssen. Das liegt daran, dass sie uns zur Liebe Gottes führen, die mehr wert ist als alle irdischen Dinge.

       Dies ist die ausgewogene Stellung innerhalb der außergewöhnlichen Gnaden, die die heilige Therese tatsächlich denen gewährt, die sie auch um weltliche Gunst bitten.

 

 

Aus dem Portugiesischen mit Hilfe von Google-Übersetzer eines Vortrages über „Santa Terezinha e a pureza“ am 5. März 1970.

„Die heilige Teresia vom Kinde Jersu und die Reinheit“ erschien erstmals in deutscher Sprache in www.p-c-o.blogspot.com

© Nachdruck dieser deutschen Fassung ist mit Quellenangabe dieses Blogs gestattet.

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